Übersichtsarbeiten - OUP 05/2024
Medial pivotierende KnieendoprothesenEine sinnvolle Weiterentwicklung?
Lars Victor von Engelhardt
Zusammenfassung:
Die totale Kniearthroplastik ist in der großen Mehrheit der Fälle effizient, um Schmerzen zu beseitigen und die Gelenkfunktion zu verbessern. Dennoch gibt es immer noch einen Anteil an Patientinnen und Patienten, die mit der endoprothetischen Versorgung nicht zufrieden sind. Als Ursachen werden u.a. anhaltende Schmerzen, ein eingeschränktes Bewegungsgefühl, ein unnatürliches Kniegefühl und Instabilitätsbeschwerden angegeben. Auch berichten aktive Patientinnen und Patienten von Einschränkungen bei der Ausübung von High Level-Aktivitäten. Traditionelle Designs von Totalendoprothesen des Kniegelenkes können die physiologische Kinematik des Kniegelenkes nicht vollständig reproduzieren. Sog. medial pivotierende Systeme haben das Ziel, die normale Biomechanik des Kniegelenkes nachzubilden. Innenseitig sind sie so gestaltet, dass sie einer in einem passenden hochkongruenten Sockel einliegenden Kugel ähneln. Dies sichert, ähnlich wie bei einem natürlichen, gesunden Knie, in allen Ebenen die Stabilität und erlaubt eine konstante Bandspannung an der inneren Seite. Außen sind die Implantate wenig kongruent, was die natürliche rotierende Bewegung des Kniegelenkes erlaubt. Die Kombination aus einer natürlichen, nicht kompromittierten Kniebeweglichkeit und einer hohen Stabilität reproduziert die natürliche Biomechanik des Kniegelenkes. Dies ist die Basis für eine gute Kniefunktion im Alltag und im Sport. In Deutschland finden diese Versorgungskonzepte im Vergleich zu anderen Ländern eher selten, aber mit deutlich steigender Tendenz, Anwendung. Dieser Übersichtsartikel soll einen Einblick zu diesen, in Deutschland teilweise noch nicht sehr bekannten Versorgungskonzepten geben.
Schlüsselwörter:
Knieendoprothese, medial pivotierend, ball-in-socket, Kniekinematik, sagittale Stabilität, klinisches Outcome
Zitierweise:
von Engelhardt LV: Medial pivotierende Knieendoprothesen. Eine sinnvolle Weiterentwicklung?
OUP 2024; 13: 203–209
DOI 10.53180/oup.2024.0203-0209
Summary: In the vast majority of cases total knee arthroplasty is efficient for pain relief and improving the joint function. However, there is still a subset of patients who are not satisfied with their replacement surgery. Reasons cited include persistent pain, restricted movement, an unnatural feeling of the knee and complaints of instability. Additionally, active patients sometimes report limitations in performing high-level activities. Traditional designs of total knee prostheses cannot fully replicate the physiological kinematics of the knee joint. Medial pivot systems aim to reproduce the physiological biomechanics of the knee joint. Medially, they resemble, similar to a natural and healthy knee, a ball fitting into a highly congruent socket, ensuring stability in all planes and allowing for a constant ligament tension on the medial side. Externally, these implants are less congruent, permitting the natural rotational movement of the knee joint. The combination of natural, uncompromised knee mobility and high stability is intended to reproduce a physiological biomechanic of knee joint. This is the basis for good knee function in daily activities and sports. In Germany, these treatment concepts are used relatively infrequently compared to other countries, although their use has increased significantly. This review article aims to provide insight into these concepts, which are still relatively unknown in Germany.
Keywords: Knee arthroplasty, medial pivot, ball-in-socket, knee kinematics, sagittal stability, clinical outcome
Citation: von Engelhardt LV: Medial Pivot in Knee Arthroplasty. A meaningful advancement?
OUP 2024; 13: 203–209. DOI 10.53180/oup.2024.0203-0209
Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sportmedizin am Klinikum Peine, Akademisches Lehrkrankenhaus der Medizinischen Hochschule Hannover & Universität Witten/Herdecke
Einleitung
Die Erwartungen der Patientinnen und Patienten an die Ergebnisse einer Endoprothese des Kniegelenkes sind hoch. Dies umfasst gleichermaßen kniespezifische als auch allgemeine gesundheitliche Aspekte der Patientin/des Patienten [37]. Ein ähnliches Bild besteht auch auf Seiten der ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Beispielsweise erwartet, bzw. empfiehlt die Mehrheit der Chirurginnen und Chirurgen eine Rückkehr zu gelenkschonenden Sportarten bereits nach 3 Monaten, spätestens aber nach 6 Monaten. Mehr als 50 % empfehlen darüber hinaus, sofern die Patientin/der Patient die allgemeinen Voraussetzungen dazu hat und ein angemessenes Training bzw. eine Schulung sichergestellt ist, auch High Impact-Sportarten wie Fußball, Basketball, Volleyball, Squash, Handball, Skifahren etc. [70]. Auch finden sich bei den Patientinnen und Patienten, die wegen einer Knieendoprothese zu uns kommen, zunehmend sehr aktive Patientinnen und Patienten mit logischerweise hohen Erwartungen. Die Ziele für eine Rückkehr in Alltag und Sport sind somit hoch gesetzt. Auch vor diesem Hintergrund wird auf vielfältige Art und Weise nach Verbesserungen im Bereich der Knieendoprothetik gesucht. Hinsichtlich vieler Aspekte, wie bspw. Zugangstechnik und Weichteilmanagement, der Frage nach einem mechanischen oder kinematischen Alignement, dem Umgang mit der Kniescheibe und insb. zur Implantatwahl, ist die Philosophie im Kollegenkreis weltweit äußerst kontrovers. Ähnlich kontrovers sind die Studienergebnisse. Eindeutige Empfehlungen lassen sich derzeit allenfalls eingeschränkt ableiten. Letztlich basieren die Entscheidungen oft auf der Ausbildung und den individuellen Erfahrungen der Chirurginnen und Chirurgen [55].
Die große Mehrheit der Knieendoprothesen sind kreuzbanderhaltende, engl. cruciate retaining (CR) oder posterior stabilisierte (PS) Implantate. Im Vergleich zu diesen gängigen Modellen zeichnen sich medial pivotierende Kniegelenke durch eine andere Implantatphilosophie aus. Im angloamerikanischen Bereich, in der Schweiz und in Österreich wurden sie derzeit stetig weiterentwickelt und mit deutlich wachsenden Zahlen eingesetzt. Bspw. liegt der Anteil medial pivotierender Implantate in der Schweiz bereits bei 15,1 % [64]. Auch im australischen Endoprothesenregister hat der Einsatz von Prothesen mit medialem Pivot-Design seit 2013 deutlich zugenommen. Im Jahr 2022 machten Prothesen mit medialem Pivot-Design bereits 9,9 % der primären Eingriffe aus, wobei die Implantationszahlen in Australien von Jahr zu Jahr deutlich zunehmen [3]. In Deutschland sind sie hingegen nicht allzu bekannt; hier werden sie bis dato vglw. selten eingesetzt.