Übersichtsarbeiten - OUP 04/2019

Pilon-tibiale-Frakturen – Wann welche Platte?
Übersicht über aktuelle Behandlungsstrategien zur Optimierung operativer Ergebnisse

Matthias Ivo, Markus Rupp, Christoph Biehl, Stephan Oberück, Christian Heiß

Zusammenfassung:

Frakturen der distalen Tibia mit Gelenkbeteiligung (Pilon tibiale) stellen für den Operateur
eine sehr große Herausforderung dar. Aufgrund der geringen Fallzahlen dieses Frakturtyps und der
häufigen Vergesellschaftung mit einem Weichteilschaden sowie additiven Verletzungen der
Extremitäten oder des Körperstammes erschweren Pilon-tibiale-Frakturen das Erreichen eines
optimalen Therapieerfolgs. Zudem erfordert die Vielzahl der Behandlungsstrategien die Kenntnis derselben, um den korrekten Behandlungsplan für den individuellen Patienten zu erstellen.
Diese Arbeit soll dem Leser eine Übersicht über den aktuellen Stand der Forschung zu aktuellen Behandlungsstrategien der Pilon-tibiale-Fraktur geben und ihm helfen, die Vor- und Nachteile
verschiedener Versorgungsarten zu verstehen und miteinander zu vergleichen.

Schlüsselwörter:
Pilonfrakturen, Pilon tibiale, distale Tibia, Frakturversorgung, Sprunggelenksfrakturen

Zitierweise:
Ivo M, Rupp M, Biehl C, Oberück S, Heiß C: Pilon-tibiale-Frakturen – Wann welche Platte? Übersicht über aktuelle Behandlungsstrategien zur Optimierung operativer Ergebnisse. OUP 2019; 8: 199–205
DOI 10.3238/oup.2019.0199–0205

Summary: Fractures of tibial pilon are still a great challenge for the treating surgeon. Small number of patients, concomitant injuries as well as soft tissue damage impede surgical treatment. Knowledge of existing different treatment strategies is a prerequisite to offer the best possible treatment to the patients. This report should provide an overview of the current state of scientific knowledge and treatment modalities.

Keywords: pilon fractures, tibial plafond, distal tibia, surgical treatment, ankle fracture

Citation: Ivo M, Rupp M, Biehl C, Oberück S, Heiß C: Tibial pilon fractures – When to use which plate? An overview of the treatment strategies to optimize surgical outcome. OUP 2019; 8: 199–205
DOI 10.3238/oup.2019.0199–0205

Für alle Autoren: Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Gießen

Verletzung und Verletzungsmechanismus

Frakturen des Pilon machen nur ca. 1 % aller Frakturen der unteren Extremität aus [5] und werden damit selbst an Kliniken mit hoher Fallzahl nur selten gesehen und behandelt. Neben Niedrigenergietraumen wie bei Skiunfällen sind Hochenergietraumen mit axialem Traumamechanismus die häufigste Ursache [10]. Die Verletzungen sind zu ca. 25–50 % offene Frakturen mit Weichteilschaden. In 85 % der Fälle besteht eine Mitbeteiligung der distalen Fibula. Dies ist insbesondere bei den komplexen C-Frakturen der Fall.

Die besondere Schwierigkeit der Pilonfrakturen liegt in der obligaten Gelenkbeteiligung der Gelenkfläche der distalen Tibia im Bereich der Belastungszone, dem metaphysären Knochenverlust und schwerer Weichteilimpaktierung bei dünnem Hautmantel. Hinzukommen häufig weitere Verletzungen bei polytraumatisierten Patienten, sodass eine frühe Rehabilitation oft erschwert wird. Somit ist eine bestmögliche Wiederherstellung der anatomischen Verhältnisse der Gelenkfläche und der Weichteile umso wichtiger.

Bildgebung und Klassifikation

Für ein ideales Operationsergebnis ist eine genaue präoperative Planung unerlässlich.

Anatomie des Pilon

Die Gelenkfläche der distalen Tibia bildet das Dach (franz. Plafont) des oberen Sprunggelenks und wird medial vom Innenknöchel und lateral von der Incisura fibularis begrenzt. Sie hat im Gegensatz zur im Querschnitt 3-eckigen Diaphyse die Form eines unregelmäßigen Vierecks. Dieses ist ventral breiter als dorsal und lateral tiefer als medial. Die Gelenkfläche beträgt durchschnittlich 920 mm2 und ist um 15–20° gegenüber der Horizontalen nach dorsal geneigt [2].

