Übersichtsarbeiten - OUP 11/2014

Schontechniken für Gelenke und Wirbelsäule beim alpinen Skifahren

Durch das Carven sind neue physikalische Bedingungen und physiologische Bewegungsformen beim Skifahren möglich (nach [3]).

Die Kurvenlage ist beim Carven verstärkt (teilweise mehr als 40°) und ein erlebnishaftes Ziel. Die Neigung eines Körpers von über 20° in eine Kurve entspricht aber nicht der menschlichen Evolution. Sie ist daher beim Carving zunächst ungewohnt, entwickelt sich aber mit zunehmendem Kantengefühl und mit steigender Sicherheit auf Skiern [9].

Beim Carven steigt die Kurvengeschwindigkeit stark an [8].

Die hohe Festhaltekraft der Skikanten staut die nach außen und nach unten drängenden Kurvenkräfte (je nach Fahrtgeschwindigkeit treten Fliehkräfte bis zum 3,8-fachem KG auf [10]) und zwingt den Skifahrer, Widerstand (Stemmkraft) zu leisten.

Ein guter Aufkantwinkel, eine starke Durchbiegung des Skis („Flex“), das Ausreizen des Skiradius und das Bemühen um das optimale Gleiten ergeben ein „Gefühl des Ziehens“ der Kanten.

Schneekontakt mit der Hand, dem Unterarm oder sogar dem Körper ist bei starker Kurvenlage erreichbar.

Gefahren beim Carven

Die „geschnittenen“ Carvingschwünge bremsen den Ski deutlich weniger als die ehemals „gerutschten“ Schwünge. Bei hoher Kurvengeschwindigkeit werden rasante Fahrgeschwindigkeiten quer zur Piste möglich, die sogar ein Bergauffahren am Ende der Kurve ermöglichen. Bei steileren Pisten bringen dies nur Rennläufer fertig. Snowboarder oder Skifahrer, die in der Falllinie fahren, können mit den querenden Carvern kollidieren. Auch Carver, die von einer anderen Piste einfahren oder am Pistenrand kurven, oder gleichzeitig die Piste mit Carvingschwüngen in entgegengesetzter Richtung bewältigen, können mit hohen Geschwindigkeiten aufeinanderprallen – oder gegen Gegenstände am Pistenrand. Die Zahl der Kollisionsunfälle stieg 2012/2013 auf 16 % [13]. Schon Aufprallgeschwindigkeiten von 30 km/h zeigen ein hohes Verletzungspotenzial [11] und schwere Verletzungen. Polytraumen und Todesfälle sind möglich [11, 14–17]. Das Kollisionsrisiko scheint zumindest bei sportlichen Carvern annähernd doppelt so hoch wie bei konventionellen Skifahrern [12]. Die Einführung der Carvingski hat aber nicht zu einem Anstieg der gesamten Unfallzahlen im alpinen Skisport geführt [12]. Der Vergleich der Verletzungshäufigkeit zwischen konventioneller alter Technik und neuer Carvingtechnik ergibt kein einheitliches Bild [18]: Eine Studie zeigt bei Carving-Skifahrern ein Zunahme des Schweregrads von Knieverletzungen [19], eine andere dagegen eine Abnahme der Kreuzbandverletzungen, aber eine Zunahme der Schulter-Arm-Verletzungen [20]. Eine weitere Studie ergab insgesamt keine Unterschiede in der Verletzungshäufigkeit zwischen beiden Skitechniken [12]. Tendenziell scheinen Carvingski mit Radien von unter 14 m besonders für die unteren Extremitäten verletzungsgefährdend zu sein. Dies kann zu einer Verletzung von Muskeln bzw. Bändern der unteren Extremitäten führen [12]. Das Knie ist der am häufigsten verletzte Körperteil bei Skifahrerinnen [21].

Zu den erfreulichsten Fortschritten gehört die positive Sturzproblematik beim Carven: Die Stürze ereignen sich häufig zum Berg hin, weil die Ski in der Schräglage wegrutschen. Damit hat der Stürzende nur einen kurzen Weg zum Schnee und kann durch Schlittern den Bremsweg verlängern. Dies ist ein positiver Unterschied zu früher, wo Stürze häufig über die Außenkante ins Tal mit größeren Kraftimpulsen beim Aufprall – teilweise mit Überschlagen des Skifahrers – auftraten. Da bei älteren Menschen aber nicht nur die Knochen, sondern auch die Kreuzbänder an Stabilität verlieren (Reißfestigkeit des vorderen Kreuzband bei jungen Menschen 1716–3000 N, bei Menschen über 60 Jahren maximal 642 N [22, 23]), sollten das Verletzungsrisiko und die vielfältigen positiven gesundheitlichen Aspekte des Skisports (Koordinations- und Krafttraining, Osteoporose-Prophylaxe im Sinne der Vitamin-D-Bildung u.a.) gut überlegt werden.

Gelenkbelastung beim Carven

Modernes Skifahren scheint – zumindest im Freizeitbereich – eine gelenkschonende Sportart, weil der Sportler die meiste Zeit sein Körpergewicht auf 2 Beine verteilt und somit die Belastung eines Beins ungefähr nur die Hälfte des Körpergewichts beträgt. Die Taillierung der Skier und die Technik des Carvens sind bestens geeignet, ohne besonderen Kraftaufwand und ohne größere Belastung der Gelenke ein sicheres und freudvolles Skifahren zu ermöglichen [24, 25]. Die Skimodelle von Gottschlich und Zehetmayer [2] zeigen, dass Carvingski von ganz allein um die Kurve fahren, ohne dass es größerer muskulärer Anstrengung bedarf. Messungen an einem versierten Skilehrer (ehemaliges Mitglied des deutschen Skilehrteams), der die Schontechnik demonstrierte (s. Abb. 2), bestätigten, dass die Bodenreaktionskräfte bei moderaten Geschwindigkeiten wegen der beidbeinigen Skibelastung grundsätzlich geringer sind als beim Gehen [26, 27].

Im Skirennlauf müssen allerdings etwas größere Kräfte aufgebracht werden, um den Fliehkräften entgegenzuwirken und den Ski durchzubiegen. Bei sportlichen, hochtrainierten Skilehrern trat eine Belastung auf, die dem 3-fachen KG entspricht, wobei Fußdrücke von bis zu 30 N/cm² auftreten können [28]. Der höchste Druck trat an der Medialseite der Ferse und an der Medialseite des Vorfußes (1. Metatarsale) auf. Der Druck wanderte während der Kurvenfahrt vom 1. Metatarsale zur Ferse [28]. Modernes Skifahren, bei dem auch in der Kurvenfahrt beide Beine belastet werden, zeigt eine Belastung des Außenskis von bis zum 3,5-fachen und des Innenskis vom bis zu 1,5-fachen KG [29]. Andere Autoren konnten dies bei Skirennfahrern bestätigen (2,5-faches KG des Außenski, 1,5-fach des Innenski) [30, 31]. Somit ist die Belastung selbst beim sportlichen Carven gering (Abb. 2). Allerdings können beim Skifahren auch höhere Impact-Kräfte (Schläge vom Boden bei Geländeunebenheiten, hartem, eisigem Untergrund oder Kräfte nach Sprüngen) auf die Beine einwirken [26].

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