Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023

Frakturassoziierte Infektionen an der oberen Extremität
Was gibt es zu beachten?

Markus Rupp, Nike Walter, Leopold Henssler, Lisa Klute, Maximilian Kerschbaum, Volker Alt

Zusammenfassung:
Die steigende Anzahl operativer Frakturversorgungen mit Implantaten stellt eine Herausforderung für Orthopädie und Unfallchirurgie dar. Während insgesamt ca. 1,23 % aller Frakturen eine frakturassoziierte Infektion (FRI) nach sich ziehen, betreffen 10–13 % aller FRI die obere Extremität. Die korrekte Diagnose dieses oftmals komplizierten Krankheitsbildes ist entscheidend für den Therapieerfolg. Seit 2018 bestehen konfirmatorische Kriterien und suggestive Parameter, die bei der Diagnosestellung berücksichtigt werden müssen. Auch an der oberen Extremität wird die klinische Routinediagnostik befolgt. Diese beinhaltet neben der obligaten Anamnese und klinischen Untersuchung radiologische Bildgebung wie Röntgen, CT, MRT und nuklearmedizinische Verfahren. Zudem sollten 3–5 Gewebeproben aus der Frakturregion zur mikrobiologischen Diagnostik eingeschickt und auch eine histopathologische Untersuchung zur Diagnosesicherung veranlasst werden. Die Therapie sollte interdisziplinär erfolgen. Neben der chirurgischen und in der Regel zwölfwöchigen antibiotischen Therapie ist ein interdisziplinärer Therapieansatz zu Optimierung von Begleiterkrankungen und chirurgischer Mitbeurteilung durch einen plastischen Chirurgen gerade bei komplexen Fällen ratsam. Besondere Aspekte der oberen Extremitäten wie Möglichkeiten des Gelenkerhaltes oder die Konversion auf ein Gelenkersatzverfahren sind in Abhängigkeit von der Durchblutungs- und Osteosynthesesituation zu evaluieren. Diaphysäre Knochendefekte geringeren Ausmaßes am Humerus können im Gegensatz zur unteren Extremität besser durch Verkürzungen behandelt werden, auch Monorail-Fixateur-Systeme finden ohne zusätzliches intramedulläres Implantat sichere Anwendung. Das häufig auftretende Cutibacterium acnes ist bisweilen gut antibiotisch zu therapieren. Allerdings muss der Chirurg auf eine dreiwöchige Kultivierung durch die mikrobiologische Diagnostik achten. Für die Erhebung der Behandlungsergebnisse stehen keine separaten patient reported outcome measurements (PROMs) zur Verfügung. Hier finden PROMs für die obere Extremität Anwendung wie der Disabilities of the Arm, Shoulder and Hand-Fragebogen.

Schlüsselwörter:
Frakturassoziierte Infektion, obere Extremität, Cutibacterium acnes

Zitierweise:
Rupp M, Walter N, Henssler L, Klute L, Kerschbaum M, Alt V: Frakturassoziierte Infektionen an der oberen Extremität. Was gibt es zu beachten?
OUP 2023; 12: 264–270
DOI 10.53180/oup.2023.0264-0270

Summary: The increasing number of surgical fracture care using osteosynthesis devices poses a challenge for orthopedics and trauma surgery. While approximately 1.23 % of all fractures result in a fracture-related infection (FRI), 10–13 % of all FRIs affect the upper extremity. Accurate diagnosis of this often-complex condition is crucial for successful therapy. Since 2018, confirmatory criteria and suggestive parameters have been established that must be considered in the diagnosis. Clinical routine diagnostics are also followed for the upper extremity. In addition to the obligatory medical history and clinical examination, radiological imaging such as X-ray, CT, MRI, and nuclear medicine procedures are included. Furthermore, 3–5 tissue samples from the fracture region should be sent for microbiological diagnosis, and a histopathological examination should be arranged for diagnostic confirmation. Treatment should be interdisciplinary. In addition to surgical and usually twelve-week antibiotic therapy, an interdisciplinary treatment approach to optimize comorbidities and surgical assessment by a plastic surgeon is advisable, especially in complex cases. Special aspects of the upper extremities, such as options for joint preservation or conversion to a joint replacement procedure, should be evaluated depending on the blood flow and osteosynthesis situation. Diaphyseal bone defects of smaller extent in the humerus can be treated better with shortening, and monorail fixator systems can be applied safely without additional intramedullary implants, unlike in the lower extremity. The commonly occurring Cutibacterium acnes can often be effectively treated with antibiotics. However, the surgeon must be aware of a three-week cultivation period by microbiological diagnostics. Separate patient-reported outcome measurements (PROMs) for assessing treatment outcomes are not available. PROMs for the upper extremity, such as the disabilities of the arm, shoulder and hand questionnaire, are applied here.

