Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024
Botulinumtoxin bei GonarthroseEine systematische Übersicht
Die 10. Studie von Rezasoltani et al. (2021) verglich nach 1, 3 und 6 Monaten Botulinumtoxin mit physikalischer Therapie [10]. Bei ähnlichen Ausgangswerten ergab sich für Botulinumtoxin eine deutliche und kontinuierlich zunehmende Schmerzreduktion. Für physikalische Therapie zeigt sich eine schwächere Schmerzreduktion bei der ersten Kontrolle, mit leichten Wiederanstiegen bei den weiteren Kontrollen. Im Verlauf und im direkten Vergleich war Botulinumtoxin bei allen Kontrollen der physikalischen Therapie statistisch signifikant überlegen.
Die 11. Studie von Jin et al. (2021) verglich eine Kombinationstherapie von gepulster Radiofrequenzdenervierung mit zusätzlicher Injektion am Folgetag von Botulinumtoxin oder Kortikosteroid nach 1 Woche, 1 Monat und 6 Monaten [11]. Beide Gruppen zeigten eine im Verlauf kontinuierliche und statistisch signifikante Verbesserung gegenüber den Ausgangswerten, welche in Kombination mit Botulinumtoxin stärker als in Kombination mit Kortikosteroid ausfiel, die direkten Vergleiche zeigten ebenfalls hierbei signifikante Unterschiede.
Funktionsscores
Bei 8 der 11 Studien wurde der WOMAC-Score verwendet, ferner der KOOS-Score (2 Studien), der Oxford Knee Score (1 Studie) und der Lequesne-Score (ergänzend in 2 Studien). Der WOMAC-Fragebogen besteht aus 3 Teilfragebögen Schmerz, Steifigkeit und physische Funktion, die Werte werden auch teilweise zu einem Gesamtwert addiert [12]. Der KOOS-Fragebogen umfasst 42 Items mit verschiedenen Zielgrößen [13], beim Lequesne-Fragebogen handelt es sich um 11 Fragen mit den Zielgrößen ADL, Gehstrecke und Schmerz [14]. Beim Oxford Knee Score handelt es sich um einen Fragebogen mit 12 Fragen mit den Zielsetzungen Schmerz und ADL [15]. Die Liste der verwendeten Scores und die Ergebnisse sind in Tab. 3 dargestellt (Tab. 3).
Diskussion
Studienqualität
Bei 4 der 11 Studien schied eine doppelte Verblindung (Proband/Therapeut), bedingt durch das Studiendesign, aus. Bei den anderen 7 Studien waren 4 Studien doppelt verblindet, 3 Studien machten hierzu keine Angaben. Die Zuordnungen in allen Studien erfolgte randomisiert.
Die BIAS-Bewertung ergab mit dem Jadad-Score [16] einen Durchschnittswert von 61,8 % ± 34,0 % (knapp hohe Qualität) [17] und bei der PEDRO-Skala [18] einen Durchschnittswert von 75,5 % ±19,2 % (gute Qualität) [19], die einzelnen Studien sind in Abb. 1 dargestellt. Von den 11 Studien waren 4 Arbeiten methodisch hochwertig und 3 Arbeiten methodisch mit stärkeren Mängeln behaftet. Diese BIAS-Bewertungen flossen auch in die Auswahl der RCT ein: aufgenommen wurden nur Studien, welche einem höheren Standard in der JADAD-Skala aufwiesen (mindestens 3 von 5 Punkten) und in der PEDRO-Skala mindestens als von mäßiger Qualität (mindestens 4 von 10 Punkten) klassifiziert wurden, eine weitere Studie wurde ausgeschlossen (Abb. 1).
Übersichtsarbeiten und
Metaanalysen
Hosseini et al. [20] konnten in einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2021 mit Metaanalysen in 4 Datenbanken bis November 2019 6 Studien identifizieren (Studien 1, 3, 5–8). Von diesen 6 Studien wurden nach der PEDRO-Skala 3 Studien als qualitativ hochwertig, 2 Studien als qualitativ gut und 1 Studie als qualitativ mäßig eingestuft. Für die Schmerzreduktion errechneten die Autoren statistisch signifikante Vorteile für BoTX sowohl insgesamt (mittlere Heterogenität) als auch kurzfristig (1 Monat), über einen mittleren Zeitraum von 2–3 Monaten und auch über längere Zeiträume von 6 Monaten, bei mittlerer bzw. geringer Heterogenität kurz- und mittelfristig bzw. längerfristig.
