Originalarbeiten - OUP 06/2021

Mittelfristige Ergebnisse nach Korrektur von MPFL-Insuffizienz und Trochleadysplasie

Lars Victor von Engelhardt, Pia Weskamp, Andreas Breil-Wirth, Matthias Herwig, Jörg Jerosch

Zusammenfassung:
Seit 2010 führen wir routinemäßig bei vorliegender Trochleadysplasie und MPFL-Insuffizienz einen Kombinationseingriff mit Trochleaplastik und MPFL-Rekonstruktion durch. Unsere Erfahrungen und die Literatur zum Thema werden im vorliegenden Artikel dargestellt.

Zitierweise:
von Engelhardt LV, Weskamp P, Breil-Wirth A, Herwig M, Jerosch J: Mittelfristige Ergebnisse nach Korrektur von MPFL-Insuffizienz und Trochleadysplasie.
OUP 2021; 10: 285–292
DOI 10.3238/oup.2021.0285–0292

Schlüsselwörter:
Trochleadysplasie, mediales patellofemorales Ligament, patellofemorale Instabilität

Summary: Since 2010 we have performed a combined procedure if both trochlear dysplasia and MPFL insufficiency are present. We present our experiences as well as the literature.

Keywords: trochlear dysplasia, medial patellofemoral ligament, patellofemoral instability

Citation: von Engelhardt LV, Weskamp P, Breil-Wirth A, Herwig M, Jerosch J: MPFL-insufficiency and trochlear dysplasia should be corrected together.
OUP 2021; 10: 285–292. DOI 10.3238/oup.2021.0285–0292

Lars Victor von Engelhardt: Fakultät für Gesundheit, Private Universität Witten/Herdecke

Pia Weskamp, Andreas Breil-With, Matthias Herwig, Jörg Jeosch: Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus Neuss

Einleitung

Die Themenbereiche MPFL-Rekonstruktion und Trochleaplastik haben in den letzten Jahren zunehmendes Interesse gefunden [24, 71].

Unter den akzeptierten Risikofaktoren stellt die Trochleadysplasie den größten Faktor für eine rezidivierende Patellaluxation dar [6, 31]. Während einige Autoren eine leichtgradige Abflachung des Trochleasulkuswinkels > 145° gelegentlich bereits als risikosteigernd ansehen, gehen höhergradige Dysplasieformen (Dejour Typen B–D) mit einem bis zu 19-fach erhöhten Reluxationsrisiko einher [3].

Dejour et al. [16] zeigten bei Patienten mit wiederholten Luxationen in bis zu 85 % eine Trochleadysplasie. Zudem wurden für eine alleinige MPFL-Rekonstruktion trotz vorliegender Trochleadysplasie in einem Zeitraum von 3 Jahren in 46 % der Fälle eine Rezidivluxation gezeigt [2]. Shah et al. [60] zeigten in einer Metaanalyse von mehr als 25 Studien mit isolierten MPFL-Ersatz ohne Trochleaplastik, dass bei 32 % anhaltende Instabilitätsbeschwerden mit einem positiven Apprehensiontest bestehen. Daneben ist auch die Gefahr der femuropatellaren Arthrosen zu berücksichtigen [33].

Die Literaturerfahrung zeigt, dass nicht alle Patienten mit einer Typ A-Dsyplasie einer Trochleaplastik zugeführt werden müssen. Verschiedene Studien zeigen durchaus gute kurz- bis mittelfristige Ergebnissen nach MPFL-Plastik und/oder Tuberositasosteotomie bei leichtgradiger Trochleadysplasie [23].

Bei der radiologischen Beurteilung von femuropatellaren Dysplasien gilt es verschiedene Faktoren zu berücksichtigen [37]. Die klassische Einteilung der Trochleadysplasie geht auf Dejour et al. [16] zurück; diese differenziert die Typen A–D, die auf den am kranialsten gelegenen transversalen MRT- oder CT-Schichten am besten darstellbar sind. Sie können auch auf einer streng seitlich eingestellten Röntgenaufnahme (die dorsalen Anteile der medialen und lateralen Femurkondyle liegen genau übereinander) als sog. Crossing Sign, als supratrochleärer Sporn und/oder als Doppelkontur erkannt werden (Abb. 1).

Weitere zu beurteilende Parameter sind die Höhe der Patella, z.B. mit dem Insall-Salvati-Index [30], der TT-TG-Abstand (tibial tuberosity to trochlear groove) [56], ein vergrößerter femoraler Antetorsionswinkel [28] sowie eine vermehrte Tibiatorsion [74]. MPFL-Rupturen (meist an der femoralen Insertion) [44] und die häufigen Knorpelschäden sind im MRT diagnostizierbar [70].

