Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024

Botulinumtoxin bei Gonarthrose
Eine systematische Übersicht

Stephan Grüner, Marcela Lippert-Grüner

Zusammenfassung:
Botulinumtoxin ist seit über 30 Jahren ein etabliertes Medikament für eine zunehmende Reihe von Indikationen. Darüber hinaus existiert eine Reihe von Indikationen, welche nicht offiziell zugelassen sind, aber jedoch auf Basis der Literaturlage als Reserveverfahren sinnvoll oder zumindest möglich sind. In der vorliegenden Arbeit wird der aktuelle wissenschaftliche Stand für die Behandlung der Gonarthrose mit Botulinumtoxin anhand von 11 RCT und einigen aktuellen Übersichten und Metaanalysen dargestellt. Insgesamt kann man mittlerweile der Indikation den Status einer sinnvollen Alternative als Reserveverfahren in ausgesuchten Einzelfällen zugestehen, zumal die etablierten weiteren nicht operativen Verfahren gemäß dem wissenschaftlichen Stand auch nur eingeschränkt überzeugen können.

Schlüsselwörter:
Botulinumtoxin, Gonarthrose, Orthopädie, Schmerztherapie, Off-Label-Use, systematische Übersicht

Zitierweise:
Grüner S, Lippert-Grüner M: Botulinumtoxin bei Gonarthrose. Eine systematische Übersicht
OUP 2024; 13: 164–171
DOI 10.53180/oup.2024.0164-0171

Summary: Botulinum toxin has been an established medication for an increasing number of indications for over 30 years. In addition, there are a number of indications that are not officially authorised, but which, based on the literature, are useful or at least possible as a reserve procedure. In this paper, the current scientific status for the treatment of gonarthrosis with botulinum toxin is presented on the basis of 11 RCTs and several current reviews and meta-analyses. Overall, the indication can now be recognised as a sensible alternative as a reserve procedure in selected individual cases, especially as the established other non-surgical procedures are only convincing to a limited extent according to the current state of scientific knowledge.

Keywords: Botulinum toxine, gonarthrosis, orthopedic, pain therapy, off-label-use, systematic review

Citation: Grüner S, Lippert-Grüner M: Botulinum toxin in gonarthrosis. A systematic overview
OUP 2024; 13: 164–171. DOI 10.53180/oup.2024.0164-0171

S. Grüner: Praxis Dr. Grüner, Köln

M. Lippert-Grüner: 3. Medizinische Fakultät der Karls-Universität Prag, CZ

Einleitung

Botulinumtoxine existieren weltweit in einer Anzahl von erhältlichen Präparaten mit unterschiedlichen In-Label-Indikationen und unterschiedlicher (Nicht-)Verfügbarkeiten der einzelnen Präparate in verschiedenen Ländern. So sind aktuell (Stand Mai 2024) in Deutschland 3 verschiedene Präparate für (typische) therapeutische Indikationen wie z.B. Spastiken oder Dystonien zugelassen, dazu kommen noch 6 Präparate mit Anwendungen im Bereich der ästhetischen Medizin (Tab. 1).

Generell ist vor jeder Anwendung eines Botulinumtoxins zu prüfen, ob die Indikation exakt in der jeweils gültigen Indikationsliste enthalten ist. Hier gilt es auch, selbst feine Unterschiede zu beachten, so sind selbst bei gängigen Indikationen wie Spastiken der oberen und unteren Extremitäten mitunter bei manchen Präparaten Einschränkungen gegeben, z.B. bzgl. des Lebensalters oder der Ätiologie der Spastik (Apoplex, Multiple Sklerose, Schädelhirntrauma…). Manchmal ergeben sich auch Erweiterungen bzw. der Wegfall von vorherigen Beschränkungen bei grundsätzlich zugelassenen Indikationen, oder auch Zulassung von grundsätzlich neuen Indikationen (z.B. Siallorhöe für ein Inco-BoTX der Fa. Merz).

Neben den national zugelassenen Indikationen bestehen darüber hinaus auch noch Indikationen, für welche keine offizielle Zulassung besteht (Off-Label-Use), deren Anwendung jedoch nach sorgsamer Abwägung im Einzelfall erwogen werden kann. Indikationen für solche Anwendungen können beispielsweise Einzelfälle sein, bei welchen die üblichen Standardtherapien nicht erfolgreich waren, patientenseitig abgelehnt werden oder auch kontraindiziert sind.

In den letzten Jahren wurden zunehmend Originalarbeiten, Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zum Thema der Wirksamkeit einer intraartikulär applizierten Therapie mit Botulinumtoxin Typ A bei Gonarthrose publiziert. Die beiden Autoren sind die Organisatoren, Kursleiter und Hauptreferenten der seit November 2012 bestehenden postgraduierten Kursserie „Botulinumtoxin in Orthopädie, Unfallchirurgie und Schmerztherapie“ der IGOST (Sektion Schmerztherapie DGOU). Im Rahmen dieser Kursserie werden regelmäßig Vorträge über die aktuelle Literaturlage zu spezifischen einzelnen Indikationen gehalten, deren Inhalte auf vorherigen intensiven Literaturrecherchen mit regelmäßigen Aktualisierungen basieren. Ziel dieser Arbeit ist eine aktuelle Übersichtsdarstellung der Literaturlage, auch im Vergleich mit aktuelleren weiteren Übersichtsarbeiten und Metaanalysen.

Material und Methoden

Für die Literaturrecherche erfolgte die primäre Suche nach prospektiven RCT mit intraartikulärer Injektion von Botulinumtoxin bei Gonarthrose mit qualitativen Mindeststandards in der Datenbank livivo (https://livivo.de) der Deutschen Zentralbibliothek Medizin – Informationszentrum Lebenswissenschaften mit Sitz in Köln. Diese Datenbank enthält nach eigenen Angaben über 58 Mio. Quellen, darunter neben der kompletten MEDLINE auch zahlreiche weitere Quellen mit deutschem oder europäischem Schwerpunkt wie z.B. CC Med oder BASE. Die Suche erfolgte mit einer BOOLschen Abfrage unter (botulinum OR botox OR bont OR BTX) AND (knee OR joint) AND (arthritis OR arthrosis OR gonarthrose OR gonarthrosis OR gonarthritis OR osteoarthritis OR osteoarthrosis) mit 378 Primärquellen bis Mai 2024. Nach erster Sichtung nach dem Prisma-Flowchart ergaben sich 58 Primärtreffer und nach Entfernung der Dubletten 51 Quellen, welche auch alle abrufbar waren. Nach weiterer Sichtung zuerst der Zusammenfassungen und dann der Volltexte ergaben sich 9 Orginalarbeiten, welche eingeschlossen wurden. Zusätzlich wurde die hierbei ebenfalls aufgefundenen Übersichtsarbeiten mit oder ohne Metaanalysen erfasst und als weitere externe Datenquelle genutzt. Lediglich in einer Arbeit [24] konnten noch 2 weitere Primärquellen identifiziert werden. Diese beiden chinesischen Arbeiten wurden dann mit einem Internet-Übersetzungsprogramm (www.deepl.com/translator) übersetzt und deren Inhalte in die eigene Publikation integriert. Weiter erfolgten ergänzende Recherchen mit analoger Durchführung in den Datenbanken Web of Science – Core Collection, Pubmed (ohne Medline zur Dublettenvermeidung) und Cochrane, welche jedoch keine weiteren neuen RCT aufdeckten. Pilotstudien ohne Vergleichsgruppen, mit schweren Mängeln sowie Studien mit anderen Applikationsformen von Botulinumtoxin wurden ausgeschlossen.

Orginalarbeiten

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