Übersichtsarbeiten - OUP 03/2014
Differenzialindikation zur Hallux valgus-Therapie
Schaftosteotomie in der Scarf-Technik
Die Metatarsale-Schaft-Osteotomie in der Scarf-Technik hat für einige geübte Operateure einen hohen Stellenwert, erlaubt biplanare Korrekturen sowie Verlängerungen und Verkürzungen (Abb. 4). Sie steht in der Lokalisation und im Korrekturpotenzial für den Intermetatarsalwinkel I/II zwischen den distalen und den proximalen Verfahren [35].
Basisnahe oder proximale Osteotomien
Die proximalen Osteotomien kann man auf verschiedene Weise durchführen. Dank winkelstabiler Implantate sind die basisnahen Osteotomien primär stabiler und damit früher und sicherer belastbar.
Für eine medial aufklappende Osteotomie bieten sich winkelstabile Platten an, die einen metallischen Keil zur Fixation des Korrekturergebnisses haben. Hierdurch kann auf eine additive Spongiosaplastik in den Osteotomiespalt verzichtet werden, die sonst den Eingriff bei separater Entnahme deutlich komplizieren. Möglich ist auch die Einbringung des Knochenmaterials der resezierten Pseudoexostose vom Metatarsale I-Köpfchen.
Die lateral schließende Osteotomie ist im Zugang etwas aufwendiger als ein mediales Verfahren. Der erste Strahl wird verkürzt, jedoch weniger als allgemein angenommen [36].
Der Erhalt der Gegenkortikalis ist bei diesen Keilosteotomien wichtig, um postoperativ stabile Verhältnisse zu produzieren und eine frühfunktionelle Nachbehandlung einleiten zu können.
Bei der Entscheidung zwischen einer additiven und subtraktiven Osteotomie sollte man das Längenverhältnis des Metatarsale I gegenüber II und somit das Vorliegen einer Index plus- oder Index minus-Variante einfließen lassen.
Die Crescentic-Osteotomie ist dem geübten Operateur vorbehalten. Bei dieser domförmigen Osteotomie kommt man wesentlich leichter mit einem über einen K-Draht geführten Spezialsägeblatt zurecht als ohne diese Führung oder gar mit einem Meißel.
Die proximalen Chevron-Osteotomien sind auch bekannt, werden aber weniger häufig als die anderen proximalen Verfahren durchgeführt.
Arthrodese des Tarsometatarsalgelenks I
Die modifizierte Lapidus-Arthrodese hat ihre Stärke bei instabilem Tarsometatarsalgelenk I, bei großem Intermetatarsalwinkel I/II und in der Revisionschirurgie bei Hallux valgus-Rezidiv. Unzweifelhaft ist sie bei Arthrosen im Tarsometatarsalgelenk I indiziert.
Die Diskussion, wie eine Instabilität des Tarsometatarsalgelenks I bestimmt wird und wann sie dann gegebenenfalls pathologisch ist, ist noch nicht abgeschlossen. Auch die Frage, ob eine mögliche Instabilität des Tarsometatarsalgelenks I den Hallux valgus bedingt oder der Hallux valgus wegen des ausgefallenen Windlass-Mechanismus das Gelenk ungünstig beeinflusst, ist nicht abschließend geklärt. Der Windlass-Mechanismus meint dabei die Stabilisierung des Tarsometatarsalgelenks I beim Abrollen des Fußes; wenn der große Zeh dorsal extendiert wird, wird die Plantarfaszie verspannt. Diese physiologische Funktion ist bei Metatarsus primus varus et Hallux valgus durch ungenügende Vorspannung stark eingeschränkt, die physiologisch wirkenden Kräfte nehmen unphysiologische Ausmaße an und verstärken die Fehlstellung des ersten Strahls.
