Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024

Botulinumtoxin bei Gonarthrose
Eine systematische Übersicht

Stephan Grüner, Marcela Lippert-Grüner

Zusammenfassung:
Botulinumtoxin ist seit über 30 Jahren ein etabliertes Medikament für eine zunehmende Reihe von Indikationen. Darüber hinaus existiert eine Reihe von Indikationen, welche nicht offiziell zugelassen sind, aber jedoch auf Basis der Literaturlage als Reserveverfahren sinnvoll oder zumindest möglich sind. In der vorliegenden Arbeit wird der aktuelle wissenschaftliche Stand für die Behandlung der Gonarthrose mit Botulinumtoxin anhand von 11 RCT und einigen aktuellen Übersichten und Metaanalysen dargestellt. Insgesamt kann man mittlerweile der Indikation den Status einer sinnvollen Alternative als Reserveverfahren in ausgesuchten Einzelfällen zugestehen, zumal die etablierten weiteren nicht operativen Verfahren gemäß dem wissenschaftlichen Stand auch nur eingeschränkt überzeugen können.

Schlüsselwörter:
Botulinumtoxin, Gonarthrose, Orthopädie, Schmerztherapie, Off-Label-Use, systematische Übersicht

Zitierweise:
Grüner S, Lippert-Grüner M: Botulinumtoxin bei Gonarthrose. Eine systematische Übersicht
OUP 2024; 13: 164–171
DOI 10.53180/oup.2024.0164-0171

Summary: Botulinum toxin has been an established medication for an increasing number of indications for over 30 years. In addition, there are a number of indications that are not officially authorised, but which, based on the literature, are useful or at least possible as a reserve procedure. In this paper, the current scientific status for the treatment of gonarthrosis with botulinum toxin is presented on the basis of 11 RCTs and several current reviews and meta-analyses. Overall, the indication can now be recognised as a sensible alternative as a reserve procedure in selected individual cases, especially as the established other non-surgical procedures are only convincing to a limited extent according to the current state of scientific knowledge.

Keywords: Botulinum toxine, gonarthrosis, orthopedic, pain therapy, off-label-use, systematic review

Citation: Grüner S, Lippert-Grüner M: Botulinum toxin in gonarthrosis. A systematic overview
OUP 2024; 13: 164–171. DOI 10.53180/oup.2024.0164-0171

S. Grüner: Praxis Dr. Grüner, Köln

M. Lippert-Grüner: 3. Medizinische Fakultät der Karls-Universität Prag, CZ

Einleitung

Botulinumtoxine existieren weltweit in einer Anzahl von erhältlichen Präparaten mit unterschiedlichen In-Label-Indikationen und unterschiedlicher (Nicht-)Verfügbarkeiten der einzelnen Präparate in verschiedenen Ländern. So sind aktuell (Stand Mai 2024) in Deutschland 3 verschiedene Präparate für (typische) therapeutische Indikationen wie z.B. Spastiken oder Dystonien zugelassen, dazu kommen noch 6 Präparate mit Anwendungen im Bereich der ästhetischen Medizin (Tab. 1).

Generell ist vor jeder Anwendung eines Botulinumtoxins zu prüfen, ob die Indikation exakt in der jeweils gültigen Indikationsliste enthalten ist. Hier gilt es auch, selbst feine Unterschiede zu beachten, so sind selbst bei gängigen Indikationen wie Spastiken der oberen und unteren Extremitäten mitunter bei manchen Präparaten Einschränkungen gegeben, z.B. bzgl. des Lebensalters oder der Ätiologie der Spastik (Apoplex, Multiple Sklerose, Schädelhirntrauma…). Manchmal ergeben sich auch Erweiterungen bzw. der Wegfall von vorherigen Beschränkungen bei grundsätzlich zugelassenen Indikationen, oder auch Zulassung von grundsätzlich neuen Indikationen (z.B. Siallorhöe für ein Inco-BoTX der Fa. Merz).

