Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024

Besondere Aspekte und Tipps für Eingriffe unter Durchleuchtung

Stephan Klessinger

Lernziele:

Erkennen der für eine Intervention spezifischen Anatomie der Wirbelsäule

Wissen, wie sich die dreidimensionalen (gebogenen) Strukturen im zweidimensionalen Durchleuchtungsbild darstellen

Durch bessere anatomische Kenntnisse Risiken und Komplikationen vermeiden

Bessere Ergebnisse bei Interventionen erhalten durch gute theoretische Kenntnisse

Anatomie der Wirbelsäule für Interventionen

Zusammenfassung:
Genaue Kenntnisse der Anatomie sind eine wichtige Voraussetzung, um Interventionen durchzuführen und zu guten Ergebnissen zu gelangen. Insbesondere lassen sich Risiken und Komplikationen vermeiden, wenn Gefahren bekannt sind. An der knöchernen Wirbelsäule gilt es, Übergangsanomalien zu erkennen und klar zu kommunizieren. Gebogene Strukturen müssen bei Durchleuchtung und Projektion auf den zweidimensionalen Bildschirm richtig interpretiert werden. Bei Injektionen in die Facettengelenke sind das kleine intra-artikuläre Volumen und die mögliche Kommunikation des Gelenkraums mit angrenzenden Räumen zu beachten. Die Kontrolle der Nadeltiefe im Spinalkanal ist bei interlaminären Injektionen wichtig, hier kann eine schräge Einstellung hilfreich sein. Die genaue Kenntnis möglicher Verläufe der benachbarten Arterien ist notwendig, um intra-arterielle Injektionen und damit möglicherweise schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden. Schließlich sind Kenntnisse über die Nerven relevant, damit gezielte Injektionen an die richtige Stelle gesetzt werden können.

Schlüsselwörter:
Anatomie, Interventionen, Wirbelsäule, Durchleuchtung, Facettengelenke, Nervenwurzel

Zitierweise:
Klessinger S: Anatomie der Wirbelsäule für Interventionen.
Besondere Aspekte und Tipps für Eingriffe unter Durchleuchtung
OUP 2024; 13: 186–195
DOI 10.53180/oup.2024.0186-0195

Summary: Accurate knowledge of anatomy is an important prerequisite for carrying out interventions and achieving good results. In particular, risks and complications can be avoided if perils are known. It is important to recognize and clearly communicate transitional anomalies in the bony spine. Curved structures must be correctly interpreted during fluoroscopy and projection on the two-dimensional screen. When injecting facet joints, attention must be paid to the small intra-articular volume and possible communication between the joint space and adjacent spaces. Controlling the depth of the needle in the spinal canal is important for interlaminar injections; an oblique setting can be helpful here. Exact knowledge of possible courses of the neighboring arteries is necessary in order to avoid intra-arterial injections and thus potentially serious complications. Finally, knowledge about the nerves is important in order to be able to place targeted injections in the right place.

Keywords: Anatomy, intervention, spine, fluoroscopy, facet joint, nerve root

Citation: Klessinger S: Anatomy of the spine for interventions. Special aspects and tips for procedures under fluoroscopy
OUP 2024; 13: 186–195. DOI 10.53180/oup.2024.0186-0195

Neurochirurgie Biberach

Einleitung

Das Ziel einer röntgengeführten Intervention an der Wirbelsäule ist es, mit der Nadel eine definierte anatomische Struktur präzise zu erreichen. Möglich sind z.B. diagnostische Eingriffe, bei denen mit sehr kleinen Mengen Lokalanästhesie gearbeitet wird und therapeutische Injektionen sowie die Radiofrequenz-Denervation als ablatives Verfahren. In jedem Fall ist es wichtig, die Anatomie der Zielregion genau zu kennen, um die Nadel an die richtige Stelle zu positionieren. Werden Interventionen unter Durchleuchtung durchgeführt, so ist zu berücksichtigen, dass in der Bildgebung ausschließlich Knochen zu erkennen ist und dieser zweidimensional dargestellt wird. Dennoch ist es wichtig, bei der Planung und Durchführung nicht nur die Wirbel und die Gelenke zu berücksichtigen, sondern auch Blutgefäße und Nerven. Eine Injektion in eine Arterie kann zu Komplikationen führen und sollte vermieden werden. Daher ist eine Kenntnis möglicher Verläufe wichtig. Nerven sind häufig die eigentliche Zielstruktur sowohl für diagnostische als auch für therapeutische Interventionen. Eine Kenntnis der Innervierung ist wichtig, damit der richtige Nerv adressiert werden kann. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit beschreibt dieser Artikel einzelne Schlüsselpunkte der Anatomie, gegliedert nach unterschiedlichen Strukturen für die Hals- und Lendenwirbelsäule.