Klassifikation der Fraktur

Neben der initialen Projektionsradiografie erfordern die komplexen und intraartikulären Pilonfrakturen immer auch eine CT-radiografische Darstellung (2D und 3D), um die Planung des operativen Vorgehens und ein Verständnis für den Aufbau der Fraktur zu ermöglichen. Zudem kann die Fraktur auf diesem Wege korrekt klassifiziert und bestimmt werden.

Im klinischen Alltag erfolgt die Einteilung der Fraktur im deutschsprachigen Raum zumeist nach 2 gängigen Klassifikationen: Die Rüedi/Allgöwer-Klassifikation ist eine eher deskriptive Einteilung, welche die Weichteilverhältnisse miteinbezieht [20]. Sie unterteilt die Frakturen der distalen Tibia in 3 Gruppen [20]:

Typ 1: un- oder geringdislozierte Frakturen

Typ 2: dislozierte Frakturen ohne Zertrümmerung

Typ 3:

dislozierte Frakturen mit Zertrümmerung und Weichteilschädigung

Eine genauere Einteilung ermöglicht die AO-Klassifkation [15]:

43 A 1–3: rein metaphysäre, extraartikuläre Verletzungen, daher definitionsgemäß keine Pilonfrakturen

43 B1: reine intraartikuläre Spaltung ohne Impression

43 B2: intraartikuläre Spaltung mit Impression der Gelenkfläche

43 B3: mehrfragmentäre Impression

43 C1: artikulär und metaphysär einfache Fraktur

43 C2: artikulär einfache und metaphysär mehrfragmentäre Fraktur

43 C3: mehrfragmentäre Fraktur (Trümmerfraktur)

Pilon-fracture-map

Die bekannten Klassifikationen geben jedoch keine Informationen über den intraartikulären Verlauf der Frakturen (Abb. 1). Wie Cole et al. zeigen konnten, ist dieser Verlauf immer nach dem gleichen Muster aufgebaut [7]. Die Auswertung von 38 CT-Datensätzen von Patienten mit Pilon-tibiale-Frakturen, bestehend aus B- und C-Frakturen zeigte, dass bei der Pilonfraktur zwischen Major- und Minor-Frakturlinien unterschieden werden kann. Bei allen Datensätzen zogen Frakturen von der Incisura fibularis in das Pilon ein und strahlten y-förmig nach ventral und dorsal aus (Major-Linien). Zusätzlich kann es zu variablen weiteren Frakturlinien mit multiplen Fragmenten kommen (Minor-Linien) (Abb. 1).

Äußere Faktoren

Neben der genauen Darstellung der Fraktur und deren Verlauf sollten noch weitere Faktoren präoperativ beachtet werden. Ein besonderes Augenmerk sollte hierbei auf der Weichteilsituation bzw. dem Weichteilschaden liegen. Aufgrund der Schwellneigung im Operationsgebiet sowie dem Risiko eines Kompartments oder auch bei offenen Frakturen sollte die Operationsfähigkeit kritisch hinterfragt und ggf. auf eine Plattenosteosynthese verzichtet werden [18]. Selbst bei guten Weichteilverhältnissen muss für ein optimales Setting gesorgt werden, da das Risiko für Wundheilungsstörungen und Infektionen ausgesprochen hoch ist. McCann et al. konnten eine Infektionsrate von 14,3 % bei offener Reposition feststellen [14]. Als wichtigste Risikofaktoren für Komplikationen bei insgesamt 519 nachuntersuchten Patienten stellten Ren et al. eine Blutglukose > 125 mg/dl zum Operationszeitpunkt und eine Operationszeit von > 150 min fest [19].

Operative Versorgung

Der entscheidende Faktor für eine hohe Funktionalität und schmerzfreie Bewegung des oberen Sprunggelenks nach Abschluss der Behandlung ist die Wiederherstellung optimaler anatomischer Verhältnisse und eine (belastungs-)stabile Versorgung [10]. Um dies zu erreichen, steht der Operateur vor mehreren Entscheidungen, die zum Behandlungserfolg beitragen. Hierbei kommen dem zeitlichen Ablauf, dem Zugangsweg und den verwendeten Implantaten besondere Bedeutung zu. Insgesamt werden in der Literatur 3 verschiedene Versorgungsformen für die Fraktur des Pilon tibiale beschrieben [1]: Die klassische Versorgung von Pilonfrakturen stellt die offene Reposition und Plattenosteosynthese dar (open reduction and internal fixation = ORIF). Diese wird bei der einzeitigen Frakturversorgung oder als zweiter Schritt der 2-zeitigen Versorgung genutzt. Der erste Schritt der 2-zeitigen Versorgung besteht in der geschlossenen Reposition und Anlage eines Fixateurs externe (closed reduction ad ankle spanning external fixation = CREF). Im Falle von höhergradig offenen Frakturen oder anderweitig kompromittierten Weichteilverhältnissen kann auch die Ausheilung im Fixateur externe erfolgen. Ein Kompromiss aus beiden Verfahren ist die offene Reposition der Fibula mit Plattenosteosynthese mit anschließender Anlage eines Fixateurs externe (mini-open reduction, internal fixation and ankle sparing external fixation = m – OR + IF + EF).