Neben den national zugelassenen Indikationen bestehen darüber hinaus auch noch Indikationen, für welche keine offizielle Zulassung besteht (Off-Label-Use), deren Anwendung jedoch nach sorgsamer Abwägung im Einzelfall erwogen werden kann. Indikationen für solche Anwendungen können beispielsweise Einzelfälle sein, bei welchen die üblichen Standardtherapien nicht erfolgreich waren, patientenseitig abgelehnt werden oder auch kontraindiziert sind.

In den letzten Jahren wurden zunehmend Originalarbeiten, Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zum Thema der Wirksamkeit einer intraartikulär applizierten Therapie mit Botulinumtoxin Typ A bei Gonarthrose publiziert. Die beiden Autoren sind die Organisatoren, Kursleiter und Hauptreferenten der seit November 2012 bestehenden postgraduierten Kursserie „Botulinumtoxin in Orthopädie, Unfallchirurgie und Schmerztherapie“ der IGOST (Sektion Schmerztherapie DGOU). Im Rahmen dieser Kursserie werden regelmäßig Vorträge über die aktuelle Literaturlage zu spezifischen einzelnen Indikationen gehalten, deren Inhalte auf vorherigen intensiven Literaturrecherchen mit regelmäßigen Aktualisierungen basieren. Ziel dieser Arbeit ist eine aktuelle Übersichtsdarstellung der Literaturlage, auch im Vergleich mit aktuelleren weiteren Übersichtsarbeiten und Metaanalysen.

Material und Methoden

Für die Literaturrecherche erfolgte die primäre Suche nach prospektiven RCT mit intraartikulärer Injektion von Botulinumtoxin bei Gonarthrose mit qualitativen Mindeststandards in der Datenbank livivo (https://livivo.de) der Deutschen Zentralbibliothek Medizin – Informationszentrum Lebenswissenschaften mit Sitz in Köln. Diese Datenbank enthält nach eigenen Angaben über 58 Mio. Quellen, darunter neben der kompletten MEDLINE auch zahlreiche weitere Quellen mit deutschem oder europäischem Schwerpunkt wie z.B. CC Med oder BASE. Die Suche erfolgte mit einer BOOLschen Abfrage unter (botulinum OR botox OR bont OR BTX) AND (knee OR joint) AND (arthritis OR arthrosis OR gonarthrose OR gonarthrosis OR gonarthritis OR osteoarthritis OR osteoarthrosis) mit 378 Primärquellen bis Mai 2024. Nach erster Sichtung nach dem Prisma-Flowchart ergaben sich 58 Primärtreffer und nach Entfernung der Dubletten 51 Quellen, welche auch alle abrufbar waren. Nach weiterer Sichtung zuerst der Zusammenfassungen und dann der Volltexte ergaben sich 9 Orginalarbeiten, welche eingeschlossen wurden. Zusätzlich wurde die hierbei ebenfalls aufgefundenen Übersichtsarbeiten mit oder ohne Metaanalysen erfasst und als weitere externe Datenquelle genutzt. Lediglich in einer Arbeit [24] konnten noch 2 weitere Primärquellen identifiziert werden. Diese beiden chinesischen Arbeiten wurden dann mit einem Internet-Übersetzungsprogramm (www.deepl.com/translator) übersetzt und deren Inhalte in die eigene Publikation integriert. Weiter erfolgten ergänzende Recherchen mit analoger Durchführung in den Datenbanken Web of Science – Core Collection, Pubmed (ohne Medline zur Dublettenvermeidung) und Cochrane, welche jedoch keine weiteren neuen RCT aufdeckten. Pilotstudien ohne Vergleichsgruppen, mit schweren Mängeln sowie Studien mit anderen Applikationsformen von Botulinumtoxin wurden ausgeschlossen.

Orginalarbeiten

Bei der Literaturrecherche konnten insgesamt 11 Orginalarbeiten identifiziert werden. In Tab. 2 sind die wichtigsten Studiendesignparameter dargestellt: Zeitpunkte der Nachkontrollen, Vergleichsgruppen, Toxintyp, Dosierung, Probandenanzahl gesamt und Einzelgruppen, Nachverfolgungsmodus (intention to treat oder per Protokoll) und Nachverfolgungsquoten. Die Injektionen erfolgten in der Regel als Einzeltherapie, Ausnahmen sind in der Tabelle vermerkt (Tab. 2).

