Übersichtsarbeiten - OUP 05/2024
Medial pivotierende KnieendoprothesenEine sinnvolle Weiterentwicklung?
Viele Patientinnen und Patienten mit konventionellen Endoprothesen beklagen eine reduzierte Stabilität, einen Verlust des natürlichen Kniegefühls, sowie eine verminderte Funktion mit einem reduzierten Bewegungsumfang [48]. Hinsichtlich Stabilität und einem physiologischen Kniegefühl ist v.a. die bereits genannte Midflexionstabilität von Bedeutung. Die Instabilitäten in mittlerer Beugung führen zu Alltagsbeeinträchtigungen bspw. beim Treppab- und -aufsteigen, dem Aufstehen aus dem Sitzen aber auch dem einfachen Gehen [69]. Weitere Symptome können ein Gefühl des Wegknickens, Schmerzen, Ergüsse, Missempfindungen des Weichgewebes etc. sein [44, 50, 58]. Ganguntersuchungen zu aktuellen PS-Endoprothesen zeigen, dass die physiologische Kinematik und Stabilität nicht ausreichend erzielt wird [29]. So wurde nicht nur bei CR-Gelenken [6, 15, 20], sondern auch bei PS-Endoprothesen das Phänomen einer paradoxen Gleitbewegung nachgewiesen [2, 12, 14, 20, 26, 74]. Auch das Fehlen eines physiologischen Pivotierens um einen vglw. stabilen medialen Kontaktpunkt wurde gezeigt und als ursächlich für Beschwerden diskutiert [14, 28].
Eine geblindete, prospektiv randomisierte Studie aus dem Jahr 2023 verglich Patientinnen und Patienten mit einer PS-Versorgung (GMK PS, Medacta Int., Castel San Pietro, CH) mit einem medial pivotierden Implantat (GMK Sphere, Medacta Int., Castel San Pietro, CH). Die anteroposteriore Stabilität wurde mit den hierfür geeigneten Stressradiografien quantifiziert [33]. In mittlerer Beugung bei 45° zeigten die medial pivotierenden Implantate eine deutlich bessere Stabilität als die PS-Endoprothesen. Die messbare, höhere Stabilität korrelierte signifikant mit einem besseren Outcome-Scoring im Knee Society Score (KSS) sowie mit einer besseren Rückkehr in den Sport im Forgotten Joint-Score (FJS) [60]. Wiederum geblindete, randomisierte Studien verglichen die anteroposteriore Stabilität mit Arthrometermessungen. Hier zeigen die PS-Implantate gegenüber medial pivotierenden Versorgungen bei 30°-Beugung eine signifikant vermehrte, nahezu verdoppelte anteroposteriore Translation [13, 17]. Eine weitere, auch sehr aktuelle, vergleichende, prospektive Arthrometerstudie zeigte für medial pivotierende Implantate (Evolution, MicroPort Orthopedics Inc., Arlington, USA) gegenüber PS-Endoprothesen (Attune PS mobile-bearing, DePuy, Warsaw, Indiana, USA) nach 6 und 12 Monaten wiederum eine signifikant geringere anteriore Translation. Neben der besseren Stabilität bei einer 60°-Midflexion zeigen auch hier die klinischen Outcome-Scores im KSS- und FJS-Score, sowie die visuellen Schmerzscorings, signifikant bessere Ergebnisse der medial pivotierenden Implantate [35]. Ähnliche vergleichende Ergebnisse zum klinischen Outcome und zur a.p.-Stabilität wurden von Wautier et al. [72], Samy et al. [56] und Batra et al. [7] nachgewiesen. Wiederum ähnliche Befunde fanden sich beim Vergleich medial pivotierender Endoprothesen mit CR-Implantaten. Auch hier ist die anteroposteriore Translation der medial pivotierenden Implantate bei der 45°-Beugung signifikant kleiner als bei den CR-Implantaten [67].
