Übersichtsarbeiten - OUP 05/2024
Medial pivotierende KnieendoprothesenEine sinnvolle Weiterentwicklung?
Zum Bewegungsausmaß der Implantate erfolgten eine Vielzahl an Untersuchungen. Eine aktuelle, prospektiv randomisierte Studie mit 200 Patientinnen und Patienten verglich die mittlere Beugung bei medial pivotierenden Implantaten im Vergleich zu PS-Endoprothesen nach 1 und 2 Jahren. In der Gruppe medial pivotierender Kniegelenke betrug die Beugung von 132° und in der PS-Gruppe 124°. Neben der signifikant höheren Beugung zeigten die medial pivotierenden Kniegelenke signifikant bessere Outcome-Scores [59]. Ähnliche Daten zu Beugung und Scoring im klinischen Outcome zeigte eine weitere geblindete, randomisierte Studie, die eine Versorgung mit einer PS-Endoprothese (SigmaTM PS, PFC; DePuy, Warsaw, IN) mit einer medial pivotierenden Endoprothese (Medial Rotation KneeTM, MRK; Finsbury Orthopaedics, Leatherhead, Surrey, UK) verglich [27].
Zum klinischen Outcome wurden in den letzten 2 Jahren mehrere systematische Metaanalysen, die medial pivotierende und PS-Versorgungen verglichen, veröffentlicht. In diesen Metaanalysen wurden 3592 [63], 3837 [18] und 389 Versorgungen [53] einbezogen. In allen 3 Metaanalysen zeigten die medial pivotierenden Knieversorgungen ein besseres Scoring im KSS, OKS, FJS, und WOMAC-Score [18, 63, 53]. Die postoperative Beweglichkeit war in der ersten Metaanalyse in beiden Gruppen gleich [63] und in der zweiten Studie für die medial pivotierenden Knieversorgungen signifikant besser [18]. Die dritte dieser 3 Metaanalysen enthielt eine gezielte Auswertung zur aktiven Kinematik. Hier zeigten die medial pivotierenden Implantate ein höheres maximales Drehmoment für die Beugung und Rotation, wohingegen die PS-Implantate ein höheres Drehmoment für die Streckung aufwiesen. Bzgl. der anterioren Translation waren die medial pivotierenden Versorgungen etwas stabiler als die PS-Implantate [53].
Langzeituntersuchungen
Im Jahresbericht des britischen Nationalregisters 2023 war ein medial pivotierendes Implantat nach 19 Jahren mit einer kumulativen Revisionsrate von 2,99 % auf Platz 2 der Listung der möglichst niedrigen Revisionsraten. Auch die anderen medial pivotierenden Implantate lagen bzgl. niedriger Revisionsraten im oberen Rang der Listung unterschiedlicher Implantatmodelle [46]. Studien zum Langzeit-Outcome und zum langfristigen Überleben medial pivotierender Kniegelenke zeigen wiederum positive Ergebnisse. Macheras et al. zeigten nach einer Standzeit von 17 Jahren eine kumulative Überlebensrate von 98,8 %. Das klinische Langzeit-Outcome im KSS, OKS und WOMAC-Score sowie im Short Form Fragebogen (SF-12) zeigte entsprechend exzellente bis sehr gute Ergebnisse [38].
Eine aktuelle Metaanalyse zu 1592 Kniegelenken mit einem Follow-up von 12,4 Jahren beschreibt 30 Versorgungen, die revidiert werden mussten. Somit liegt die Gesamtrevisionsrate nach 12,4 Jahren bei 1,88 % und die Gesamtüberlebensrate bei 98,2 %. Die häufigste Ursache für die Wechseloperationen waren eine späte Protheseninfektion (13 der 30 Wechsel, 0,8 %) und periprothetische Frakturen (8 der 30 Wechsel, 0,5 %). Diese Komplikationen sind nicht durch das Implantat bedingt. Die Rate von Implantatversagen in Form aseptischer Lockerungen lag hier bei 0,4 % [11]. Dies passt zu den Daten des UK-Registers. Von allen Implantationen, die hier im der Laufe aufgezeichnet wurden, waren die aseptischen Lockerungen der tibialen Komponente im Vergleich zu den anderen Systemen signifikant seltener (p<0,001) [45]. Eine weitere, ebenso aktuelle Metaanalyse zu medial pivotierenden Kniegelenken schloss 3377 Versorgungen ein. Hier lag die Gesamtrevisionsrate nach 10 Jahren bei 1,9 % (51 von 3377 Implantationen). Wiederum fanden sich sehr gute Langzeitergebnisse für die Beweglichkeit und für den KSS-Score [1].
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine 9-Jahres Langzeituntersuchung, bei der medial pivotierende Kniegelenke mit der üblichen Zementierung mit entsprechenden zementfreien Versorgungen mit schwammartigen, porösen Titanbeschichtungen (z.B. METAGRIP) verglichen wurden. Die Verankerungsflächen zeigen hier eine Oberfläche, die dem trabekulären Knochen sehr ähnlich ist und somit neben einer hohen Primärstabilität die Osteointegration sicherstellt (Abb. 3d) [34]. Beide Gruppen medial pivotierender Versorgungen zeigten nach 9 Jahren kein Implantatversagen und keine revisionspflichtigen Komplikationen. Somit lag das Langzeitüberleben nach 9 Jahren jeweils bei 100 %. Auch radiologisch fanden sich keine Zeichen einer beginnenden Lockerung. Die Outcome-Scores im WOMAC, SF-12 und OKS-Score zeigten sehr gute Ergebnisse [34].
Schlussfolgerung
Verglichen mit den konventionellen Designs gewährleisten medial pivotierende Endoprothesen eine vglw. natürliche Kinematik des Kniegelenkes. Dabei sichert der ball-in-socket-Mechanismus die Stabilität an der inneren Seite und gleichzeitig die natürliche pivotierende Bewegung außenseitig. Neben der physiologischen Rotationsmöglichkeit erzielen diese Implantate eine sehr gute anteroposteriore Stabilität. Dies wirkt der unphysiologischen paradoxen anterioren Translation effektiv entgegen. Die Kombination aus einer natürlichen, nicht kompromittierten Kniebeweglichkeit und einer hohen Stabilität bieten gute Voraussetzungen für eine hochwertige Kniefunktion. Entsprechend positiv sind die Studien- und Registerdaten zu medial pivotierenden Versorgungen. Dies lässt vermuten, dass medial pivotierende Konzepte ein guter Schritt in der Weiterentwicklung der Endoprothetik darstellen. Es ist erfreulich, dass neben den im Bereich der medial pivotierenden Endoprothetik etablierten Hersteller auch andere Marken entsprechende Konzepte aufnehmen. Allerdings sind in Deutschland entsprechende Versorgungen im Vergleich zu anderen Ländern selten zu finden.
Interessenkonflikte:
Aufwandsentschädigungen für Vorträge, Einsätze als Instruktor bei Operationskursen, Hospitationskursen, dem fachlichen Austausch und Beratungen von den Firmen Corin, Microport, Fx Solutions und Arthrex.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondierender Autor
Prof. Dr. med.
Lars Victor von Engelhardt
Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sportmedizin am Klinikum Peine