In allen Studien erfolgte die Zuordnung der Probandinnen und Probanden randomisiert, die Einschlusskriterien umfassten in der Regel eine klinische symptomatische länger bestehende Gonarthrose mit radiologischen Stadien II–III/IV nach Kellgren-Lawrence. In allen Studien wurden die Ausgangsparameter hinsichtlich Alter, Geschlecht, Arthrosegrad und Anamnesedauer etc. als in den einzelnen Gruppen äquivalent beschrieben.

In allen Studien wurden unterschiedliche Anzahlen von Zielgrößen (n = 2–9) definiert, allen Studien gemeinsam war die Erfassung der Schmerzstärke, die Einteilung in Bewertungsschemata (KOOS, Lequesne, Oxford, WOMAC) und eine fehlende Signifikanz dieser Parameter bei den Ausgangswerten. Im Folgenden werden die Ergebnisse hinsichtlich der Schmerzstärke und der Funktionsscores dargestellt.

Schmerzstärke

Die 1. Studie von Boon et al. (2010) verglich BoTX in 2 verschiedenen Dosierungen mit Kortikosteroiden [1]. Hier zeigten sich statistisch signifikante Verbesserungen gegenüber den Ausgangswerten nach 8, 12 und 26 Wochen für die geringere Toxindosis; für die höhere Toxindosis ergaben sich durchgängig bessere Werte im Zeitverlauf, welche aber nur nach 12 Wochen eine Signifikanz aufwiesen. Für die Kontrollgruppe mit Kortikosteroiden ergab sich durchgängig eine Verbesserung ohne statistische Signifikanzen. Ein Gruppenvergleich zu den unterschiedlichen Zeitpunkten bei den Kontrollen erfolgte nicht.

Die 2. Studie von Bao et al. (2015) verglich nach 3 Wochen und 2 Monaten die Ergebnisse einer Gruppe mit konventioneller Therapie (Glucosamin, NSAR, Physikalische Therapie, Physiotherapie) mit einer Gruppe mit BoTX und einer Gruppe mit Hyaluronsäureinjektionen [2]. In allen 3 Gruppen zeigten sich zu beiden Zeitpunkten signifikante Verbesserungen gegenüber den Ausgangswerten, mit Ausnahme der 1. Kontrolle in der Gruppe der konventionellen Therapie. Im Vergleich zeigte sich das Toxin bei beiden Kontrollen als signifikant stärker analgetisch als die anderen beiden Gruppen.

Die 3. Studie von Hsieh et al. (2016) verglich eine abwartende Haltung bei einer Gruppe mit lediglich Edukation und der Einnahme von Paracetamol bei Bedarf mit einer anderen Gruppe mit einer zusätzlichen einmaligen Toxininjektion neben der Bedarfsmedikation [3]. Die Toxingruppe zeigte im Zeitreihenvergleich nach 1 Woche und nach 6 Monaten signifikante Verbesserungen gegenüber den Ausgangswerten, sowie signifikante Vorteile gegenüber der Kontrollgruppe bei beiden Kontrollen.

Die 4. Studie von Ahrendt-Nielsen et al. (2017) verglich nach 1, 4, 8 und 12 Wochen die Ergebnisse von Injektionen mit Botulinumtoxin oder physiologischer Kochsalzlösung [4]. Zusätzlich führten alle Probandinnen und Probanden ein tägliches elektronisches Schmerztagebuch. Lediglich in einer Subgruppenstatistik für eine Untergruppe mit neuropathischem Schmerzbild nach dem PainDetect-Score zeigte sich in der 9. und 10. Woche signifikante Vorteile für die Toxingruppe, Zeitreihenanalysen wurden nicht durchgeführt.