Knochen

Übergangsanomalien

Varianten in der Anzahl der Wirbelsäulensegmente thorakal und lumbal sind sehr häufig. So wurde in einer aktuellen Studie [1] bei 15,3 % asymptomatischen Probanden ein thorakolumbaler Übergangswirbel und bei 26,4 % ein lumbosakraler Übergangswirbel (Abb. 1) festgestellt. Die Anzahl der Halswirbel scheint hingegen konstant zu sein, wobei jedoch bei 4,2 % der Probanden eine Halsrippe beobachtet wurde [1]. An der Halswirbelsäule gibt es aber häufiger Fusionen von Wirbelkörpern.

Es ist nicht möglich, den 5. Lendenwirbel mit ausreichender Sicherheit durch lokale anatomische Marker (z.B. eher runder Dornfortsatz, Höhe des Beckenkamms) zu lokalisieren. Gezählt werden die Wirbel von cranial nach caudal, d.h., es wird an der Schädelbasis begonnen. Da die Zahl der Halswirbel konstant ist, ist es möglich, am zerviko-thorakalen Übergang zu beginnen. Der erste Brustwirbel ist an dem aufsteigenden Querfortsatz zu erkennen (Abb. 2). Das Topogramm eines MRT oder CT kann hilfreich sein. Eine zusätzliche Strahlenbelastung nur zum Zählen der Wirbel sollte vermieden werden.

Im Praxisalltag stehen oft nur Bilder der LWS zur Verfügung und es ist daher nicht möglich, vom thorakolumbalen Übergang aus zu zählen. Die Identifikation des richtigen Levels in der Durchleuchtung kann am besten im Vergleich des Durchleuchtungsbildes mit einer sagittalen MRT-Schicht genau in der Mittellinie erfolgen. Wichtig ist es, in der Dokumentation auf die Übergangsanomalie hinzuweisen und eine möglichst einheitliche Benennung zu verwenden, damit die Kommunikation zwischen den behandelnden Ärztinnen und Ärzten nicht missverständlich wird und somit eine korrekte Behandlung der Patientinnen und Patienten sichergestellt wird [3].

Gebogene Strukturen

Im Durchleuchtungsbild ist die Kortikalis aufgrund der höheren Dichte besser erkennbar als Spongiosa. Am besten zu sehen ist die Kortikalis, die parallel zum Röntgenstrahl verläuft. Deutlich wird dies am Gelenkspalt eines Facettengelenkes. Erst wenn der C-Bogen so weit rotiert wird, dass die Röntgenstrahlen parallel auf den Gelenkspalt treffen, ist dieser scharf zu erkennen. Der Gelenkspalt ist auch im axialen MRT gut zu sehen, sodass dieses zur Planung der Rotation einbezogen werden kann (Abb. 3).

Ein Wirbelkörper ist eher nicht wie ein Quader mit geraden, rechtwinkligen Kanten aufgebaut, sondern hat abgerundete Kanten. Auch hier ist die Kortikalis am besten zu sehen, die parallel zum Röntgenstrahl verläuft. Wichtig ist zu wissen, dass die Lendenwirbel Lw1 bis Lw4 zum Spinalkanal hin eher konkav geformt sind, Lw5 hingegen konvex, sodass unterschiedliche Abteile der Hinterkante scharf dargestellt werden (blaue Linie in Abb. 4). In einem seitlichen Röntgenbild kann daher durch Überlagerung der falsche Eindruck entstehen, dass das Foramen knöchern eng sei, oder dass eine Nadel bei einer transforaminalen Injektion im Wirbelkörper liegt (Abb. 5).

