Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025
Altersgerechte Verfahren an Wirbelsäule und Becken
Zum Zeitpunkt der Diagnose einer osteoporotischen Wirbelkörperfraktur lag bei bis zu 80 % der Patientinnen und Patienten weder eine Knochendichtemessung vor, noch wurde eine antiosteoporotische Therapie durchgeführt [15]. Bezüglich der Indikation und Durchführung der antiosteoporotischen Therapie darf auf die aktuelle Leitlinie des Dachverbandes Osteologie e.V. verwiesen werden [16]. In einer longitudinalen Studie mit mehr als 1,2 Mio. Patientinnen und Patienten konnte eine relative Abnahme des Frakturrisikos für klinisch relevante Wirbelkörperfrakturen für den anabolen Wirkstoff Teriparatid mit 64 % ermittelt werden, für die „klassisch“ antiresorptive Therapie mit Bisphosphonaten für nur 23 % [16]. Eine aktuelle Studie konnte sogar zeigen, dass eine bei Diagnosestellung der osteoporotischen Fraktur eingeleitete anabole Therapie mit Teriparatid unter konservativer Frakturtherapie nicht nur die Entwicklung von Pseudarthrosen vermeiden konnte, sondern dass nach Frakturheilung auch der posttraumatische Kyphosewinkel im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne anabole Therapie halbiert war [17]. Somit kann geschlussfolgert werden, dass durch die anabole antiosteoporotische Therapie nicht nur Frakturen vermieden werden können, sondern auch ein positiver Effekt auf die Therapie stattgehabter Frakturen besteht.
Schlussfolgerung
Die Primärdiagnostik ist mit konventionellen Röntgenbildern durchzuführen, bei Frakturverdacht sind zur weiteren Einordnung MRT und CT indiziert. Zur stadienabhängigen Therapie ist der OF-Score eine reliable Hilfestellung. Regelmäßige Röntgenkontrollen sollten nach 1, 3, 6 und 12 Wochen erfolgen. Die Patientinnen und Patienten profitieren von einer zügig eingeleiteten, individuellen antiosteoporotischen Therapie, wobei die anabole Therapie mit Teriparatid überlegen ist.
Becken
Einleitung
Das Becken besteht aus dem knöchernen Beckengürtel, Beckenboden und Beckenhöhle. Das knöcherne Becken setzt sich aus den Ossa coxae, dem Os sacrum und dem Os coccygeum zusammen und spielt eine bedeutende Rolle beim Gehen [19]. Es wird zwischen Beckenring- und Acteabulumfrakturen unterschieden. Im Falle einer Beckenfraktur wird das Gehen beeinträchtigt und die Mobilität der Patientinnen und Patienten eingeschränkt. Bei älteren Patientinnen und Patienten handelt es sich meistens um osteoporoseassoziierte Fragilitätsfrakturen des Beckenringes/des Sakrums im Rahmen niedrigenergetischer Unfälle [20].
Anamnese und Diagnostik
Bei der Anamnese sollte man auf sogenannte RED FLAGS achten. Beispiele dafür sind auslösende Ereignisse (Bagatelltrauma), Hinweise auf einem schleichenden Beginn mit langsamer Verschlechterung der Mobilität oder Komorbiditäten wie Osteoporose, Knochenstoffwechselstörung, langfristige Steroidannahme oder Bestrahlung [19].
Die klinische Untersuchung beinhaltet die Stabilitätstestung mit typischen Leistenschmerzen bei vorderen Beckenringfrakturen und/oder lokoregionäre Schmerzen über dem Sakrum; das Durchbewegen der Hüftgelenke, die Untersuchung der arteriellen und venösen Durchblutung, der peripheren Motorik und der Sensibilität, die Neurologie mit Zeitpunkt des Beginns und Progredienz (Kribbelparästhesien, Paresen, Blasen- und Mastdarmfunktion); die Einschätzung und Klassifizierung bei einem Weichteilschaden und die digitale rektale Untersuchung [19].