Die 5. Studie von Bao et al. (2018) mit Botulinumtoxin versus Hyaluronsäure und versus physiologischer Kochsalzlösung nach 4 und nach 8 Wochen zeigte im Intergruppenvergleich zu beiden Zeitpunkten statistisch signifikante Unterschiede mit besten Werten für die Toxingruppe [05]. Das Toxin zeigte ferner signifikant bessere Werte bei beiden Kontrollen versus den Ausgangswerten, ebenso wie die Gruppe mit Hyaluronsäure.

Die 6. Studie von McAlindon et al. (2018) mit Botulinumtoxin in 2 verschiedenen Dosierungen mit physiologischer Kochsalzlösung als Kontrollgruppe zeigten bei der Erfassung des durchschnittlichen wöchentlichen Schmerzes für alle 3 Gruppen einen raschen Abfall bis ca. zur 4.–6. Woche, welche sich ohne wesentliche Veränderungen bis zum Studienende nach 24 Wochen fortsetzten [6]. Statistische Zeitreihenanalysen wurden in der Studie nicht aufgeführt, im Intergruppenvergleich zeigt sich sowohl im Vergleich Botulinumtoxin niedrige Dosis versus Kochsalzlösung, Botulinumtoxin höhere Dosis versus Kochsalzlösung als auch im Vergleich Botulinumtoxin niedrige und höhere Dosis versus Kochsalzlösung keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Die 7. Studie von Shukla et al. (2018) verglich die Ergebnisse einer einmaligen Infiltration mit einem Kortikosteroid mit und ohne Zusatz von Botulinumtoxin [7]. Die Ausgangswerte beim Schmerz zeigten keine signifikanten Unterschiede, in beiden Gruppen zeigt sich die stärkste Schmerzreduktion bei der ersten Kontrolle am ersten Tag, und nahm dann in den folgenden Kontrollen nach 2, 4 und 6 Wochen sowie 3 und 6 Monaten allmählich wieder etwas zu, ohne jedoch das Ausgangsniveau zu erreichen. Eine Zeitreihenanalyse wurde in der Publikation nicht erwähnt, der Intergruppenvergleich zeigte bei allen Kontrollen mit Aufnahme der Endkontrolle nach 6 Monaten statistisch signifikante Unterschiede zugunsten der gemischten Gruppe.

Die 8. Studie von Mendes et al. (2019) mit dem Vergleich von Botulinumtoxin, Kortikosteroid und physiologischer Kochsalzlösung und Vergleich nach 4, 8 und 12 Wochen ergab keine Unterschiede zwischen den 3 Gruppen hinsichtlich des Ruheschmerzes, wohl aber statistisch signifikante Unterschiede beim Belastungsschmerz, wobei die relative Schmerzreduktion im Vergleich mit den Ausgangswerten tendenziell in der Kortikosteroidgruppe stärker und in der Kochsalzgruppe schwächer als in der Botulinumtoxingruppe ausfiel [8]. Eine separate Auswertung der anfänglichen Veränderungen bis zur ersten Kontrolle zeigte analoge Ergebnisse.

Die 9. Studie von Rezasoltani et al. (2020) verglich nach 1 und 4 Wochen sowie 3 Monaten 4 Gruppen mit Botulinumtoxin (einmalig), mit Hyaluronsäure oder Dextrose-Lidocain (dreimalig) und als Kontrollgruppe mit physikalischer Therapie [9]. Die Gesamtanalyse zeigte signifikante Unterschiede in der Gruppenverteilung bei den Kontrollen. Bei vergleichbaren Ausgangswerten zeigte sich die geringste Schmerzreduktion bei der Hyaluronsäure bei der 1. Kontrolle, bei den etwa gleichen Werten bei der 2. Kontrolle und einem Wiederanstieg bei der 3. Kontrolle. Etwas besser war die Gruppe mit physikalischer Therapie mit einer zunehmenden Verbesserung bis zur 2. Kontrolle (danach Gleichstand). Die besten Resultate zeigten Botulinumtoxin und Dextrose-Lidocain mit kontinuierlichen Verbesserungen, wobei Letztgenannte temporär noch etwas besser abschnitt. Gruppenvergleiche zeigten eine statistisch signifikante Unterlegenheit von Hyaluronsäure versus den anderen Verfahren sowie eine statistisch signifikante Überlegenheit Botulinumtoxin versus physikalische Therapie.

