Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023
Distale Humerusfrakturen
Für die definitive Versorgung stehen verschiedene operative Verfahren zur Auswahl, wobei das Ziel der operativen Therapie immer eine bestmögliche anatomische Reposition mit mindestens übungsstabiler Osteosynthese sein sollte, um eine frühzeitige Rehabilitation zu gewährleisten. Liegen
Begleitverletzungen des Kapsel-Bandapparates vor, sind diese entsprechend mitzuversorgen, da auch die Gelenkstabilität bedeutenden Einfluss auf die Wiederherstellung der Gelenkfunktion und Belastungsfähigkeit des Ellbogengelenks hat [12, 13].
In der Regel sind für die Versorgung distaler Humerusfrakturen rigide Plattenosteosynthesen erforderlich, um
eine übungsstabile Versorgung zu ermöglichen. Aufgrund des geringen Weichteilmantels am Ellenbogen haben sich in den vergangenen Jahren anatomisch vorgeformte winkelstabile Plattensysteme bewährt, die ein flaches Profil aufweisen und weniger häufig Weichteilprobleme verursachen.
Neben dem Ziel einer bestmöglichen anatomischen Reposition der Fraktur ist insbesondere eine kongruente Wiederherstellung der Fossa olecrani und Olekranonspitze von besonderer Bedeutung, da hiervon maßgeblich die Streckfähigkeit des Ellenbogens abhängt [3].
Bei distal gelegenen koronaren Abscherfrakturen mit Beteiligung des Capitulum humeri oder der Trochlea (Typ Dobberly I–III) sind reine Plattenosteosynthesen ungeeignet. Zur Fixierung eignen sich Kortikalisschrauben, deren Kopf unterhalb des Knorpels versenkt wird (Abb. 2). Alternativ können kopflose kanüllierte Kompressionsschrauben zur Anwendung kommen. Die korrekte Reposition und Rotation der Trochlea und des Capitulum humeri sind dabei von entscheidender Bedeutung für die Wiederherstellung des Bewegungsumfangs und der Kraftübertragung [14].
Bei partiell artikulieren Frakturen (Typ B1 und B2) kommen häufig interfragmentäre Schraubenosteosynthesen zur Anwendung. Da diese jedoch keine ausreichende Primärstabilität ermöglichen, sollte eine ergänzende Plattenosteosynthese durchgeführt werden.
Es hat sich als biomechanisch vorteilhaft erwiesen, metaphysäre Frakturen (Typ A2 und A3) (Abb. 3) sowie intraartikuläre Frakturen (Typ C1–C3) (Abb. 4) mit einer Doppelplattenosteosynthese zu versorgen [15, 16]. Die Doppelplattenosteosynthesen haben sich daher als Standardversorgung dieser Verletzungen etabliert. Es besteht allerdings eine anhaltende Kontroverse darüber, ob die Platten orthogonal in einer 90°-Konfiguration (dorsoradial und medial) oder parallel in einer 180°- Konfiguration positioniert werden sollten (Abb. 5).
Auch wenn biomechanische Untersuchungen insbesondere bei größeren Trümmerzonen und Kortikalisdefekten Vorteile in einer Versorgung mit Doppelplattenosteosynthesen in 180°-Konfiguration erkennen lassen [15, 17], so zeigen verschiedene randomisierte klinische Studien keine Unterschiede beider Techniken in Bezug auf das funktionelle Ergebnis, den Bewegungsumfang, die Patientinnen-/Patientenzufriedenheit und das klinischen Outcome [16, 18–21]. Unabhängig von der Positionierung der Doppelplattenosteosynthese hat die Länge der Platten zueinander eine besondere Bedeutung. Es ist darauf zu achten, dass die Implantate proximal nicht auf gleicher Höhe enden, um
eine Stresskonzentration am Implantat-Knochenübergang und damit das Risiko einer periimplantären Anschlussfraktur zu vermeiden [22].