Für einen Zeitraum bis 2 Monate ergab sich ein signifikanter Effekt für BoTX, aber auch – geringer, aber noch statistisch signifikant – ebenso für Kortikoidsteroide und auch für physiologische Kochsalzlösung, bei mittlerer Heterogenität für BoTX und großer Heterogenität für die anderen beiden. Ab 6 Monaten zeigte sich für BoTX ein analoges Ergebnis bei fehlender Signifikanz für Kortikosteroide.
Fast alle Studien erfassten auch den WOMAC-Score, hier ergaben sich kurzfristig bis 2 Monate ebenfalls signifikante Vorteile für BoTX (mittlere Heterogenität), gering stärker als für BoTX auch für Kortikoidsteroide (große Heterogenität) sowie knapp statistisch signifikant auch für physiologische Kochsalzlösung (große Heterogenität). Für Zeiträume ab 6 Monaten zeigt sich ebenfalls signifikante Vorteile für BoTX (mittlere Heterogenität) und in etwa gleicher Stärke auch für Kortikosteroide (mittlere Heterogenität, 2 Studien) und für physiologische Kochsalzlösung (1 Studie).
In der Übersichtsarbeiten und Metaanalyse von Ismiarto und Prasetiyo [21] aus dem Jahr 2023 konnten in 4 Datenbanken bis September 2022 6 Studien (Nr. 3–6, 8) eingeschlossen werden, hierunter auch eine von uns wegen Qualitätsmängeln ausgeschlossene Studie. Eingeschlossen wurden englischsprachige RCT mit Vergleichsgruppen mit anderen Injektionen oder abwartender Haltung sowie der Nutzung des WOMAC-Scores. Die Bias-Einschätzung mit RoB2 ergab überwiegend geringe Risiken. Die Analysen der Schmerzreduktion und der WOMAC-Scores ergaben bei jedoch hoher Heterogenität statistisch signifikante Vorteile für die Therapie mit BoTX, dies sowohl kurzfristig als auch längerfristig.
Sconza et al. [22] recherchierten in 6 Datenbanken nach RCT zur intraartikulären Behandlung der Gonarthrose mit Botulinumtoxin, mit Beschränkung auf englischsprachige Publikationen aus dem Zeitraum 2001–2021. Von den hier aufgeführten 11 Arbeiten sind hier ebenfalls 8 Arbeiten enthalten (Nr. 1, 3–6, 8–10), ferner zusätzlich die von uns qualitätsbedingt ausgeschlossene weitere Arbeit. Die Autoren bewerteten die methodische Qualität der Studien mit zweimal „gut“, dreimal mit „mäßig“ und viermal mit „schlecht“, wobei die von uns exkludierte Arbeit dort ebenfalls als diejenige mit den größten Mängeln bewertet wurde. Bedingt durch die große Variabilität der Studien in ihrem Design, schlossen die Autoren die Durchführung einer Metaanalyse aus. Angemerkt wurden die nur kleine Anzahl an qualitativ hochwertigen Studien sowie die meist geringe Fallzahl und die oft nur kurze Nachbeobachtungszeit. Als positiv vermerkt wurde – neben der nur geringen Nebenwirkungsrate – der Umstand, dass im Vergleich mit anderen Injektionstherapien nur 1 Injektion notwendig wird, bei allerdings im Vergleich höheren Materialkosten. Eine eindeutige Evidenz für die Anwendung von Botulinumtoxin bei Gonarthrose konnte nicht festgestellt werden. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass auf Basis der vorliegenden Literaturlage keine eindeutige Empfehlung ausgesprochen werden kann, speziell auch im Vergleich mit anderen Therapieformen, diese Therapie aber auch nicht verworfen werden sollte.