Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023
KlavikulafrakturenIndikationsstellung und aktuelle Therapieempfehlungen
Oliver Trapp, Christian von Rüden
Zusammenfassung:
Je nach Frakturmuster und Beteiligung des Weichteilmantels können Klavikulafrakturen operativ oder nicht-operativ behandelt werden. In der Vergangenheit wurden dislozierte Frakturen des Klavikulaschafts bei Erwachsenen nicht-operativ behandelt. Die Pseudarthroserate nach nicht-operativer Therapie scheint jedoch höher zu sein als in der Vergangenheit berichtet. Darüber hinaus häufen sich die Publikationen, die über bessere funktionelle Ergebnisse nach operativer Therapie berichten. Die aktuelle Literatur legt nahe, dass die primär operative Stabilisierung insbesondere dislozierter Frakturen eine raschere funktionelle Übungsbehandlung und somit eine frühere körperliche Erholung ermöglicht als die nicht-operative Therapie. Vorgeschlagen wird eine individuelle Behandlung unter sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile der einzelnen Therapieverfahren und der Patientinnen-/Patientenpräferenzen.
Schlüsselwörter:
Klavikula, Fraktur, Pseudarthrose, winkelstabile Platte, Hakenplatte, Evidenz
Zitierweise:
Trapp O, von Rüden C: Klavikulafrakturen. Indikationsstellung und aktuelle Therapieempfehlungen
OUP 2023; 12: 258–263
DOI 10.53180/oup.2023.0258-0263
Summary: Depending on the fracture pattern and soft tissue mantle involvement, clavicle fractures can be treated surgically or non-operatively. Historically, displaced fractures of the clavicle shaft in adults have been treated non-operatively. However, the nonunion rate after non-operative therapy seems to be higher than
reported in the past. Additionally, publications reporting better functional outcomes after surgical therapy are accumulating. The current literature suggests that primary surgical stabilization, especially of displaced
fractures, provides more rapid functional exercise treatment and thus earlier physical recovery than non-
operative therapy. Individualized treatment is suggested, with careful consideration of the advantages and
disadvantages of each therapeutic approach and patient preferences.
Keywords: Clavicle, fracture, nonunion, locking plate, hook plate, evidence
Citation: Trapp O, von Rüden C: Clavicle fractures. Indications and current treatment recommendations
OUP 2023; 12: 258–263. DOI 10.53180/oup.2023.0258-0263
C. von Rüden: Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie, Klinikum Weiden & Universitätsinstitut für Biomechanik, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg, Österreich
O. Trapp: Abteilung Rekonstruktive Unfallchirurgie und Orthopädie, BG Unfallklinik Murnau
Hintergrund
Die Klavikulafraktur stellt eine der häufigsten Frakturen des Schultergürtels dar [1, 2]. Die Verletzungsmechanismen sind vielfältig [3]. Über 80 % der Frakturen sind auf gewöhnliche Stürze zurückzuführen [4]. Bei Männern erreicht die Prävalenz von Frakturen in der ersten und zweiten
Lebensdekade ihren Höhepunkt, während die Verteilung bei beiden Geschlechtern im Laufe des weiteren
Lebens nahezu gleich ist [5]. Mit
einem Anteil von drei Vierteln betreffen die meisten Frakturen das mittlere Schaftdrittel. Es folgen Frakturen des lateralen Drittels in einem Fünftel der Fälle und Frakturen des medialen Drittels mit unter 5 % der Fälle [2]. Die Notwendigkeit einer anatomischen Rekonstruktion ergibt sich aus der Funktion der Klavikula selbst, da sie die einzige knöcherne Verbindung des Schultergürtels mit dem Rumpf ist und alle Bewegungen im Schultergelenk mit ausführt. Dabei werden bei allen Bewegungen im Schultergelenk Rotationsbewegungen im Schultereckgelenk (AC) und im Sternoklavikulargelenk (SC) ausgeführt [6].
