Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024
Besondere Aspekte und Tipps für Eingriffe unter Durchleuchtung
Stephan Klessinger
Lernziele:
Erkennen der für eine Intervention spezifischen Anatomie der Wirbelsäule
Wissen, wie sich die dreidimensionalen (gebogenen) Strukturen im zweidimensionalen Durchleuchtungsbild darstellen
Durch bessere anatomische Kenntnisse Risiken und Komplikationen vermeiden
Bessere Ergebnisse bei Interventionen erhalten durch gute theoretische Kenntnisse
Anatomie der Wirbelsäule für Interventionen
Zusammenfassung:
Genaue Kenntnisse der Anatomie sind eine wichtige Voraussetzung, um Interventionen durchzuführen und zu guten Ergebnissen zu gelangen. Insbesondere lassen sich Risiken und Komplikationen vermeiden, wenn Gefahren bekannt sind. An der knöchernen Wirbelsäule gilt es, Übergangsanomalien zu erkennen und klar zu kommunizieren. Gebogene Strukturen müssen bei Durchleuchtung und Projektion auf den zweidimensionalen Bildschirm richtig interpretiert werden. Bei Injektionen in die Facettengelenke sind das kleine intra-artikuläre Volumen und die mögliche Kommunikation des Gelenkraums mit angrenzenden Räumen zu beachten. Die Kontrolle der Nadeltiefe im Spinalkanal ist bei interlaminären Injektionen wichtig, hier kann eine schräge Einstellung hilfreich sein. Die genaue Kenntnis möglicher Verläufe der benachbarten Arterien ist notwendig, um intra-arterielle Injektionen und damit möglicherweise schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden. Schließlich sind Kenntnisse über die Nerven relevant, damit gezielte Injektionen an die richtige Stelle gesetzt werden können.
Schlüsselwörter:
Anatomie, Interventionen, Wirbelsäule, Durchleuchtung, Facettengelenke, Nervenwurzel
Zitierweise:
Klessinger S: Anatomie der Wirbelsäule für Interventionen.
Besondere Aspekte und Tipps für Eingriffe unter Durchleuchtung
OUP 2024; 13: 186–195
DOI 10.53180/oup.2024.0186-0195
Summary: Accurate knowledge of anatomy is an important prerequisite for carrying out interventions and achieving good results. In particular, risks and complications can be avoided if perils are known. It is important to recognize and clearly communicate transitional anomalies in the bony spine. Curved structures must be correctly interpreted during fluoroscopy and projection on the two-dimensional screen. When injecting facet joints, attention must be paid to the small intra-articular volume and possible communication between the joint space and adjacent spaces. Controlling the depth of the needle in the spinal canal is important for interlaminar injections; an oblique setting can be helpful here. Exact knowledge of possible courses of the neighboring arteries is necessary in order to avoid intra-arterial injections and thus potentially serious complications. Finally, knowledge about the nerves is important in order to be able to place targeted injections in the right place.
Keywords: Anatomy, intervention, spine, fluoroscopy, facet joint, nerve root
Citation: Klessinger S: Anatomy of the spine for interventions. Special aspects and tips for procedures under fluoroscopy
OUP 2024; 13: 186–195. DOI 10.53180/oup.2024.0186-0195
Neurochirurgie Biberach
Einleitung
Das Ziel einer röntgengeführten Intervention an der Wirbelsäule ist es, mit der Nadel eine definierte anatomische Struktur präzise zu erreichen. Möglich sind z.B. diagnostische Eingriffe, bei denen mit sehr kleinen Mengen Lokalanästhesie gearbeitet wird und therapeutische Injektionen sowie die Radiofrequenz-Denervation als ablatives Verfahren. In jedem Fall ist es wichtig, die Anatomie der Zielregion genau zu kennen, um die Nadel an die richtige Stelle zu positionieren. Werden Interventionen unter Durchleuchtung durchgeführt, so ist zu berücksichtigen, dass in der Bildgebung ausschließlich Knochen zu erkennen ist und dieser zweidimensional dargestellt wird. Dennoch ist es wichtig, bei der Planung und Durchführung nicht nur die Wirbel und die Gelenke zu berücksichtigen, sondern auch Blutgefäße und Nerven. Eine Injektion in eine Arterie kann zu Komplikationen führen und sollte vermieden werden. Daher ist eine Kenntnis möglicher Verläufe wichtig. Nerven sind häufig die eigentliche Zielstruktur sowohl für diagnostische als auch für therapeutische Interventionen. Eine Kenntnis der Innervierung ist wichtig, damit der richtige Nerv adressiert werden kann. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit beschreibt dieser Artikel einzelne Schlüsselpunkte der Anatomie, gegliedert nach unterschiedlichen Strukturen für die Hals- und Lendenwirbelsäule.
Knochen
Übergangsanomalien
Varianten in der Anzahl der Wirbelsäulensegmente thorakal und lumbal sind sehr häufig. So wurde in einer aktuellen Studie [1] bei 15,3 % asymptomatischen Probanden ein thorakolumbaler Übergangswirbel und bei 26,4 % ein lumbosakraler Übergangswirbel (Abb. 1) festgestellt. Die Anzahl der Halswirbel scheint hingegen konstant zu sein, wobei jedoch bei 4,2 % der Probanden eine Halsrippe beobachtet wurde [1]. An der Halswirbelsäule gibt es aber häufiger Fusionen von Wirbelkörpern.
Es ist nicht möglich, den 5. Lendenwirbel mit ausreichender Sicherheit durch lokale anatomische Marker (z.B. eher runder Dornfortsatz, Höhe des Beckenkamms) zu lokalisieren. Gezählt werden die Wirbel von cranial nach caudal, d.h., es wird an der Schädelbasis begonnen. Da die Zahl der Halswirbel konstant ist, ist es möglich, am zerviko-thorakalen Übergang zu beginnen. Der erste Brustwirbel ist an dem aufsteigenden Querfortsatz zu erkennen (Abb. 2). Das Topogramm eines MRT oder CT kann hilfreich sein. Eine zusätzliche Strahlenbelastung nur zum Zählen der Wirbel sollte vermieden werden.
Im Praxisalltag stehen oft nur Bilder der LWS zur Verfügung und es ist daher nicht möglich, vom thorakolumbalen Übergang aus zu zählen. Die Identifikation des richtigen Levels in der Durchleuchtung kann am besten im Vergleich des Durchleuchtungsbildes mit einer sagittalen MRT-Schicht genau in der Mittellinie erfolgen. Wichtig ist es, in der Dokumentation auf die Übergangsanomalie hinzuweisen und eine möglichst einheitliche Benennung zu verwenden, damit die Kommunikation zwischen den behandelnden Ärztinnen und Ärzten nicht missverständlich wird und somit eine korrekte Behandlung der Patientinnen und Patienten sichergestellt wird [3].