Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024
Besondere Aspekte und Tipps für Eingriffe unter Durchleuchtung
In der Etage Lw5/Sw1 gibt es Besonderheiten zu beachten. Die L5-Nervenwurzel hat im Spinalkanal am meisten Platz von allen lumbalen Nervenwurzeln, jedoch sind der Recessus und das Foramen enger als in den anderen lumbalen Etagen [20]. Dazu kommt, dass die Nervenwurzeln L5 und S1 den größten Durchmesser haben. Die Nervenwurzel L5 ist daher besonders anfällig für ein Kompressionssyndrom [20]. Auch Anomalien, wie z.B. gemeinsam verlaufende Nervenwurzeln finden sich besonders häufig in der Etage Lw5/Sw1 (Abb. 16).
Ramus dorsalis und Medial Branch
Bei chronischen Rückenschmerzen kommt als Therapie eine Radiofrequenzdenervation der Facettengelenke infrage. Dabei werden die beiden Medial Branches verödet, die ein Facettengelenk versorgen. Der Medial Branch ist ein Seitenast des Spinalnerven. Der Spinalnerv zweigt sich nach wenigen Millimetern auf in einen ventralen Ast und einen dorsalen Ast. Der Ramus ventralis zieht im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule zum Plexus und versorgt später die Extremitäten. Der Ramus dorsalis ist zuständig für die Versorgung der Rückenmuskulatur. An der unteren Lendenwirbelsäule gib es dorsal vom Querfortsatz 3 große Muskelgruppen, den M. multifidus, den M. longissimus und den M. iliocostalis. Deshalb zweigt sich der Ramus dorsalis in entsprechende 3 Äste auf, die jeweils einen dieser Muskeln versorgen (Abb. 17). Der Ast, der am weitesten zur Körpermitte zieht, ist der Medial Branch, der neben dem M. multifidus auch für die Versorgung der Facettengelenke zuständig ist. Allerdings bildet dieser Medial Branch einen aufsteigenden und einen absteigenden Ast, sodass 2 Facettengelenke anteilig versorgt werden. Bei einer Denervation ist dies zu berücksichtigen. Es muss immer der absteigende Ast vom cranialen Medial Branch und der aufsteigende Ast vom caudalen Medial Branch verödet werden, um ein Facettengelenk zu denervieren. Also z.B. der Medial Branch aus L3 und aus L4 um das Facettengelenk Lw4/5 zu therapieren.
Lumbosakral versorgt der Ramus dorsalis der Nervenwurzel L5 direkt das Facettengelenk, hier gibt es keinen Medial Branch. Auch an der oberen Halswirbelsäule gibt es Besonderheiten. Der Ramus posterior C1 ist rein motorisch, deshalb existiert kein Dermatom C1. Der Ramus posterior aus C2 bildet den N. occipitalis major und der Ramus posterior C3 bildet 2 Rami mediales, einen tief liegenden, der entsprechend den Rami mediales der weiter caudal liegenden Level verläuft, und einen oberflächlichen Ast, der das Facettengelenk Hw2/3 innerviert und als „Third occipital nerve“ (TON) die Musculi semispinales capiti versorgt und die Haut über der Suboccipitalregion [21].
Nervus sinuvertebralis
Neben dem Ramus ventralis und dem Ramus dorsalis zweigt noch der N. sinuvertebralis aus dem Spinalnerven ab. Der Nerv zieht zurück durch das Foramen in den Spinalkanal. Es handelt sich um einen gemischten Nerven mit somatosensorischen Anteilen aus dem Ramus ventralis und Anteilen aus dem vegativen sympathischen System über den Ramus communicans griseus. Der Nerv versorgt das hintere Längsband, die ventralen Anteile der Dura und den Wirbelkörper als Basivertebralnerv [22]. Therapeutisch kann der Basivertebralnerv zur Therapie von Schmerzen ausgehend vom dem Wirbelköper z.B. bei einer Osteochondrose, verödet werden [23].
Interessenkonflikte:
Keine angegeben
Das Literaturverzeichnis zu
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Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Stephan Klessinger
Facharzt für Neurochirurgie
Neurochirurgie Biberach
Eichendorffweg 5
88400 Biberach
klessinger@neurochirurgie-bc.de
CME-Fragen:
1. Welche Aussage zur Sichtbarkeit von Knochen im Durchleuchtungsbild ist nicht richtig?
Die Hinterkante der ersten 4 Lendenwirbel stellt sich meist konkav zum Spinalkanal dar.
Am besten zu erkennen im Durchleuchtungsbild sind die Anteile der Kortikalis, die parallel zum Röntgenstrahl verlaufen.
Die Hinterkanten des 5. Lendenwirbels und der lumbosakralen Bandscheibe sind konvex in Richtung Spinalkanal.
Spongiosa ist besser sichtbar im Durchleuchtungsbild als Kortikalis.
Es macht Sinn, das axiale MRT-Bild in die Planung einer Injektion in das Facettengelenk einzubeziehen.
2. Welche Aussage zu Interventionen an der Halswirbelsäule ist falsch?
Im Durchleuchtungsbild ap entspricht die laterale Begrenzung des Spinalkanals ungefähr der Lokalisation des Processus uncinatus.
Bei einer Injektion in das Facettengelenk oder bei einer transforaminalen Injektion sollte die Nadel niemals medial vom Processus uncinatus liegen.
Der Processus uncinatus ist im ap-Durchleuchtungsbild nicht erkennbar.
Der Zugang zum Facettengelenk sollte lateral vom Processus uncinatus gewählt werden.
Bei einer unbeabsichtigten Injektion in den Spinalkanal kann eine vorübergehende hohe spinale Querschnittslähmung die Folge sein.
3. Welche Aussage zur Anzahl der Wirbel ist korrekt?
Bei gut einem Viertel der Menschen finden sich lumbosakrale Übergangswirbel.
Zur Bestimmung eines lumbalen Levels sollte vom Kreuzbein aus nach cranial gezählt werden.
Der 5. Lendenwirbel ist eindeutig durch anatomische Merkmale wie z.B. eine rundere Form des Dornfortsatzes und durch den Bezug zum Beckenkamm lokalisierbar.
Ähnlich wie bei lumbosakralen Übergangswirbeln finden sich auch häufig Varianten in der Anzahl der Halswirbel.
Übergangswirbel sind thorakolumbale häufiger anzutreffen als lumbosakral.
4. Welche Aussage zu den lumbalen Facettengelenken ist nicht richtig?
Der Begriff intra-artikuläre Injektion wird sowohl für Injektionen in den Gelenkspalt aber auch für Injektionen in die Gelenkkapsel verwendet.
Eine mögliche Erklärung für den akuten Schmerz bei einem „Hexenschuss“ ist eine Dislokation des Meniscoids im Recessus mit Dehnung der Gelenkkapsel beim Aufrichten aus Vorbeugung mit Rotation.