Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025
Altersgerechte Verfahren an Wirbelsäule und Becken
Die Sektion Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) schlug 2018 eine neue Klassifikation für osteoporotische Frakturen vor [8], da die bisher bestehenden Klassifikationen den Besonderheiten der Frakturen älteren Menschen nicht gerecht wurden. So bestand zu diesem Zeitpunkt z.B. keine Klassifikation für nichttraumatische Frakturen der thorakolumbalen Wirbelsäule. Die OF-Klassifikation besteht aus 5 Untergruppen und basiert auf Röntgen, Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) (Abb. 1):
OF 1: Keine Wirbelkörperdeformation im CT, Ödem in der MRT-STIR-Sequenz
OF 2: Fraktur des Wirbelkörpers mit oder nur mit geringer Beteiligung der Hinterkante (< 1/5). Nur eine Endplatte betroffen
OF 3: Fraktur des Wirbelkörpers mit deutlicher Beteiligung der Hinterkante (> 1/5). Nur eine Endplatte betroffen
OF 4: Fraktur des Wirbelkörpers mit Beteiligung beider Endplatten oder Verlust der Rahmenstruktur (Wirbelkörperkollaps)
OF 5: Distraktions- und Rotationsverletzungen
Die OF-Klassifikation hat sich hinsichtlich der Anwendbarkeit und Reliabilität bewiesen und zeigt im Vergleich zu anderen Klassifikationen eine höhere Interrater-Reliabilität [8].
Therapie
Anhand der OF-Klassifikation konnte ein Therapiealgorithmus, der sogenannte OF-Score entwickelt werden [9, 10]. Er beruht auf der Frakturmorphologie (OF-Klassifikation), der Knochendichte mittels T-Score, einer evtl. Sinterung der Fraktur, dem Ausmaß der Schmerzen, einem eventuell vorhandenen neurologischen Defizit, dem Grad der Mobilisation und dem allgemeinen Gesundheitszustand. Für jedes Item werden Punkte vergeben. Kann ein Item nicht bewertet werden – da z.B. keine Knochendichtemessung vorliegt – wird es mit 0 Punkten bewertet. Bei 0–5 Punkten empfiehlt die AG OF ein konservatives Vorgehen, bei 6 Punkten besteht eine relative OP-Indikation und bei mehr als 7 Punkten besteht eine klare OP-Indikation. Hierbei kann der Score zu verschiedenen Zeitpunkten des Krankheitsverlaufes angewendet werden und erlaubt so eine Re-Evaluation der Patientin/des Patienten im Laufe des Behandlungszeitraumes (Abb. 2).
In einer prospektiven Multicenter Studie mit über 500 eingeschlossenen Patientinnen und Patienten konnte gezeigt werden, dass Patientinnen und Patienten, die nach der Therapieempfehlung des OF-Scores behandelt wurden, gute Therapieergebnisse aufweisen, während Patientinnen und Patienten die abweichend behandelt wurden, vermehrt unter Schmerzen, Funktionseinschränkungen und Einschränkungen der Lebensqualität litten [11].
Bezüglich der Art der konservativen Therapie von Wirbelkörperfrakturen besteht eine große Heterogenität aufgrund von unzureichender Datenlage. Insgesamt scheinen positive Effekte für eine frühzeitige Bewegungs-/ Physiotherapie zu bestehen, wobei aber Aussagen über die Therapiedichte, Therapielänge und spezifische Therapieeinheiten unzureichend sind [7].
Angelehnt an die AWMF-Leitlinie [12] „Verletzungen der thorakolumbalen Wirbelsäule“ werden Patientinnen und Patienten in unserer Klinik unter Analgesie nach den WHO-Stufenschema und physiotherapeutischer Anleitung korsettfrei mobilisiert unter Vermeidung von Tragen oder Heben von Lasten mehr als 5 kg sowie Vermeidung von Rumpfrotation und forcierter Beugung. Röntgenkontrollen unter konservativer Therapie empfehlen wir nach 1, 3, 6 und 12 Wochen.
Da verlängerte Bettruhe bei geriatrischen Patientinnen und Patienten mit vermehrten Komplikationen behaftet ist [13], sehen wir die Indikation für ein operatives Vorgehen, wenn die Mobilität der Patientinnen und Patienten kurzfristig nicht erreicht werden kann.
Bezüglich der operativen Therapie orientieren wir uns an der Therapieempfehlung des OF-Scores [9, 10]. Dabei sollte stets auch auf patienteneigene Kontextfaktoren Rücksicht genommen werden. So können z.B. vorbestehende Brüche mit bereits posttraumatischer Kyphose eine frühzeitigere OP indizieren, um die altersentsprechende sagittale Balance zu erhalten. Das Spektrum der operativen Therapie reicht hierbei von der alleinigen Zementaugmentation des betroffenen Wirbelkörpers zur Schmerztherapie und Vermeidung einer zunehmenden Deformierung der Fraktur bis hin zur langstreckigen, zementaugmentierten dorsalen Stabilisierung mittels Fixateur interne. Meist wird hierbei bei geriatrischen Patientinnen und Patienten der frakturierte Wirbel zusätzlich mit einer Ballon-Kyphoplastie im Sinne der Hybridversorgung adressiert, um eine ventrale Abstützung der Wirbelsäule zu erreichen ohne operativ aufwendigeren ventralen Wirbelkörperersatz. Diese Art der Versorgung hat sich bei geriatrischen Patientinnen und Patienten hinsichtlich der Abwägung einer stabilen Instrumentierung bei relativ geringem operativen Aufwand bewährt [13, 14]. Insbesondere lassen sich hiermit auch komplexe Pathologien erfolgreich und komplikationsarm versorgen.
Exemplarisch soll diese Therapievariante an einem Patientenbeispiel dargestellt werden: Eine 72-jährige Patientin stellt sich mit Rückenschmerzen in der Notaufnahme vor. Sie habe vor 3 Wochen geholfen, Fliesen zu verlegen, seitdem beklagt sie Rückenschmerzen. Im Röntgen zeigt sich eine LWK 1 Fraktur Typ OF 2 fraglichen Alters mit einem bisegmentalen Kyphosewinkel von 5°. Bei einem OF-Score von 2 (4;0;0;-1;0;-1;0) wurde ein konservativ-funktionelles Therapieregime eingeleitet. Einige Tage später stellt sie sich erneut mit zunehmenden Schmerzen vor. Die radiologischen Aufnahmen zeigten eine minimale Sinterung der Fraktur bei bisegmentalem Kyhosewinkel von 6°. Bei zunehmenden Schmerzen aber weiterhin mobiler Patientin erhöht sich der OF-Score nun auf 5 (4;0;1;1;0;-1;0). 10 Tage später stellt sich die Patientin erneut mit nun immobilisierenden Schmerzen vor. Ein MRT bestätigt die vorbekannte LWK 1 Fraktur. Eine Röntgenaufnahme im Stehen zeigt jetzt eine deutliche Sinterung auf einen bisegmentalen Kyphosewinkel von 14°. Der OF-Score beträgt nun 7 (4;0;1;1;0;1;0), sodass die Patientin zur operativen Therapie aufgenommen wurde. Bei deutlich destruiertem kranialen Wirbelkörper und deutlichem Kyhposewinkel bei ansonsten körperlich aktiver Patientin entschlossen wir uns zur Hybridversorgung. Intraoperativ konnte ein neutraler bisegmentaler Kyphosewinkel erzielt werden und die Patientin wurde schmerzarm entlassen (Abb. 3).