Übersichtsarbeiten - OUP 03/2014
Differenzialindikation zur Hallux valgus-Therapie
Von der Durchführung rein kosmetischer Operationen raten wir ab. Die Hallux valgus-Chirurgie ist in den allermeisten Fällen eine elektive Chirurgie und erfordert demzufolge ein höchst sensibles Vorgehen. Die Notwendigkeit an orthopädischer und chirurgischer Erfahrung ist nicht zu unterschätzen. Die Vorfußchirurgie gehört nicht, wie oftmals verlautet, in die Hände von Anfängern. Die Einordnung der Vorfußchirurgie durch die Kostenträger in rein ambulante Operationsverfahren werten wir sehr kritisch.
Konservative Therapie
Bis auf wenige Ausnahmen sollte der Hallux valgus initial immer multimodal konservativ therapiert werden. Die primär konservative Behandlung zielt zunächst auf das Schuhwerk ab. Bequeme Schuhe mit genügend Zehenspielraum (große Zehenbox) und flachen Absätzen sind empfehlenswert. Orthopädietechnische Maßnahmen können zur Anwendung kommen. Eine Druckentlastung des Großzehenballens ist durch eine seitliche Ausweitung des Schuhoberleders möglich. Schuhe, die gar keine Stabilität bieten, sind erfahrungsgemäß jedoch wenig hilfreich. Zehenpolster, Einlagen mit retrocapitaler Abstützung bei Vorliegen von Metatarsalgien und Nachtlagerungsschienen oder Orthesen können meist eine deutliche Linderung der Beschwerden bewirken. Langzeitergebnisse hierzu gibt es jedoch noch nicht [22, 23]. Eine Sohlenversteifung mit Ballenrolle ist bei additiver schmerzhafter Großzehengrundgelenkarthrose indiziert.
Eine regelmäßige podologische Behandlung verhindert eine Entwicklung schmerzhafter Keratosen. Ein ‚fußgesundes‘ Leben mit häufigem Barfußlaufen, Fuß- und Zehengymnastik mit insbesondere zu favorisierenden Abspreizübungen für die Großzehe zur Kräftigung des Musculus abductor hallucis und Stärkung der intrinsischen Fußmuskulatur in Eigenregie, sind äußerst dienlich. Eine gezielte physikalische, physiotherapeutische und manuelle Therapie durch geschulte Hände sind aus der Therapie des Hallux valgus nicht mehr wegzudenken. Insbesondere die Spiraldynamik mit Einleitung einer aktiven funktionellen Therapie zur Wiederherstellung des muskulären Gleichgewichts im Fußbereich weist in der konservativen Hallux valgus-Therapie mittlerweile große Erfolge auf [24].
Lokale symptomatische Maßnahmen im Falle einer entzündlichen Bursitis oder eine Verabreichung von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) können alleine oder in Kombination von Nutzen sein. Bei milden oder moderaten Deformitäten ist eine Schmerzlinderung sicherlich zu erzielen. Im Falle einer beginnenden Arthrose (im Vordergrund steht hier der Gelenkschmerz und nicht der Schmerz im Bereich der medialen Pseudoexostose als extraatikuläres Phänomen) kann die Injektion von Cortison oder Hyaluronsäure intraartikulär helfen.
Operative Therapie –
Differenzialindikationen
Eine Vielzahl operativer Verfahren wird in der Literatur zur Therapie des Hallux valgus beschrieben. Über 150 operative Verfahren sind bekannt [25].
Zur Vorbereitung jeder Operation bedarf es einer Planung am Röntgenbild, in bestimmten Fällen sowie komplexen und mittelgradig ausgeprägten Fehlstellungen sowie Reoperationen auch zeichnerisch. Ein Algorithmus ist für die Therapieentscheidung erforderlich.
