Originalarbeiten - OUP 06/2021
Mittelfristige Ergebnisse nach Korrektur von MPFL-Insuffizienz und Trochleadysplasie
Lars Victor von Engelhardt, Pia Weskamp, Andreas Breil-Wirth, Matthias Herwig, Jörg Jerosch
Zusammenfassung:
Seit 2010 führen wir routinemäßig bei vorliegender Trochleadysplasie und MPFL-Insuffizienz einen Kombinationseingriff mit Trochleaplastik und MPFL-Rekonstruktion durch. Unsere Erfahrungen und die Literatur zum Thema werden im vorliegenden Artikel dargestellt.
Zitierweise:
von Engelhardt LV, Weskamp P, Breil-Wirth A, Herwig M, Jerosch J: Mittelfristige Ergebnisse nach Korrektur von MPFL-Insuffizienz und Trochleadysplasie.
OUP 2021; 10: 285–292
DOI 10.3238/oup.2021.0285–0292
Schlüsselwörter:
Trochleadysplasie, mediales patellofemorales Ligament, patellofemorale Instabilität
Summary: Since 2010 we have performed a combined procedure if both trochlear dysplasia and MPFL insufficiency are present. We present our experiences as well as the literature.
Keywords: trochlear dysplasia, medial patellofemoral ligament, patellofemoral instability
Citation: von Engelhardt LV, Weskamp P, Breil-Wirth A, Herwig M, Jerosch J: MPFL-insufficiency and trochlear dysplasia should be corrected together.
OUP 2021; 10: 285–292. DOI 10.3238/oup.2021.0285–0292
Lars Victor von Engelhardt: Fakultät für Gesundheit, Private Universität Witten/Herdecke
Pia Weskamp, Andreas Breil-With, Matthias Herwig, Jörg Jeosch: Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus Neuss
Einleitung
Die Themenbereiche MPFL-Rekonstruktion und Trochleaplastik haben in den letzten Jahren zunehmendes Interesse gefunden [24, 71].
Unter den akzeptierten Risikofaktoren stellt die Trochleadysplasie den größten Faktor für eine rezidivierende Patellaluxation dar [6, 31]. Während einige Autoren eine leichtgradige Abflachung des Trochleasulkuswinkels > 145° gelegentlich bereits als risikosteigernd ansehen, gehen höhergradige Dysplasieformen (Dejour Typen B–D) mit einem bis zu 19-fach erhöhten Reluxationsrisiko einher [3].
Dejour et al. [16] zeigten bei Patienten mit wiederholten Luxationen in bis zu 85 % eine Trochleadysplasie. Zudem wurden für eine alleinige MPFL-Rekonstruktion trotz vorliegender Trochleadysplasie in einem Zeitraum von 3 Jahren in 46 % der Fälle eine Rezidivluxation gezeigt [2]. Shah et al. [60] zeigten in einer Metaanalyse von mehr als 25 Studien mit isolierten MPFL-Ersatz ohne Trochleaplastik, dass bei 32 % anhaltende Instabilitätsbeschwerden mit einem positiven Apprehensiontest bestehen. Daneben ist auch die Gefahr der femuropatellaren Arthrosen zu berücksichtigen [33].
Die Literaturerfahrung zeigt, dass nicht alle Patienten mit einer Typ A-Dsyplasie einer Trochleaplastik zugeführt werden müssen. Verschiedene Studien zeigen durchaus gute kurz- bis mittelfristige Ergebnissen nach MPFL-Plastik und/oder Tuberositasosteotomie bei leichtgradiger Trochleadysplasie [23].
Bei der radiologischen Beurteilung von femuropatellaren Dysplasien gilt es verschiedene Faktoren zu berücksichtigen [37]. Die klassische Einteilung der Trochleadysplasie geht auf Dejour et al. [16] zurück; diese differenziert die Typen A–D, die auf den am kranialsten gelegenen transversalen MRT- oder CT-Schichten am besten darstellbar sind. Sie können auch auf einer streng seitlich eingestellten Röntgenaufnahme (die dorsalen Anteile der medialen und lateralen Femurkondyle liegen genau übereinander) als sog. Crossing Sign, als supratrochleärer Sporn und/oder als Doppelkontur erkannt werden (Abb. 1).
Weitere zu beurteilende Parameter sind die Höhe der Patella, z.B. mit dem Insall-Salvati-Index [30], der TT-TG-Abstand (tibial tuberosity to trochlear groove) [56], ein vergrößerter femoraler Antetorsionswinkel [28] sowie eine vermehrte Tibiatorsion [74]. MPFL-Rupturen (meist an der femoralen Insertion) [44] und die häufigen Knorpelschäden sind im MRT diagnostizierbar [70].
Nachdem Lippacher und Dejour für die Dysplasie-Klassifikation nach Dejour eine niedrige Inter-Observer Realibilität gezeigt haben [37], ist im klinischen Alltag die Differenzierung zwischen einer leichten (Typ A) und einer schweren Dysplasie (Typ B?D) für die Entscheidungsfindung ausreichend.
Wir führen seit 2010 konsequent bei vorliegender Trochleadysplasie und MPFL-Insuffizienz einen Kombinationseingriff durch [67, 68, 71]. Unsere Operationstechnik und die mittelfristigen Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt.
Material und Methode
Patienten
In der Zeit von 2010 bis Mai 2019 erhielten 83 Patienten (m/w = 24/56, mittleres Alter 23,2 Jahre) eine MPFL-Rekonstruktion in Kombination mit einer Trochleaplastik, wobei 3 Patienten beidseitig operiert wurden (Tab. 1). Es wurden zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung die folgenden Parameter erhoben: Kujala Score, Tegener activity scale, Lysholm Score, IKDC Score sowie ein subjektiver Patientenfragebogen.
OP Technik
Unsere Technik der MPFL-Rekonstruktion und der Trochleaplastik ist implantatfrei [32, 67–69].
Anstelle des anfänglich geraden Hautschnittes über der Kniescheibe erfolgte ab 2013 eine kurze geschwungene mediale parapatellare Inzision, die nach kranial in Richung Patellasehne läuft. Die Sehnenentnahme erfolgte standardmäßig über eine weitere Inzision über dem Pes anserinus oder in der medialen Kniekehle entlang der Gracillissehne. Die Gracilissehne wird gewonnen und an beiden Enden über 3 cm mit nicht resorbierbaren Fäden überwendlich armiert (Abb. 2). Die Transplantatlänge sollte je nach Größe des Kniegelenkes 15?18 cm betragen, damit das Implantat später ausreichend in das femorale Blindloch eingezogen werden kann. Bis zur Verwendung wird das Transplantat in einer Vancomycin Antibiotikalösung eingelegt.
Nach der Einstellung der Trochlea erfolgt eine Unterminierung der osteochondralen Lamelle mit einem gebogenen Meißel (Abb. 3). Die Dicke des noch vorhandenen subchondralen Knochens sollte etwa bei 2 mm liegen. Um einen genügend flexiblen osteochondralen Lappen zu erhalten, ist eine Ausdünnung des subchondralen Knochens mit einer hochtourigen Diamantfräse unter ständiger Kühlung nötig. Um den Knorpel hierbei nicht zu schädigen, erfolgt dies unter vorsichtigem Anheben des Lappens unter Sicht von proximal (Abb. 4). Hierbei kann es durchaus möglich sein, die periostale Gefäßversorgung der Trochlea von lateral und medial zu erhalten.