Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023

Klavikulafrakturen
Indikationsstellung und aktuelle Therapieempfehlungen

Die Behandlungsindikationen sollten individuell auf die Patientin/den
Patienten abgestimmt sein und eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile jeder Intervention und des Patientinnen-/Patientenwunschs beinhalten [18]. Für den Entscheidungsprozess für das weitere Vorgehen ist es wichtig, individuelle Patientinnen-/Patientenfaktoren wie Alter, Aktivitätsniveau vor dem Unfall oder Begleitverletzungen und -erkrankungen zu berücksichtigen. Auch radiologische Aspekte wie die Verkürzung des Schultergürtels oder Frakturdislokation sollten mit einbezogen werden. Das Ausmaß der Frakturdislokation wurde als Hauptrisikofaktor für eine Pseudarthrosenentwicklung identifiziert, deren Inzidenz bis zu 15 % beträgt. Weitere Risikofaktoren stellen multifragmentäre Frakturen und eine Verkürzung der Klavikula um mehr als 2 cm dar. Die Inzidenz der Pseudarthrosenentwicklung nach verkürzten dislozierten mehrfragmentären Frakturen stieg signifikant auf bis zu 33 % an [19].

Die konservative Therapie der Klavikulafraktur ist häufiger mit unerwünschten Ereignissen wie einer symptomatischen Pseudarthrose oder Schultersteifigkeit verbunden. Nichtsdestotrotz stellt sie nach wie vor den Goldstandard mit guten bis besonders guten Ergebnissen bei nicht dislozierten oder minimal verschobenen Frakturen und bei pädiatrischen Frakturen dar. Die Pseudarthrosenrate lateraler und medialer Klavikulafrakturen ist nach konservativer Therapie deutlich höher als die von Schaftfrakturen und beträgt bis zu 13 % für die laterale Klavikulafraktur und bis zu 9 % für die mediale Klavikula [7].

Die operative Behandlung scheint keinen relevanten Zusatznutzen in Bezug auf Funktion, Schmerzen und
Lebensqualität im Vergleich zur nicht-operativen Behandlung zu haben [18]. Daher kann sie nur bei gleichzeitigen neurovaskulären Schäden, offenen Frakturen oder stark verschobenen Frakturen mit einem erheblichen Risiko für eine sekundäre Hautperforation oder bei Trümmerfrakturen des Schultergürtels mit Beteiligung des oberen Schultergelenkkomplexes in Betracht gezogen werden, da eine Diskontinuität zu einem instabilen Schultergürtel führt [20–22].

Dass die operative Stabilisierung von Klavikulafrakturen zunehmend durchgeführt wird, lässt sich zum einen durch die zunehmende Prävalenz von Klavikulafrakturen und sicherlich auch durch die Zuverlässigkeit der modernen Osteosynthesematerialien und die damit verbundenen guten funktionellen Resultate erklären [23]. Die Behandlung von Klavikulafrakturen zielt darauf ab, eine Verkürzung des Knochens zu vermeiden, da diese zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führen kann. Es besteht Konsens darüber, dass eine Klavikulaverkürzung von mehr als 20 mm zu chronischen Schmerzen und Beschwerden führt. Daher sollte eine Verkürzung von mehr als 14 mm bei Frauen und 18 mm bei Männern nicht akzeptiert werden (Abb. 1a). Bei jungen Patientinnen und Patienten gilt eine Verkürzung von bis zu 10 mm als tolerabel [6, 24–26]. Ein weiteres Ziel ist die Vermeidung einer Pseudarthrosenentwicklung, da sie zu Instabilität und Schmerzen führen kann und operative Revisionseingriffe erfordert [27].

Bei der Entscheidungsfindung können sowohl operative als auch nicht-operative Behandlungskonzepte abgewogen und mit dem Patientinnen und Patienten besprochen werden, wobei etwaige Komorbiditäten besonders zu berücksichtigen sind [28]. Außerdem müssen Faktoren wie Nikotinabusus oder Diabetes, die einen komplikationsfreien Heilungsprozess stören, bereits vor einem chirurgischen Eingriff berücksichtigt und aktiv angegangen werden [29, 30].