Processus uncinatus

Für die Halswirbelsäule soll bezüglich der knöchernen Strukturen auf den Processus uncinatus hingewiesen werden. Dieser ist im ap-Durchleuchtungsbild leicht zu identifizieren und zeigt die laterale Begrenzung des Spinalkanals an. Eine Nadel sollte bei einer intra-artikulären oder bei einer transforaminalen Injektion niemals medial vom Processus uncinatus liegen, da dann eine intraspinale Lage wahrscheinlich ist und das Medikament nicht die Zielregion erreicht (Abb. 6). Bei Anwendung eines Lokalanästhetikums kann ein vorübergehender hoher spinaler Querschnitt die Folge sein. Auch eine intrathekale oder intramedulläre Nadellage ist möglich.

Gelenke

Facettengelenk

Bei den Facettengelenken handelt es sich um echte synoviale Gelenke. Die Gelenkflächen sind mit hyalinem Knorpel bedeckt. Das intraartikuläre Gesamtvolumen des Gelenks beträgt ca. 1–2 ml [4]. Bei der Injektion in den Gelenkspalt muss somit mit sehr kleinen Volumen gearbeitet werden. Das Gelenk ist von einer straffen, bindegewebigen Kapsel umgeben, die reich an Nozizeptoren ist. Am oberen und unteren Ende des Gelenks bildet die Kapsel einen Freiraum, der Recessus genannt wird. Die Recessus sind bei intaktem Gelenk mit Fettgewebe gefüllt, zudem befindet sich eine Struktur im Recessus, die als Meniscoid bezeichnet wird [5] und am ehesten einer Verdickung der Gelenkkapsel entspricht (Abb. 7). Beim Aufrichten aus Vorbeugung mit Rotation kann es zu einer Dislokation des Meniscoids kommen, wodurch die Gelenkkapsel gedehnt wird. Dadurch entsteht ein akuter Schmerz mit Bewegungseinschränkung und schmerzbedingter Verkrampfung der Rückenmuskulatur (Blockierung) wie bei einem „Hexenschuss“. Eine manualmedizinische Therapie kann dieses Problem in manchen Fällen beseitigen.

Der Begriff intra-artikuläre Injektion wird sowohl für Injektionen in den Gelenkspalt, aber auch für Injektionen an einen beliebigen Ort in die Gelenkkapsel genutzt. Bei Injektionen in den Gelenkspalt ist neben dem geringen Volumen auch zu berücksichtigen, dass es regelmäßig im oberen und unteren Recessus Foramen gibt, durch welche das Injektat aus dem Gelenk austreten kann und sich dann intraspinal ausbreitet [5]. Deshalb ist eine intra-artikuläre Injektion in den Gelenkspalt nicht spezifisch für das Gelenk und daher auch nicht als diagnostische Injektion geeignet.

„Space of Okada“

Die Kapsel der Facettengelenke bildet zusammen mit den Bändern einen Teil der dorsalen Begrenzung des Epiduralraumes. Es wird von einem posterioren Band-Komplex gesprochen, der aus den Gelenkkapseln der Facettengelenke, dem Ligamentum flavum sowie den interspinösen und supraspinösen Bändern besteht [6]. Zwischen den Bändern und dem Epiduralraum bestehen mögliche Kommunikationswege, die bereits 1981 von Kikuzo Okada beschrieben wurden [7]. Der „Space of Okada“ ist ein Raum dorsal vom Ligamentum flavum, der häufig an der Halswirbelsäule aber auch gelegentlich an der Lendenwirbelsäule (z.B. im Rahmen eines Morbus Baastrup oder bei Pars-interartikularis-Defekten) beschrieben ist. Begrenzt wird der „Space of Okada“ lateral von den Gelenkkapseln, ventral vom Ligamentum flavum und dorsal vom Ligamentum interspinosum (Abb. 8). Eine Kommunikation zwischen Epiduralraum, Facettengelenken, interspinösem Raum und Neuroforamen ist möglich. An der Halswirbelsäule findet sich zu 80 % eine Kommunikation mit dem kontralateralen Facettengelenk.