Keywords: Fracture-related infection, upper extremity, cutibacterium acnes

Citation: Rupp M, Walter N, Henssler L, Klute L, Kerschbaum M, Alt V: Fracture-related infections of the upper extremity. What should be considered?
OUP 2023; 12: 264–270. DOI 10.53180/oup.2023.0264-0270

Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg

Hintergrund

Infektionen von medizinischen Implantaten sind eine häufige und schwerwiegende Komplikation. Bis zu 50–70 % aller nosokomialen Infektionen können durch einliegende Implantate verursacht werden. Implantatassoziierte Infektionen sind oft schwierig zu diagnostizieren, können aber neben den typischen Symptomen wie Rötung, Hitze, Schmerzen, Schwellung und Funktionsverlust auch zu einem septischen lebensbedrohlichen Krankheitsbild führen.

Auf dem Gebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie sind 2 Arten von implantatassoziierten Infektionen von besonderer Bedeutung; zum einen die periprothetische Gelenkinfektionen nach Gelenkersatz und die frakturassoziierte Infektionen (englisch: fracture-related infection (FRI)). Eine steigende Anzahl von operativen Frakturversorgungen mit interner Osteosynthese, vor allem mit Platten- bzw. Nagelsystemen, bei gleichzeitig zunehmendem Anteil älterer Patientinnen und Patienten stellt eine Herausforderung für die Versorgung dar. Eine Infektion nach operativer Frakturversorgung, eine sogenannte frakturassoziierte Infektion (FRI) ist eine oftmals schwierig zu behandelnde Komplikation, die eine spezielle Diagnostik und dezidierte Therapie zur erfolgreichen Behandlung benötigt. Auch an der oberen Extremität ist die Kenntnis über das Krankheitsbild und das Vorgehen bei Vorliegen desselben von essenzieller Bedeutung.

Epidemiologie

Eine umfassende Analyse auf nationaler Ebene für Deutschland im Jahr 2018 ergab, dass 1,23 % aller Frakturen, die eine stationäre Behandlung erforderten, mit einer FRI einhergingen. Über den Verlauf des letzten Jahrzehnts wurde zudem eine leichte Zunahme der Inzidenz von 5556 Fällen (8,4 pro 100.000 Einwohner) auf 7253 Fälle (10,7 pro 100.000 Einwohner) verzeichnet [1]. Hiervon betreffen lediglich 10–13 % die obere Extremität [2, 3]. Als Ursachen hierfür können die niedrigere Rate an offenen Frakturen an der oberen Extremität, geringeres Weichteiltrauma insgesamt, aber auch die gerade im Alter besser erhaltene Durchblutung resp. die geringere Häufigkeit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) an der oberen Extremität angesehen werden.

Weltweit kann mit einer weiteren Zunahme der FRI-Inzidenz gerechnet werden. Innerhalb des letzten Jahrzehnts wurde bereits eine Zunahme von proximalen Humerusfrakturen (61.606, +10 %), Humerusschaftfrakturen (12.368, +14 %), distalen Humerusfrakturen (7192, +9 %), sowie des proximalen Radius (8423, +19 %) verzeichnet. Steigende Lebenserwartung, häufiger auftretende osteoporotische Frakturen und operative Eingriffe zur Frakturversorgung sind die Gründe für diese Annahme [4].