Endoprothetischer
Gelenkersatz
Zu den relativen Indikationen für
einen endoprothetischen Ersatz des Ellbogengelenks gehören osteoporotische Frakturen mit Destruktion der
Gelenkfläche, bei denen eine Rekonstruktion des Gelenks mit einer Osteosynthese nicht möglich ist oder wenn bereits prätraumatische, erhebliche Einschränkungen bestanden. Die totale Ellbogenprothese hat sich in prospektiven, randomisierten Studien bei älteren Patientinnen und Patienten als durchaus vielversprechend erwiesen und kann im Vergleich zur offenen
Reposition und Plattenosteosynthese kurzfristig sogar zu besseren Ergebnissen der Gelenkfunktion führen [5, 23].
Zu den Nachteilen der totalen Ellbogenprothese gehören eine lebenslange Belastungseinschränkung der Extremität auf maximal 5 kg und geringe Standzeiten mit häufig frühzeitigen aseptischen Lockerungen [5]. Insgesamt werden hohe Komplikations- und Revisionsraten nach Implantation von totalen Ellbogenprothesen von bis zu 82 % durch Prothesenlockerungen, periprothetische Frakturen oder Infektionen verzeichnet [24, 25]. Daher sollten Ellbogenprothesen insbesondere bei jüngeren Patientinnen und Patienten und bei Patientinnen und Patienten mit einem hohen funktionellen Anspruch vermieden werden.
Zugänge zum distalen
Humerus
Der Osteosynthese sollte eine genaue Analyse der Fraktur mit Planung der Zugänge und der Osteosynthese vorausgehen. Verschiedene operative Zugänge stehen für die Versorgung distaler Humerusfrakturen zur Verfügung, die entweder in Bauch- oder Rückenlage durchgeführt werden.
Dorsale Zugänge
Paratrizipitaler Zugang und Olecranonosteotomie
Der dorsale Zugang zum Ellenbogengelenk stellt den Standardzugang in der Versorgung uni- oder bikonylärer Frakturen des medialen und/oder lateralen Pfeilers dar. Die Patientin/der Patient wird hierfür in Bauchlage gebracht und der Arm auf einer Schulterbank gelagert, wobei der Ellenbogen flexibel zu lagern ist, um eine Flexion von mindestens 90° zu ermöglichen.
Die Hautinzision erfolgt vom dorsalen Humerusschaft unter Radialumschneidung des Olekranon zur proximal Ulna. Der M. triceps brachii wird dargestellt, der N. ulnaris identifiziert und entsprechend der Notwendigkeit der Exposition des ulnaren Pfeilers auf der gesamten Strecke dargestellt und neurolysiert, um iatrogenen Zug auf den Nerven zu minimieren. Bei der Präparation nach proximal am radialen Pfeiler (v.a. bei weit in den Schaft reichenden Frakturen) ist auf den im distalen Drittel des
Humerusschafts von dorsal nach lateroventral kreuzenden N. radialis zu achten. Paratrizipital wird ein Fenster medial und lateral durch das Abschieben und Mobilisieren der Muskelfasern vom Humerus geschaffen, ohne den ulnaren Ansatz zu gefährden (triceps-on). Hierdurch kann eine gute Darstellung des metaphysären distalen Humerus erreicht werden. Da die Gelenkfläche nur eingeschränkt einsehbar ist, eignet sich der Zugang primär für extraartikuläre und einfache intraartikuläre Frakturen [26].
Vorteilhaft ist, dass die einsehbare artikuläre Fläche des distalen Humerus durch eine Erweiterung dieses Zugangs mit einer Olekranonosteotomie vergrößert werden kann. Hierbei wird mit einer oszillierenden Säge eine V-förmige Osteotomie des Olekranons auf Höhe der „bare area“ angelegt (Chevron-Osteotomie) und mit einem Meißel komplettiert, da diese gegenüber einer geraden Osteotomie eine höhere Rotationsstabilität und größere knöcherne Kontaktfläche gewährleistet. Das Olekranon wird dann
mobilisiert und mit anhaftendem Trizeps nach proximal abgehoben. Der Anteil der nach Olekranonosteotomie einsehbaren Gelenkfläche ist im Vergleich zu anderen Zugängen um bis zu 50 % vergrößert. Nach Vollendung der Osteosynthese erfolgt die Refixierung mittels Zuggurtungs-, Schrauben- oder Plattenosteosynthese (Abb. 6) [27].