Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023

Klavikulafrakturen
Indikationsstellung und aktuelle Therapieempfehlungen

Aus biomechanischer Sicht hat jede Art der Frakturfixierung Vor- und Nachteile. Die genauen Schwellenwerte der Steifigkeit zur Einleitung der Heilung und die Versagensfestigkeit zur Vermeidung von Re-Frakturen sind noch unbekannt [42]. Die Verriegelungsplattenfixation ist insbesondere bei Trümmerfrakturen stabiler als die elastisch-stabile intramedulläre Schienung und weist im Vergleich zu dieser eine bessere Rotationsstabilität auf [43]. Die Ergebnisse dieser Techniken in Bezug auf klinische Ergebnisse, Operationsdauer und Komplikationsraten wiesen keine signifikanten Unterschiede auf [44, 45]. In einer erheblichen Anzahl der Fälle wurde nach offener Reposition und interner Fixierung (ORIF) allerdings eine Dysästhesie bzw. Hypästhesie in einem Hof um die Narbe herum beobachtet. Re-Frakturen nach Osteosynthesematerialentfernung sind bei der Plattenfixierung wahrscheinlicher als bei der elastisch-stabilen intramedullären Nagelung. Außerdem wurde bei der superioren Plattenlage eine ähnliche Konstruktfestigkeit gemessen wie bei der anterior-inferioren Plattenlage [46]. Die Frage, ob die Plattenosteosynthese oder die elastisch-stabile intramedulläre Nagelung eindeutig überlegen ist, kann auch nach einer systematischen Durchsicht der neuesten Literatur nicht schlüssig beantwortet werden [47]. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die operative Behandlung eine frühzeitige funktionelle Nachbehandlung ermöglicht und dadurch zu einer schnelleren Rückkehr zum vorherigen Aktivitätsniveau führt [47, 48]. Andererseits gibt es immer noch nicht genügend Belege dafür, dass die operative Behandlung routinemäßig bei allen Patientinnen und Patienten mit dislozierter Klavikulafraktur im mittleren Drittel durchgeführt werden sollte.

Mediale Klavikulafrakturen

Es gibt nach wie vor keine eindeutigen Hinweise für die beste Behandlung von Frakturen der medialen Klavikula [1, 49]. Die AO- und die Edinburgh-Klassifikation erscheinen für diese Frakturen am besten geeignet [1]. Die Edinburgh-Klassifikation ist ein vereinfachtes Klassifizierungssystem und hat, wie oben bereits erwähnt, einen prädiktiven Wert in Bezug auf das funktionelle Ergebnis. Insofern kann sie als erste Wahl zur Klassifizierung medialer Klavikulafrakturen empfohlen werden.

Gemäß der bislang spärlichen Literatur kann folgender Behandlungsalgorithmus vorgeschlagen werden: Undislozierte und um weniger als
1 Schaftbreite verschobene Frakturen mit akzeptabler Achsausrichtung und ausreichendem Knochenkontakt des Typs 1A nach der Edinburgh-Klassifikation werden als stabil angesehen und nicht-operativ behandelt. Verkürzungen von mehr als 2 cm sollten nicht toleriert werden. Indikationen für operatives Vorgehen beinhalten eine Dislokation um mehr als 1 Schaftbreite (Typ B-Frakturen nach Edinburgh-Klassifikation), offene Frakturen, dislozierte intraartikuläre Frakturen, Frakturen mit neurovaskulärer Beteiligung sowie Folgezustände wie die symptomatische verzögerte Frakturheilung oder Pseudarthrose [50]. Die nicht-operative Behandlung umfasst die Ruhigstellung in einer Schulterschlinge für 6 Wochen [51, 52]. Die Schlinge bietet der Patientin/dem Patienten vor allem in der Anfangsphase Komfort. Nach Abklingen der Symptome kann im Rahmen einer frühzeitigen Physiotherapie mit belastungsfreien passiv-assistiven Übungen einschließlich Abduktion und Anteversion des Arms bis 90° für 6 Wochen begonnen werden.