Definition

Die FRI ist ein komplexes Krankheitsbild, das in der Literatur oft unter verschiedenen Synonymen wie posttraumatische Osteomyelitis, implantatassoziierte Infektion oder infizierte Pseudarthrose beschrieben wird [5]. In der Vergangenheit fehlte es oft an klaren Definitionen, was dazu führte, dass Diagnosekriterien häufig aus Studien zu periprothetischen Infektionen abgeleitet wurden [6]. Dieses Problem wurde nochmals in einem systematischen Review im Jahr 2018 hervorgehoben, bei dem nur 2 % von 100 eingeschlossenen randomisiert-kontrollierten Studien eine valide Definition für Infektionen nach Frakturen aufwiesen [7]. Als Reaktion darauf wurde im selben Jahr eine Konsensusdefinition für FRI entwickelt und von Expertengruppen, darunter Vertreter internationaler Gesellschaften wie der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) und der European Bone and Joint Infection Society (EBJIS), konfirmatorische und suggestive Kriterien festgelegt (Tab. 1) [8].

Diagnostik

Die klinische Routinediagnostik
unterscheidet sich an der oberen
Extremität nicht von anderen anatomischen Regionen. Folgendes sollte hierbei in der täglichen Praxis beachtet werden:

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung ist von essenzieller Bedeutung und bildet die Grundlage der Diagnostik. Allerdings kann die Diagnostik bei nicht vorhandenen konfirmatorischen Kriterien (Tab. 1) schwierig sein. Einzelne klinischen Zeichen einer Infektion, die als suggestive FRI-Parameter gelten, sind relativ selten: Rötung 54 %, lokale Wärme/Calor 21 %, Schwellung/Tumor 46 %, Schmerz/Dolor 49 %, neu aufgetretener Gelenkerguss 8 %, Wundabfluss 44 %, Fieber ? 38,3 °C 12 % [13]. Somit sind weitere diagnostische Maßnahmen von Bedeutung.

Laborchemische Untersuchung

Parameter wie die Leukozytenzahl, C-reaktives Protein (CRP) und Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) wurden auf ihre diagnostische Nützlichkeit bei der Identifizierung einer FRI untersucht. Diese Marker sind jedoch nicht spezifisch, da sie nicht nur bei einer Infektion, sondern auch nach Trauma oder in verschiedenen anderen entzündlichen Zuständen erhöht sein können. Zusätzlich können sie auch bei chronischen oder späten Infektionen innerhalb des Normbereichs liegen. Das CRP gilt als zuverlässigster laborchemischer Indikator, jedoch sind seine Sensitivität und Spezifität gemäß einer gründlichen Prüfung der verfügbaren Literatur nur mäßig zuverlässig [9]. Folglich kann durch laborchemische Marker das Vorhandensein einer Infektion nicht definitiv bestätigt oder ausgeschlossen werden.

Radiologische Bildgebung

Zu Beginn sollten Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen angefertigt werden. Diese ermöglichen die Beurteilung der Frakturheilung und der Lage der Implantate. In späteren Infektionsstadien können gelegentlich spezifische Anzeichen einer chronischen Osteomyelitis im nativen Röntgenbild erkannt werden, dazu gehören periostale Reaktionen, kortikale Erosionen, fokale Osteopenie und Osteolysen [10]. Es ist ebenso wichtig, neben dem Knochen auch das Weichteilgewebe in den nativen Röntgenbildern zu evaluieren. Eventuelle Schwellungen oder klare Umrisse im Weichteilbereich können wichtige Hinweise liefern und weitere diagnostische Maßnahmen notwendig machen. In solchen Fällen kommen dann bildgebende Verfahren wie die Computertomographie (CT) und die Magnetresonanztomographie (MRT) zum Einsatz.

