Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023

Klavikulafrakturen
Indikationsstellung und aktuelle Therapieempfehlungen

Oliver Trapp, Christian von Rüden

Zusammenfassung:
Je nach Frakturmuster und Beteiligung des Weichteilmantels können Klavikulafrakturen operativ oder nicht-operativ behandelt werden. In der Vergangenheit wurden dislozierte Frakturen des Klavikulaschafts bei Erwachsenen nicht-operativ behandelt. Die Pseudarthroserate nach nicht-operativer Therapie scheint jedoch höher zu sein als in der Vergangenheit berichtet. Darüber hinaus häufen sich die Publikationen, die über bessere funktionelle Ergebnisse nach operativer Therapie berichten. Die aktuelle Literatur legt nahe, dass die primär operative Stabilisierung insbesondere dislozierter Frakturen eine raschere funktionelle Übungsbehandlung und somit eine frühere körperliche Erholung ermöglicht als die nicht-operative Therapie. Vorgeschlagen wird eine individuelle Behandlung unter sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile der einzelnen Therapieverfahren und der Patientinnen-/Patientenpräferenzen.

Schlüsselwörter:
Klavikula, Fraktur, Pseudarthrose, winkelstabile Platte, Hakenplatte, Evidenz

Zitierweise:
Trapp O, von Rüden C: Klavikulafrakturen. Indikationsstellung und aktuelle Therapieempfehlungen
OUP 2023; 12: 258–263
DOI 10.53180/oup.2023.0258-0263

Summary: Depending on the fracture pattern and soft tissue mantle involvement, clavicle fractures can be treated surgically or non-operatively. Historically, displaced fractures of the clavicle shaft in adults have been treated non-operatively. However, the nonunion rate after non-operative therapy seems to be higher than
reported in the past. Additionally, publications reporting better functional outcomes after surgical therapy are accumulating. The current literature suggests that primary surgical stabilization, especially of displaced
fractures, provides more rapid functional exercise treatment and thus earlier physical recovery than non-
operative therapy. Individualized treatment is suggested, with careful consideration of the advantages and
disadvantages of each therapeutic approach and patient preferences.

Keywords: Clavicle, fracture, nonunion, locking plate, hook plate, evidence

Citation: Trapp O, von Rüden C: Clavicle fractures. Indications and current treatment recommendations
OUP 2023; 12: 258–263. DOI 10.53180/oup.2023.0258-0263

C. von Rüden: Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie, Klinikum Weiden & Universitätsinstitut für Biomechanik, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg, Österreich

O. Trapp: Abteilung Rekonstruktive Unfallchirurgie und Orthopädie, BG Unfallklinik Murnau

Hintergrund

Die Klavikulafraktur stellt eine der häufigsten Frakturen des Schultergürtels dar [1, 2]. Die Verletzungsmechanismen sind vielfältig [3]. Über 80 % der Frakturen sind auf gewöhnliche Stürze zurückzuführen [4]. Bei Männern erreicht die Prävalenz von Frakturen in der ersten und zweiten
Lebensdekade ihren Höhepunkt, während die Verteilung bei beiden Geschlechtern im Laufe des weiteren
Lebens nahezu gleich ist [5]. Mit
einem Anteil von drei Vierteln betreffen die meisten Frakturen das mittlere Schaftdrittel. Es folgen Frakturen des lateralen Drittels in einem Fünftel der Fälle und Frakturen des medialen Drittels mit unter 5 % der Fälle [2]. Die Notwendigkeit einer anatomischen Rekonstruktion ergibt sich aus der Funktion der Klavikula selbst, da sie die einzige knöcherne Verbindung des Schultergürtels mit dem Rumpf ist und alle Bewegungen im Schultergelenk mit ausführt. Dabei werden bei allen Bewegungen im Schultergelenk Rotationsbewegungen im Schultereckgelenk (AC) und im Sternoklavikulargelenk (SC) ausgeführt [6].

Diagnostik

Die Frakturdiagnostik erfolgt anhand der Anamnese inklusive Unfallhergang und Unfallmechanismus. Ziel ist es dabei, eventuelle Begleitverletzungen frühzeitig zu erkennen, um die Behandlungsstrategie festzulegen. Bei der klinischen Untersuchung ist es wichtig, auf die klassischen Frakturzeichen sowie die periphere Durchblutung und Sensibilität zu achten. Ein wichtiger Aspekt der Inspektion einschließlich der Palpation ist das Erkennen einer drohenden Hautperforation der Frakturenden. In diesem Fall wird eine umgehende operative Behandlung empfohlen, um eine offene Fraktur zu verhindern. Die funktionelle Untersuchung der Fraktur ist in der Regel aufgrund der Schmerzbelastung der Patientin/des Patienten nicht möglich und sollte auch nicht forciert werden.