Trotz der großen methodischen Unterschiede der 3 Vorgehensweisen konnte in einer Vergleichsstudie zur Funktionalität nach Heilungsabschluss anhand des American Orthopaedic Foot and Ankle Society (AOFAS) ankle-hindfoot scale bei 42 Patienten kein signifikanter Unterschied zwischen den 3 Gruppen festgestellt werden [10]. Lediglich für Rüedi/Allgöwer-Grad-3-Verletzungen konnte eine Empfehlung zur m – OR + IF + EF gegeben werden, da diese Frakturen häufig mit einem ausgeprägten Weichteilschaden vergesellschaftet sind und auch oft mit einer Verkürzung einhergehen, sodass eine Stabilisierung der distalen Fibula zur Achs- und Längenkorrektur sinnvoll ist.

Ein- versus 2-zeitige operative Verfahren

Erfolgt die schnelle Zuweisung eines verletzten Patienten in eine Klinik und lässt sich die notwendige Diagnostik in kurzer Zeit verwirklichen, besteht die Möglichkeit, eine Pilonfraktur direkt einzeitig zu versorgen, sofern keine ausgeprägte Weichteilschwellung und Weichteiltrauma im Bereich des Sprunggelenks vorliegen. Damit lassen sich eine frühe Rehabilitation und ein kurzer stationärer Aufenthalt für den Patienten verwirklichen. Ein einzeitiges Vorgehen kann jedoch in vielen Fällen zu erheblichen Wundheilungsstörungen führen, sofern eine Kompromittierung der Weichteile vorlag. In einer retrospektiven Vergleichsstudie [18] betrug die Infektionsrate für dieses Vorgehen (einzeitig) 10,5 %. Dies ist stark abhängig vom Zeitpunkt der Operation. Häufig kommt es aufgrund der Traumaschwere schnell zu massiven Schwellungen im Operationsgebiet. In diesem Fall ist die Versorgung mittels Fixateurs externe eine anerkannte Alternative zur primären Versorgung. Hierbei kann es jedoch vorkommen, dass eine adäquate geschlossene Reposition initial nicht möglich ist, was eine weitere Schädigung der Weichteile nach sich ziehen kann. Die alleinige Versorgung der distalen Fibula zur Wiederherstellung der Längen- und Achsen-Verhältnisse kann in diesem Fall in Erwägung gezogen werden und von großem Vorteil sein.

Operative Zugangswege

Der operative Zugang sollte immer in Abhängigkeit von der Lage der Verletzung der Gelenkfläche gewählt werden. Um dies zu vereinfachen, beschreiben Assal et al. ein Modell, welches die distale Fibula in 3 Säulen unterteilt [1] (Abb. 2). Die mediale Säule (orange), welche die Fortsetzung der medialen Diaphyse der Tibia darstellt, die laterale/anterolaterale Säule (blau), welche die fibulare Notch enthält, und die posteriore Säule (grün), welche das Volkmann-Dreieck als distalen Anteil des Pilons einschließt.

Der anteromediale Zugang wird als der klassisch-typische Zugang für Frakturen mit Verletzung der medialen Säule beschrieben und genutzt. Er lässt jedoch keine Visualisierung der lateralen Säule zu. Da diese bei höhergradigen Frakturen im Allgemeinen mit betroffen ist, wird hier ein zweiter Zugang notwendig. Hierzu wird im Allgemeinen der laterale Zugangsweg genutzt, über den auch die Fibula bei Bedarf versorgt werden kann. In diesem Fall sollte jedoch darauf geachtet werden, eine Hautbrücke von mindestens 5 cm zwischen den Zugangswegen zu belassen. Andernfalls drohen Hautnekrosen und Wundheilungsstörungen.

