Übersichtsarbeiten - OUP 04/2019

Pilon-tibiale-Frakturen – Wann welche Platte?
Übersicht über aktuelle Behandlungsstrategien zur Optimierung operativer Ergebnisse

Der entscheidende Faktor für eine hohe Funktionalität und schmerzfreie Bewegung des oberen Sprunggelenks nach Abschluss der Behandlung ist die Wiederherstellung optimaler anatomischer Verhältnisse und eine (belastungs-)stabile Versorgung [10]. Um dies zu erreichen, steht der Operateur vor mehreren Entscheidungen, die zum Behandlungserfolg beitragen. Hierbei kommen dem zeitlichen Ablauf, dem Zugangsweg und den verwendeten Implantaten besondere Bedeutung zu. Insgesamt werden in der Literatur 3 verschiedene Versorgungsformen für die Fraktur des Pilon tibiale beschrieben [1]: Die klassische Versorgung von Pilonfrakturen stellt die offene Reposition und Plattenosteosynthese dar (open reduction and internal fixation = ORIF). Diese wird bei der einzeitigen Frakturversorgung oder als zweiter Schritt der 2-zeitigen Versorgung genutzt. Der erste Schritt der 2-zeitigen Versorgung besteht in der geschlossenen Reposition und Anlage eines Fixateurs externe (closed reduction ad ankle spanning external fixation = CREF). Im Falle von höhergradig offenen Frakturen oder anderweitig kompromittierten Weichteilverhältnissen kann auch die Ausheilung im Fixateur externe erfolgen. Ein Kompromiss aus beiden Verfahren ist die offene Reposition der Fibula mit Plattenosteosynthese mit anschließender Anlage eines Fixateurs externe (mini-open reduction, internal fixation and ankle sparing external fixation = m – OR + IF + EF).

Trotz der großen methodischen Unterschiede der 3 Vorgehensweisen konnte in einer Vergleichsstudie zur Funktionalität nach Heilungsabschluss anhand des American Orthopaedic Foot and Ankle Society (AOFAS) ankle-hindfoot scale bei 42 Patienten kein signifikanter Unterschied zwischen den 3 Gruppen festgestellt werden [10]. Lediglich für Rüedi/Allgöwer-Grad-3-Verletzungen konnte eine Empfehlung zur m – OR + IF + EF gegeben werden, da diese Frakturen häufig mit einem ausgeprägten Weichteilschaden vergesellschaftet sind und auch oft mit einer Verkürzung einhergehen, sodass eine Stabilisierung der distalen Fibula zur Achs- und Längenkorrektur sinnvoll ist.

Ein- versus 2-zeitige operative Verfahren

Erfolgt die schnelle Zuweisung eines verletzten Patienten in eine Klinik und lässt sich die notwendige Diagnostik in kurzer Zeit verwirklichen, besteht die Möglichkeit, eine Pilonfraktur direkt einzeitig zu versorgen, sofern keine ausgeprägte Weichteilschwellung und Weichteiltrauma im Bereich des Sprunggelenks vorliegen. Damit lassen sich eine frühe Rehabilitation und ein kurzer stationärer Aufenthalt für den Patienten verwirklichen. Ein einzeitiges Vorgehen kann jedoch in vielen Fällen zu erheblichen Wundheilungsstörungen führen, sofern eine Kompromittierung der Weichteile vorlag. In einer retrospektiven Vergleichsstudie [18] betrug die Infektionsrate für dieses Vorgehen (einzeitig) 10,5 %. Dies ist stark abhängig vom Zeitpunkt der Operation. Häufig kommt es aufgrund der Traumaschwere schnell zu massiven Schwellungen im Operationsgebiet. In diesem Fall ist die Versorgung mittels Fixateurs externe eine anerkannte Alternative zur primären Versorgung. Hierbei kann es jedoch vorkommen, dass eine adäquate geschlossene Reposition initial nicht möglich ist, was eine weitere Schädigung der Weichteile nach sich ziehen kann. Die alleinige Versorgung der distalen Fibula zur Wiederherstellung der Längen- und Achsen-Verhältnisse kann in diesem Fall in Erwägung gezogen werden und von großem Vorteil sein.