Je nach Literaturangabe wurden nach Frakturen der medialen Klavikula Pseudarthrosen in bis zu 15 % der Fälle festgestellt. Weiterhin wurde berichtet, dass etwa die Hälfte dieser Patienten ein Jahr posttraumatisch symptomatisch waren [53]. Die funktionellen Langzeitergebnisse waren allerdings gut bis ausgezeichnet [54, 55]. Die Indikation zur ORIF bei um mehr als 1 Schaftbreite verschobenen Frakturen der medialen Klavikula wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Obwohl dislozierte mediale Klavikulafrakturen nach operativer Therapie in bis zu einem Fünftel der Fälle zu einer Pseudarthrose führten [56], sollte die operative Behandlung gemäß der neuesten Literatur erwogen werden [54, 55, 57]. Es sind verschiedene Operationstechniken und -materialien verfügbar, darunter der Off-Label-Einsatz distaler Radiusplatten, distaler Humerusplatten, Pilonplatten und verschiedener Cerclagetechniken sowie umgedrehte winkelstabile Formplatten für die laterale Klavikula der Gegenseite [51, 56, 58–60]. Eine winkelstabile Formplatte speziell für Frakturen der medialen Klavikula ist mittlerweile kommerziell verfügbar, klinische und radiologische Langzeitergebnisse liegen jedoch derzeit noch nicht vor. Nichtsdestotrotz können anatomisch vorgeformte winkelstabile Platten für die Osteosynthese medialer Klavikulafrakturen empfohlen werden [47], da man von deren Anwendung Vorteile hinsichtlich der Langzeitergebnisse erwarten kann (Abb. 2a, b).

Laterale Klavikulafrakturen

Die Klassifikation von Neer unterteilt laterale Klavikulafrakturen in stabile Frakturen des Typs I und instabile Frakturen der Typen II und III [13].
Jäger und Breitner unterteilen die Frakturen in insgesamt 5 Typen [61]. Neben diesen beiden etablierten Klassifikationen hat zuletzt die Cho-Klassifikation große Aufmerksamkeit erlangt, da sich aus ihr klare Behandlungsempfehlungen ableiten lassen, was im Vergleich zu den älteren Klassifikationen vorteilhaft ist (Abb. 3) [62]. Cho et al. berichteten, dass sich bei einem Drittel ihrer Patientinnen und Patienten nach nicht-operativer Therapie eine Pseudarthrose entwickelte. Glücklicherweise waren die klinischen Ergebnisse auch in den Fällen gut, in denen keine Frakturheilung erreicht werden konnte. Daher wird die nicht-operative Behandlung nur bei undislozierten oder weniger als 5 mm dislozierten Frakturen empfohlen [63]. Die zusätzliche Nahtfixation ist bei Frakturen mit potenzieller CC-Ligamentbeteiligung vorgesehen. Biomechanische Analysen konnten beim Vergleich verschiedener Nahttechniken keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die Belastung bis zum Versagen oder die Verschiebung nach zyklischer Belastung zeigen, und alle Techniken verhinderten eine superiore Translation bei gleichzeitig erhöhter horizontaler Stabilität [64]. Gleichzeitig vorliegende Verletzungen des AC-Gelenks, des Coracoclavicular-Komplexes (engl. CCC) oder des Glenohumeralgelenks können heute sehr gut durch offene oder arthroskopisch assistierte Verfahren adressiert werden [65]. Bei ausreichender Knochensubstanz wird für instabile laterale Klavikulafrakturen die anatomisch präformierte winkelstabile Plattenosteosynthese in Kombination mit einer CC-Fixierung im ein- oder zweizeitigen Verfahren empfohlen, wofür überzeugende Ergebnisse gezeigt werden konnten [66–71]. Die Hakenplattenosteosynthese wurde in der Vergangenheit zwar häufig angewendet, war jedoch in bis zu zwei Dritteln der Fälle mit hohen Re-Operationsraten verbunden, was vor allem auf die häufige Notwendigkeit der Materialentfernung aufgrund der Kompromittierung des subacromialen Raums durch diese Platte zurückzuführen war [27, 71, 72]. Das Verfahren wird zunehmend durch innovative und speziell für die laterale Klavikula entwickelte winkelstabile Plattensysteme abgelöst (Abb. 4), insbesondere da das oben erwähnte Kompromittieren des AC-Gelenks häufig gar nicht notwendig ist. Heute bleibt die Hakenplatte Fällen mit unzureichender Knochenstruktur der lateralen Klavikula aufgrund multipler Frakturfragmente oder Osteopenie und damit fehlender Verankerungsmöglichkeit für Schrauben vorbehalten [73].

Fazit

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