Alternativ können Frakturen, bei denen die Haupttrümmerzone im Bereich der lateralen Säule liegt, über den anterolateralen Zugang angegangen werden (Abb. 3). Dieser wiederum ermöglicht jedoch keine gute Darstellung der medialen Säule und ist somit für Frakturen mit medialer Zertrümmerung und Varusdeformität ungeeignet. Fibulafrakturen können über diesen Zugang direkt mitversorgt oder über einen zusätzlichen posterolateralen Zugang versorgt werden.

Bei Verletzungen der posterioren Säule der distalen Tibia ist deren Versorgung entscheidend für eine anatomische Rekonstruktion. Ketz et al. empfehlen daher bei starker Dislokation oder einer ausgeprägten dorsalen Impression eine Stabilisierung des posterioren Fragments über den posterolateralen Zugang [9]. Dies kann ähnlich dem m – OR + IF + EF in Kombination mit der Anlage eines Fixateurs externe (erster Schritt einer 2-zeitigen Versorgung) erfolgen. Die endgültige Versorgung der Fraktur von ventral folgt dann im zeitlichen Verlauf. Anhand der Beteiligung der jeweiligen Säulen kann dann ein weiterer Zugangsweg gewählt werden.

Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn neben einem axialen Trauma auch eine Scher- und Rotationskomponente vorliegt. Hierbei ist neben der bei diesem Traumamechanismus kompromittierten Weichteilsituation die Position der Trümmerzone für die Wahl des Zugangswegs und der Plattenlage von entscheidender Bedeutung. So ist bei einer durch Varusstress entstandenen Fraktur mit einer Querfraktur der Fibula eine mediale Plattenlage an der distalen Tibia anzustreben (Abb. 4). Bei einer durch Valgusstress entstandenen Fraktur mit Zertrümmerung der Fibula empfiehlt sich eine anterolaterale Plattenlage [4] (Abb. 3). Hierbei besteht die Empfehlung, mit dem eingebrachten Plattenosteosynthesematerial die Fraktur im Bereich der Trümmerzone besser zu unterstützen. Busel et al. konnte dies in einer retrospektiven Auswertung untermauern. Bei 40 Frakturen mit Varusfehlstellung bestanden signifikant weniger mechanische Komplikationen bei medialer Plattenlage im Vergleich zum lateral platzierten Osteosynthesematerial. Umgekehrt traten bei 63 Frakturen mit Valgusfehlstellung signifikant weniger mechanische Komplikationen bei anterolateral positionierten Platten auf. Als mechanische Komplikationen wurden hier Pseudarthrosen und Materialversagen gewertet, wundassoziierte Komplikationen wurden nicht eingeschlossen [4].

Als Behandlungskonzept bei Pilonfrakturen mit zusätzlicher Fraktur der distalen Fibula wird häufig der Algorithmus nach Allgöwer als der Standard für die ORIF genannt. Dieser empfiehlt zunächst die Plattenosteosynthese der Fibula mit möglichst anatomischer Wiederherstellung der Länge. Erst anschließend erfolgen die Reposition der tibialen Gelenkfläche und der Metaphyse sowie die mediale Plattenosteosynthese [20]. Allerdings wird die grundsätzliche Notwendigkeit der Fibulaosteosynthese unterdessen diskutiert.

Durch Kurylo et al. konnte in einer retrospektiven Studie kein signifikanter Vorteil der primären Fibularekonstruktion in Hinblick auf das endgültige Alignement festgestellt werden [13]. Hierbei werden jedoch Rotationstraumen ausgenommen, bei denen die Fixation der Fibula hilfreich für die Rekonstruktion der korrekten Beinachse sein kann. Somit solltte die Notwendigkeit der Versorgung vom Operateur insbesondere im Hinblick auf die oft kompromittierten lateralen Weichteile hinterfragt und nicht als unumgänglich angesehen werden.

Winkelstabilität/
Doppelplattenosteosynthese

Neben der Wahl des Zugangs und dem Versorgungsalgorithmus muss sich der Operateur heutzutage mit den verschiedensten Implantaten auseinandersetzen. Es kann zurzeit auf anatomisch geformte und winkelstabile Implantate verschiedener Hersteller zurückgegriffen werden. Jedoch ist auch mit diesen Implantaten eine adäquate Stabilisierung nicht leicht zu erreichen. Insgesamt 8 von 10 durch Penny et al. getesteten anatomisch geformten Platten für die distale Tibia konnten keine adäquate Stabilisierung der 3 Fraktursäulen erzielen [17].