Bei einer Injektion in den Gelenkspalt eines Facettengelenkes ist eine Ausbreitung des Kontrastmittels in den posterioren Bandkomplex und in den Epiduralraum beschrieben worden [6]. Im Rahmen einer interlaminären epiduralen Injektion kann eine Nadelposition im „Space of Okada“ einen Loss of Resistance erzeugen, obwohl sich die Nadel noch nicht im Epiduralraum befindet, sondern dorsal vom Ligamentum flavum. Insofern empfiehlt es sich, auch bei interlaminären Injektionen in den Epiduralraum, Durchleuchtung und Kontrastmittel zu verwenden, um eine korrekte Nadelposition zu erkennen.

Räume im Spinalkanal

Bei einer interlaminären Injektion ist es wichtig, die Nadeltiefe zu kontrollieren, damit das Medikament tatsächlich im Epiduralraum platziert wird. Im Epiduralraum befindet sich Fettgewebe und ein prominenter Venenplexus, der unter anderem auch die Vena basivertebralis enthält, welche mittig in den Wirbelkörper hineinzieht und diesen versorgt. Der ventrale Epiduralraum kann durch ein Band (Ligament of Hofmann) geteilt sein. Eine Injektion in den Epiduralraum ist nur möglich, wenn dorsal der Dura ausreichend Platz vorhanden ist. Es sollte also im MRT (am besten in einer T1-gewichteten sagittalen Schicht) epidurales Fettgewebe erkennbar sein (Abb. 9). Ein Level mit einer Spinalkanalstenose ist nicht gut geeignet zur Injektion. An der Halswirbelsäule findet sich epidurales Fettgewebe typischerweise caudal von Hw6/7, sodass eine Injektion in Höhe Hw7/Bw1 bzw. nicht cranial von Hw6/7 empfohlen wird.

Wird eine Nadel zu tief eingeführt, so wird als nächste Struktur die Dura erreicht (Abb. 10). Die Dura besteht aus verschiedenen Lagen, ein klar definierter Subduralraum findet sich aber spinal nicht. Die Bezeichnungen subdural und intradural werden daher äquivalent verwendet. Bei einer intraduralen Injektion entsteht eine lokale Raumforderung.

Die Tiefe der Nadel ist in einem seitlichen Durchleuchtungsbild nicht immer einfach zu beurteilen. Daher empfiehlt sich an der Hals- und Lendenwirbelsäule die Verwendung eines Contralateral Oblique View [8]. Bei einer interlaminären epiduralen Injektion wird zunächst mit der Nadel Knochenkontakt mit der Lamina gesucht. Dann wird der C-Bogen so weit zur Gegenseite rotiert, dass die Röntgenstrahlen parallel zur Lamina verlaufen (Abb. 11). Die Lamina ist im Durchleuchtungsbild gut zu erkennen. Nun kann die Nadel kontrolliert über die Kante der Lamina in den Spinalkanal manövriert werden. Anschließend wird die Loss of Resistance-Spritze verwendet.

Bei einer Myelografie oder einer Lumpalpunktion ist der Liquorraum das Ziel. Es handelt sich hierbei um den Subarachnoidalraum, die Nadellage wird auch als intrathekal bezeichnet. Der Liquor umgibt das Rückenmark bzw. die Cauda equina, also die lumbalen Nervenwurzeln. Auch die durch das Neuroforamen austretende vordere und hintere Nervenwurzel und das Spinalganglion liegen noch intradural in der sogenannten Wurzeltasche (Abb. 10), die im Myelogramm erkennbar ist.

Nicht selten finden sich Zysten der Meningen. Etabliert ist die Einteilung nach Nabors [9]: extradurale Zysten ohne Nervenwurzeln (Typ I), extradurale Zysten mit Nervenwurzeln (Typ II, Tarlov-Zyste) oder intradurale Zysten (Typ III). Die nach ihrem Erstbeschreiber Tarlov [10] benannten Zysten sind eine Erweiterung des Peri- oder Endoneuriums der spinalen Nervenwurzeln in Höhe des Spinalganglions und sind mit Liquor gefüllt (Abb. 12). Am häufigsten finden sie sich auch multiple in Höhe Sw1 bis Sw4. Die Prävalenz wird mit 8,9 % angegeben [11]. In den meisten Fällen sind Tarlov-Zysten asymptomatisch.