Nachdem Lippacher und Dejour für die Dysplasie-Klassifikation nach Dejour eine niedrige Inter-Observer Realibilität gezeigt haben [37], ist im klinischen Alltag die Differenzierung zwischen einer leichten (Typ A) und einer schweren Dysplasie (Typ B?D) für die Entscheidungsfindung ausreichend.

Wir führen seit 2010 konsequent bei vorliegender Trochleadysplasie und MPFL-Insuffizienz einen Kombinationseingriff durch [67, 68, 71]. Unsere Operationstechnik und die mittelfristigen Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt.

Material und Methode

Patienten

In der Zeit von 2010 bis Mai 2019 erhielten 83 Patienten (m/w = 24/56, mittleres Alter 23,2 Jahre) eine MPFL-Rekonstruktion in Kombination mit einer Trochleaplastik, wobei 3 Patienten beidseitig operiert wurden (Tab. 1). Es wurden zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung die folgenden Parameter erhoben: Kujala Score, Tegener activity scale, Lysholm Score, IKDC Score sowie ein subjektiver Patientenfragebogen.

OP Technik

Unsere Technik der MPFL-Rekonstruktion und der Trochleaplastik ist implantatfrei [32, 67–69].

Anstelle des anfänglich geraden Hautschnittes über der Kniescheibe erfolgte ab 2013 eine kurze geschwungene mediale parapatellare Inzision, die nach kranial in Richung Patellasehne läuft. Die Sehnenentnahme erfolgte standardmäßig über eine weitere Inzision über dem Pes anserinus oder in der medialen Kniekehle entlang der Gracillissehne. Die Gracilissehne wird gewonnen und an beiden Enden über 3 cm mit nicht resorbierbaren Fäden überwendlich armiert (Abb. 2). Die Transplantatlänge sollte je nach Größe des Kniegelenkes 15?18 cm betragen, damit das Implantat später ausreichend in das femorale Blindloch eingezogen werden kann. Bis zur Verwendung wird das Transplantat in einer Vancomycin Antibiotikalösung eingelegt.

Nach der Einstellung der Trochlea erfolgt eine Unterminierung der osteochondralen Lamelle mit einem gebogenen Meißel (Abb. 3). Die Dicke des noch vorhandenen subchondralen Knochens sollte etwa bei 2 mm liegen. Um einen genügend flexiblen osteochondralen Lappen zu erhalten, ist eine Ausdünnung des subchondralen Knochens mit einer hochtourigen Diamantfräse unter ständiger Kühlung nötig. Um den Knorpel hierbei nicht zu schädigen, erfolgt dies unter vorsichtigem Anheben des Lappens unter Sicht von proximal (Abb. 4). Hierbei kann es durchaus möglich sein, die periostale Gefäßversorgung der Trochlea von lateral und medial zu erhalten.

Anschließend erfolgt die vertiefende Knochenabtragung, wobei der osteochondrale Lappen zur Einsicht wiederum ein wenig angehoben wird. Insbesondere in Fällen mit einem grenzwertigen oder auch geringfügig erweiterten TT-TG (15?20 mm), erfolgt die proximale Vertiefung tendenziell eher nach lateral hin, um die Gleitrinne zu lateralisieren.

Mit einem Pfriem oder einem feinen Bohrer erfolgt dann die Etablierung der Passagelöcher für das Vicrylband, mit welchem später der osteochondrale Lappen in das neue Bett der Trochlea eingepasst wird (Abb. 5). Für die distale Passage durch den Knorpel ist es wichtig, ausreichend weit distal und mittig einzugehen. Mit Hilfe einer großen Ösennadel erfolgt die Passage beider Bandenden transossär nach lateral. Alternativ kann auch ein Ösendraht verwendet werden. Mit Hilfe des ohne Verwerfungen ausgerichteten Vicryl-Bandes erfolgt das Einpressen des flexiblen osteochondralen Lappens in die vertiefte Trochlea; das Band wird im Bereich des lateralen Femurkondylus über einer ausreichend breiten Knochenbrücke verknotet.

Für die MPFL-Plastik erfolgt zunächst die Darstellung der supermedialen Patellakante. Hier wird ein 2?3 cm langer, V-förmiger Knochenkanal gebohrt. Hierbei wird einmal vom superomedialen Pol und einmal von der Mitte der medialen Facette möglichst vertikal und V-förmig aufeinander zugebohrt (Abb. 7). Nach Einzug der Gracilissehne (Abb. 8) wird die Passage zwischen den beiden Kapselblättern zum femoralen Insertionspunkt präpariert.