Eine Osteosynthese mit mehr als einem Implantat ist somit trotz moderner Implantate weiterhin zu empfehlen. In Ausnahmefällen kann eine Versorgung mit nur einer Platte erfolgen, dies setzt aber eine genaue Analyse der Frakturform unter Berücksichtigung der Hauptbelastungszonen voraus. Insbesondere bei Typ-C-Verletzungen ist dieses Vorgehen nicht zu empfehlen.

Zudem konnte nach Abschluss der Heilung durch den Einsatz von winkelstabilen Implantaten kein signifikanter Unterschied zu herkömmlichen Implantaten im AOFAS ankle-hindfoot scale erzielt werden [8]. Somit gilt die Empfehlung, individuell von Fall zu Fall nach genauer Frakturklassifikation zu entscheiden, mit welcher Platte eine bessere Reposition erzielt werden kann.

Lagekontrolle

Als intraoperative Bildgebung kommt oftmals nur die konventionelle intraoperative Durchleuchtung in Frage. Ist jedoch eine intraoperative 3D-Darstellung mittel CT möglich, spricht die Studienlage deutlich dafür. Vetter et al. konnten in einer retrospektiven Studie zeigen, dass bei 143 durchgeführten Operationen in 43 Fällen (30 %) nach dem CT-Scan Korrekturen an der Osteosynthese durchgeführt werden mussten [21]. Dies war gleichermaßen bei AO-43B- als auch bei AO-43C-Frakturen der Fall. 79 % dieser Korrekturen bezogen sich auf eine noch unzureichende Reposition, in 19 % mussten Schraubenfehllagen korrigiert werden. Somit ist eine erweiterte intraoperative Bildgebung durch ein intraoperatives CT trotz erhöhtem Zeit- und Arbeitsaufwand unbedingt zu empfehlen, um Revisionen und postoperative Probleme zu vermeiden.

Primäre Arthrodese

In seltenen Fällen kann eine Zerstörung der Gelenkfläche des Pilon so ausgeprägt sein, dass eine anatomische Reposition nicht mehr möglich ist. In diesem Fall kann als letzte Möglichkeit der Versorgung, die primäre Arthrodese angestrebt werden. In einer Fallstudie von Beaman et al. wurde eine Gruppe von 11 Patienten nach primärer Arthrodese nachuntersucht [3]. Die vollständige Heilungsdauer der Arthrodesen betrug hierbei durchschnittlich 4,4 Monate. Die Funktion wurde mittels AOFAS ankle-hindfoot scale nachuntersucht. In 88 % der Fälle zeigte dieser ein gutes bis sehr gutes Ergebnis. Die primäre Arthrodese bedeutet somit nicht unmittelbar eine erhebliche Funktionseinschränkung für den betroffenen Patienten im Vergleich zur osteosynthetischen Frakturversorgung und kann in speziellen Fällen erwogen werden.

Biodegradierbare Implantate

Als Alternative zu konventionellen Titanimplantaten kommen in den letzten Jahren immer häufiger auch biodegradierbare Implantate zur Anwendung. Diese sollen bei gleicher Stabilität neben einer interferenzfreien Bildgebung die Notwendigkeit einer Implantatentfernung vermeiden. Insbesondere an für Weichteildefekte und Wundheilungsstörungen anfälligen Körperteilen wie der distalen Tibia kann dies ein entscheidender Vorteil sein. In der prospektiv randomisierten Studie von Noh et al. wurden 53 Patienten mit konventionellen Implantaten und 49 Patienten mit einem biodegradierbaren Implantat (Firma Inion Oy, Tampere, Finnland) versorgt [16]. Hierbei zeigte sich eine kürzere Heilungszeit für die konventionellen Implantate (15,8 Wochen gegenüber 17,6 Wochen) und eine etwas bessere Funktionalität nach 12 Monaten (AOFAS-Score 87,5 Pkt. gegenüber 84,3 Pkt.). Trotz der signifikanten Unterschiede hinterfragen Noh et al. jedoch, ob diese im klinischen Alltag von großem Einfluss sind, insbesondere vor dem Hintergrund der Vermeidung einer Materialentfernung. Somit kann die Relevanz biodegradierbarer Implantate in Zukunft zunehmen, wenn diese in ihrer Entwicklung weiter voranschreiten werden.