Die CT eignet sich besonders gut zur Beurteilung des Knochenstatus. Sie liefert präzise Informationen über den Knochen, einschließlich möglicher Weichteilinfiltration, Abszesse, periostale Reaktionen und Gasansammlungen. Darüber hinaus unterstützt die CT bei der Einschätzung der Knochenkonsolidierung und ermöglicht eine genaue Darstellung von Knochendefekten, was für die Operationsplanung von großer Bedeutung ist. Allerdings kann die Anwesenheit von metallischen Implantaten aufgrund von Artefakten die Bildbewertung beeinträchtigen. Ähnliche Beschränkungen gelten auch für die MRT in Anwesenheit von Implantaten, obwohl hier bereits spezielle Techniken entwickelt wurden, um diese Problematik zu minimieren. Die MRT bietet Vorteile gegenüber röntgenbasierten Bildgebungsverfahren, insbesondere in Bezug auf eine bessere Visualisierung von Weichteilstrukturen, die Beurteilung des Knochenmarks und die frühzeitige Erkennung akuter Entzündungen. Bei der MRT sind Sequenzen mit kurzer Tau-Inversionserholung (STIR) besonders hilfreich, um Fettsignale zu unterdrücken und erhöhte Flüssigkeitsansammlungen im Knochen und Weichteilgewebe zu erkennen [11]. Gadolinium-Kontrastmittel können ebenfalls verwendet werden, um die Signaldifferenzierung in der MRT zu verbessern. Es bleibt jedoch eine Herausforderung, zwischen reaktiver Schwellung und Entzündung in der MRT zu unterscheiden, was oft zu einer Überschätzung des Ausmaßes oder der Schwere des Osteomyelitis-Herdes führt [12].

Nuklearmedizinische Verfahren wie die dreiphasige Skelettszintigrafie, Leukozytenszintigrafie und 18F-Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomographie/CT (18F-FDG PET/CT) können ebenfalls zur Beurteilung von FRI eingesetzt werden. Diese Techniken nutzen die von der betroffenen Stelle ausgehende Strahlung zur Erzeugung diagnostischer Bilder, wobei das 18F-FDG PET/CT als Hybridmethode die Präzision der CT-Bildgebung mit der Positronenemissionstomographie verbindet. Die 18F-FDG PET/CT hat eine hohe diagnostische Genauigkeit (Sensitivität von 0,89, Spezifität von 0,80), ist jedoch hinsichtlich der Verfügbarkeit eingeschränkt [13].

Mikrobiologische Diagnostik

Um die mikrobiologische Diagnostik zu optimieren, wird empfohlen, anstelle der in der Vergangenheit üblichen Entnahme intraoperativer Abstriche, 3–5 Gewebeproben aus dem infektionsverdächtigen Gewebe in der Nähe der Frakturstelle zu entnehmen. Ein standardisiertes Protokoll sollte im chirurgischen Routineablauf integriert sein. Um Kreuzkontaminationen zu vermeiden, sollten die Gewebeproben mit separaten, sterilen chirurgischen Instrumenten unter Verwendung einer berührungslosen Technik entnommen werden [14].

Histopathologische
Untersuchung

Die histopathologische Untersuchung von infiziertem Gewebe, welches intraoperativ entnommen wird, gehört zum diagnostischen Standard. Mindestens eine Probe sollte aus der Frakturregion entnommen werden. Die Autorinnen und Autoren raten zudem zur Entnahme einer Probe aus dem Plattenlager und dem infizierten Weichteilgewebe. Bei der pathologischen Untersuchung selbst gelten aktuell zum einen das Vorhandensein mithilfe spezieller Färbetechniken sichtbare Mikroorganismen in tiefen Gewebeproben als entscheidendes Kriterium für die Diagnosesicherung, zum anderen wird die Anzahl der polymorphkernigen neutrophilen Granulozyten (PMNs) in einer gewissen Region sich zur Diagnostik zu Nutze gemacht. Es sollten 10 Hauptgesichtsfelder (High power fields, HPF) untersucht werden. Bei 5 oder mehr PMNs pro HPF kann von einer FRI ausgegangen werden [15].