Stürze können in bis zu der Hälfte der Fälle für weitere Verletzungen der oberen Extremität verantwortlich sein [7]. Eine eingeschränkte glenohumerale Beweglichkeit oder anhaltende Beschwerden in der Schulterregion sollten daher zu einer weiteren Abklärung mittels Computertomographie (CT), Arthrographie, MRT oder anderen Verfahren führen. Neurovaskuläre Verletzungen sind selten, stellen aber manchmal Komplikationen dar, die eine erweiterte chirurgische Versorgung erfordern. Als zusätzliche Bildgebung hat sich zur Erkennung von Verletzungen im Bereich des Acromioclavicular (AC) -Gelenks die so genannte „Alexander“-Aufnahme bewährt, bei der die betroffene Seite der Patientin/des Patienten je nach Schmerz maximal adduziert wird [8]. Dadurch können horizontale Instabilitäten im AC-Gelenk, die
eine operative Behandlung erfordern, sichtbar gemacht werden. Diese Aufnahme ist normalerweise nicht in Akutsituationen erforderlich, sondern bezieht sich speziell auf Verletzungen des AC-Gelenks, die bei jungen und sportlichen Patientinnen und Patienten häufig operativ behandelt werden. Belastungsaufnahmen, bei denen die Patientinnen und
Patienten zur besseren Darstellung ein Gewicht auf der betroffenen Seite oder beiden Seiten tragen, werden in der Akutsituation nicht mehr empfohlen, da dies für die Patientinnen und Patienten oft schmerzhaft ist und in der Regel keinen therapeutischen Mehrwert erbringt [9]. Bei chronischen AC-Gelenkverletzungen sind sie jedoch weiterhin wichtig, da sie einen relevanten Höhenunterschied als Zeichen der Instabilität sichtbar machen. Als weitere radiologische Zusatzuntersuchung kann eine Panoramaaufnahme Informationen über die kontralaterale gesunde Seite liefern. So lässt sich bspw. eine Anhebung der lateralen Klavikula bei einer AC-Gelenkbeteiligung durch einen Seitenvergleich sicher erkennen. Dislozierte Mehrfragmentfrakturen und Pseudarthrosen stellen Indikationen für eine CT-Untersuchung dar.

Klassifikationen

Es gibt eine ganze Reihe von Klassifikationssystemen für Klavikulafrakturen [10]. Eine grobe Unterscheidung wird nach Allman zwischen medialem, mittlerem und lateralem Drittel getroffen. Neben der weiterhin allgemein gültigen Allman-Klassifikation und der AO-Klassifikation finden unter anderem die Klassifikationen nach Neer, Robinson (Edinburgh-Klassifikation), Craig sowie Nordqvist und Petersson Anwendung im klinischen Alltag [1, 11–15]. Obwohl die Allman-Klassifikation mit einer Modifikation durch Neer die am weitesten akzeptierte Klassifikation ist, hat die Edinburgh-Klassifikation in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Zusätzlich können offene Frakturen nach Gustilo und Anderson oder nach Tscherne und Oestern klassifiziert werden [16, 17]. Empfehlungen zu den bevorzugten Klassifikationen in Abhängigkeit von der Lokalisation an der Klavikula finden sich in den jeweiligen Abschnitten.

Indikationsstellung

Die Behandlungsindikationen sollten individuell auf die Patientin/den
Patienten abgestimmt sein und eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile jeder Intervention und des Patientinnen-/Patientenwunschs beinhalten [18]. Für den Entscheidungsprozess für das weitere Vorgehen ist es wichtig, individuelle Patientinnen-/Patientenfaktoren wie Alter, Aktivitätsniveau vor dem Unfall oder Begleitverletzungen und -erkrankungen zu berücksichtigen. Auch radiologische Aspekte wie die Verkürzung des Schultergürtels oder Frakturdislokation sollten mit einbezogen werden. Das Ausmaß der Frakturdislokation wurde als Hauptrisikofaktor für eine Pseudarthrosenentwicklung identifiziert, deren Inzidenz bis zu 15 % beträgt. Weitere Risikofaktoren stellen multifragmentäre Frakturen und eine Verkürzung der Klavikula um mehr als 2 cm dar. Die Inzidenz der Pseudarthrosenentwicklung nach verkürzten dislozierten mehrfragmentären Frakturen stieg signifikant auf bis zu 33 % an [19].