Eine Verkürzung des ersten Strahls bei der Arthrodese des Tarsometatarsalgelenks I sollte durch das primäre Entknorpeln und das anschließende sparsame, aber konsequente Anfrischen der subchondralen Sklerose vermieden werden. Eine Arthrodese mit winkelstabilen Implantaten zeigt gegenüber den herkömmlich verwendeten gekreuzten Schrauben eine sehr geringe Pseudarthroserate. Um einem postoperativen Hallux varus vorzubeugen, muss man wissen, dass dieses Verfahren sehr viel Korrekturmöglichkeit bietet. Bei Einstellung des Intermetatarsale-Winkels I/II gegen null Grad droht eine Dysbalance im Großzehengrundgelenk. Bei großem Korrekturbedarf wird der distale Gelenkflächenwinkel (DMAA) weiter ungünstig beeinflusst. Demzufolge ist bei pathologischem DMAA, an eine kombinierte, die Gelenkfläche korrigierende Osteotomie distal zu denken, um einer ungenügenden Funktion und einem Hallux valgus-Rezidiv vorzubeugen. Der DMAA weist bei der radiologischen Bestimmung eine hohe Interobserver-Varianz auf, das heißt, er muss nicht zu streng geometrisch in die zeichnerische Planung einbezogen werden, bedarf jedoch intraoperativ der genauen Beachtung. Am Situs kann man die knorpelige (!) Gelenkfläche beurteilen und gegebenenfalls durch einen 3-dimensionalen Sägeschnitt bei einer proximalen Osteotomie mitkorrigieren.
Arthrodese des Metatarsophalangealgelenks I (MTP-I)
Die Arthrodese des MTP-I-Gelenks zur Korrektur des Hallux valgus kann in den Fällen einer schweren Hallux valgus-Deformität diskutiert werden. Liegt gleichzeitig eine Arthrose des Großzehengrundgelenks vor, ist die Indikation großzügig zu stellen. Sind frühere Operationen bereits gescheitert, ist die Einstellung zur Arthrodese eine gute Rückzugsoperation. Neuromuskuläre oder rheumatische Erkrankungen stellen häufig ebenfalls eine gute Indikation zur Arthrodese dar.
Cheilektomie
Bei Hallux rigidus ersten bis zweiten Grades kann in Ergänzung zu den gelenkerhaltenden Osteotomien – das Großzehengrundgelenk ist zur Resektion der Pseudoexostose eröffnet – die Cheilektomie erfolgen.
Minimalinvasive Chirurgie (MIC)
Zurzeit werden minimalinvasive Osteotomien von einzelnen Operateuren in größerer Anzahl durchgeführt. Die Zukunft wird zeigen, ob eine Überlegenheit gegenüber den etablierten Verfahren besteht und wie die Lernkurven aussehen. Positiv zu werten ist eine vorstellbare geringere Gewebetraumatisierung und damit schnellere Rehabilitation. Eine möglicherweise eingeschränkte Übersicht birgt die Gefahr von Schädigungen wichtiger Strukturen oder ungünstiger Sägeschnitte. Auch hier gibt es distale und proximale Osteotomien. Die Differenzialindikationen sind identisch zu den konventionellen Verfahren, teils sind die Sägeschnitte etwas modifiziert und den gedeckten Verfahren anzupassen. Notwendig sind nicht viele, aber sehr spezielle Instrumente.
Pes adductus
Eine besondere Fußform mit Medialabweichung insbesondere der Mittelfußknochen 1–3, teils auch 4 und 5, weist der Pes adductus auf. Es resultiert eine Lateralabweichung der Zehen. Trotz deutlichem Hallux valgus ist der Intermetatarsalwinkel I/II dabei eher wenig pathologisch. Eine ausschließlich am ersten Strahl vorgenommene operative Korrektur stößt dabei im kosmetischen Sinne an ihre Grenzen. Der mediale Fußrand weist dann postoperativ eine verbesserte, aber nicht ganz normale Silhouette auf. Bei guter präoperativer Aufklärung akzeptieren dies die Patienten – nach der persönlichen Erfahrung der Autoren – zugunsten der Schmerzfreiheit bei immer noch überschaubarem Operationsaufwand. Die konsequente operative Therapie wäre eine aufwendige Korrektur auf Höhe der Basis der Metatarsalia mit entsprechend erhöhten Risiken. Handelt es sich nicht nur um einen Pes adductus, sondern um einen Serpentinenfuß, in der klinischen und radiologischen ap-Ansicht im Stand tritt zu dem zuvor Beschriebenen ein valgischer Rückfuß hinzu, muss der Patient sehr ausführlich über die komplexe Korrektur der Gesamtfehlstellung aufgeklärt werden. Die Indikation ist kritisch zu stellen.