Blutgefäße

Gefäße im Foramen

Gerade weil Blutgefäße im Durchleuchtungsbild nicht sichtbar sind, ist es wichtig, den Verlauf typischer Gefäße zu kennen. Eine Injektion in eine Vene hat meist keine schwerwiegenden Konsequenzen, zu vermeiden sind aber Injektionen in Arterien. An der Halswirbelsäule sind insbesondere die Arterien relevant, die das Rückenmark oder das Gehirn versorgen. Die Abb. 13 zeigt schematisch mögliche Arterien, die in der Nähe der Nervenwurzeln und des Spinalnerven liegen. Bei 3 von 7 transforaminalen Injektionen an der Halswirbelsäule fanden sich in einer anatomischen Studie rückenmarkversorgende Arterien in der Zielregion [12]. Die Häufigkeit einer intravasalen Nadellage (venös oder arteriell) wird bei einer zervikalen transforaminalen Injektion mit 19,4 % angegeben [13]. Die Aspiration vor einer Injektion hat nur eine Sensitivität von 45 % [13].

Bei einer intra-arteriellen Medikamentengabe kann es zu schwerwiegenden Komplikationen kommen. Ein Lokalanästhetikum welches z.B. versehentlich in die A. vertebralis injiziert wird, wirkt toxisch auf das Zentralnervensystem und kann Sprachstörungen, Krampfanfälle und Bewusstseinsstörungen verursachen [14]. Insbesondere bei der Gabe von kristallinem Cortison (z.B. Triamcinolon) sind bei intra-arterieller Injektion schwerwiegende Komplikationen beschrieben mit Rückenmarks- und Kleinhirninfarkten [15]. Dadurch, dass die Kristalle und Konglomerate bei kritstallinem Cortison größer sind als Erythrozyten kann es zu Embolien und Infarkten kommen. Auch eine direkte Wirkung von Triamcinolon auf die Membran von Erythrozyten ist beschrieben. Zur Vermeidung solcher schwerwiegender Komplikationen wird daher dringend empfohlen, bei transforaminalen Injektionen ausschließlich wasserlösliches Cortison (Dexamethason) zu verwenden [16]. Zudem ist es wichtig, Kontrastmittel unter Live-Fluoroskopie (ideal mit digitaler Subtraktionsangiographie) zu geben, um eine intravasale Nadellage möglichst auszuschließen.

A. vertebralis

Auch eine direkte Punktion der Arteria vertebralis ist möglich. Der Verlauf ist sehr variabel und es kann sein, dass Anteile der Vertebralarterie nahe am Foramen liegen (Abb. 14). In einer radiologischen Studie lag die A. vertebralis bei 29 % der Injektionen in einem Abstand von 2 mm zum idealen Zielpunkt [17]. Ein Kleinhirn- und Hirnstamminfarkte nach CT-gesteuerter Injektion von kristallinem Cortison in die Vertebralarterie ist in der Literatur beschrieben [18].

A. Adamkievicz

Bei transforaminalen Injektionen an der Lendenwirbelsäule ist die Lokalisation der Arteria Adamkiewicz zu berücksichtigen, die die A. spinalis anterior versorgt. Sie liegt meist auf der linken Seite in Höhe der unteren Brustwirbelsäule oder oberen Lendenwirbelsäule. Es sind in der Literatur mehrere Fälle von Paraplegien nach lumbalen transforaminalen Injektionen beschrieben. Typischerweise findet sich die Arterie im cranialen Anteil des Neuroforamens [19]. Grundsätzlich kann es in jeder lumbalen Etage eine Radikulararterie geben, die mit der A. spinalis anterior kommuniziert.