Die 10. Studie von Rezasoltani et al. (2021) verglich nach 1, 3 und 6 Monaten Botulinumtoxin mit physikalischer Therapie [10]. Bei ähnlichen Ausgangswerten ergab sich für Botulinumtoxin eine deutliche und kontinuierlich zunehmende Schmerzreduktion. Für physikalische Therapie zeigt sich eine schwächere Schmerzreduktion bei der ersten Kontrolle, mit leichten Wiederanstiegen bei den weiteren Kontrollen. Im Verlauf und im direkten Vergleich war Botulinumtoxin bei allen Kontrollen der physikalischen Therapie statistisch signifikant überlegen.

Die 11. Studie von Jin et al. (2021) verglich eine Kombinationstherapie von gepulster Radiofrequenzdenervierung mit zusätzlicher Injektion am Folgetag von Botulinumtoxin oder Kortikosteroid nach 1 Woche, 1 Monat und 6 Monaten [11]. Beide Gruppen zeigten eine im Verlauf kontinuierliche und statistisch signifikante Verbesserung gegenüber den Ausgangswerten, welche in Kombination mit Botulinumtoxin stärker als in Kombination mit Kortikosteroid ausfiel, die direkten Vergleiche zeigten ebenfalls hierbei signifikante Unterschiede.

Funktionsscores

Bei 8 der 11 Studien wurde der WOMAC-Score verwendet, ferner der KOOS-Score (2 Studien), der Oxford Knee Score (1 Studie) und der Lequesne-Score (ergänzend in 2 Studien). Der WOMAC-Fragebogen besteht aus 3 Teilfragebögen Schmerz, Steifigkeit und physische Funktion, die Werte werden auch teilweise zu einem Gesamtwert addiert [12]. Der KOOS-Fragebogen umfasst 42 Items mit verschiedenen Zielgrößen [13], beim Lequesne-Fragebogen handelt es sich um 11 Fragen mit den Zielgrößen ADL, Gehstrecke und Schmerz [14]. Beim Oxford Knee Score handelt es sich um einen Fragebogen mit 12 Fragen mit den Zielsetzungen Schmerz und ADL [15]. Die Liste der verwendeten Scores und die Ergebnisse sind in Tab. 3 dargestellt (Tab. 3).

Diskussion

Studienqualität

Bei 4 der 11 Studien schied eine doppelte Verblindung (Proband/Therapeut), bedingt durch das Studiendesign, aus. Bei den anderen 7 Studien waren 4 Studien doppelt verblindet, 3 Studien machten hierzu keine Angaben. Die Zuordnungen in allen Studien erfolgte randomisiert.

Die BIAS-Bewertung ergab mit dem Jadad-Score [16] einen Durchschnittswert von 61,8 % ± 34,0 % (knapp hohe Qualität) [17] und bei der PEDRO-Skala [18] einen Durchschnittswert von 75,5 % ±19,2 % (gute Qualität) [19], die einzelnen Studien sind in Abb. 1 dargestellt. Von den 11 Studien waren 4 Arbeiten methodisch hochwertig und 3 Arbeiten methodisch mit stärkeren Mängeln behaftet. Diese BIAS-Bewertungen flossen auch in die Auswahl der RCT ein: aufgenommen wurden nur Studien, welche einem höheren Standard in der JADAD-Skala aufwiesen (mindestens 3 von 5 Punkten) und in der PEDRO-Skala mindestens als von mäßiger Qualität (mindestens 4 von 10 Punkten) klassifiziert wurden, eine weitere Studie wurde ausgeschlossen (Abb. 1).