Therapie

Interdisziplinärer Ansatz

Jegliche FRI, ob an der oberen oder unteren Extremität, sollte möglichst im interdisziplinären Austausch behandelt werden. Dies umfasst die
Beurteilung der Weichteilsituation, der lokalen Durchblutung, das Management von Grunderkrankungen wie z.B. Diabetes Mellitus, die speziellen Bedürfnisse älterer Patientinnen und Patienten, sowie die psychische Verarbeitung der Infektion und Funktionseinschränkungen, bis hin zur mehrwöchigen antibiotischen Therapie. In Anbetracht dieser Vielschichtigkeit erscheint die Einbindung verschiedener Fachdisziplinen sinnvoll. Die Einrichtung von multidisziplinären Gremien, wie beispielsweise eines „Infektionsboards“ oder eines „Extremitätenboards“, ähnlich den Tumorboards in der Onkologie, sowie regelmäßige gemeinsame interdisziplinäre Visiten stellen bewährte Maßnahmen dar, um Diagnose und Therapie im besten Interesse der Patientin/des Patienten eng und effizient abzustimmen [16]. Die Wirksamkeit einer strukturierten interdisziplinären Therapie bei FRI wurde anhand von signifikant verringerten Revisions- und Amputationsraten nachgewiesen [17].

Allgemeine Aspekte der
chirurgischen und
antibiotischen Therapie

Die Therapie einer FRI sollte grundsätzlich immer eine Kombination aus chirurgischem Eingriff und antibiotischer Behandlung umfassen. Wenn
eine FRI durch die oben genannten bestätigenden Kriterien festgestellt wird oder wenn aufgrund der angedeuteten Parameter der Verdacht auf eine FRI besteht, müssen verschiedene Fragen berücksichtigt werden, die die Therapie maßgeblich beeinflussen (Tab. 2). Ein Unterschied zwischen FRIs und periprothetischen Infektionen liegt darin, dass die eingesetzten Implantatmaterialien nur vorübergehend benötigt werden und nach
erfolgreicher Frakturheilung entfernt werden können. Dies steht im Gegensatz zur Endoprothetik, bei der es sich um dauerhafte Implantate handelt und eine Entfernung derselben nicht möglich ist. Die Akuität der FRI, also die Dauer der bestehenden Infektion nach der Fraktur findet ebenfalls Beachtung, da mit zunehmender Dauer der Infektion Bakterien reife Biofilme bilden und sich so vor Antibiotika schützen können [8]. Es gibt keine klare zeitliche Grenze zwischen akuten und chronischen Infektionen. Daher wird in der aktuellen Konsensusdefinition zwischen akuten (< 3 Wochen), verzögerten (3–10 Wochen) und chronischen Infektionen (> 10 Wochen) unterschieden [5]. Die Relevanz dieser Einteilung ist jedoch fraglich, da sich das nachgewiesene Keim- und Resistenzspektrum zwischen den einzelnen Zeiträumen nicht ändert und auch chirurgische Resultate nicht von der Infektionsdauer abhängen [2].

Weichteil- und Knochendefekte stellen eine besondere Herausforderung bei der Behandlung von FRIs dar. Eine ausreichende Weichteilabdeckung des Knochens ist entscheidend für die Heilung. Bei Unsicherheiten darüber, ob eine plastische Deckung erforderlich ist, sollte frühzeitig Expertise aus der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie eingeholt werden, um ein individuelles Therapiekonzept für die Patientin/den Patienten zu erstellen. Knochendefekte können entweder mit einem ein- oder zweizeitigen Konzept behandelt werden. Bei einem einzeitigen Vorgehen wird der Defekt nach der Entfernung von nekrotischem Weichteil- und Knochengewebe durch
Debridement mit Autograft oder Knochenersatzmaterial, idealerweise mit Antibiotikabeimischung, aufgefüllt. Bei FRIs mit größeren Knochendefekten, auch als „critical size defects“ bezeichnet, kommen entweder die Masquelet-Technik zum Einsatz, die auf einem zweistufigen Vorgehen basiert, oder Segmenttransportverfahren mittels externer Fixateur-Systeme. Die in frühen Zeiten empfohlenen Etappen-Debridements, mit Intervallen von ca. 48 Stunden, oder Debridements bis zum Erhalt von 3 negativen Wundabstrichen, gelten mittlerweile als obsolet und sollten nicht mehr zur Anwendung kommen. Einerseits wurde gezeigt, dass wiederholte Debridements zu Keimwechseln während der chirurgischen Therapie führen [18]. Andererseits sind Wundabstriche insbesondere unter antibiotischer Therapie nicht empfindlich genug, um eine Verbesserung der Infektion anzuzeigen [14]. Daher raten wir zu einem sogenannten zielgerichteten einzeitigen Therapieansatz. Ein zweizeitiges (oder mehrzeitiges) Procedere wird nur in Fällen von komplizierenden Faktoren wie großen Knochendefekten, einem notwendigen Weichteilersatz oder Infektionen mit speziellen Bakterienstämmen verfolgt. Letztere sind sogenannte „difficult-to-treat“ Erreger (Bakterien mit Resistenz gegenüber biofilmwirksamen Antibiotika, wie z.B. Rifampicin bei Staphylokokken bzw. Chinolonen bei gram-negativen Erregern) oder aber auch Pilzinfektionen.

