Übersichtsarbeiten - OUP 11/2014

Schontechniken für Gelenke und Wirbelsäule beim alpinen Skifahren

Daher ist es auch beim Skifahren notwendig, durch ein rückenschonendes Verhalten die Schmerzintensität zu verringern, dazu gehören auch die Vermeidung des Hebens und Tragens von Lasten, der Verzicht auf eine Haltung mit vorgebeugtem Oberkörper, die Unterlassung von ausgedehnten Bewegungen der Lendenwirbelsäule, die Stabilisierung der Wirbelsäule durch ein gezieltes Training der Rumpfmuskulatur über mehrere Wochen und das stundenweise Tragen eines stabilisierenden Korsetts.

Bewegungen der Wirbelsäule beim Skifahren

Überträgt man diese Verhaltensregeln auf das Skifahren, so sollte auch hier möglichst ein stärkerer Bewegungsausschlag der Wirbelsäule vermieden werden. Skitechniken, die mit einer betonten Beckenrotation, mit einem stärkeren Hüft- und Lendenwirbelsäulenknick oder mit einer starken Vorbeugung des Oberkörpers verbunden sind, sollten bei Rückenkrankheiten unterlassen werden (Abb. 6c).

Da die Wirbelsäule aus mehr als 30 verschiedenen Segmenten besteht, die jeweils einige Grad an Rotation zulassen, ist es auch bei Krankheiten der Lendenwirbelsäule erlaubt, eine leichte Rotation (10–20°) der Brustwirbelsäule (z.B. Antizipation des Oberkörpers beim Skifahren) durchzuführen. Dabei kommt keine Rotationskomponente mehr in der Lendenwirbelsäule an, weil jedes Brustwirbelsegment schon für sich allein etwa 3–4° rotieren kann.

Eine Rotation der Lendenwirbelsäule, wie dies beim Skifahren beispielsweise bei Verdrehungen der Beingelenke und Beckenregion (Gegendrehen, Beckenverwringung) entstehen kann, ist aber nicht sinnvoll.

Wirbelsäulenform

Wenn ein Sportler Rückenschmerzen hat, kann versucht werden, zunächst eine Neutralhaltung einzuüben. Diese Neutralhaltung entspricht einer harmonischen Krümmung der Brust- und Lendenwirbelsäule innerhalb von normalen, individuellen Grenzen. Häufig können dadurch schon die Schmerzen gelindert werden: Ein starkes Hohlkreuz, das zu einer Überlastung der Wirbelgelenke führt, kann etwa durch eine Kräftigung der Bauchmuskeln reduziert werden. Ein zu starker Rundrücken kann durch ein Training der Streckmuskulatur der Brustwirbelsäule gebessert werden.

Schmerzlindernde Lordose (Hohlkreuz) oder Kyphose (Rundrücken)

Gelegentlich lassen sich Rückenschmerzen im Sport (etwa beim Radfahren) lindern, wenn bewusst entweder eine stärkere Hohlkreuzhaltung oder ein stärkerer Rundrücken eingehalten werden (Test nach Van Gelderen). Dies ist jeweils von der pathologischen Ursache der Wirbelsegmentschmerzen abhängig. Daher kann auch beim Skifahren eine betonte Hohlkreuzbildung – oder aber ein leicht betonter Rundrücken – ausprobiert und bei Erfolg eingehalten werden.

Die schmerzlindernde Wirkung eines Korsetts, welches den Beckenkamm umfasst und aus relativ festem Material besteht (z.B. Hohmann-Mieder, Boston-Korsett), ist bei einigen Sportarten (Schwimmen) festgestellt worden. Es wäre daher auch bei Menschen mit stärkeren Schmerzen (und z.B. mit Gefügelockerungen, Wirbelgleiten, instabilen Bandscheiben etc.) zu überlegen, ob ein derartiges Korsett Linderung im Alltag und beim Skifahren bringen könnte. Durch ein Korsett wird außerdem der Bauch-Innendruck erhöht, was eine Entlastung der Bandscheiben zur Folge hat.

Wirbelsäulenschonende Skitechnik

(s.a. Abb. 6c)

Beine hüftbreit, beide Beine gleich oder auch abwechselnd belasten,

Sprunggelenke, Hüfte und Knie gebeugt, um Stöße abzufedern,

keine Torsion oder Seitneigung im Becken-Lendenwirbelsäulenberiech erlaubt,

möglichst aufrecht fahren, nur leichte Vorlage erlaubt,

schmerzfreie Neutralstellung des Rückens erarbeiten,

Armhaltung: Hände an den Körper, nicht nach vorn,

eventuell Korsett.

Ausblick

Carving ist eine reine Pistentechnik. Wenn die Kante nicht mehr greift, hören die Vorteile des Carvens auf. Im Tiefschnee können zwar – ähnlich wie beim Carven – auch beide Beine belastet werden, aber die Skiführung muss viel enger sein.

Durch die oben angegebenen Verhaltensmodule steht den Skifahrern ein „Menu“ zur Verfügung, wie sie durch mindestens 20 verschiedene Haltungs- und Positionsänderungen die Piste bzw. das Gelände bewältigen können. Viele Skifahrer erlernen das Carven – wozu das Kanten und Biegen der Skier gehören – integrieren aber auch die alten Verhaltensweisen: Sie kanten um, bleiben dann aber völlig passiv. Andere schneiden mit ihren Carvingski den Schwung kurz an, gehen aber dann bewusst zum altgewohnten Driften über. Es ist auch möglich, wie gewohnt den Schwung auch mit dem Carvingski anzurutschen und die starke Taillierung für ein schneidendes Steuern zu nutzen. Die gelenkschonenden Vorteile des Carvens können also – je nach körperlicher Einschränkung – individuell auch nur teilweise genutzt und trainiert werden.

Weitere Verbesserungen zur Skitechnik bzw. die Anpassung an individuelle Gegebenheiten der Skifahrer sind Thema der Forschungen: Eine leicht (in der Längsachse des Ski) nach vorn oder nach hinten verschobene Position der Bindung konnte bei Freizeit- und Rennskifahrern nicht nur die Slalomzeit verbessern, sondern auch das Komfortgefühl beim Fahren erhöhen. Die Rotationsstellung der Beine kann durch Änderung der Schuhposition im Ski korrigiert werden; zumindest soll im Stand, beim Ausruhen, der Ski so gestellt werden (Skienden ausstemmen oder Skispitzen ausscheren), dass es der natürlichen – oder operativ veränderten – und entspannten Rotationsstellung der Beine entspricht.

Es ist anzunehmen und zu hoffen, dass die weitere Entwicklung des Skimaterials und der Fahrtechniken einen noch besser auf den Menschen abgestimmten Bewegungsablauf ermöglichen werden. Damit wird es – wie auch im Handicap Sport – möglich sein, auch Menschen mit stärkeren Einschränkungen den Skisport zu ermöglichen.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Christoph Schönle

Klinik Lindenplatz GmbH

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