Übersichtsarbeiten und
Metaanalysen

Hosseini et al. [20] konnten in einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2021 mit Metaanalysen in 4 Datenbanken bis November 2019 6 Studien identifizieren (Studien 1, 3, 5–8). Von diesen 6 Studien wurden nach der PEDRO-Skala 3 Studien als qualitativ hochwertig, 2 Studien als qualitativ gut und 1 Studie als qualitativ mäßig eingestuft. Für die Schmerzreduktion errechneten die Autoren statistisch signifikante Vorteile für BoTX sowohl insgesamt (mittlere Heterogenität) als auch kurzfristig (1 Monat), über einen mittleren Zeitraum von 2–3 Monaten und auch über längere Zeiträume von 6 Monaten, bei mittlerer bzw. geringer Heterogenität kurz- und mittelfristig bzw. längerfristig.

Für einen Zeitraum bis 2 Monate ergab sich ein signifikanter Effekt für BoTX, aber auch – geringer, aber noch statistisch signifikant – ebenso für Kortikoidsteroide und auch für physiologische Kochsalzlösung, bei mittlerer Heterogenität für BoTX und großer Heterogenität für die anderen beiden. Ab 6 Monaten zeigte sich für BoTX ein analoges Ergebnis bei fehlender Signifikanz für Kortikosteroide.

Fast alle Studien erfassten auch den WOMAC-Score, hier ergaben sich kurzfristig bis 2 Monate ebenfalls signifikante Vorteile für BoTX (mittlere Heterogenität), gering stärker als für BoTX auch für Kortikoidsteroide (große Heterogenität) sowie knapp statistisch signifikant auch für physiologische Kochsalzlösung (große Heterogenität). Für Zeiträume ab 6 Monaten zeigt sich ebenfalls signifikante Vorteile für BoTX (mittlere Heterogenität) und in etwa gleicher Stärke auch für Kortikosteroide (mittlere Heterogenität, 2 Studien) und für physiologische Kochsalzlösung (1 Studie).

In der Übersichtsarbeiten und Metaanalyse von Ismiarto und Prasetiyo [21] aus dem Jahr 2023 konnten in 4 Datenbanken bis September 2022 6 Studien (Nr. 3–6, 8) eingeschlossen werden, hierunter auch eine von uns wegen Qualitätsmängeln ausgeschlossene Studie. Eingeschlossen wurden englischsprachige RCT mit Vergleichsgruppen mit anderen Injektionen oder abwartender Haltung sowie der Nutzung des WOMAC-Scores. Die Bias-Einschätzung mit RoB2 ergab überwiegend geringe Risiken. Die Analysen der Schmerzreduktion und der WOMAC-Scores ergaben bei jedoch hoher Heterogenität statistisch signifikante Vorteile für die Therapie mit BoTX, dies sowohl kurzfristig als auch längerfristig.

Sconza et al. [22] recherchierten in 6 Datenbanken nach RCT zur intraartikulären Behandlung der Gonarthrose mit Botulinumtoxin, mit Beschränkung auf englischsprachige Publikationen aus dem Zeitraum 2001–2021. Von den hier aufgeführten 11 Arbeiten sind hier ebenfalls 8 Arbeiten enthalten (Nr. 1, 3–6, 8–10), ferner zusätzlich die von uns qualitätsbedingt ausgeschlossene weitere Arbeit. Die Autoren bewerteten die methodische Qualität der Studien mit zweimal „gut“, dreimal mit „mäßig“ und viermal mit „schlecht“, wobei die von uns exkludierte Arbeit dort ebenfalls als diejenige mit den größten Mängeln bewertet wurde. Bedingt durch die große Variabilität der Studien in ihrem Design, schlossen die Autoren die Durchführung einer Metaanalyse aus. Angemerkt wurden die nur kleine Anzahl an qualitativ hochwertigen Studien sowie die meist geringe Fallzahl und die oft nur kurze Nachbeobachtungszeit. Als positiv vermerkt wurde – neben der nur geringen Nebenwirkungsrate – der Umstand, dass im Vergleich mit anderen Injektionstherapien nur 1 Injektion notwendig wird, bei allerdings im Vergleich höheren Materialkosten. Eine eindeutige Evidenz für die Anwendung von Botulinumtoxin bei Gonarthrose konnte nicht festgestellt werden. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass auf Basis der vorliegenden Literaturlage keine eindeutige Empfehlung ausgesprochen werden kann, speziell auch im Vergleich mit anderen Therapieformen, diese Therapie aber auch nicht verworfen werden sollte.