Einen Algorithmus nach aktualisierter S1-Leitlinie Fuß und Sprunggelenk zeigt Tabelle 2 [26]. Gelenkerhaltende Eingriffe sind von gelenkresezierenden Verfahren und solchen operativen Maßnahmen mit eher historischem Gewicht abzugrenzen, die als alleinige operative Verfahren jedoch kaum bzw. nur als Ergänzung oder bei spezifischen Indikationen Anwendung finden. Zu letzteren gehören:
- Resektion der Pseudoexostose: Die alleinige einfache Bunionectomy zur Resektion der Pseudoexostose führt zu hohen Rezidivraten und stellt die Patienten häufig nicht zufrieden [27].
- McBride-Operation: Modifikationen des weichteilig rezentrierenden McBride-Verfahrens erhalten zwar das laterale Sesambein im Gegensatz zur Originalmethode und minimieren damit die Gefahr eines Hallux varus, werden aber im nationalen Raum kaum angewandt und sind kaum durch Studien bestätigt [27].
- Keller-Brandes-Arthroplastik: Die Keller-Brandes-Resektionsinterpositions-arthroplastik kann eine Hallux valgus-Stellung korrigieren. Da sie eine innere Amputation impliziert, ist sie beinahe obsolet und einzelnen geriatrischen oder rheumatologischen Patienten vorbehalten [28, 29].
Weit verbreitete und unseres Erachtens wichtige operative Verfahren im Bereich des ersten Strahles werden hier fokussiert, partiell dargestellt und bewertet. Verschiedene, gelenkerhaltende Osteotomien zur Korrektur des Hallux valgus am ersten Strahl sind heute zu favorisieren. (s. Abbildung 3a und 3b):
Einige Operationsverfahren im Einzelnen:
Distaler Weichteileingriff/
Laterales release
In Abhängigkeit des Ausmaßes der Subluxation im Großzehengrundgelenk und der lateralen Kontraktur ist ein Weichteileingriff lateral am Großzehengrundgelenk notwendig. Teils genügt es, die laterale Kapsel zu sticheln, dies gelingt dann auch transartikulär von medialseits bei offenem Gelenk. Teils wird die Kapsel von lateral über einen separaten Zugang inzidiert, die Bandverbindung zum lateralen Sesambein gestichelt. Auch eine Tenotomie der Sehne des Adductor hallucis kann erforderlich sein. Dieses Vorgehen erfolgt limitiert und balanziert stufenweise, da sonst ein Hallux varus droht. Beim sorgfältigen Vorgehen scheint es nicht zur Erhöhung des Risikos der Metatarsale-I-Köpfchen-Nekrose zu kommen [27].
Akin-Osteotomie
Die medialbasige Keilentnahme unter Erhalt der lateralen Kortikalis wird meist basisnah am Grundglied der Großzehe durchgeführt und dient der Korrektur des Hallux valgus interphalangeus, gelegentlich begleitend zur korrigierenden metatarsophalangealen Hallux valgus-Deformität, und nicht mehr, wie vom Erstautor angegeben, zur alleinigen Korrektur der selbigen [30].
Distale Osteotomien
Die distalen Osteotomien werden meist mit einem V-förmigen Sägeschnitt vornehmlich mit einigen Modifikationen durchgeführt [31] und sind für den geübten Operateur gut durchführbar. Die Methode ist nach dem „V“ beim Sägeschnitt benannt (le chevron (frz.) Dachsparren;, Chevron (dt.) Fischgrätmusterstoff; chevron (engl.) Winkel). Die Indikation besteht insbesondere bei kongruenten Großzehengrundgelenken und ergibt eine relativ stabile Osteotomie. Als Verschiebestrecke nach lateral werden bei Männern 6 mm und bei Frauen 5 mm angegeben, dies hilft für die zeichnerische Planung bei der Indikationsstellung [32]. Die Autoren haben – wie andere auch – die Erfahrung gemacht, dass eine Modifikation des Sägeschnitts bei der Chevron-Osteotomie das Spektrum des Verfahrens beträchtlich erweitert. Wenn man statt des ursprünglich gleichschenkligen Sägeschnitts das „V“ ungleich mit einem langen plantaren Schenkel sägt, kommt man bei breiten Mittelfußköpfchen durchaus bis zu einem Intermetatarsalwinkel I/II von 18°, was den Indiktionsangaben zur deutlich technisch aufwendigeren Scarf-Osteotomie entspricht [33, 34].