Die konservative Therapie der Klavikulafraktur ist häufiger mit unerwünschten Ereignissen wie einer symptomatischen Pseudarthrose oder Schultersteifigkeit verbunden. Nichtsdestotrotz stellt sie nach wie vor den Goldstandard mit guten bis besonders guten Ergebnissen bei nicht dislozierten oder minimal verschobenen Frakturen und bei pädiatrischen Frakturen dar. Die Pseudarthrosenrate lateraler und medialer Klavikulafrakturen ist nach konservativer Therapie deutlich höher als die von Schaftfrakturen und beträgt bis zu 13 % für die laterale Klavikulafraktur und bis zu 9 % für die mediale Klavikula [7].

Die operative Behandlung scheint keinen relevanten Zusatznutzen in Bezug auf Funktion, Schmerzen und
Lebensqualität im Vergleich zur nicht-operativen Behandlung zu haben [18]. Daher kann sie nur bei gleichzeitigen neurovaskulären Schäden, offenen Frakturen oder stark verschobenen Frakturen mit einem erheblichen Risiko für eine sekundäre Hautperforation oder bei Trümmerfrakturen des Schultergürtels mit Beteiligung des oberen Schultergelenkkomplexes in Betracht gezogen werden, da eine Diskontinuität zu einem instabilen Schultergürtel führt [20–22].

Dass die operative Stabilisierung von Klavikulafrakturen zunehmend durchgeführt wird, lässt sich zum einen durch die zunehmende Prävalenz von Klavikulafrakturen und sicherlich auch durch die Zuverlässigkeit der modernen Osteosynthesematerialien und die damit verbundenen guten funktionellen Resultate erklären [23]. Die Behandlung von Klavikulafrakturen zielt darauf ab, eine Verkürzung des Knochens zu vermeiden, da diese zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führen kann. Es besteht Konsens darüber, dass eine Klavikulaverkürzung von mehr als 20 mm zu chronischen Schmerzen und Beschwerden führt. Daher sollte eine Verkürzung von mehr als 14 mm bei Frauen und 18 mm bei Männern nicht akzeptiert werden (Abb. 1a). Bei jungen Patientinnen und Patienten gilt eine Verkürzung von bis zu 10 mm als tolerabel [6, 24–26]. Ein weiteres Ziel ist die Vermeidung einer Pseudarthrosenentwicklung, da sie zu Instabilität und Schmerzen führen kann und operative Revisionseingriffe erfordert [27].

Bei der Entscheidungsfindung können sowohl operative als auch nicht-operative Behandlungskonzepte abgewogen und mit dem Patientinnen und Patienten besprochen werden, wobei etwaige Komorbiditäten besonders zu berücksichtigen sind [28]. Außerdem müssen Faktoren wie Nikotinabusus oder Diabetes, die einen komplikationsfreien Heilungsprozess stören, bereits vor einem chirurgischen Eingriff berücksichtigt und aktiv angegangen werden [29, 30].

Biomechanik

Die Entwicklung anatomisch präformierter winkelstabiler Plattensysteme und das zunehmende Bewusstsein für die Blutversorgung der Klavikula sowie der Fokus auf biomechanische Faktoren führten zuletzt zu einer deutlichen Verringerung der Pseudarthroseraten [31–34]. Diese erfreuliche Entwicklung wurde durch die erhöhte Stabilität der winkelstabilen Formplatten und das Fixateur-interne-Prinzip erklärt, jedoch nicht unbedingt durch deren anatomische Passform. Die
Erhaltung des periostalen Blutflusses durch die Vermeidung einer großflächigen Ablösung des Periosts und der begrenzte Kontakt der winkelstabilen Platte unterstützen zudem den ungestörten Frakturheilungsprozess [35]. Für die biomechanische Primärstabilität erscheint jedoch die sichere Verschraubung von mindestens 6 Corticalices in jedem Hauptfrakturfragment wichtiger als die Winkelstabilität (Abb. 1b).