Operative Zugangswege

Der operative Zugang sollte immer in Abhängigkeit von der Lage der Verletzung der Gelenkfläche gewählt werden. Um dies zu vereinfachen, beschreiben Assal et al. ein Modell, welches die distale Fibula in 3 Säulen unterteilt [1] (Abb. 2). Die mediale Säule (orange), welche die Fortsetzung der medialen Diaphyse der Tibia darstellt, die laterale/anterolaterale Säule (blau), welche die fibulare Notch enthält, und die posteriore Säule (grün), welche das Volkmann-Dreieck als distalen Anteil des Pilons einschließt.

Der anteromediale Zugang wird als der klassisch-typische Zugang für Frakturen mit Verletzung der medialen Säule beschrieben und genutzt. Er lässt jedoch keine Visualisierung der lateralen Säule zu. Da diese bei höhergradigen Frakturen im Allgemeinen mit betroffen ist, wird hier ein zweiter Zugang notwendig. Hierzu wird im Allgemeinen der laterale Zugangsweg genutzt, über den auch die Fibula bei Bedarf versorgt werden kann. In diesem Fall sollte jedoch darauf geachtet werden, eine Hautbrücke von mindestens 5 cm zwischen den Zugangswegen zu belassen. Andernfalls drohen Hautnekrosen und Wundheilungsstörungen.

Alternativ können Frakturen, bei denen die Haupttrümmerzone im Bereich der lateralen Säule liegt, über den anterolateralen Zugang angegangen werden (Abb. 3). Dieser wiederum ermöglicht jedoch keine gute Darstellung der medialen Säule und ist somit für Frakturen mit medialer Zertrümmerung und Varusdeformität ungeeignet. Fibulafrakturen können über diesen Zugang direkt mitversorgt oder über einen zusätzlichen posterolateralen Zugang versorgt werden.

Bei Verletzungen der posterioren Säule der distalen Tibia ist deren Versorgung entscheidend für eine anatomische Rekonstruktion. Ketz et al. empfehlen daher bei starker Dislokation oder einer ausgeprägten dorsalen Impression eine Stabilisierung des posterioren Fragments über den posterolateralen Zugang [9]. Dies kann ähnlich dem m – OR + IF + EF in Kombination mit der Anlage eines Fixateurs externe (erster Schritt einer 2-zeitigen Versorgung) erfolgen. Die endgültige Versorgung der Fraktur von ventral folgt dann im zeitlichen Verlauf. Anhand der Beteiligung der jeweiligen Säulen kann dann ein weiterer Zugangsweg gewählt werden.

Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn neben einem axialen Trauma auch eine Scher- und Rotationskomponente vorliegt. Hierbei ist neben der bei diesem Traumamechanismus kompromittierten Weichteilsituation die Position der Trümmerzone für die Wahl des Zugangswegs und der Plattenlage von entscheidender Bedeutung. So ist bei einer durch Varusstress entstandenen Fraktur mit einer Querfraktur der Fibula eine mediale Plattenlage an der distalen Tibia anzustreben (Abb. 4). Bei einer durch Valgusstress entstandenen Fraktur mit Zertrümmerung der Fibula empfiehlt sich eine anterolaterale Plattenlage [4] (Abb. 3). Hierbei besteht die Empfehlung, mit dem eingebrachten Plattenosteosynthesematerial die Fraktur im Bereich der Trümmerzone besser zu unterstützen. Busel et al. konnte dies in einer retrospektiven Auswertung untermauern. Bei 40 Frakturen mit Varusfehlstellung bestanden signifikant weniger mechanische Komplikationen bei medialer Plattenlage im Vergleich zum lateral platzierten Osteosynthesematerial. Umgekehrt traten bei 63 Frakturen mit Valgusfehlstellung signifikant weniger mechanische Komplikationen bei anterolateral positionierten Platten auf. Als mechanische Komplikationen wurden hier Pseudarthrosen und Materialversagen gewertet, wundassoziierte Komplikationen wurden nicht eingeschlossen [4].

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