Biomechanik

Die Entwicklung anatomisch präformierter winkelstabiler Plattensysteme und das zunehmende Bewusstsein für die Blutversorgung der Klavikula sowie der Fokus auf biomechanische Faktoren führten zuletzt zu einer deutlichen Verringerung der Pseudarthroseraten [31–34]. Diese erfreuliche Entwicklung wurde durch die erhöhte Stabilität der winkelstabilen Formplatten und das Fixateur-interne-Prinzip erklärt, jedoch nicht unbedingt durch deren anatomische Passform. Die
Erhaltung des periostalen Blutflusses durch die Vermeidung einer großflächigen Ablösung des Periosts und der begrenzte Kontakt der winkelstabilen Platte unterstützen zudem den ungestörten Frakturheilungsprozess [35]. Für die biomechanische Primärstabilität erscheint jedoch die sichere Verschraubung von mindestens 6 Corticalices in jedem Hauptfrakturfragment wichtiger als die Winkelstabilität (Abb. 1b).

Materialentfernung

Was die Osteosynthesematerialentfernung angeht, so ist in der Praxis zumindest in Deutschland die Metallentfernung derzeit bei entsprechendem Patientinnen-/Patientenwunsch indiziert, der u.a. meist vom funktionell störenden Implantat herrührt. Solche Einschränkungen werden von den Patientinnen und Patienten etwa beim Rucksacktragen wahrgenommen. Die Metallentfernung sollte aufgrund der bekanntlich erhöhten Re-Frakturrate frühestens 18 Monate postoperativ durchgeführt werden [36].

Klavikulafrakturen des
mittleren Drittels

Die Klassifikationen nach Arbeitsgemeinschaft Osteosynthese (AO), Robinson („Edinburgh“) und Neer werden am häufigsten für Frakturen des mittleren Klavikuladrittels verwendet [1, 12]. Bei allen handelt es sich um anatomische Klassifikationen. Der Vorteil der Edinburgh-Klassifikation besteht darin, dass sie bei Frakturen im mittleren Drittel einen Zusammenhang mit den klinischen Ergebnissen gezeigt hat [12]. Obwohl die Heilungsraten bei Erwachsenen im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen schlechter sind, bestehen nach wie vor gute Indikationen für die nicht-operative Behandlung [37]. Neben einer insgesamt hohen Heilungsrate zeigten Frakturen der mittleren Klavikula mit geringer oder gar keiner Verschiebung ein ausgezeichnetes klinisches Ergebnis nach drei- bis vierwöchiger belastungsfreier Ruhigstellung mit langsamen aktiven Bewegungen bis zu 90°-Abduktion und -Anteversion sowie Übergang zur Vollbelastung nach 6 Wochen [38, 39]. Andererseits sind dislozierte Frakturen im mittleren Drittel mit Pseudarthroseraten von bis zu 15 % nach nicht-operativer Therapie verbunden, und auch die klinisch-funktionellen Ergebnisse waren bei einer Verschiebung um mehr als eine Schaftbreite schlechter [40]. In neueren Studien wurde berichtet, dass die winkelstabile Plattenosteosynthese das Risiko einer Pseudarthrose zwar signifikant reduziert, jedoch keinen relevanten klinischen Vorteil gegenüber der konservativen Therapie hat [41]. Außerdem war nach beiden Behandlungskonzepten in der Regel eine Revisionsoperation erforderlich. Im Vergleich der nicht-operative Behandlung mit der winkelstabilen Plattenosteosynthese und der elastisch-stabilen Marknagelung fanden sich vergleichbare Pseudarthroseraten für beide operative Verfahren, jedoch signifikant höhere Pseudarthroseraten in der nicht-operativen Behandlungsgruppe [25]. Fehlende anatomische Reposition, mehrfragmentäre Fraktursituation, Frakturdislokation und Nikotinabusus wurden als Risikofaktoren für die Entwicklung einer Pseudarthrose identifiziert.

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