Komplikationen

Trotz ausgereifter Methoden und Strategien ist die Versorgung von Frakturen des Pilon tibiale weiterhin risikobehaftet. Eine retrospektive Studie von Carbonell-Escobar et al. mit 92 Patienten zeigte, wie ausgeprägt die Probleme sind [6]. So traten bei 13,04 % der Patienten Infektionen auf, bei 7,6 % kam es postoperativ zu Hautnekrosen.

In 10,86 % der Fälle kam es zu einer Pseudarthrose, wobei dies vermehrt bei offenen Frakturen und Patienten, die eine Knochentransplantation erhielten, auftraten.

Eine posttraumatische Arthrose trat bei 13 % der Patienten auf. Hervorzuheben ist, dass bei der gesamten Studie kein signifikanter Unterschied zwischen einzeitigem Vorgehen (ORIF in > 48 h) und 2-zeitiger Operation (ORIF zwischen 10 Tagen und 3 Wochen nach Trauma) zu ermitteln war. Somit kann bezüglich der Komplikationen keine direkte Empfehlung für eines der beiden Verfahrenswege gegeben werden.

Funktionalität

Den wichtigsten Faktor für ein gutes funktionelles Outcome stellt die Qualität der Reposition der Pilonfraktur dar [10]. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen Reposition (ermittelt mit den Ovadia and Beals’ criteria) und der Funktionalität im AOFAS ankle-hindfoot scale konnte nachgewiesen werden. Insbesondere ein fibulares Malalignement und eine Fibulaverkürzung können die Funktionalität deutlich negativ beeinflussen.

Eine signifikant schlechtere Beweglichkeit des oberen Sprunggelenks zeigte sich bei Rüdi/Allgöwer-Typ-3-Frakturen gegenüber Frakturen von niedrigerem Schweregrad.

Somit gilt weiterhin eine exakte anatomische Rekonstruktion des Pilons als der wichtigste Faktor für eine hohe Funktionalität und Outcome.

Fazit

Insgesamt ist es für den Operateur extrem wichtig, direkt zu Beginn der Behandlung einer Pilonfraktur einen exakten Behandlungsplan zu erstellen. Hierzu ist eine qualitativ hochwertige Bildgebung aus (Röntgen und CT) notwendig. Anschließend entscheiden die Weichteilsituation und die Frakturmorphologie über das weitere Vorgehen. Insbesondere Hautdefekte und die Position der Fraktur im Hinblick auf die komplexe Anatomie des Pilons geben vor, ob eine CREF oder ORIF initial durchgeführt werden sollte. Die Stabilisierung der Fibula ist nicht obligat und sollte ebenfalls im Hinblick auf die Weichteilsituation beurteilt und angepasst werden. Bei Torsionsfrakturen scheint die Fibulaosteosynthese im Allgemeinen hilfreich zu sein. Die Plattenlage im Bereich der Tibia sollte sich an der Trümmerzone orientieren. Das Repositionsergebnis sollte intraoperativ zwingend durch eine CT oder einen 3D-Scan kontrolliert werden.

Selbst bei perfekter und komplikationsloser Versorgung kann eine für den Patienten zufriedenstellende Gelenkfunktion nicht immer erreicht werden. Im Falle einer besonders schweren Verletzung kann die primäre Arthrodese erwogen werden.

Weiterhin orientieren sich diese Schlussfolgerungen an Studien mit kleinen Fallzahlen und zumeist retrospektivem Studiendesign. Hier gilt es, in Zukunft noch weitere Untersuchungen durchzuführen, um das weiterhin häufig schlechte Outcome der Patienten mit Pilonfrakturen zu verbessern.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Literatur

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9. Ketz J, Sanders R: Staged posterior tibial plating for the treatment of orthopaedic trauma association 43C2 and 43C3 tibial pilon fractures.
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11. Krettek C, Bachmann S: Pilon-Frakturen Teil 1: Diagnostik – Versorgungsstrategien – Zugänge. Chirurg 2015; 86: 87–103

12. Krettek C, Bachmann S: Pilon-Frakturen Teil 2: Reposisitions- und Stabilisierungstechnik, Komplikationsmanagement. Chirurg 2015; 86: 187–203

13. Kurylo JC, Datta N, Iskander KN, Tornetta P 3rd.: Does the fibula need to be fixed in complex pilon fractures? J Orthop Trauma 2015; 29: 424–7

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21. Vetter SY, Euler F, von Recum J, Wendl K, Grützner PA, Franke J: Impact of intraoperative cone beam computed tomography on reduction quality and implant position in treatment of tibial plafond fractures. Foot & Ankle International 2016; 37: 977–82

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Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie

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