Infektionsverursachende Erreger sind in der Regel zunächst unbekannt. Daher sollte direkt nach der Entnahme der Gewebeproben aus der Frakturzone bei FRI eine empirische antibiotische Therapie mit Ampicillin/Sulbactam und Vancomycin begonnen werden. Ein Abwarten mit der Gabe von Antibiotika bis zum Vorliegen mikrobiologischer Ergebnisse sollte unbedingt vermieden werden [19]. Die antibiotische Therapie bei einliegenden Implantaten sollte 12 Wochen betragen, um so das Implantat – bildlich gesprochen – vor der Besiedlung mit Erregern und Biofilmbildung abzuschirmen. In dieser Zeit ist die Fraktur in der Regel verheilt. Kommt es nach Absetzen der antibiotischen Therapie zu einer erneuten Infektion, kann bei verheilter Fraktursituation, das Implantat entfernt werden.

Besonderheiten an der
oberen Extremität

Gelenkfrakturen

Bei Gelenkfrakturen, wie z.B. einer proximalen Humerusfraktur oder bei Frakturen des Ellenbogens, müssen unbedingt die angrenzenden Gelenke hinsichtlich einer begleitenden septischen Arthritis, mit evaluiert werden. Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss entschieden werden, ob ein implantatherhaltendes Vorgehen möglich und sinnvoll ist. Das sogenannte DAIR (debridement, antibiotics, implant retention) zeichnet sich durch ein gründliches Debridement der Infektregion, die Gabe von Antibiotika (systemisch und lokal) und den Erhalt des einliegenden Implantates aus. Voraussetzung hierfür ist die Stabilität der Osteosynthese und der adäquaten Reposition und Stellung der Fraktur, die eine Heilung der Fraktur erwarten lässt. Alternativ kann ein einzeitiges Vorgehen mit Wechsel des Osteosynthesematerials erwogen werden. Hierbei muss die Frakturreposition gesichert und die Reosteosynthese entsprechend im Knochen sicher verankert werden können.

Bei begleitender septischer Arthritis des angrenzenden Gelenks, z.B. des Gleno-Humeralgelenks bei der proximalen Humerusfraktur, muss das Gelenk gespült und synovektomiert werden. Der weitere Verlauf der FRI ist entscheidend von der Kontrolle des Gelenkinfektes abhängig. Zudem spielt auch bei beherrschter Infektion die Vitalität des Kopffragmentes für ein gelenkerhaltendes Vorgehen eine entscheidende Rolle. Bei persistierender Gelenkinfektion bzw. einer sich abzeichnenden Humeruskopfnekrose ist eine Konversion auf eine Gelenkendoprothese sinnvoll (Abb. 1). Bei nicht kontrollierbaren Infektionen bei einliegendem Implantat ist auch eine Sine-Plastik eine Möglichkeit, um die Infekteradikation zu erzielen. Wie so oft in der septischen Chirurgie kann hiermit zwar die Infekteradikation erzielt werden, allerdings ein gewünschtes, funktionell zufriedenstellendes Ergebnis trotz Infekteradikation mit einem solchen Salvageverfahren allerdings nicht bewerkstelligt werden.

Knochendefekte

Im Gegensatz zur unteren Extremität tragen die Arme keine Last. Dies hat verschiedene Vorteile, die man sich bei der Therapie zu Nutze machen kann.