Der femorale Insertionspunkt wird unter seitlicher Bildwandlerkontrolle unter deckungsgleich eingestellten posterioren Kondylen mit einem K-Draht markiert. Nach Einbringen des K-Drahtes wird dieser mit einem kanülierten, 7–8 mm dicken Bohrer ca. 3 cm weit überbohrt, so dass ein blind endender Knochenkanal entsteht. Hierbei sollte der Bohrer leicht von medial nach lateral ansteigend geführt werden, sodass die im Folgenden eingebrachten divergierenden Ösendrähte an der dorsalen Notch des Femur vorbeigeleitet werden. Auch gewährt die ausreichend Abstand zum N. peroneus. Die Passage der beiden Ösendrähte erfolgt ausreichend divergierend, sodass lateral eine große Knochenbrücke entsteht (Abb. 9). Nachdem die femorale Insertion distal der Epiphysenfuge liegt [42], muss bei noch offenen Wachstumsfugen von disem einfachen Konzept abgewichen werden. Die beiden freien Enden des Gracilistransplantats werden zum anatomischen medialen femoralen Insertionspunkt geführt und jeweils in die Fadenösen eingeführt (Abb. 10).

Durch Zug am lateralen Ende der Durchzugsdrähte werden die beiden Transplantatenden in den blinden Bohrkanal eingeführt und im Weiteren die Armierungen durch den lateralen Femurkortex in das Blindloch eingezogen. Hierbei ist darauf zu achten, dass beide Sehnenenden gut in das Blindloch hineingleiten. Auf der lateralen Seite wird einer der perkutan ausgeleiteten Fadenpaare subfazial in das kutane Austrittsloch des anderen Fadenpaares geleitet. Im letzten Schritt werden die Fadenpaare auf dem lateralen Kondylus zusammengeführt und in der 30°-Flexionsstellung nach Anlagen eines halben Schlages oder eines arthroskopischen Gleitknotens mit einem Nadelhalter zunächst temporär fixiert. Hiermit kann das Gleiten der Patella in Funktion, der Quadrantentest und die Transplantatspannung in unterschiedlichen Beugegraden beurteilt und ggf. eingestellt werden (Abb. 11).

Abschließend erfolgt die dauerhafte Verknüpfung mit zusätzlichen gegenläufigen halben Schlägen. Oft verwenden wir vor und nach der Testung auch einen arthroskopischen Knotenschieber um die Knoten bspw. in der Tiefe umittelbar auf dem Periost zu plazieren. Hierdurch gelingt unserer Erfahrung nach eine gut reproduzierbare, individuelle und einfache Alignement-Anpassung mit der Möglichkeit, eine Überspannung mit vorderen Knieschmerzen oder gar Beugedefiziten zu vermeiden.

Ergebnisse

82 % Prozent der Patienten zeigten postoperativ eine nahezu vollständige Streckung von 0?10°, 12 % ein Streckdefizit von 11?20° und 4 % von 21?35°. Drei Patienten wurden einige Monate nach der Operation aufgrund eines höhergradigen Beugedefizits unter Narkose mobilisiert. In den gleichzeitig durchgeführten Arthroskopien war der Knorpel im Bereich der durchgeführten Trochleaplastik stets fest und schadlos. Keiner der Patienten wies zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung ein Streckdefizit von mehr als 5° auf.

Bei keinem Kniegelenk zeigte sich bei 30° oder 60° ein positiver Patella Apprehensiontest, obwohl dieser vor der Operation bei allen Patienten positiv gewesen ist. Das Ergebnis deckt sich mit der postoperativen Subluxations- und Luxationsrate von 0 %.

In der klinischen Untersuchung zeigte sich bei 87 % keinerlei Druckschmerz am betroffenen Gelenk. Dieser wurde sowohl am femoralen MPFL-Ansatz, als auch bei Druck auf die Patella und dem Hoffaschen Fettkörper verneint. 13 % Prozent gaben einen leichten Druckschmerz an, den sie beim Abtasten des femoralen MPFL-Ansatzes verspürten.

Der Kujala Score stieg von präoperativ 62 Punkten (Range 31?85) auf einen postoperativen Wert von 92 Punkten (Range 59?100) (p < 0,0001).

Der durchschnittliche präoperative Aktivitätsgrad im Tegner Activity Skale (TAS) von 5,4 konnte postoperativ, nur nicht signifikant, auf einen Wert von 5,8 gesteigert werden (p-Wert von 0,233).

Im Lysholm Score findet sich ein signifikanter Anstieg der präoperativen Punktzahl (62 Punkte) auf postoperative Punktzahlen (94 Punkte).

