Übersichtsarbeiten - OUP 03/2014

Differenzialindikation zur Hallux valgus-Therapie

Bei der Entscheidung für die eine oder die andere operative Technik oder die Kombination mehrerer Operationsverfahren fließt auch das zugegeben teils subjektive, klinische Untersuchungsergebnis mit ein:

  • Wo liegen die Beschwerden wirklich?
  • Was ist Ursache – was Symptom?
  • Ist ein eventuell zusätzlich vorhandener Hallux valgus interphalangeus relevant? Bedarf es ergänzender Verfahren, wie z.B. einer Akin-Osteotomie?

Auch wenn grundsätzlich eine gute und sichere Operationsindikation besteht, muss jeder einzelne Schritt ebenso indiziert sein. Auch hier darf man sich nicht zu ergänzenden, rein kosmetischen Teilschritten leiten lassen. Wenn dann noch die persönliche Erfahrung des Operateurs als wichtiger Faktor für die Therapieentscheidung hinzukommt, wird der zunächst starr erscheinende Therapiealgorithmus weicher und individueller. Diese therapeutischen Freiheiten sind „erlaubt“, beinahe zwingend und führen zu patientengerechten und damit guten Resultaten. Sie sollten aber immer begründet und dokumentiert werden.

Operationstechnik

Der Weichteilmantel am Fuß ist wenig belastbar. Darauf ist bei der Indikationsstellung, vor allem aber bei der Operation und bei der Nachbehandlung zu achten. Übermäßige Weichteilpräparation, traumatisches Vorgehen mit dem Einsatz von Haken und eine lange Operations- und Blutsperrenzeit sind zu vermeiden. Auch ist der Elektrokauter sehr sparsam einzusetzen.

Kontraindikationen

Eine Kontraindikation zur Durchführung eines gelenkerhaltenden Eingriffs am ersten Strahl ist der fortgeschrittene Hallux rigidus. Im mittleren Stadium ist ein gelenkerhaltendes Verfahren in Kombination mit einer Cheilektomie und gegebenenfalls einer Mikrofrakturierung bei kleinem Knorpelulcus noch möglich.

Den ersten Strahl diskret verkürzende Verfahren sind bei Index-Plus-Variante ebenfalls druckentlastend für das Großzehengrundgelenk wirksam, wohingegen im Allgemeinen eine Verkürzung des Metatarsale I zu vermeiden ist, um Transfermetatarsalgien vorzubeugen.

Weitere Kontraindikationen – insbesondere für aufwendige Osteotomien – sind eine schlechte Knochenqualität bei Osteoporose und die Charcot-Osteoarthropathie.

Bei neuromuskulären Erkrankungen ist die Indikation für eine Korrekturoperation am ersten Strahl besonders kritisch zu stellen.

Der floride Infekt spricht gegen eine elektive Korrekturoperation, ebenso eine relevante arterielle Verschlusskrankheit.

Aufklärung des Patienten

Eine gute Aufklärung des Patienten soll insbesondere realistisch über zu erwartende Ergebnisse dieser elektiven Eingriffe aufklären, um überzogene Vorstellungen zu vermeiden.

Neben allgemeinen Komplikationen und Risiken sollte der Operateur immer auch die spezifischen Risiken des jeweiligen Eingriffs erläutern und beherrschen.

Postoperative Therapie

Postoperativ wird ein spezieller Zügelverband angelegt (Abb. 5).

Es sollte umgehend eine radiologische Befundkontrolle erfolgen. Die identische Einstellung wie präoperativ ist äußerst hilfreich. Eine systemische Analgesie und Antiphlogese wird von uns durchgeführt. Neben einer initialen, konsequenten Hochlagerung ist eine intermittierende Kryotherapie angeraten. Wir empfehlen die Durchführung aktiver Bewegungsübungen des Sprunggelenks ab dem Operationstag. In Abhängigkeit vom operativen Vorgehen und intraoperativ erreichter Stabilität ist meist eine passive Bewegungsübung unter Extension der Großzehe am kurzen Hebel (Fixation des Metatarsale I Köpfchens mit Daumen und Zeigefinger) direkt möglich. Ebenso kann befund- und verfahrensabhängig mehrheitlich eine frühfunktionelle Therapie mit Vollbelastung in einem Vorfußentlastungsschuh oder flachen Verbandsschuh erfolgen, anfangs schmerzadaptiert unter Zuhilfenahme von Unterarmgehstützen. Proximale Verfahren oder Arthrodesen bedürfen in Abhängigkeit von Knochenqualität, Verfahren und Osteosynthesematerialien teils einer etwas längeren Teilbelastung. Ein geeigneter Therapieschuh bietet genügend Festigkeit der Sohle und Halt für den Fuß. Insbesondere darf der Schuh nicht etwa den Scheitelpunkt mit der Hauptbelastung kurz proximal der Osteotomie aufweisen.