Knochendefekte kleineren Ausmaßes können am Oberarmschaft durch eine Verkürzung behandelt werden. Die Defektzone wird reseziert und der Knochen vor der osteosynthetischen Versorgung aufeinandergestellt. Hierdurch kann eine deutliche Verkürzung der Therapiedauer erzielt werden. Wenige Zentimeter Verkürzung des Oberarmes werden von den Patientinnen und Patienten gut toleriert und sind im Alltag wenig beeinträchtigend. Die Vorteile einer solchen Therapie müssen selbstverständlich ausführlich mit den betroffenen Patientinnen und Patienten vor Therapiebeginn erörtert und die kosmetischen Konsequenzen besprochen werden.

Aufgrund der geringeren mechanischen Belastung lassen sich externe Monorail-Fixateursysteme ohne zusätzliche interne Fixation anwenden, wie es bei der rail-over-nail-Technik an der unteren Extremität üblich ist. Hierbei wird über eine Fixateurschiene ein Segmenttransfer bewerkstelligt, um größere Knochendefekte zu rekonstruieren. Da das Körpergewicht gerade bei Femur oder Tibiadefekten die Belastbarkeit eines Schienen-Fixateur externe übersteigt, muss hier in der Regel mit einem intramedullärem Implantat der Knochen zusätzlich stabilisiert werden und so eine Leitschiene für das zu transferierende Segment etabliert werden. An der oberen Extremität wirken geringere Kräfte, ein intramedulläres Implantat ist bei Defektrekonstruktionen mit externen Fixateuren in der Regel nicht notwendig. Ringfixateure sind am Arm aufgrund der dadurch entstehenden Behinderung kein probates Therapiemittel.

Intramedulläre Implantate

Bei einliegenden intramedullären Implantaten wie Marknägeln oder ESINs (elastic stable intramedullary nails) sollte bei einer FRI immer eine Entfernung des infizierten Implantates erfolgen. Ein implantaterhaltendes Vorgehen (DAIR) ist bei im Markraum einliegendem Osteosynthesematerial nicht sinnvoll, da ein Debridement nicht adäquat durchführbar ist [20]. Bei weiterer notwendiger Stabilisierung der Fraktur ist nach Entfernung des Osteosynthesematerials und gründlichem Markraumdebridement mittels Markraumaufbohrung und Spülung mit reichlich Kochsalzlösung notwendig. Eine erneute Osteosynthese durch ein neues intramedullares (Nagel-Reosteosynthese) oder extramedulläres Implantat komplettiert sodann das einzeitige Vorgehen.

Cutibactierum acnes


Besonderheiten bei Diagnostik und Therapie

In Bezug auf die Prävalenz der infektionsverursachenden Pathogene in den oberen und unteren Extremitäten wurden keine signifikanten Unterschiede in der Verteilung von Staphylococcus aureus, Staphylococcus epidermidis und anderen Koagulase-negativen Staphylokokken festgestellt [21]. Hingegen hat sich in den letzten Jahren zunehmend Cutibacterium acnes (ehemals Propionibacterium acnes) als potenzieller Erreger bei Knochen- und Gelenkinfektionen herausgestellt. Cutibacterium acnes wird vorwiegend im Bereich der oberen Extremität isoliert, wobei eine signifikante Diskrepanz von 24,5 % im Vergleich zu nur 1,4 % an der unteren Extremität beobachtet wurde [21]. Dieses Phänomen lässt sich durch das natürliche Vorkommen von C. acnes in den Talgdrüsenfollikeln der Haut erklären, weshalb dieses häufiger in der Schulterregion beobachtet wird als auf der Haut der Knie- oder Hüftregion [22]. C. acnes stellt eine diagnostische Herausforderung dar, da es eine lange Inkubationszeit von 14–17 Tagen benötigt, um ein positives Kulturergebnis zu liefern. Die Diagnose einer C. acnes-Infektion erfordert daher die mikrobiologische Untersuchung auf aeroben und anaeroben Nährmedien über einen Zeitraum von bis zu 3 Wochen [23], so dass bei der Anforderung der mikrobiologischen Untersuchung auf die anatomische Lokalisation und auch eine mögliche C. acnes-Infektion hingewiesen werden sollte. Da die C. acnes-Infektion in der Regel oftmals klinisch inapparent verläuft, ist auch das Routinelabor hinsichtlich der Infektionsparameter wie die BSG, CRP und der Leukozytenzahl unauffällig [24].