Die Erhebung der prä- und postoperativen funktionellen Fähigkeiten und der Belastbarkeit des Kniegelenkes erfolgte mittels IKDC Score. In der präoperativen Auswertung betrug der Mittelwert des Gesamtergebnisses 56 Punkte (Range 36?81), während postoperativ ein durchschnittlicher Wert von 85 Punkten (Range 45?100) erreicht werden konnte. Dieser Anstieg im IKDC Score ist statistisch signifikant (p < 0,05).

Nach der Operation schätzen die Patienten die angstfreie Ausbelastung ihres Kniegelenkes auf durchschnittliche 9 von 10 Punkten.

Die Inhomogenität des Patientenkollektivs spiegelt sich in der Beantwortung der Frage nach sportlicher Aktivität deutlich wieder. So fiel die Beantwortung dieser Frage sowohl für den Zeitraum vor als auch nach der Operation sehr variabel aus. Einige Patienten bezeichneten sich zu keiner Zeit als Sportler, während andere wiederum im Leistungssportbereich aktiv und erfolgreich waren. In unserer Befragung entsprachen 0 Punkte keinerlei sportlicher Aktivität und 10 Punkte dem Leistungssport mit Ausbelastung. Die präoperative generelle sportliche Aktivität beträgt in der Selbsteinschätzung durchschnittlich 6,8 Punkte von möglichen 10 Punkten (= sehr aktiv). Postoperativ steigerte sich dieser Mittelwert auf 8,6 Punkte (p < 0,001).

Eine weitere Frage zu diesem Thema erfasste die Einschränkung sportlicher Aktivitäten durch das betroffene Kniegelenk. Das Maximum von 10 entspricht hierbei keinerlei subjektiven Einschränkungen. Der präoperative Wert von 5,0 stieg hierbei postoperativ auf 8,1 Punkte. Dies stützt das Ergebnis einer uneingeschränkten sportlichen Aktivitätssteigerung.

Gesondert wurde auf die Ausübung besonders kniebelastender Sportarten wie Skifahren, Fußball und Tennis etc. eingegangen. Auch bei dieser Frage entspricht der maximale Wert von 10 einer problemlosen Ausübung der Sportart. Der präoperative Wert von 4,2 wurde auf 7,7 Punkte postoperativ gesteigert.

Diskussion

Bei aller persönlichen Euphorie und guten Erfahrungen der Autoren sind sowohl die MPFL-Rekonstruktion als auch die Trochleaplastik anspruchsvolle und wenig verzeihende OP-Techniken mit entsprechenden Lernkurven.

Nach Zaffagnini et al. [77] beträgt die Komplikationsrate nach Trochleaplastik bereits im kurzfristigen Nachuntersuchungszeitraum etwa 14 %, die der MPFL-Plastik im Vergleich hingegen nur ca. 7 %. Während weitere Übersichtsarbeiten sogar Komplikationsraten von 13–40 % beschreiben [38, 61], berichten andere Autoren und eigene Publikationen über nahezu komplikationsfreie Verläufe [9, 55].

Andere Autoren berichten von postoperative Arthrosen, rezidivierende Patellaluxationen, persistierende Bewegungseinschränkungen oder einer ausbleibenden Knochenheilung, wobei die Häufigkeit von Revisionsoperationen bei etwa 8–14 % liegt [40, 51].

MPFL

Eine Fehlposition des MPFL führt zu erheblichen klinischen Problemen [10]. Die typischen Komplikationen sind der anteriore Knieschmerz, das Beugedefizit und Bewegungseinschränkungen in 5?10 % der Fälle [1, 14, 76]. So zeigen einige Autoren einen vorderen Knieschmerz nach 2 Jahren bei bis zu 30?50 % der Patienten [1, 29] sowie nach 3 Jahren bei bis zu 17 % der Patienten [45]. In unserer eigenen frühen Fallserie von 30 Patienten fand sich bei einem Nachuntersuchungszeitraum von 22,5 Monaten ein anteriorer Knieschmerz nach Belastung bei 12 % der Patienten und bei 1 Patienten ein Beugedefizit von mehr als 20°. Luxationsrezidive fanden sich nicht [67, 68].

Als Ursachen für den anterioren Knieschmerz und das Beugedefizit werden Vernarbungen im Transplantatbereich [17] sowie eine Tunnelfehlplatzierung [49] diskutiert. So zeigte eine Arbeitsgruppe in einer Serie postoperativer Kernspintomographien in nur 65 % eine gute Position der femoralen Insertion. In 35 % war diese zu weit anterior oder proximal [50]. Weiterhin ist als typischer Risikofaktor die Überspannung des MPFL-Transplantates gesehen worden [63]. Philippot et al. [50] wiesen darauf hin, dass die Zugkraft bei der Refixation nicht mehr als 10 Newton betragen sollte, womit bspw. im Vergleich zu kreuzbandchirurgischen Eingriffen bemerkenswert minimale Werte angestrebt werden sollten.