Nerven

Spinalnerv, Nervenwurzel

Bei radikulären Beschwerden werden häufig Injektionen an die Nervenwurzel durchgeführt. Oft wird die Abkürzung PRT, also Periradikuläre Therapie verwendet. Wichtig ist es, diese Technik von anderen Injektionsarten (z.B. an den Spinalnerven) zu unterscheiden. Die Nervenwurzeln haben ihren Ursprung als Radix anterior und Radix posterior im Rückenmark. An der Halswirbelsäule ist der Verlauf relativ kurz bis zum Neuroforamen. An der Lendenwirbelsäule ziehen die paarigen Nervenwurzeln als Cauda equina weit nach caudal, bis sie durch das Neuroforamen aus dem Spinalkanal austreten. Im Neuroforamen liegt das Spinalganglion als Teil der Hinterwurzel. Die Nervenwurzeln und das Spinalganglion sind vollständig von Dura umgeben, liegen also intradural (Abb. 10, 15). Die Nervenwurzeln vereinigen sich zum Spinalnerven, der extradural liegt und sich nach wenigen Millimetern bereits aufzweigt. Eine Injektion an die Nervenwurzel, also eine PRT, muss dementsprechend immer eine epidurale Injektion sein.

In der Etage Lw5/Sw1 gibt es Besonderheiten zu beachten. Die L5-Nervenwurzel hat im Spinalkanal am meisten Platz von allen lumbalen Nervenwurzeln, jedoch sind der Recessus und das Foramen enger als in den anderen lumbalen Etagen [20]. Dazu kommt, dass die Nervenwurzeln L5 und S1 den größten Durchmesser haben. Die Nervenwurzel L5 ist daher besonders anfällig für ein Kompressionssyndrom [20]. Auch Anomalien, wie z.B. gemeinsam verlaufende Nervenwurzeln finden sich besonders häufig in der Etage Lw5/Sw1 (Abb. 16).

Ramus dorsalis und Medial Branch

Bei chronischen Rückenschmerzen kommt als Therapie eine Radiofrequenzdenervation der Facettengelenke infrage. Dabei werden die beiden Medial Branches verödet, die ein Facettengelenk versorgen. Der Medial Branch ist ein Seitenast des Spinalnerven. Der Spinalnerv zweigt sich nach wenigen Millimetern auf in einen ventralen Ast und einen dorsalen Ast. Der Ramus ventralis zieht im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule zum Plexus und versorgt später die Extremitäten. Der Ramus dorsalis ist zuständig für die Versorgung der Rückenmuskulatur. An der unteren Lendenwirbelsäule gib es dorsal vom Querfortsatz 3 große Muskelgruppen, den M. multifidus, den M. longissimus und den M. iliocostalis. Deshalb zweigt sich der Ramus dorsalis in entsprechende 3 Äste auf, die jeweils einen dieser Muskeln versorgen (Abb. 17). Der Ast, der am weitesten zur Körpermitte zieht, ist der Medial Branch, der neben dem M. multifidus auch für die Versorgung der Facettengelenke zuständig ist. Allerdings bildet dieser Medial Branch einen aufsteigenden und einen absteigenden Ast, sodass 2 Facettengelenke anteilig versorgt werden. Bei einer Denervation ist dies zu berücksichtigen. Es muss immer der absteigende Ast vom cranialen Medial Branch und der aufsteigende Ast vom caudalen Medial Branch verödet werden, um ein Facettengelenk zu denervieren. Also z.B. der Medial Branch aus L3 und aus L4 um das Facettengelenk Lw4/5 zu therapieren.

Lumbosakral versorgt der Ramus dorsalis der Nervenwurzel L5 direkt das Facettengelenk, hier gibt es keinen Medial Branch. Auch an der oberen Halswirbelsäule gibt es Besonderheiten. Der Ramus posterior C1 ist rein motorisch, deshalb existiert kein Dermatom C1. Der Ramus posterior aus C2 bildet den N. occipitalis major und der Ramus posterior C3 bildet 2 Rami mediales, einen tief liegenden, der entsprechend den Rami mediales der weiter caudal liegenden Level verläuft, und einen oberflächlichen Ast, der das Facettengelenk Hw2/3 innerviert und als „Third occipital nerve“ (TON) die Musculi semispinales capiti versorgt und die Haut über der Suboccipitalregion [21].