Die unterstützende Durchführung einer Lymphdrainage ist am Fuß erfahrungsgemäß oftmals dienlich.

Eine Thromboembolieprophylaxe empfehlen wir, gemäß der AWMF-Leitlinien zur Prophylaxe der venösen Thromboembolie durchzuführen. Den ersten Verbandswechsel führen wir bei komplikationslosem Verlauf am 2. postoperativen Tag durch und raten weitere Verbandswechsel und Befundkontrollen im regelmäßigen Turnus alle 2–3 Tage an. Der Patient wird bereits von uns in die selbstständige Anlage von Redressionsverbänden bzw. der Anlage von Zügelungsbandagen eingewiesen. Eine weitere radiologische Befundkontrolle ist nach Ablauf von 6 Wochen postoperativ anzustreben. Bei knöcherner Konsolidierung ist dann eine Freigabe der Belastung im Konfektionsschuhwerk möglich. Mit dem Laufsport sollte frühestens nach Ablauf von 3 Monaten begonnen werden.

Fazit

Die Entität des Hallux valgus ist komplex. Es erscheint fast unmöglich, wirklich evidenzbasierte Empfehlungen zur Therapie des Hallux valgus zu geben. Obwohl der Hallux valgus zum „Alltagsgeschäft“ des Orthopäden gehört, – es existieren allein über 150 beschriebene Operationsverfahren speziell für den Hallux valgus – und eine beinahe unüberschaubare Anzahl an Studien durchgeführt wurde, sind prospektive randomisierte Studien, die verschiedene operative und/oder konservative Therapieverfahren miteinander vergleichen, kaum auffindbar. Die Vielzahl der existierenden operativen Behandlungsverfahren weist darauf hin, dass kein Verfahren perfekt ist, keines alle Aspekte der Hallux valgus-Fehlstellung auf einmal adressiert und zu korrigieren vermag.

Die Selektion des Behandlungsverfahrens, sei es konservativ und/oder operativ, orientiert sich an Leitlinien, bleibt letztlich jedoch abhängig von der Person des behandelnden Orthopäden, seinen Präferenzen und einem im Alltag gewonnenen Erfahrungswissen.

Als Beispiel seien die aktualisierten S1-Leitlinien Fuß und Sprunggelenk der Deutschen Assoziation für Fuß und Sprunggelenk (DAF) genannt, die Expertenmeinungen zugrunde legen [26].

Mit konservativen Maßnahmen lassen sich insbesondere symptomatisch Beschwerden lindern, erste Erfahrungen zeigen den Wert der Physiotherapie zur Stärkung der intrinsischen Muskulatur. Bei entsprechendem Leidensdruck trotz konservativer Therapie kommen elektive Operationsmaßnahmen zur Therapie des Hallux valgus nach gründlicher Patientenaufklärung zum Tragen. Obwohl diese technisch anspruchsvoll sind, weisen sie bei sorgfältig ausgewähltem Patientengut eine hohe Erfolgsaussicht auf. Dabei zeigt die distale Chevron-Osteotomie vorhersehbar gute Ergebnisse bei milden bis moderaten Hallux valgus-Deformitäten. Bei den Operationen kann ohne erhöhtes Risiko für eine Osteonekrose des Köpfchens, wenn angezeigt, additiv ein balanzierter distaler Weichteileingriff mit Kapsulotomie durchgeführt werden. Bei mittleren bis schweren Fehlstellungen sind verschiedene proximale Verfahren in Kombination mit distalem Weichteileingriff erfolgreich. Erwähnenswert sind die proximale Crescentic-Osteotomie, additive oder subtraktive Keilosteotomien, der proximale Chevron und auch die modifizierte Lapidusarthrodese, die in Abhängigkeit von den klinischen und radiologischen Befunden sowie den Erfahrungen des Operateurs eingesetzt werden können. Die Arthrodese des Großzehengrundgelenks ist besonderen Fällen vorbehalten, in denen sie zu klinisch und subjektiv zufriedenstellenden Ergebnissen führen kann. Geeignete Implantate sollten stabile Osteosynthesen ermöglichen, um Dislokationen zu vermeiden und eine frühzeitige Mobilisation des Patienten zu gewährleisten. Alle angewandten Operationsmethoden sollten in ihrer Technik verständlich sein und zu reproduzierbaren Langzeit-Ergebnissen führen.

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