Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018
Gelenkerhaltende operative Therapiemöglichkeiten bei Arthrose
Damit stellen zunehmendes Lebensalter und weibliches Geschlecht die wesentlichen Risikofaktoren für die Ausbildung einer späteren Arthrose an allen Gelenken dar. Dieses „normale Risiko“ bezieht sich auf die idiopathischen Formen der Arthrose (sogenannte primäre Arthrose).
Obwohl es offensichtlich eine gewisse Disposition für die Entstehung einer primären Arthrose, insbesondere einer Polyarthrose gibt, konnte bislang weder ein „Arthrose-Gen“ identifiziert werden noch konnten ethnische Besonderheiten für die Entstehung dieses Krankheitsbilds sicher nachgewiesen werden [5].
Verschiedene Faktoren können jedoch das „normale Arthroserisiko“ signifikant erhöhen. Hackenbroch prägte für solche sekundären Risikofaktoren den Begriff der „präarthrotischen Deformierung“ [6]. Liegen solche Risikofaktoren eindeutig vor, so hat sich heute für diese Form der Arthrose der Begriff der „sekundären Arthrose“ etabliert.
Zu solchen Deformierungen/gesicherten Risikofaktoren gehören angeborene oder erworbene Fehlstellungen, für die meisten Gelenke (auch im Bereich der oberen Extremität] die Adipositas bzw. das Übergewicht, Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, metabolische Erkrankungen (Gicht und Pseudogicht) und andere.
Hackenbroch entwickelte seine Hypothese der präarthrotischen Deformierung vor allem für das Kniegelenk. Er nahm dabei an, dass vor allem Varus-/Valgus-Fehlstellungen ein signifikanter Risikofaktor für die Gonarthrose sind. Dies hat sich jedoch – entsprechend ausführlicher Reviews – nicht bestätigen lassen [7]. Die Varus-/Vagus-Fehlstellung bei manifester Gonarthrose ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Folge der Erkrankung und nicht die Ursache. Anders sieht es bei anderen Gelenken aus. Hier spielen offensichtlich diese Deformierungen eine entscheidende Rolle, vor allem der Hüfte (Dysplasie und femoroazetabuläres Impingement).
Die wichtigste Form der sekundären Arthrose ist mit Abstand die posttraumatische Gelenk-Deformierung, dies gilt uneingeschränkt für alle Gelenke des menschlichen Körpers [8]. Für andere bislang als gesichert geltende Risikofaktoren, wie nach wie vor in vielen Lehrbüchern der Orthopädie beschrieben, gibt es keine gesicherte Evidenz. Über viele Jahre wurde angenommen, dass die erhöhte Inzidenz von Gonarthrosen bei Übergewicht/Adipositas ausschließlich auf eine biomechanische Überbelastung der Kniegelenke zurückzuführen sei. Dies steht auch in Übereinstimmung mit den epidemiologischen Untersuchungen. Allerdings haben übergewichtige Menschen auch ein signifikant höheres Risiko für Arthrosen im Bereich der oberen Extremität. Somit ist die biomechanische Überbelastung (inzwischen anerkannt) zwar ein Progressionsfaktor für die Beschwerden und möglicherweise auch für die Progredienz der strukturellen Veränderungen, keineswegs jedoch alleiniger Risikofaktor. Somit kann die Arthrose bei Vorliegen von Übergewicht/Adipositas auch als Teil des metabolischen Syndroms aufgefasst werden.
Bedingt dadurch, dass die diagnostischen Möglichkeiten der Gelenkveränderungen (fokaler Knorpelschaden, Früharthrose bis hin zur Spätarthrose) in den letzten Jahren verbessert wurden, ergeben sich folgende mögliche gelenkerhaltende Therapiekonzepte:
Behandlung präarthrotischer Deformierungen (z.B. Beseitigung des femoroazetabulären Impingements bei jungen Patienten)
Therapie von umschriebenen Knorpeldefekten durch bioregenerative Therapien
Symptomatische Behandlungen bei fortgeschrittener Arthrose (Debridement, Arthrolyse, Osteotomie).