Nervus sinuvertebralis

Neben dem Ramus ventralis und dem Ramus dorsalis zweigt noch der N. sinuvertebralis aus dem Spinalnerven ab. Der Nerv zieht zurück durch das Foramen in den Spinalkanal. Es handelt sich um einen gemischten Nerven mit somatosensorischen Anteilen aus dem Ramus ventralis und Anteilen aus dem vegativen sympathischen System über den Ramus communicans griseus. Der Nerv versorgt das hintere Längsband, die ventralen Anteile der Dura und den Wirbelkörper als Basivertebralnerv [22]. Therapeutisch kann der Basivertebralnerv zur Therapie von Schmerzen ausgehend vom dem Wirbelköper z.B. bei einer Osteochondrose, verödet werden [23].

Interessenkonflikte:

Keine angegeben

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Stephan Klessinger

Facharzt für Neurochirurgie

Neurochirurgie Biberach

Eichendorffweg 5

88400 Biberach

klessinger@neurochirurgie-bc.de

CME-Fragen:

1. Welche Aussage zur Sichtbarkeit von Knochen im Durchleuchtungsbild ist nicht richtig?

Die Hinterkante der ersten 4 Lendenwirbel stellt sich meist konkav zum Spinalkanal dar.

Am besten zu erkennen im Durchleuchtungsbild sind die Anteile der Kortikalis, die parallel zum Röntgenstrahl verlaufen.

Die Hinterkanten des 5. Lendenwirbels und der lumbosakralen Bandscheibe sind konvex in Richtung Spinalkanal.

Spongiosa ist besser sichtbar im Durchleuchtungsbild als Kortikalis.

Es macht Sinn, das axiale MRT-Bild in die Planung einer Injektion in das Facettengelenk einzubeziehen.

2. Welche Aussage zu Interventionen an der Halswirbelsäule ist falsch?

Im Durchleuchtungsbild ap entspricht die laterale Begrenzung des Spinalkanals ungefähr der Lokalisation des Processus uncinatus.

Bei einer Injektion in das Facettengelenk oder bei einer transforaminalen Injektion sollte die Nadel niemals medial vom Processus uncinatus liegen.

Der Processus uncinatus ist im ap-Durchleuchtungsbild nicht erkennbar.

Der Zugang zum Facettengelenk sollte lateral vom Processus uncinatus gewählt werden.

Bei einer unbeabsichtigten Injektion in den Spinalkanal kann eine vorübergehende hohe spinale Querschnittslähmung die Folge sein.

3. Welche Aussage zur Anzahl der Wirbel ist korrekt?

Bei gut einem Viertel der Menschen finden sich lumbosakrale Übergangswirbel.

Zur Bestimmung eines lumbalen Levels sollte vom Kreuzbein aus nach cranial gezählt werden.

Der 5. Lendenwirbel ist eindeutig durch anatomische Merkmale wie z.B. eine rundere Form des Dornfortsatzes und durch den Bezug zum Beckenkamm lokalisierbar.

Ähnlich wie bei lumbosakralen Übergangswirbeln finden sich auch häufig Varianten in der Anzahl der Halswirbel.

Übergangswirbel sind thorakolumbale häufiger anzutreffen als lumbosakral.

4. Welche Aussage zu den lumbalen Facettengelenken ist nicht richtig?

Der Begriff intra-artikuläre Injektion wird sowohl für Injektionen in den Gelenkspalt aber auch für Injektionen in die Gelenkkapsel verwendet.

Eine mögliche Erklärung für den akuten Schmerz bei einem „Hexenschuss“ ist eine Dislokation des Meniscoids im Recessus mit Dehnung der Gelenkkapsel beim Aufrichten aus Vorbeugung mit Rotation.

Bei einer Injektion in den Gelenkspalt eines lumbalen Facettengelenks ist eine Ausbreitung des Injektats durch das Foramen im Recessus in den Spinalkanal möglich.

Facettengelenke sind echte synoviale Gelenke, deren Gelenkflächen mit hyalinem Knorpel bedeckt sind.

Intraartikuläre Injektionen sind gut geeignet als diagnostische Injektion.