Die Literatur zeigt, dass eine sichere intraoperative Einstellung der Graftspannung des MPFL schwierig ist [13, 19, 64]. Neben der Beugungslimitierung führt eine überhöhte Graftspannung zu einem erhöhten Anpressdruck auf das femorale Gleitlager. Dies wiederum führt bei den Patienten vermehrt zu vorderen Knieschmerzen. Aus genau diesen Gründen diskutieren Chouteau et al. in ihrem MPFL Review den Bedarf nach einer Operationstechnik, die ein solches Überspannen des Transplantates vermeidet [13]. Auf Grundlage der Literatur ist es schwierig, die beste Flexionsstellung zu finden, in der das Graft während der Operation fixiert wird. Thaunat et al. [64] empfehlen eine volle Extension sowie eine eher weiter distal angelegte femorale Insertion, um eine Überspannung des Transplantats während der Knieflexion zu verhindern. Andere Autoren ziehen Techniken vor, die eine Transplantatverknüpfung bei einer Beugung zwischen 30°?45° vorsehen [2, 35, 43]. Feller et al. fixieren das Graft in 20°-Flexion und verschieben die Patella um einen Quadranten nach lateral, bevor sie diesen endgültig miteinander verknüpfen [63]. Weitere Autoren ziehen eine Position zwischen 60° und 90° Kniebeugung vor, weil diese eine präzisere Einstellung der Patella in tieferen, inferioren Teilen des trochlearen Gleitlagers zulässt [11, 62]. Bei der Zusammenschau dieser Studien leuchtet es ein, dass die eine optimale Methode zur Spannungseinstellung der Transplantatfixierung noch nicht beschrieben wurde. Aus diesem Grund kann unsere Technik, die eine einfache Testung der Transplantatspannung unter Flexion erlaubt, eine gute Lösung darstellen. Erst wenn der Operateur mit der Spannungseinstellung und der Beweglichkeit des Kniegelenkes und der Kniescheibe zufrieden ist, folgt die endgültige Fixierung der MPFL-Rekonstruktion.

Eine andere übliche Komplikation bei anderen Techniken ist die Patellafraktur, welche bei uns in keinem Fall eintrat. In der Literatur finden sich meistens Querfrakturen [14, 17, 27, 36, 41, 48, 63, 64]. Dhinsa et al. beschrieben großlumige und horizontale Bohrungen als Risikofaktor für Frakturen [17] . In unserer Technik werden vornehmlich vertikale horizontale Bohrungen ohne zusätzliches Verankerungsmaterial verwendet.

Operativer Zugang

Es sind unterschiedliche Zugangstechniken beschrieben. Autoren, welche die Trochleaplastik nach Bereiter verwenden, nehmen einen lateralen parapatellaren Zugang [7, 26, 40, 43, 55, 65, 72]. Bei der Methode nach Dejour wird hingegen ein modifizierter medialer Vastuszugang genutzt. Hierbei werden Fasern des M.vastus medialis auf ca. 4 cm in den Muskelbauch durchtrennt [15]. Wir verwenden hingegen einen kurzen medial-parapatellaren Zugang. Dieser lässt neben einer Trochleadarstellung auch eine gute Freilegung der medialen Patellakante zu. Hierüber können wir einen V-förmigen patellaren Bohrkanal für das MPFL anlegen. Zudem bietet diese Methode einen optimalen Zugang zur medialen Kapsel, in welcher der Tunnel zur femoralen MPFL-Graft-Insertion zwischen beiden Kapselblättern präpariert wird. Eine ausgedehnte Hautmobilisation oder ein zusätzlicher Hautschnitt zur Darstellung der medialen Patellakante ist somit nicht nötig, um das MPFL zu platzieren. Auch für die Technik der MPFL Rekonstruktion mittels Quadrizepssehne [20] ist dieser Zugang sehr gut geeignet. Wir selber haben damit Erfahrungen sammeln können, insbesondere bei MPFL-Rekonstruktionen nach Knieendoprothesen.