In der Metaanalyse von Wang et al. [23] konnten in 4 Datenbanken bis März 2022 7 RCT identifiziert werden (Nr. 1, 3, 5, 6, 8–10). Die Bias-Analyse erfolgte mit RoB2 mit 2 Studien ohne Mängel, 1 Studie mit einem unklaren Parameter und 4 Studien mit Mängeln bei der Verblindung. Für die Schmerzreduktion ergab sich nach 4 Wochen ein signifikanter Vorteil für BoTX, ebenso Vorteile nach 8, 12 und 26 Wochen, welche jedoch das Signifikanzniveau verfehlten.

In der Metaanalyse von Yang et al. [24] konnten in 5 Datenbanken bis September 2023 6 Vergleichsstudien BoTX versus Kortikosteroid (Nr. 1, 8, 11) oder versus Hyaluronsäure (Nr. 2, 5, 10) bei Gonarthrose identifiziert werden. Bedingt durch den Umstand, dass auch chinesische Datenbanken eingeschlossen wurden, umfasste diese Metaanalyse auch 2 weitere Orginalarbeiten, welche bisher in den vorherigen Untersuchungen nicht bekannt waren. Die 3 Studien versus Hyaluronsäure waren gemäß der Einschätzung mit RoB2 alle mit einem hohen Biasrisiko behaftet, die 3 Studien versus Kortikoide wiesen zweimal ein moderates und einmal ein geringes Biasrisiko auf. Die Studien versus Kortikosteroiden bzw. Hyaluronsäure ergaben in der Metaanalyse bzgl. des Schmerzes Vorteile für Botulinumtoxin, welche aber nur bzgl. Hyaluronsäure das Signifikanzniveau erreichte.

In Bezug auf den WOMAC-Score zeigten sich in den 3 Subscores versus Kortikosteroiden nicht signifikante Vorteile für Kortikoidsteroide beim Subscore Schmerz bei sonst gleichen Ergebnissen für die Subscores Funktion und Steifigkeit. Im Vergleich versus Hyaluronsäure zeigten sich jedoch Vorteile für Botulinumtoxin, welche beim Subscore Schmerz auch das Signifikanzniveau erreichten. Nur für die Vergleiche versus Kortikosteroiden wurde auch eine Berechnung für den Gesamtscore angegeben, hier ergaben sich keine Unterschiede. Alle Verteilungen ergaben keine Hinweise auf eine moderate oder hohe Heterogenität (I2 ? 20 %).

Schlussbetrachtung

In unsere Übersichtsrecherche konnten 11 RCT mit ausreichender BIAS-Bewertung zur Behandlung der Gonarthrose mit einmaliger intraartikulärer Gabe von Botulinumtoxin eingeschlossen werden. In diesen Studien waren insgesamt 912 Probandinnen und Probanden inkludiert, wovon 389 (42,7 %) mit dem Verum behandelt wurden.

Allen Studien gemeinsam war die Überprüfung des Schmerzes und die Überprüfung von Funktionsscores (meistens WOMAC). Alle Studien mit einem Zeitreihenvergleich gegenüber den Ausgangswerten bzgl. des Schmerzes als Anhalt für eine therapeutische Wirksamkeit zeigten statistisch signifikante Unterschiede. Im direkten Head-to-head-Vergleich ergaben bis auf 2 Studien alle RCT, die diese Statistiken erfassten, signifikante Vorteile für BoTX.

Die Zeitreihenanalysen zeigten bei fast allen Studien eine statistisch signifikante Verbesserung für BoTX vs. den Ausgangswerten; bei Studien ohne diesbezügliche Statistik war dies in der Regel tendenziell analog.

