Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023

Frakturassoziierte Infektionen an der oberen Extremität
Was gibt es zu beachten?

Markus Rupp, Nike Walter, Leopold Henssler, Lisa Klute, Maximilian Kerschbaum, Volker Alt

Zusammenfassung:
Die steigende Anzahl operativer Frakturversorgungen mit Implantaten stellt eine Herausforderung für Orthopädie und Unfallchirurgie dar. Während insgesamt ca. 1,23 % aller Frakturen eine frakturassoziierte Infektion (FRI) nach sich ziehen, betreffen 10–13 % aller FRI die obere Extremität. Die korrekte Diagnose dieses oftmals komplizierten Krankheitsbildes ist entscheidend für den Therapieerfolg. Seit 2018 bestehen konfirmatorische Kriterien und suggestive Parameter, die bei der Diagnosestellung berücksichtigt werden müssen. Auch an der oberen Extremität wird die klinische Routinediagnostik befolgt. Diese beinhaltet neben der obligaten Anamnese und klinischen Untersuchung radiologische Bildgebung wie Röntgen, CT, MRT und nuklearmedizinische Verfahren. Zudem sollten 3–5 Gewebeproben aus der Frakturregion zur mikrobiologischen Diagnostik eingeschickt und auch eine histopathologische Untersuchung zur Diagnosesicherung veranlasst werden. Die Therapie sollte interdisziplinär erfolgen. Neben der chirurgischen und in der Regel zwölfwöchigen antibiotischen Therapie ist ein interdisziplinärer Therapieansatz zu Optimierung von Begleiterkrankungen und chirurgischer Mitbeurteilung durch einen plastischen Chirurgen gerade bei komplexen Fällen ratsam. Besondere Aspekte der oberen Extremitäten wie Möglichkeiten des Gelenkerhaltes oder die Konversion auf ein Gelenkersatzverfahren sind in Abhängigkeit von der Durchblutungs- und Osteosynthesesituation zu evaluieren. Diaphysäre Knochendefekte geringeren Ausmaßes am Humerus können im Gegensatz zur unteren Extremität besser durch Verkürzungen behandelt werden, auch Monorail-Fixateur-Systeme finden ohne zusätzliches intramedulläres Implantat sichere Anwendung. Das häufig auftretende Cutibacterium acnes ist bisweilen gut antibiotisch zu therapieren. Allerdings muss der Chirurg auf eine dreiwöchige Kultivierung durch die mikrobiologische Diagnostik achten. Für die Erhebung der Behandlungsergebnisse stehen keine separaten patient reported outcome measurements (PROMs) zur Verfügung. Hier finden PROMs für die obere Extremität Anwendung wie der Disabilities of the Arm, Shoulder and Hand-Fragebogen.

Schlüsselwörter:
Frakturassoziierte Infektion, obere Extremität, Cutibacterium acnes

Zitierweise:
Rupp M, Walter N, Henssler L, Klute L, Kerschbaum M, Alt V: Frakturassoziierte Infektionen an der oberen Extremität. Was gibt es zu beachten?
OUP 2023; 12: 264–270
DOI 10.53180/oup.2023.0264-0270

Summary: The increasing number of surgical fracture care using osteosynthesis devices poses a challenge for orthopedics and trauma surgery. While approximately 1.23 % of all fractures result in a fracture-related infection (FRI), 10–13 % of all FRIs affect the upper extremity. Accurate diagnosis of this often-complex condition is crucial for successful therapy. Since 2018, confirmatory criteria and suggestive parameters have been established that must be considered in the diagnosis. Clinical routine diagnostics are also followed for the upper extremity. In addition to the obligatory medical history and clinical examination, radiological imaging such as X-ray, CT, MRI, and nuclear medicine procedures are included. Furthermore, 3–5 tissue samples from the fracture region should be sent for microbiological diagnosis, and a histopathological examination should be arranged for diagnostic confirmation. Treatment should be interdisciplinary. In addition to surgical and usually twelve-week antibiotic therapy, an interdisciplinary treatment approach to optimize comorbidities and surgical assessment by a plastic surgeon is advisable, especially in complex cases. Special aspects of the upper extremities, such as options for joint preservation or conversion to a joint replacement procedure, should be evaluated depending on the blood flow and osteosynthesis situation. Diaphyseal bone defects of smaller extent in the humerus can be treated better with shortening, and monorail fixator systems can be applied safely without additional intramedullary implants, unlike in the lower extremity. The commonly occurring Cutibacterium acnes can often be effectively treated with antibiotics. However, the surgeon must be aware of a three-week cultivation period by microbiological diagnostics. Separate patient-reported outcome measurements (PROMs) for assessing treatment outcomes are not available. PROMs for the upper extremity, such as the disabilities of the arm, shoulder and hand questionnaire, are applied here.

Keywords: Fracture-related infection, upper extremity, cutibacterium acnes

Citation: Rupp M, Walter N, Henssler L, Klute L, Kerschbaum M, Alt V: Fracture-related infections of the upper extremity. What should be considered?
OUP 2023; 12: 264–270. DOI 10.53180/oup.2023.0264-0270

Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg

Hintergrund

Infektionen von medizinischen Implantaten sind eine häufige und schwerwiegende Komplikation. Bis zu 50–70 % aller nosokomialen Infektionen können durch einliegende Implantate verursacht werden. Implantatassoziierte Infektionen sind oft schwierig zu diagnostizieren, können aber neben den typischen Symptomen wie Rötung, Hitze, Schmerzen, Schwellung und Funktionsverlust auch zu einem septischen lebensbedrohlichen Krankheitsbild führen.

Auf dem Gebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie sind 2 Arten von implantatassoziierten Infektionen von besonderer Bedeutung; zum einen die periprothetische Gelenkinfektionen nach Gelenkersatz und die frakturassoziierte Infektionen (englisch: fracture-related infection (FRI)). Eine steigende Anzahl von operativen Frakturversorgungen mit interner Osteosynthese, vor allem mit Platten- bzw. Nagelsystemen, bei gleichzeitig zunehmendem Anteil älterer Patientinnen und Patienten stellt eine Herausforderung für die Versorgung dar. Eine Infektion nach operativer Frakturversorgung, eine sogenannte frakturassoziierte Infektion (FRI) ist eine oftmals schwierig zu behandelnde Komplikation, die eine spezielle Diagnostik und dezidierte Therapie zur erfolgreichen Behandlung benötigt. Auch an der oberen Extremität ist die Kenntnis über das Krankheitsbild und das Vorgehen bei Vorliegen desselben von essenzieller Bedeutung.

Epidemiologie

Eine umfassende Analyse auf nationaler Ebene für Deutschland im Jahr 2018 ergab, dass 1,23 % aller Frakturen, die eine stationäre Behandlung erforderten, mit einer FRI einhergingen. Über den Verlauf des letzten Jahrzehnts wurde zudem eine leichte Zunahme der Inzidenz von 5556 Fällen (8,4 pro 100.000 Einwohner) auf 7253 Fälle (10,7 pro 100.000 Einwohner) verzeichnet [1]. Hiervon betreffen lediglich 10–13 % die obere Extremität [2, 3]. Als Ursachen hierfür können die niedrigere Rate an offenen Frakturen an der oberen Extremität, geringeres Weichteiltrauma insgesamt, aber auch die gerade im Alter besser erhaltene Durchblutung resp. die geringere Häufigkeit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) an der oberen Extremität angesehen werden.

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