Trochleaplastik

MPFL-Rekonstruktion in
Kombination mit Trochleaplastik

Nach isolierter MPFL-Plastik trotz zugrundeliegender Trochleadysplasie zeigten Wagner et al. [73] ein vergleichsweise schlechtes klinisches Ergebnis. Somit sollte eine höhergradige Trochleadysplasie bei entsprechenden klinischen Befunden neben der MPFL-Plastik auch adressiert werden. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Trochleadysplasie der entscheidende Faktor für eine laterale Patelladislokation dargestellt [22]. Gleichzeitig findet sich eine deutliche Korrelation zwischen Trochleadysplasie und der Entstehung von Knorpeldefekten bis hin zur patellofemoralen Arthrose [54]. Die für die schwere Trochleadysplasie zu findende anterolaterale Überhöhung des Gleitlagers reduziert die patellofemorale Kontaktfläche, erhöht den Anpressdruck und die Lateralisation der Kniescheibe [66]. Aus diesem Grund ist ein vertiefendes Remodelling der Trochlea die sinnvolle Rationale bei der symptomatischen Trochleadysplasie.

Ergebnisse der Trochleaplastik

Es gibt eine Vielzahl von Studien, die den positiven Effekt der Trochleaplastik bei der Behandlung der Patellainstabilität aufgrund der Dysplasie hervorheben [4, 38, 39]. Viele Studien nach Trochleaplastik [9, 25, 26, 43, 65, 72] zeigten sich hinsichtlich der Kniefunktion, der Stabilisierung, der Komplikationen und auch hinsichtlich der Patientenzufriedenheit überzeugende Ergebnisse.

Fucentese et al. [26] sowie Zaffagnini et al. [72] zeigen, dass bei höheren Graden (Dejour-Typen C und D) die Trochleaplastik in Kombination mit der MPFL-Plastik einer isolierten MPFL-Plastik hinsichtlich der Reluxationsrate und Rückkehr zum Sport überlegen ist. Andere Autoren heben bei der Typ C Dysplasie tendentiell schlechtere Ergebnisse bei der Typ C Dysplasie als bei den Typen B und D beschrieben [26, 34].

Der Kujala Score zeigt bei der Bereiter-Methode sowohl im Vergleich zur Lyon-Methode nach Dejour [15, 18, 46] als auch im Vergleich zur Recession Wedge-Technik die besten Ergebnisse (Tab. 2).

In den letzten Jahren zeigten viele Studien die Bedeutung der Trochlea bei der Behandlung der Patellaluxation auf [7, 15, 39, 40, 46, 52, 57, 58, 70]. Obwohl diese Ergebnisse sehr vielversprechend sind und eine sehr geringe Re-Luxationsrate aufweisen als andere stabilisierende Verfahren [4, 38], zeigten nur wenige Studien das postoperative Alignement durch Schnittbildverfahren auf. Mittels CT konnten Schöttle und Mitarbeiter [55] und Fucentese et al. [25] demonstrieren, dass die Trochleaplastik zu einer Normalisierung der Trochleamorphologie führt, zu einem verbesserten Patella-Tilt und zu einer reduzierten Patellaluxation. Banke et al. [7] zeigten bei 18 Knien nach Trochleaplastik und MPFL-Rekonstruktion beim 2-jährigen Follow-up mittels MRT eine Reduktion des lateralen Patella-Shifts von 4,7 mm präoperativ zu 0,5 mm postoperativ und eine Reduktion des Patella-Tilts von 24,2° auf 15,8° postoperativ.

Balcarek und Zimmermann [5] untersuchten 20 Patienten im Alter von 16?39 Jahren, bei denen eine Trochleaplastik in Kombination mit einer MPFL-Rekonstruktion durchgeführt wurde. Prä- und postoperative MRT-Untersuchungen wurden mit einer alters- und geschlechtsgematchten Kontrollgruppe von 20 Patienten verglichen. Aufgrund ihrer Ergebnisse schlussfolgerten die Autoren, dass die Trochleaplastik mit MPFL-Rekonstruktion die patellotrochleare Kongruenz normalisieren kann und ebenso die patellofemoralen Parameter in die Norm korrigieren kann.

Wir sehen bei einer Trochleaplastik die MPFL-Plastik zur Anpassung des Weichteilalignements als notwendig. Zudem rupturiert das MPFL bereits nach der Erstluxation in > 90 % der Fälle [44], sodass das MPFL auch vor diesem Hintergrund adressiert werden sollte. Gerade in den Fällen, in denen in der transversalen MRT ein deutlicher Patella Tilt sichtbar ist, ist von einer ausgeprägten Insuffizienz des medialen Bandapparates auszugehen. Sowohl der intraoperative Eindruck, als auch CT Daten [25] zeigen, dass die Patella während einer Trochleaplastik in einer veränderten mechanischen Position nach dorsal und medial verlagert ist. Die Konsequenz ist, dass bei einer Trochleaplastik eine MPFL-Plastik nicht nur wegen der Ruptur, sondern auch im Sinne einer medialen Weichteilbalancierung bzw. Alignementanpassung notwendig wird.