Materialentfernung

Was die Osteosynthesematerialentfernung angeht, so ist in der Praxis zumindest in Deutschland die Metallentfernung derzeit bei entsprechendem Patientinnen-/Patientenwunsch indiziert, der u.a. meist vom funktionell störenden Implantat herrührt. Solche Einschränkungen werden von den Patientinnen und Patienten etwa beim Rucksacktragen wahrgenommen. Die Metallentfernung sollte aufgrund der bekanntlich erhöhten Re-Frakturrate frühestens 18 Monate postoperativ durchgeführt werden [36].

Klavikulafrakturen des
mittleren Drittels

Die Klassifikationen nach Arbeitsgemeinschaft Osteosynthese (AO), Robinson („Edinburgh“) und Neer werden am häufigsten für Frakturen des mittleren Klavikuladrittels verwendet [1, 12]. Bei allen handelt es sich um anatomische Klassifikationen. Der Vorteil der Edinburgh-Klassifikation besteht darin, dass sie bei Frakturen im mittleren Drittel einen Zusammenhang mit den klinischen Ergebnissen gezeigt hat [12]. Obwohl die Heilungsraten bei Erwachsenen im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen schlechter sind, bestehen nach wie vor gute Indikationen für die nicht-operative Behandlung [37]. Neben einer insgesamt hohen Heilungsrate zeigten Frakturen der mittleren Klavikula mit geringer oder gar keiner Verschiebung ein ausgezeichnetes klinisches Ergebnis nach drei- bis vierwöchiger belastungsfreier Ruhigstellung mit langsamen aktiven Bewegungen bis zu 90°-Abduktion und -Anteversion sowie Übergang zur Vollbelastung nach 6 Wochen [38, 39]. Andererseits sind dislozierte Frakturen im mittleren Drittel mit Pseudarthroseraten von bis zu 15 % nach nicht-operativer Therapie verbunden, und auch die klinisch-funktionellen Ergebnisse waren bei einer Verschiebung um mehr als eine Schaftbreite schlechter [40]. In neueren Studien wurde berichtet, dass die winkelstabile Plattenosteosynthese das Risiko einer Pseudarthrose zwar signifikant reduziert, jedoch keinen relevanten klinischen Vorteil gegenüber der konservativen Therapie hat [41]. Außerdem war nach beiden Behandlungskonzepten in der Regel eine Revisionsoperation erforderlich. Im Vergleich der nicht-operative Behandlung mit der winkelstabilen Plattenosteosynthese und der elastisch-stabilen Marknagelung fanden sich vergleichbare Pseudarthroseraten für beide operative Verfahren, jedoch signifikant höhere Pseudarthroseraten in der nicht-operativen Behandlungsgruppe [25]. Fehlende anatomische Reposition, mehrfragmentäre Fraktursituation, Frakturdislokation und Nikotinabusus wurden als Risikofaktoren für die Entwicklung einer Pseudarthrose identifiziert.

Aus biomechanischer Sicht hat jede Art der Frakturfixierung Vor- und Nachteile. Die genauen Schwellenwerte der Steifigkeit zur Einleitung der Heilung und die Versagensfestigkeit zur Vermeidung von Re-Frakturen sind noch unbekannt [42]. Die Verriegelungsplattenfixation ist insbesondere bei Trümmerfrakturen stabiler als die elastisch-stabile intramedulläre Schienung und weist im Vergleich zu dieser eine bessere Rotationsstabilität auf [43]. Die Ergebnisse dieser Techniken in Bezug auf klinische Ergebnisse, Operationsdauer und Komplikationsraten wiesen keine signifikanten Unterschiede auf [44, 45]. In einer erheblichen Anzahl der Fälle wurde nach offener Reposition und interner Fixierung (ORIF) allerdings eine Dysästhesie bzw. Hypästhesie in einem Hof um die Narbe herum beobachtet. Re-Frakturen nach Osteosynthesematerialentfernung sind bei der Plattenfixierung wahrscheinlicher als bei der elastisch-stabilen intramedullären Nagelung. Außerdem wurde bei der superioren Plattenlage eine ähnliche Konstruktfestigkeit gemessen wie bei der anterior-inferioren Plattenlage [46]. Die Frage, ob die Plattenosteosynthese oder die elastisch-stabile intramedulläre Nagelung eindeutig überlegen ist, kann auch nach einer systematischen Durchsicht der neuesten Literatur nicht schlüssig beantwortet werden [47]. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die operative Behandlung eine frühzeitige funktionelle Nachbehandlung ermöglicht und dadurch zu einer schnelleren Rückkehr zum vorherigen Aktivitätsniveau führt [47, 48]. Andererseits gibt es immer noch nicht genügend Belege dafür, dass die operative Behandlung routinemäßig bei allen Patientinnen und Patienten mit dislozierter Klavikulafraktur im mittleren Drittel durchgeführt werden sollte.