5. Welche Aussage zu den Räumen im Spinalkanal ist korrekt?

Eine interlaminäre epidurale Injektion an der Halswirbelsäule sollte immer in der Höhe der im MRT erkennbaren Pathologie stattfinden.

Epidurales Fettgewebe und somit die Möglichkeit, eine Nadel epidural zu positionieren, findet sich an der HWS typischerweise caudal von Hw6/7.

Der „Contralateral Oblique View“ eignet sich insb. zur Tiefenkontrolle bei transforaminalen Injektionen.

Bei einem interlaminären Zugang ist eine unbeabsichtigte intradurale Injektion häufiger als eine unbeabsichtigte subdurale Injektion.

Extradurale sakrale Zysten mit Nervenwurzeln (Tarlov-Zysten) müssen in der Regel operiert werden.

6. Welche Aussage zu Blutgefäßen im Bereich der Wirbelsäule ist falsch?

Die Arteria Adamkievicz kann im Bereich der oberen LWS im cranialen Anteil des Neuroforamens liegen.

Eine unbeabsichtigte Punktion der A. vertebralis ist auch bei korrekter Nadellage denkbar.

Durch unbeabsichtigte Injektionen in rückenmarkversorgende Arterien sind schwerwiegende Komplikationen (z.B. Rückenmarksinfarkt) möglich.

Durch eine Aspiration lässt sich eine intra-arterielle Nadellage mit ausreichender Sicherheit ausschließen.

Bei über 40 % der transforaminalen Injektionen in einer anatomischen Studien fanden sich rückenmarkversorgende Arterien in der Zielregion.

7. Welche Aussage ist richtig?

Bei einer periradikulären Therapie (PRT) ist der Epiduralraum das Ziel der Injektion.

Das Ziel einer periradikulären Therapie (PRT) ist der Spinalnerv.

Das Spinalganglion liegt extradural.

Das Neuroforamen Lw5/Sw1 ist im Vergleich zu anderen Etagen besonders weit.

Der Spinalnerv ist eine paarige Struktur, es gibt einen vorderen (anterioren) und einen hinteren (posterioren).

8. Welche Aussage zum „Space of Okada“ ist richtig?

Der „Space of Okada“ liegt ventral vom Ligamentum flavum.

Am häufigsten findet sich der „Space of Okada“ thorakal.

Eine Kommunikation von Flüssigkeit im Gelenkspalt und mit dem Epiduralraum ist anatomisch nicht möglich.

Bei einer interlaminären Injektion kann bei einer Nadelposition im „Space of Okada“ ein Loss of Resistance vorgetäuscht werden, obwohl die Nadel nicht im Epiduralraum liegt.

Die Gelenkkapseln sind nicht Teil des dorsalen Band-Komplexes.

9. Welche Aussage ist falsch?

Der Ramus posterior des Spinalnerven C3 bildet 2 Rami mediales, einen tief liegenden und einen oberflächlichen, den „Third occipital nerve“.

Jedes Facettengelenk wird von genau einem Medial Branch versorgt.

Der N. sinuvertebralis ist ein gemischter Nerv mit Anteilen aus dem Ramus ventralis des Spinalnerven und Anteilen aus dem sympathischen System.

Der Ramus posterior des Spinalnerven C1 ist rein motorisch.

Die Musculi multifidi, der M. longissimus und der M. iliocostalis werden jeweils von einem Ast des Ramus dorsalis des entsprechenden Spinalnerven versorgt.

10. Welche Aussage zu Interventionen an der Wirbelsäule ist richtig?

Es ist nicht möglich, Interventionen mit Ultraschallkontrolle durchzuführen.

Bei diagnostischen transforaminalen Injektionen sollte Cortison verwendet werden.

Es ist wichtig, auch die anatomischen Strukturen zu berücksichtigen, die im Durchleuchtungsbild nicht erkennbar sind.

Bei der Radiofrequenz-Denervation sollte der Medial Branch unbedingt geschont werden.

Schwerwiegende Komplikationen wurden für Bildwandler-gestützte Injektionen an der Wirbelsäule bisher nicht beschrieben.

Die Teilnahme an der CME-Fortbildung ist nur online möglich auf der Website www.online-oup.de.

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