Die Fallserien, bei denen neben der Bereiter-Methode routinemäßig in gleicher Sitzung eine MPFL-Plastik erfolgte, zeigten mit 95 bzw. 96 Punkten die bislang besten Ergebnisse im postoperativen Kujala Score (Tab. 1). In diesen Fallserien zeigte sich keine erneute Luxation [9, 42]. Nur einer von 23 Patienten zeigte Instabilitätssymptome im Sinne eines weiterhin positiven Apprehensiontests [43] und 2 von 29 Patienten zeigten erneute Subluxationen mit einem erneut zu beobachtenden J-Sign [9]. Unsere eigenen Erfahrungen mit der Kombination aus der Bereiter-Methode und unserer Technik der implantatfreien MPFL-Plastik zeigen ähnlich gute Ergebnisse im Kujala Score (keine Luxationsrezidive und eine entsprechend hohe Patientenzufriedenheit) [67, 68].

In unseren Untersuchungen kehrt mit weit über 90 % der Großteil der Patienten nach der Operation wieder in ihren Sport zurück. Die Leistungssportler scheinen hierbei die besten Ergebnisse zu haben, hier erreichen viele ihr zuvor erreichtes Wettkampfniveau. Diese Patienten berichten von einem sicheren Stabilitätsgefühl und der Möglichkeit, ohne Zurückhaltung den jeweiligen Sport ausüben zu können. Auch unter den Patienten, die präoperativ keinerlei Sport betrieben haben, wird ein nicht unwesentlicher Anteil sogar im Verlauf sportlich aktiv. Bezüglich der Patientenzufriedenheit haben wir versucht, auch das kosmetische Ergebnis zu evaluieren. Dies wird trotz der sichtbaren Narbe von den jungen Patienten als zufriedenstellend bewertet, sodass entsprechend unserer Befragungen weder das Selbstbewusstsein, noch die Kleiderwahl eingeschränkt zu sein scheint. Ästhetische Narbenoperationen scheinen für die von uns befragten Patienten nicht von Interesse zu sein [68].

Persistierende Patellainstabilität nach Trochleaplastik

Song et al. [61] geben eine Reluxationsrate nach Trochleaplastik mit 7 % nach durchschnittlich 48 Monaten an. Longo et al. [38] beschreiben eine solche mit 2–10 % nach durchschnittlich 57 Monaten und Metcalfe et al. [40] mit bis zu 8 % nach durchschnittlich 11 Jahren. Nur wenige Arbeiten diskriminieren hierbei nach den verschiedenen Dysplasieformen. Zaffagnini et al. [77] veröffentlichten bei hochgradiger Dysplasieformen (Dejour-Typen C/D), die nur mittels MPFL-Plastik behandelt wurden, deutlich höhere Reluxationsraten von bis zu 18,6 %, als wenn diese in Kombination mit einer Trochleaplastik erfolgte. Bei leichteren Formen (Typen A/B) zeigten die Autoren nach isolierter MPFL-Plastik Reluxationsraten von lediglich 2,7 %.

Metcalfe et al. [40] betonen, dass etwa 30 % aller notwendigen Revisionsoperationen im Langzeitverlauf nach Trochleaplastik nachfolgend durchgeführte MPFL-Plastiken sind; dieses unterstreicht nochmals die Notwendigkeit zur Kombination von Trochleaplastik und MPFL-Rekonstruktion. Dieses gilt insbesondere für höhergradige Dysplasieformen (Typen B–D) (0 % vs. 2,06 %) [61].

Bewegungseinschränkungen nach Trochleaplastik

Postoperative Bewegungseinschränkungen treten entsprechend der Literatur bei Trochleaplastiken bei 4–18 % der Patienten und damit häufiger als bei sonstigen Operationen zur Patellastabilisierung auf [12, 38, 61, 77]. Carstensen et al. beobachteten bei der Trochleaplastik v.a. „Arthrofibrose typische“ Bewegungseinschränkungen [12]. Als Therapieoptionen stehen die Narkosemobilisation, eine arthroskopische Arthrolyse sowie eine intensivierte Physiotherapie zur Verfügung [7, 12, 61]. Verglichen mit posttraumatischen Formen der intraartikulären Bewegungseinschränkung, zeigt die Narkosemobilisation nach Trochleaplastik jedoch eine deutlich geringere Erfolgsrate als nach unfallbedingten Bewegungseinschränkungen (18,2 vs. 59–87 %) [12]. Unserer Erfahrung nach, aber auch entsprechend der Literatur, zeigt v.a. die Kombination aus arthroskopischer Arthrolyse und intensiver Physiotherapie zufriedenstellende Ergebnisse [7, 12, 61]. Deshalb ziehen wir entsprechende kombinierte Therapiekonzepte gegenüber der Narkosemobilisation vor.

