Übersichtsarbeiten - OUP 11/2014
Schontechniken für Gelenke und Wirbelsäule beim alpinen Skifahren
dosiertes Aufkanten durch Kantendruck, Neigen, Kippen,
Rutschen ist erlaubt, um die Geschwindigkeit zu dosieren,
zusätzlich zur Grundtechnik sollten spezielle skifahrtechnische Elemente bei Rücken- oder bestimmten Gelenkbeschwerden eingesetzt werden (s. folgende Bemerkungen).
Gelenkspezifische
Schontechniken
Knieschonende Skitechnik
Der Anpressdruck
Der retropatellare Anpressdruck und damit auch der Kompressionsdruck zwischen Femur und Tibia, ist beim Skifahren vor allem von der Körperposition abhängig. Schon im Alltag kann bei stärkerer Kniebeugung die Anpresskraft der Patella auf fast 300 kp ansteigen. So erzeugt das Hinhocken bei einem Kniebeugewinkel von 140° Kompressionskräfte auf das Patella-Gleitlager vom 7,6-fachen und auf das Femuro-Tibial-Gelenk vom 5,6-fachen KG [23]. Dies bedeutet, dass mit zunehmender Beugung des Kniegelenks auch beim Skifahren die Kniescheibenbelastung zunimmt. Zwar ist eine Kniebeugung beim Skifahren für die Skiführung und Federwirkung der Beine erforderlich, von einer zu starken Kniebeuge – vor allem im flachen Gelände oder mit Rücklage des Körpers – ist abzuraten.
Beim Skifahren sind daher im flachen Gelände eine tiefe Kniebeuge und eine Rücklage des Oberkörpers zu vermeiden (Abb. 3). Auch das Aufstehen nach einem Sturz über die Rücklage ist sehr belastend. Daher sollten vor dem Aufstehen besser die Ski abgeschnallt werden.
Im flachen wie steilen Gelände ist vor allem das Kurvenfahren für das Kniegelenk belastend (Abb. 4a-d). Durch die Fliehkraft treten hier große Kräfte auf, die von den Beinmuskeln kompensiert werden müssen. Die BRK und damit die Anspannung des M. quadriceps steigt deutlich an, wenn der Skifahrer den Scheitelpunkt der Kurve überschritten hat [30]. Damit treten mit dem Kurvendruck und eventuell auch der Rücklage 2 das Kniegelenk belastende Faktoren auf. Es ist daher sinnvoll, wenn ein Skifahrer mit Knieproblemen auch am Kurvenende seine Vorlage beibehält. Dies hat den skitechnischen Vorteil, dass die Schaufel weiter Kontakt zum Schnee hat und die Kurve weiterhin schneidend, also mit engem Radius, gefahren wird. Der Nachteil ist, dass der Kurvendruck nicht nachlässt und die Fahrgeschwindigkeit noch eher zunimmt. Dies ließe sich vermeiden, wenn ein leichtes Driften („Rutschen“) zugelassen wird.
Eigene Messungen konnten zeigen, dass sich die Belastung des Femuro-Tibial- und des Retropatellar-Gelenks bei entsprechender Schontechnik Knie (Abb. 5, 6 links), d.h. durch einen reduzierten Kniebeugewinkel, um rund 50 % verringern lässt [26].
Durch Verzicht auf einen einwärts gerichteten „Knieknick“ kann zudem die Belastung des lateralen Kompartments verringert werden [26]. Wenn also die Kniegelenke beim Steuern der Kurve verstärkt belastet werden, dann sollte das belastete Kniegelenk möglichst gestreckt sein. Aus diesem Grund ist bei Patienten mit Knieproblemen eine gleichmäßige Belastung von Innen- und Außenski nicht zu empfehlen. Die stärkere Belastung des Außenskis in annähernder Streckstellung setzt aber voraus, dass keine größeren Achsabweichungen (X-oder O-Bein) im Kniegelenk vorhanden und dass die Knie-Bänder stabil sind.
Knieschonende Skitechnik
(s.a. Abb. 6 links):
Das vorwiegend belastete Bein (Außenski) sollte möglichst gestreckt werden,
leichter bis mäßiger Hüftknick erlaubt,
stärkere Vorlage (Körperschwerpunkt nach vorn!),
Armhaltung: Hände mäßig bis deutlich nach vorn, durchaus auch in diagonaler Führung,
Rücklage muss vermieden werden,
breite Skiführung.
Kniepathologien und Skifahren
Die gute Funktion der Knie-Seitenbänder ist eine wichtige Voraussetzung für das Skifahren: Vor allem das mediale Seitenband ist für die Stabilität wichtig. Wenn es überdehnt, geschwächt oder aus anderen Gründen untauglich ist, tritt bei jedem Schritt eine zunehmende Valgusstellung ein.
Eine Insuffizienz des lateralen Bands wird meist durch den Tractus iliotibialis kompensiert, eine Varus-Fehlstellung ist jedoch auch hier möglich. Sind beide Bänder locker, kann ein Genu recurvatum die Folge sein.
Bei einem Seitenbandschaden wäre es empfehlenswert, wenn der Sportler eine stabilisierende Knieschiene mit stabilen Metallgelenken (Orthese) tragen würde. Liegt ein Kreuzbandschaden vor, kann eine Orthese keinen sicheren Schutz vor einer Instabilität (vordere Schublade bzw. Rotation) bieten. Hier wäre es sinnvoller, die Muskulatur der Oberschenkelrückseite zu kräftigen.
Beim Meniskusschaden treten unterschiedliche Beschwerden auf, je nachdem, ob der vordere, mittlere oder hintere Anteil des Meniskus betroffen ist. Daher können eine Varus- oder aber auch eine Valgus-Beinbelastung oder eine Rotation schmerzhaft sein. Diese gilt es dann beim Sport zu vermeiden, bzw. durch eine stabilisierende Orthese zu verringern.
Wenn es die Beschwerden zulassen, ist auch bei Kniearthrose eine Teilnahme an sportlichen Aktivitäten sinnvoll:
Bei Patienten mit einer Arthrose des Kniegelenks konnte in einem 4-monatigen Trainingsprogramm, Trainingsfrequenz 3-mal pro Woche, die Kraft und die Ausdauer um jeweils 35 % und die Schnelligkeit um 50 % verbessert werden. Diese Verbesserungen waren mit einer Verringerung der Schwierigkeiten im Alltag (–30 %), der Pflegebedürftigkeit (–10 %) und der Schmerzen (–40 %) verbunden [32]. Selbst stärkere Beugekontrakturen von bis zu 30° bessern sich innerhalb eines Jahres fast vollständig [33]. Ähnliche positive Ergebnisse hinsichtlich der Schmerzreduktion und einer verbesserten Kniestabilität durch ein Krafttraining werden auch von anderen Autoren berichtet [34].
Daher sollte auch das Skifahren weiterhin ermöglicht werden. Orthopädische Hilfsmittel (Tab. 1) und spezielle Skitechniken (s.o.) können dabei hilfreich sein: Bei einem X- oder O-Bein können die Skischuhe mit einer leichten Außen- oder Innenranderhöhung zur Kompensation der Achsfehlstellung ausgeglichen werden. Hier kann bei vielen Skischuhmodellen das „Skischuhcanting“ (eine Veränderung der seitlichen Schaftneigung) so eingestellt werden, dass die Schaftneigung sich entsprechend ändert.