Im Head-to-head-Vergleich zeigten sich nicht so eindeutige Ergebnisse, teils mit Vorteilen für BoTX, teils ohne Unterschiede, tendenziell aber positiv für BoTX.

Die statistische Vergleichbarkeit der einzelnen Studien untereinander zeigte sich durch den Umstand erschwert, dass bei Vergleichen von mehr als 2 Gruppen andere statistische Verfahren verwendet werden müssen. Die Vergleichbarkeit der einzelnen Studien bei den Funktionsscores wurde zusätzlich durch den Umstand beeinträchtigt, dass mehrheitlich zwar der WOMAC-Score verwendet wurde, mehr als ein Viertel der Studien jedoch andere Scores benutzen.

Die vorliegende Arbeit zeichnet sich gegenüber den aktuelleren Übersichtsarbeiten und Metaanalysen dahingehend aus, dass mehr Studien eingeschlossen wurden. Eine weitere Metaanalyse auf Basis dieser Studien ist geplant. Insgesamt erscheint Botulinumtoxin auf Basis der vorliegenden Informationen geeignet, als weitere Therapieoption in Reserve in Betracht gezogen zu werden. Es bleiben dennoch eine Reihe von Fragen offen, z.B.:

Wirksamkeit einer Kombinationstherapie

Vergleich mit ACP und ACP-Hyaluronsäure

Frage der Dosierung (höhere Dosen nicht durchgängig besser)

Differenzierung nociceptiver vs. neuropathischer Schmerz

Das im Rahmen der Diskussion über die Indikation von Botulinumtoxin öfters genannte Argument der hohen Kosten relativiert sich teilweise bei dieser Indikation, da andere Injektionsformen im Gegensatz zu Botulinumtoxin teilweise mehrfach in einer Behandlungsserie durchgeführt werden und sich so die kumulativen Kosten für ärztliche Leistungen und Material dann in einem ähnlichen Rahmen bewegen.

Botulinumtoxin könnte speziell auch in solchen Fällen in Erwägung gezogen werden, bei welchen eine operative Versorgung wegen der medizinischen Gesamtsymptomatik aktuell oder generell nicht infrage kommt, und auch speziell mehrfache Injektionen bei vorliegender Antikoagulation schwer realisierbar sind.

In einer im Vorjahr 2023 erschienenen vorherigen Arbeit der gleichen Autoren in der gleichen Zeitschrift [25] über sinnvolle und mögliche Off-Label-Indikationen von Botulinumtoxinen in Orthopädie, Unfallchirurgie und Schmerztherapie erfolgte eine Kategorisierung in Kategorie I (sinnvolle Indikationen), II (mögliche Indikationen) und III (Einzelfall-Indikationen). Eine Klassifikation in Kategorie I sollte erfolgen für Indikationen, für welche eine höhere Anzahl von qualitativ hochwertigen Originalarbeiten mit (weitgehend) gleichen Ergebnissen und einer Anzahl von höherwertigen Übersichtsarbeiten mit gegebenenfalls zusätzlichen Metaanalysen mit gleicher Tendenz vorliegen. Eine Klassifikation in Kategorie III sollte erfolgen bei Indikationen, zu welchen nur eine geringe Anzahl von Originalarbeiten und/oder geringer Studienqualität und/oder konträren Studienergebnissen vorliegen. Indikationen, welche einerseits qualitativ bzw. semiquantitativ einerseits nicht den Anforderungen der Kategorie I entsprechen und andererseits die Anforderung der Kategorie III überschreiten, sollten in die Kategorie II der möglichen Indikation eingruppiert werden. Zum damaligen Zeitpunkt hatten wir auch die Indikation der Gonarthrose in diese Kategorie II eingruppiert. Auf Basis neuerer Übersichtsarbeiten und Metaanalysen sehen die Autoren nun diese Indikation als in die Kategorie I der sinnvollen Indikationen gehörig an.

Interessenkonflikte:

keine angegeben

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Stephan Grüner

Praxis Dr. Grüner

Kalker Hauptstraße 217

D-51103 Köln

dsg@dr-gruener.de

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