Knorpelschädigung nach Trochleadysplasie

Oft wird das potentielle Risiko der Knorpelschädigung und einer sekundären iatrogenen patellofemoralen Arthrose in Folge der Trochleaplastik als zu hoch eingeschätzt, teilweise wird die Trochleaplastik auch nur als Reservemaßnahme bei erfolglosen Voroperationen angesehen [8, 52]. Mehrfache eigene arthroskopische Nachuntersuchungen sowie Publikationen von Blond et al. [9] und Schöttle et al. [57, 58] zeigen jedoch, dass sich das Vicrylband vollständig resorbiert und v.a. keine Knorpelschäden im Bereich der versetzten und plastisch verformten Gelenkflächen auftreten. Zur histologischen Beurteilung konnten Schöttle et al. [57, 58] 2 osteochondrale Biopsien 6 und 9 Monate nach einer Trochleaplastik entnehmen. Neben einer histologischen Untersuchung zur Beurteilung der Knorpel-Knochen-Qualität erfolgte eine Konfokalmikroskopie zur Beurteilung der Lebens- und Funktionsfähigkeit der Knorpelzellen. Trotz der Osteotomie, die ca. 2 mm unterhalb des Knorpels durchgeführt wird, zeigte sich ein normaler histologischer Knorpel-Knochen-Befund mit einer entsprechenden Knochenneubildung in der Osteotomiezone. Insbesondere Knorpel- oder Knochennekrosen zeigten sich nicht.

Die Aussagen in der Literatur auf die Entstehung einer patellofemoralen Arthrose nach Trochleaplastik sind nicht einheitlich [7, 15, 40, 46, 52, 57, 58, 72]. Die positiven Effekte der Trochleaplastik zur Vermeidung der patellofemoralen Arthrose werden jedoch hervorgehoben.

Dejour et al. [15] und Ntagiopulos et al. [46] zeigten keinen Arthroseprogress nach 5,5 Jahren sowie nach 7 Jahren nach Trochleaplastik. In anderen Studien fanden sich eine patellofemorale Arthrose in 30?65 % nach 8?14 Jahren [52, 72]. Andere Autoren haben eine patellofemorale Arthroserate von 5,3 % nach einem mittleren Nachuntersuchungszeitraum von 3,7 und 7,7 % nach 5 Jahren beobachtet [40]. Inwieweit die Entwicklung der patellofemoralen Arthrose alleine den natürlichen Verlauf dieser komplexen Pathoanatomie zu schulden ist, ist momentan noch nicht klar dargestellt. Kurzfristige Untersuchungen zeigten keine Evidenz von Knorpelschäden [40, 57, 58, 72]. Anderseits zeigt sich eine hohe Inzidenz von Knorpelschäden bei Patienten mit nicht behandelten Luxationen der Patella nach einem Nachuntersuchungszeitraum von 8 Jahren [53].

Die V-förmige Trochleaplastik nach Dejour (26,5 %) zeigt eine deutlich größere Inzidenz zur Entwicklung einer patellofemoralen Arthrose als die U-förmige Trochleaplastik nach Bereiter (4,4 %) [38]. Hierbei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die Trochleadyplasie an sich, ebenso wie die Hüftdysplasie, eine Präarthrose darstellt.

Es ist festzuhalten, dass die Entwicklung der patellofemoralen Arthrose durch eine Trochleaplastik nicht vollständig verhindert werden kann [72]. Ziel sollte daher ein möglichst früher Behandlungszeitpunkt sein, um den Zeitraum einer persistierenden Fehlbelastung zu reduzieren.

Fazit

Zusammenfassend scheint die Kombination aus einer vertiefenden Trochleaplastik nach Bereiter und einer MPFL-Plastik (Abb. 12) bei richtiger Indikation ein vergleichsweise erfolgversprechendes Verfahren zu sein. Insbesondere die Möglichkeit, die Transplantatspannung intraoperativ zu testen und zu optimieren, erscheint bei unserem Vorgehen einfach und hilfreich. Die individuelle Containmentanpassung in der Bereiter-Technik bezüglich der knöchernen Formstörung und die MPFL-Plastik mit dem Ziel einer individuellen intraoperativen Alignementanpassung sind wesentlich, um zu einem guten Ergebnis mit geringen Komplikationsraten zu kommen.

Interessenkonflikte

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med.

Lars Victor von Engelhardt

Fakultät für Gesundheit, Universität Witten/Herdecke

Alfred-Herrhausen-Straße 50

58448 Witten

larsvictor@hotmail.com

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