Mediale Klavikulafrakturen

Es gibt nach wie vor keine eindeutigen Hinweise für die beste Behandlung von Frakturen der medialen Klavikula [1, 49]. Die AO- und die Edinburgh-Klassifikation erscheinen für diese Frakturen am besten geeignet [1]. Die Edinburgh-Klassifikation ist ein vereinfachtes Klassifizierungssystem und hat, wie oben bereits erwähnt, einen prädiktiven Wert in Bezug auf das funktionelle Ergebnis. Insofern kann sie als erste Wahl zur Klassifizierung medialer Klavikulafrakturen empfohlen werden.

Gemäß der bislang spärlichen Literatur kann folgender Behandlungsalgorithmus vorgeschlagen werden: Undislozierte und um weniger als
1 Schaftbreite verschobene Frakturen mit akzeptabler Achsausrichtung und ausreichendem Knochenkontakt des Typs 1A nach der Edinburgh-Klassifikation werden als stabil angesehen und nicht-operativ behandelt. Verkürzungen von mehr als 2 cm sollten nicht toleriert werden. Indikationen für operatives Vorgehen beinhalten eine Dislokation um mehr als 1 Schaftbreite (Typ B-Frakturen nach Edinburgh-Klassifikation), offene Frakturen, dislozierte intraartikuläre Frakturen, Frakturen mit neurovaskulärer Beteiligung sowie Folgezustände wie die symptomatische verzögerte Frakturheilung oder Pseudarthrose [50]. Die nicht-operative Behandlung umfasst die Ruhigstellung in einer Schulterschlinge für 6 Wochen [51, 52]. Die Schlinge bietet der Patientin/dem Patienten vor allem in der Anfangsphase Komfort. Nach Abklingen der Symptome kann im Rahmen einer frühzeitigen Physiotherapie mit belastungsfreien passiv-assistiven Übungen einschließlich Abduktion und Anteversion des Arms bis 90° für 6 Wochen begonnen werden.

Je nach Literaturangabe wurden nach Frakturen der medialen Klavikula Pseudarthrosen in bis zu 15 % der Fälle festgestellt. Weiterhin wurde berichtet, dass etwa die Hälfte dieser Patienten ein Jahr posttraumatisch symptomatisch waren [53]. Die funktionellen Langzeitergebnisse waren allerdings gut bis ausgezeichnet [54, 55]. Die Indikation zur ORIF bei um mehr als 1 Schaftbreite verschobenen Frakturen der medialen Klavikula wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Obwohl dislozierte mediale Klavikulafrakturen nach operativer Therapie in bis zu einem Fünftel der Fälle zu einer Pseudarthrose führten [56], sollte die operative Behandlung gemäß der neuesten Literatur erwogen werden [54, 55, 57]. Es sind verschiedene Operationstechniken und -materialien verfügbar, darunter der Off-Label-Einsatz distaler Radiusplatten, distaler Humerusplatten, Pilonplatten und verschiedener Cerclagetechniken sowie umgedrehte winkelstabile Formplatten für die laterale Klavikula der Gegenseite [51, 56, 58–60]. Eine winkelstabile Formplatte speziell für Frakturen der medialen Klavikula ist mittlerweile kommerziell verfügbar, klinische und radiologische Langzeitergebnisse liegen jedoch derzeit noch nicht vor. Nichtsdestotrotz können anatomisch vorgeformte winkelstabile Platten für die Osteosynthese medialer Klavikulafrakturen empfohlen werden [47], da man von deren Anwendung Vorteile hinsichtlich der Langzeitergebnisse erwarten kann (Abb. 2a, b).

