Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024

Botulinumtoxin bei Gonarthrose
Eine systematische Übersicht

In der Metaanalyse von Wang et al. [23] konnten in 4 Datenbanken bis März 2022 7 RCT identifiziert werden (Nr. 1, 3, 5, 6, 8–10). Die Bias-Analyse erfolgte mit RoB2 mit 2 Studien ohne Mängel, 1 Studie mit einem unklaren Parameter und 4 Studien mit Mängeln bei der Verblindung. Für die Schmerzreduktion ergab sich nach 4 Wochen ein signifikanter Vorteil für BoTX, ebenso Vorteile nach 8, 12 und 26 Wochen, welche jedoch das Signifikanzniveau verfehlten.

In der Metaanalyse von Yang et al. [24] konnten in 5 Datenbanken bis September 2023 6 Vergleichsstudien BoTX versus Kortikosteroid (Nr. 1, 8, 11) oder versus Hyaluronsäure (Nr. 2, 5, 10) bei Gonarthrose identifiziert werden. Bedingt durch den Umstand, dass auch chinesische Datenbanken eingeschlossen wurden, umfasste diese Metaanalyse auch 2 weitere Orginalarbeiten, welche bisher in den vorherigen Untersuchungen nicht bekannt waren. Die 3 Studien versus Hyaluronsäure waren gemäß der Einschätzung mit RoB2 alle mit einem hohen Biasrisiko behaftet, die 3 Studien versus Kortikoide wiesen zweimal ein moderates und einmal ein geringes Biasrisiko auf. Die Studien versus Kortikosteroiden bzw. Hyaluronsäure ergaben in der Metaanalyse bzgl. des Schmerzes Vorteile für Botulinumtoxin, welche aber nur bzgl. Hyaluronsäure das Signifikanzniveau erreichte.

In Bezug auf den WOMAC-Score zeigten sich in den 3 Subscores versus Kortikosteroiden nicht signifikante Vorteile für Kortikoidsteroide beim Subscore Schmerz bei sonst gleichen Ergebnissen für die Subscores Funktion und Steifigkeit. Im Vergleich versus Hyaluronsäure zeigten sich jedoch Vorteile für Botulinumtoxin, welche beim Subscore Schmerz auch das Signifikanzniveau erreichten. Nur für die Vergleiche versus Kortikosteroiden wurde auch eine Berechnung für den Gesamtscore angegeben, hier ergaben sich keine Unterschiede. Alle Verteilungen ergaben keine Hinweise auf eine moderate oder hohe Heterogenität (I2 ? 20 %).

Schlussbetrachtung

In unsere Übersichtsrecherche konnten 11 RCT mit ausreichender BIAS-Bewertung zur Behandlung der Gonarthrose mit einmaliger intraartikulärer Gabe von Botulinumtoxin eingeschlossen werden. In diesen Studien waren insgesamt 912 Probandinnen und Probanden inkludiert, wovon 389 (42,7 %) mit dem Verum behandelt wurden.

Allen Studien gemeinsam war die Überprüfung des Schmerzes und die Überprüfung von Funktionsscores (meistens WOMAC). Alle Studien mit einem Zeitreihenvergleich gegenüber den Ausgangswerten bzgl. des Schmerzes als Anhalt für eine therapeutische Wirksamkeit zeigten statistisch signifikante Unterschiede. Im direkten Head-to-head-Vergleich ergaben bis auf 2 Studien alle RCT, die diese Statistiken erfassten, signifikante Vorteile für BoTX.

Die Zeitreihenanalysen zeigten bei fast allen Studien eine statistisch signifikante Verbesserung für BoTX vs. den Ausgangswerten; bei Studien ohne diesbezügliche Statistik war dies in der Regel tendenziell analog.

Im Head-to-head-Vergleich zeigten sich nicht so eindeutige Ergebnisse, teils mit Vorteilen für BoTX, teils ohne Unterschiede, tendenziell aber positiv für BoTX.

Die statistische Vergleichbarkeit der einzelnen Studien untereinander zeigte sich durch den Umstand erschwert, dass bei Vergleichen von mehr als 2 Gruppen andere statistische Verfahren verwendet werden müssen. Die Vergleichbarkeit der einzelnen Studien bei den Funktionsscores wurde zusätzlich durch den Umstand beeinträchtigt, dass mehrheitlich zwar der WOMAC-Score verwendet wurde, mehr als ein Viertel der Studien jedoch andere Scores benutzen.

Die vorliegende Arbeit zeichnet sich gegenüber den aktuelleren Übersichtsarbeiten und Metaanalysen dahingehend aus, dass mehr Studien eingeschlossen wurden. Eine weitere Metaanalyse auf Basis dieser Studien ist geplant. Insgesamt erscheint Botulinumtoxin auf Basis der vorliegenden Informationen geeignet, als weitere Therapieoption in Reserve in Betracht gezogen zu werden. Es bleiben dennoch eine Reihe von Fragen offen, z.B.:

Wirksamkeit einer Kombinationstherapie

Vergleich mit ACP und ACP-Hyaluronsäure

Frage der Dosierung (höhere Dosen nicht durchgängig besser)

Differenzierung nociceptiver vs. neuropathischer Schmerz

Das im Rahmen der Diskussion über die Indikation von Botulinumtoxin öfters genannte Argument der hohen Kosten relativiert sich teilweise bei dieser Indikation, da andere Injektionsformen im Gegensatz zu Botulinumtoxin teilweise mehrfach in einer Behandlungsserie durchgeführt werden und sich so die kumulativen Kosten für ärztliche Leistungen und Material dann in einem ähnlichen Rahmen bewegen.

Botulinumtoxin könnte speziell auch in solchen Fällen in Erwägung gezogen werden, bei welchen eine operative Versorgung wegen der medizinischen Gesamtsymptomatik aktuell oder generell nicht infrage kommt, und auch speziell mehrfache Injektionen bei vorliegender Antikoagulation schwer realisierbar sind.

In einer im Vorjahr 2023 erschienenen vorherigen Arbeit der gleichen Autoren in der gleichen Zeitschrift [25] über sinnvolle und mögliche Off-Label-Indikationen von Botulinumtoxinen in Orthopädie, Unfallchirurgie und Schmerztherapie erfolgte eine Kategorisierung in Kategorie I (sinnvolle Indikationen), II (mögliche Indikationen) und III (Einzelfall-Indikationen). Eine Klassifikation in Kategorie I sollte erfolgen für Indikationen, für welche eine höhere Anzahl von qualitativ hochwertigen Originalarbeiten mit (weitgehend) gleichen Ergebnissen und einer Anzahl von höherwertigen Übersichtsarbeiten mit gegebenenfalls zusätzlichen Metaanalysen mit gleicher Tendenz vorliegen. Eine Klassifikation in Kategorie III sollte erfolgen bei Indikationen, zu welchen nur eine geringe Anzahl von Originalarbeiten und/oder geringer Studienqualität und/oder konträren Studienergebnissen vorliegen. Indikationen, welche einerseits qualitativ bzw. semiquantitativ einerseits nicht den Anforderungen der Kategorie I entsprechen und andererseits die Anforderung der Kategorie III überschreiten, sollten in die Kategorie II der möglichen Indikation eingruppiert werden. Zum damaligen Zeitpunkt hatten wir auch die Indikation der Gonarthrose in diese Kategorie II eingruppiert. Auf Basis neuerer Übersichtsarbeiten und Metaanalysen sehen die Autoren nun diese Indikation als in die Kategorie I der sinnvollen Indikationen gehörig an.

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