Diagnostik
Die Frakturdiagnostik erfolgt anhand der Anamnese inklusive Unfallhergang und Unfallmechanismus. Ziel ist es dabei, eventuelle Begleitverletzungen frühzeitig zu erkennen, um die Behandlungsstrategie festzulegen. Bei der klinischen Untersuchung ist es wichtig, auf die klassischen Frakturzeichen sowie die periphere Durchblutung und Sensibilität zu achten. Ein wichtiger Aspekt der Inspektion einschließlich der Palpation ist das Erkennen einer drohenden Hautperforation der Frakturenden. In diesem Fall wird eine umgehende operative Behandlung empfohlen, um eine offene Fraktur zu verhindern. Die funktionelle Untersuchung der Fraktur ist in der Regel aufgrund der Schmerzbelastung der Patientin/des Patienten nicht möglich und sollte auch nicht forciert werden.
Stürze können in bis zu der Hälfte der Fälle für weitere Verletzungen der oberen Extremität verantwortlich sein [7]. Eine eingeschränkte glenohumerale Beweglichkeit oder anhaltende Beschwerden in der Schulterregion sollten daher zu einer weiteren Abklärung mittels Computertomographie (CT), Arthrographie, MRT oder anderen Verfahren führen. Neurovaskuläre Verletzungen sind selten, stellen aber manchmal Komplikationen dar, die eine erweiterte chirurgische Versorgung erfordern. Als zusätzliche Bildgebung hat sich zur Erkennung von Verletzungen im Bereich des Acromioclavicular (AC) -Gelenks die so genannte „Alexander“-Aufnahme bewährt, bei der die betroffene Seite der Patientin/des Patienten je nach Schmerz maximal adduziert wird [8]. Dadurch können horizontale Instabilitäten im AC-Gelenk, die
eine operative Behandlung erfordern, sichtbar gemacht werden. Diese Aufnahme ist normalerweise nicht in Akutsituationen erforderlich, sondern bezieht sich speziell auf Verletzungen des AC-Gelenks, die bei jungen und sportlichen Patientinnen und Patienten häufig operativ behandelt werden. Belastungsaufnahmen, bei denen die Patientinnen und
Patienten zur besseren Darstellung ein Gewicht auf der betroffenen Seite oder beiden Seiten tragen, werden in der Akutsituation nicht mehr empfohlen, da dies für die Patientinnen und Patienten oft schmerzhaft ist und in der Regel keinen therapeutischen Mehrwert erbringt [9]. Bei chronischen AC-Gelenkverletzungen sind sie jedoch weiterhin wichtig, da sie einen relevanten Höhenunterschied als Zeichen der Instabilität sichtbar machen. Als weitere radiologische Zusatzuntersuchung kann eine Panoramaaufnahme Informationen über die kontralaterale gesunde Seite liefern. So lässt sich bspw. eine Anhebung der lateralen Klavikula bei einer AC-Gelenkbeteiligung durch einen Seitenvergleich sicher erkennen. Dislozierte Mehrfragmentfrakturen und Pseudarthrosen stellen Indikationen für eine CT-Untersuchung dar.
Klassifikationen
Es gibt eine ganze Reihe von Klassifikationssystemen für Klavikulafrakturen [10]. Eine grobe Unterscheidung wird nach Allman zwischen medialem, mittlerem und lateralem Drittel getroffen. Neben der weiterhin allgemein gültigen Allman-Klassifikation und der AO-Klassifikation finden unter anderem die Klassifikationen nach Neer, Robinson (Edinburgh-Klassifikation), Craig sowie Nordqvist und Petersson Anwendung im klinischen Alltag [1, 11–15]. Obwohl die Allman-Klassifikation mit einer Modifikation durch Neer die am weitesten akzeptierte Klassifikation ist, hat die Edinburgh-Klassifikation in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Zusätzlich können offene Frakturen nach Gustilo und Anderson oder nach Tscherne und Oestern klassifiziert werden [16, 17]. Empfehlungen zu den bevorzugten Klassifikationen in Abhängigkeit von der Lokalisation an der Klavikula finden sich in den jeweiligen Abschnitten.