Laterale Klavikulafrakturen

Die Klassifikation von Neer unterteilt laterale Klavikulafrakturen in stabile Frakturen des Typs I und instabile Frakturen der Typen II und III [13].
Jäger und Breitner unterteilen die Frakturen in insgesamt 5 Typen [61]. Neben diesen beiden etablierten Klassifikationen hat zuletzt die Cho-Klassifikation große Aufmerksamkeit erlangt, da sich aus ihr klare Behandlungsempfehlungen ableiten lassen, was im Vergleich zu den älteren Klassifikationen vorteilhaft ist (Abb. 3) [62]. Cho et al. berichteten, dass sich bei einem Drittel ihrer Patientinnen und Patienten nach nicht-operativer Therapie eine Pseudarthrose entwickelte. Glücklicherweise waren die klinischen Ergebnisse auch in den Fällen gut, in denen keine Frakturheilung erreicht werden konnte. Daher wird die nicht-operative Behandlung nur bei undislozierten oder weniger als 5 mm dislozierten Frakturen empfohlen [63]. Die zusätzliche Nahtfixation ist bei Frakturen mit potenzieller CC-Ligamentbeteiligung vorgesehen. Biomechanische Analysen konnten beim Vergleich verschiedener Nahttechniken keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die Belastung bis zum Versagen oder die Verschiebung nach zyklischer Belastung zeigen, und alle Techniken verhinderten eine superiore Translation bei gleichzeitig erhöhter horizontaler Stabilität [64]. Gleichzeitig vorliegende Verletzungen des AC-Gelenks, des Coracoclavicular-Komplexes (engl. CCC) oder des Glenohumeralgelenks können heute sehr gut durch offene oder arthroskopisch assistierte Verfahren adressiert werden [65]. Bei ausreichender Knochensubstanz wird für instabile laterale Klavikulafrakturen die anatomisch präformierte winkelstabile Plattenosteosynthese in Kombination mit einer CC-Fixierung im ein- oder zweizeitigen Verfahren empfohlen, wofür überzeugende Ergebnisse gezeigt werden konnten [66–71]. Die Hakenplattenosteosynthese wurde in der Vergangenheit zwar häufig angewendet, war jedoch in bis zu zwei Dritteln der Fälle mit hohen Re-Operationsraten verbunden, was vor allem auf die häufige Notwendigkeit der Materialentfernung aufgrund der Kompromittierung des subacromialen Raums durch diese Platte zurückzuführen war [27, 71, 72]. Das Verfahren wird zunehmend durch innovative und speziell für die laterale Klavikula entwickelte winkelstabile Plattensysteme abgelöst (Abb. 4), insbesondere da das oben erwähnte Kompromittieren des AC-Gelenks häufig gar nicht notwendig ist. Heute bleibt die Hakenplatte Fällen mit unzureichender Knochenstruktur der lateralen Klavikula aufgrund multipler Frakturfragmente oder Osteopenie und damit fehlender Verankerungsmöglichkeit für Schrauben vorbehalten [73].

Fazit

Abhängig von der Verletzungsschwere und der Beteiligung des Weichteilmantels können Klavikulafrakturen nicht-operativ oder operativ behandelt werden [49, 74]. Allerdings scheint die Pseudarthroserate nach nicht-operativer Therapie höher zu sein, als in der Vergangenheit berichtet [75, 76]. Darüber hinaus häufen sich Publikationen, die über bessere funktionelle Ergebnisse nach operativer Therapie berichten [77–79]. Dies hat in den letzten Jahren zu einem Paradigmenwechsel und einer Zunahme der operativen Therapie geführt [80, 81]. Die aktuelle Literatur legt nahe, dass die primär operative Stabilisierung insbesondere dislozierter Frakturen eine raschere funktionelle Übungsbehandlung und somit eine frühere körperliche Erholung ermöglicht als die nicht-operative Therapie. Darüber hinaus wird durch die operative Therapie die Gefahr der Entwicklung einer verzögerten Frakturheilung oder symptomatischen Pseudarthrose deutlich reduziert.
Allerdings führt nicht passgenaues Osteosynthesematerial relativ häufig zu Weichteilirritationen, welche die Entfernung störenden Osteosynthesematerials erforderlich machen. Daher kann eine routinemäßige Osteosynthese nicht für alle dislozierten Klavikulafrakturen standardmäßig empfohlen werden. Stattdessen wird eine individuelle Behandlung unter sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile der einzelnen Therapieverfahren und der Patientinnen-/Patientenpräferenzen vorgeschlagen. Da eine ausreichende Evidenz für die optimale Behandlung von Klavikulafrakturen nach wie vor fehlt, sind qualitativ hochwertige kontrollierte klinische Studien an großen Fallzahlen erforderlich, um hinreichende Beweise für eine begründete Entscheidungsfindung zu liefern.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Christian von Rüden, MSc

Kliniken Nordoberpfalz –

Klinikum Weiden und Krankenhaus Tirschenreuth

Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie

Söllnerstraße 16

92637 Weiden in der Oberpfalz

christian.vonrueden@kno.ag

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