Inwieweit diese kinematischen Unterschiede, wie in den vorgenannten Studien beschrieben, am Ende auch wirklich ein überlegenes klinisches Outcome nach sich ziehen, ist aber letztlich unklar. So gibt es ebenso vergleichende Untersuchungen, in denen die medial pivotierenden Kniegelenke zwar wiederum sehr gute Ergebnisse, allerdings keine signifikant besseren Ergebnisse gegenüber nichtpivotierenden Versorgungen zeigen. In diesen Studien wurden der KSS-Score, der Oxford Knee-Score (OKS) und der Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) ausgewertet [5, 9, 47, 71]. Eine interessante vergleichende Untersuchung war eine Studie, bei der > 400 Patientinnen und Patienten bilateral und zeitlich versetzt mit unterschiedlichen Endoprothesen versorgt wurden. Bei der 2-Jahres-Evaluierung wurden die Patientinnen und Patienten gefragt, welches Knie aus ihrer Sicht das Bessere sei. Beim Vergleich medial pivotierend vs. CR wurde bei 76 % der Patientinnen und Patienten das medial pivotierende Implantat als besser bewertet. 12 % sahen keinen Unterschied und 12 % empfanden das CR-Implantat als besser. Beim Vergleich zu den PS-Versorgungen wurde in 76,2 % der Fälle das medial pivotierende Implantat als besser bewertet. 14,3 % sahen keinen Unterschied und 9 % empfanden das PS-Implantat als besser [51].
Eine besondere, gelegentlich diskutierte Frage medial pivotierender Versorgungen ist, ob im Rahmen der Sicherung der natürlichen Kniekinematik das hintere Kreuzband, wenn intraoperativ sinnvoll und möglich, erhalten oder entfernt werden sollte [21]. Hierzu erfolgte aktuell eine prospektive, doppelt geblindete, randomisierte vergleichende Studie. In der Gruppe, bei der im Rahmen der medial pivotierenden Implantationen das hintere Kreuzband erhalten blieb, zeigte im Vergleich zur Resektion keine signifikanten Unterschiede. Hierbei wurden das Bewegungsausmaß, Schmerzen in der visuellen Analogskala, der OKS- und FJS-Score, sowie der Knee Injury and Osteoarthritis Outcome-Score for Symptoms und der Quality of Life-Score untersucht. Nach einem Minimum-Follow-up von 2 Jahren fanden sich in beiden Gruppen exzellente und gleichwertige Ergebnisse [10]. Ähnliche Ergebnisse zeigten weitere retrospektive, vergleichende Studien unter Erhalt bzw. Resektion des hinteren Kreuzbandes. Auch hier zeigten die Outcome-Scores wiederum keine signifikanten Unterschiede [5, 23, 73].
Gangbild
Ein anderes Thema ist das Gangbild. Vergleichende Ganguntersuchungen anhand aufwendiger radiografischer Messungen zeigen bei CR- und PS-Endprothesen gegenüber den medial pivotierenden Implantaten eine mehrfach und signifikant quantifizierbare paradoxe anteriore Translation. Die Kinematik medial pivotierender Implantate ähnelte im Unterschied zu den PS- und CR-Versorgungen am ehesten den charakteristischen Mustern eines normalen Ganges. Dies zeigte sich während des gesamten Gangzyklus. So konnten die Untersuchungen der medial pivotierenden Versorgungen bspw. das natürliche femorale roll-back bei der Kniebeugung und das ebenso physiologische mediale Pivotieren in der Transversalebene nachweisen (Abb. 2b) [24]. Ähnliche Befunde wurden sich mittels dynamischer Videofluoroskopie nachgewiesen. Auch hier zeigen medial pivotierende Implantate im Vergleich zu PS- und CR-Systemen eine höhere sagittale Stabilität bzw. reduzierte anteroposteriore Translation im inneren Kompartiment [57].