Die bildgebende Untersuchung umfasst das Röntgen (Beckenübersicht). Zu beachten ist, dass sich mittels Röntgen meist nur vordere Beckenringfrakturen diagnostizieren lassen. Für hintere Beckenringfrakturen hat das Röntgen eine schlechte Sensitivität (laut Studien werden Sakruminsuffizienzfrakturen in 70 % der Fälle prospektiv und in 50 % der Fälle retrospektiv übersehen [20]. Die Computertomografie (CT) sollte daher bei lokoregionären Schmerzen und Immobilität in Betracht gezogen werden [21]. Bei vorderen Beckenringfrakturen ist eine CT-Untersuchung obligat. Das MRT hat allerdings die größte Sensitivität [22].
Klassifikationen
Abhängig von der Lokalisation und dem Grad der Instabilität werden in der FFP- (Fragility Fractures of the Pelvis) Klassifikation 4 Haupttypen unterschieden [21]:
FFP Typ I
Isolierte anteriore Beckenringfrakturen ohne Beteiligung der posterioren Strukturen.
Typ IA: unilaterale Fraktur
Typ IB: bilaterale Fraktur
FFP Typ II
Nicht dislozierte Frakturen des hinteren Beckenringes.
Typ IIA: isoliert dorsale Verletzung
Typ IIB: Kompressionsfraktur der vorderen Massa lateralis des Sakrums mit einer Instabilität des vorderen Beckenringes
Typ IIC: unverschobene, aber vollständige Sakrumfraktur, Iliumfraktur oder iliosakrale Verletzung mit begleitender Instabilität des vorderen Beckenringes
FFP Typ III
Dislozierte unilaterale hintere Beckenringverletzung mit/ohne gleichzeitiger Instabilität des vorderen Beckenringes.
Typ IIIA: verschobene Iliumfraktur
Typ IIIB: verschobene unilaterale iliosakrale Ruptur
Typ IIIC: verschobene unilaterale Sakrumfraktur
FFP Typ IV
Bilaterale verschobene hintere Beckenringverletzungen mit/ohne gleichzeitiger Instabilität des vorderen Beckenringes.
Typ IVA: bilaterale Iliumfrakturen oder bilaterale iliosakrale Rupturen
Typ IVB: spinopelvine Sprengungen mit einhergehenden bilateralen vertikalen Läsionen der Massa lateralis des Sakrums und einer gleichzeitigen horizontalen Komponente, die die beiden vertikalen Läsionen verbindet (U- oder H- Fraktur des Sakrums)
Typ IVC: Kombination verschiedener dislozierter Instabilitäten des hinteren Beckenringes
Eine weitere Klassifikation für osteoporotische Beckenringfrakturen ist die OF-Pelvis-Klassifikation (Abb. 4).
Konservatives Vorgehen
Bei Insuffizienzfrakturen sollte abhängig von der häuslichen Versorgung und dem ursprünglichen Mobilitätsniveau ggf. eine stationäre Aufnahme auch bei einem konservativen Vorgehen erfolgen. Somit können längerfristige Immobilisation vermieden und die Notwendigkeit einer operativen Behandlung rechtzeitig erkannt werden. Von großer Bedeutung ist die adäquate Schmerztherapie (bspw. mit Paracetamol, Metamizol und Opioden) sowie die Physiotherapie mit Mobilisation unter schmerzadaptierter Vollbelastung [22]. Zusätzlich sind engmaschige radiologische Verlaufsuntersuchungen notwendig.
Operatives Vorgehen
Eine operative Therapie erfolgt bei fehlgeschlagener konservativer Therapie, bei dislozierter uni-/bilateraler Fraktur oder bei horizontaler Fraktur mit Kyphosierung (FFP III- und IV-Fraktur) [21]. Die Tatsache, dass man bei Fragilitätsfrakturen ein belastungsstabiles, weichteilschonendes, perkutanes und minimal-invasives Verfahren anwenden kann, führt dazu, dass eine rasche Mobilisierung mit wenig Komplikationen möglich ist. Im Klinikum Ingolstadt werden Sakrumoperationen in hoher Zahl durchgeführt. Es werden entweder sakroiliakale Schrauben oder ein sakroiliakaler Stab benutzt.