Die Behandlung von C. acnes-Infektionen gestaltet sich komplex, da die Bakterien zwar gegenüber einer breiten Palette von Antibiotika empfindlich sind, jedoch zunehmend Resistenzen gegen einige dieser Wirkstoffe, einschließlich Makroliden, Clindamycin, Doxycyclin, Minocyclin und Trimethoprim-Sulfamethoxazol entwickeln [25]. Bei biofilmbedingten Infektionen sind Vancomycin, Levofloxacin und Clindamycin weniger wirksam, während Rifampicin, Daptomycin und Ceftriaxon in Tiermodellen biofilmaktive Eigenschaften, auch gegen C. acnes-Infektionen gezeigt haben. Auch in Kombination besitzen Rifampicin und Levofloxacin eine gute Wirksamkeit [25]. Die empfohlene Behandlung besteht aus einer initialen intravenösen Therapie mit Benzylpenicillin oder Ceftriaxon, gefolgt von einer oralen Kombinationstherapie mit Rifampicin und Amoxicillin, Doxycyclin oder Chinolonen [21].

Outcomeanalyse an der
oberen Extremität – PROMs

Die Messung und Bewertung von Gesundheitszuständen und Behandlungsergebnissen in der Medizin hat sich in den letzten Jahren zunehmend auf die Einbeziehung von PROMs (Patient-reported Outcome Measures) verlagert. Die Verwendung von PROMs in der Forschung und Praxis im Bereich der FRI eröffnet die Möglichkeit, nicht nur klinische, sondern auch patientenzentrierte Ergebnisse zu erfassen. Dies trägt dazu bei, eine umfassendere Beurteilung dieser komplexen Erkrankung zu ermöglichen und die Qualität der Versorgung von FRI-Patientinnen und -Patienten nachhaltig zu verbessern.

Für die obere Extremität hat sich gezeigt, dass bei der proximalen Humerusfrakturen (n = 66) der Disabilities of the Arm, Shoulder and Hand-Fragebogen [27] (DASH-Score, 38 %) am häufigsten verwendet wurde, gefolgt vom American Shoulder and Elbow Surgeons Score [28] (ASES, 30 %) und dem Simple Shoulder-Test [29] (SST, 17 %) [30]. Obwohl es derzeit keine spezifischen PROMs gibt, die ausschließlich auf FRI ausgerichtet sind, bieten diese Messinstrumente, da sie darauf abzielen, die spezifischen Funktionen, Symptome und Einschränkungen in der oberen Extremität zu erfassen, eine präzisere Beurteilung der Auswirkungen und Langzeitfolgen für die Patientinnen/die Patienten durch FRI in diesem Bereich. Die Integration von PROMs sollte daher als wertvolles Werkzeug betrachtet werden, um eine ganzheitliche und patientinnen-/patientenorientierte Herangehensweise bei der Behandlung von frakturassoziierten Infektionen der oberen Extremität in der Zukunft zu fördern.

Fazit

Frakturassoziierte Infektionen der oberen Extremität sind relativ selten. Neben allgemeinen Grundsätzen der Diagnostik und Therapie der FRI müssen bei der Therapie insbesondere Infektionen mit C. acnes beachtet werden. In der chirurgischen Therapie sind Verkürzungen des Humerusschaftes um wenige Zentimeter bei knöchernen Defekten ein probates Mittel. Bei Gelenkfrakturen muss die Möglichkeit eines implantaterhaltenden Verfahrens resp. eines einzeitigen Wechsels des Implantates im Rahmen des chirurgischen Debridements gegenüber Gelenkersatzverfahren abgewogen werden. Letztere sollten, wenn nötig, in einem zwei- oder mehrzeitigen Vorgehen vorgenommen werden.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Markus Rupp

Klinik und Poliklinik für
Unfallchirurgie

Universitätsklinikum Regensburg

93053 Regensburg

markus.rupp@ukr.de

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5