Leitlinien und generelle
Therapieempfehlungen
Grundsätzlich ist festzustellen, dass einmal am Gelenk erlittene strukturelle Schäden irreversibel sind. Dem haben sich sämtliche therapeutische Optionen unterzuordnen. Oft kommt es zu einem Progress der Erkrankung bis hin zum Finalstadium der schweren Gelenkdestruktion.
Im Hinblick darauf, dass heute die Endoprothetik enorme Fortschritte erreicht hat (2007 wurde die Hüft-Endoprothese als die erfolgreichste Operation des Jahrhunderts eingeschätzt [11]), sind alle insbesondere operativen Maßnahmen immer unter dem Blickwinkel einer späteren notwendigen Endoprothesen-Implantation zu betrachten. Operationen, die möglicherweise die spätere Implantation einer Endoprothese erschweren bzw. unmöglich machen (z.B. Infektionen oder Narbenveränderungen) müssen dabei bedacht werden.
So ist es beispielsweise bekannt, dass über Jahre erfolgende Kortisoninjektionen in das Kniegelenk das spätere Risiko eines Infekts nach Knieendoprothese um das bis zu 10-Fache erhöhen können [12–14].
Aber auch Operationen (z.B. die lateral schließende Umstellungsosteotomie am Tibiakopf, wie sie früher vorgenommen wurde) führten zu einer späteren erschwerten Endoprothesenimplantation. Durch die heute verbesserten Möglichkeiten der medial-öffnenden Osteotomie können diese Probleme jedoch inzwischen weitgehend verhindert werden (siehe nachstehend).
Für viele Erkrankungen geben heute die medizinischen Fachgesellschaften Leitlinien vor. Diese Leitlinien basieren auf den Ergebnissen von Therapie-Studien in Abhängigkeit vom jeweiligen (objektiven) Befund. Entsprechend der Möglichkeiten werden Leitlinien in unterschiedliche Kategorien gefasst:
- S1 = informeller Konsens einer Expertengruppe
- S2k = formale Konsensfindung innerhalb einer Expertengruppe
- S2e = Evidence-Recherche innerhalb einer Expertengruppe
- S3 = Leitlinie wurde aufgrund einer systematischen Literaturrecherche unter Einschluss von randomisierter Studien und Metaanalysen erarbeitet.
Verschiedene Arthrose-Fachgesellschaften haben dazu in den letzten Jahren Leitlinien für bestimmte Gelenke erarbeitet:
OARSI (Osteoarthritis Research Society International), AAOS (American Academy of Orthopaedic Surgeons) [15, 16], EULAR (European League Against Rheumatism) [17, 18].
So hat Anfang dieses Jahres die DGOU eine überarbeitete Leitlinie für die Behandlung der Gonarthrose herausgegeben [19]. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Arthrose-Leitlinien oft nur durch formale Konsensfindung innerhalb einer Expertengruppe (S2k) erarbeitet wurden. Eine „General-Arthrose-Leitlinie“ für alle Arthroseformen, aber vor allem für den einzelnen Patienten kann es aus aus mehreren Gründen nicht geben.
Einerseits stellt sich das klinische Bild der Arthrosen der unterschiedlichen Gelenke völlig unterschiedlich dar. Während beispielsweise im Kniegelenk der Schaden am hyalinen Gelenkknorpel wesentliches pathophysiologische Moment ist, verhält es sich anders am Sprunggelenk. Hier ist der Knorpelschaden nahezu immer als osteochondrale Schädigung aufzufassen. Bei den Gelenken der oberen Extremität spielen die Weichteile eine wesentlich stärkere Rolle bei der Manifestation der Erkrankung als die Knorpelschäden.
Wesentlich bei der Beachtung der Leitlinien ist aber vor allem der Umstand, dass jeder Patient ein individuelles Beschwerdemuster, individuelle Einschränkungen seiner Funktion und vor allem individuelle Ansprüche an sein Gelenk hat.