Übersichtsarbeiten - OUP 04/2016
Strahlenschutz bei C-Bogen-gestützten Wirbelsäulenprozeduren in Orthopädie und Unfallchirurgie
Uwe Schütz1,2, Meinrad Beer1, Alexander Wild3, Steffen Oehler3, Michael Kraus3
Zusammenfassung: Die Strahlenbelastung von
Patient und Personal im orthopädisch-unfallchirurgischen Operationssaal wird vor allem durch die intraoperative Durchleuchtung mittels mobiler C-Bogen-Technik verursacht. Durch Zunahme der minimalinvasiven operativen Prozeduren nimmt die Nutzung dieser Technik immer weiter zu. Es besteht daher prinzipiell die Gefahr, dass durch diese Entwicklung auch das Risiko für Patient und Personal hinsichtlich strahlungsinduzierter Früh- und Spätschäden im OP steigt. Durch die parallele Weiterentwicklung der Gerätetechnik können immer höhere Strahlendosen emittiert werden. Zwar bietet die Verbesserung der Technik auch die Möglichkeit der Dosisreduktion, z.B. durch computerassistierte Navigation und verbesserte Abschirmtechniken, doch kann diese nur genutzt werden, wenn der Anwender diesbezüglich ausreichend geschult ist. Dieser Artikel soll zum einen hinsichtlich Ursachen, Ausmaß und Risiken intraoperativer Strahlungsemission aufklären und sensibilisieren und zum anderen aufzeigen, welche positiven Verbesserungseffekte Kompetenz und gutes Verständnis als auch eine konsequente Umsetzung und Nutzung moderner Strahlenschutzmaßnahmen für das Risiko des Einzelnen im Umgang mit moderner C-Bogen-Technik in Orthopädie und Unfallchirurgie haben.
Schlüsselwörter: Strahlenschutz, C-Arm, Durchleuchtung,
Röntgen, Dosis, Dosimetrie, Effektivdosis, Dosisflächenprodukt
Zitierweise
Schütz U, Beer M, Wild A, Oehler S, Kraus M: Strahlenschutz bei C-Bogen-gestützten Wirbelsäulenprozeduren in Orthopädie und Unfallchirurgie. OUP 2016; 4: 224–237 DOI 10.3238/oup.2016.0224–237
Summary: Radiation exposure of patient and staff in the orthopedic operation theatre is mainly caused by the intraoperative fluoroscopy of mobile C-arm technology. Due to the increase of minimal invasive surgical procedures, the usage of this technology rises. Hence, there is a chance that this development raises the risk of patient and staff concerning radiation-induced early and late damages in the operation room. Parallel to the advancement of C-Arm technology increasing radiation dose can be emitted. Though the improvement of the technology also offers the possibility of dose reduction, e.g. by computer-assisted navigation and improved shielding features, however, this can only be achieved if the user is trained enough concerning these matters. On the one hand, this article aims to clarify causes, amount and risks of intraoperative radiation emission and on the other hand sensitize and indicate which positive improvement competence and good understanding, as well as a rigorous implementation and usage of modern radiation protection measures have in regard to the risk of the individual in dealing with modern C-arm technology in orthopedics and traumatology.
Keywords: Radiation, protection, C-arm, fluoroscopy, X-ray, dosis, dosimetry, effective dose, dosis area product
Citation
Schütz U, Beer M, Wild A, Oehler S, Kraus M: Radiation protection during C-arm based spine interventions in orthopedics and traumatology. OUP 2016; 4: 224–237 DOI 10.3238/oup.2016.0224–237
Einleitung
Die medizinisch begründete jährliche Strahlenbelastung des Menschen in Mitteleuropa (0,6–1,8 mSv) ist fast gleich wie die natürliche Strahlenbelastung (2–2,5 mSV) und nimmt weiter zu [1, 2]. In den letzten beiden Dekaden hat die Kollektivdosis durch med. Strahlung einen großen Zuwachs erfahren, welcher sich v.a. in der schnellen und massiven Progredienz der CT-Untersuchungen und der durchleuchtungsgestützten interventionellen und operativ minimalinvasiven Verfahren begründet [3]. Nicht nur der Patient, sondern auch das medizinische Personal sind, besonders in den Bereichen Radiologie, Kardiologie, Herz- und Gefäßchirurgie sowie Orthopädie und Unfallchirurgie (O & U), von der progredienten Strahlenexposition als Gefahrenquelle betroffen [4]. Die zunehmende Reduzierung der Visualisierung des OP-Felds in O & U bedingt, dass zur Darstellung von z.B. Implantatverankerung bzw. Frakturreposition vermehrt röntgenologische Fluoroskopie (= Durchleuchtung; DL) zum Einsatz kommt [5]. So ist die mobile intraoperative DL (MIODL) als ein unentbehrlicher Bestandteil v.a. aus der modernen Wirbelsäulenchirurgie in O & U nicht mehr wegzudenken [6]. Sie wird z.B. regelhaft zur offenen und geschlossenen Frakturreposition, internen Fixationen (ORIF), dorsalen Spondylodese bzw. Instrumentierung und zur Vertebroplastie bzw. Kyphoplastie genutzt.
Das OP-Personal, v.a. aber die Operateure, werden bei der MIODL redundant ionisierender Strahlung exponiert. Das Hauptproblem stellt dabei die Streustrahlung dar. Diese tritt stets auf, wenn ein Objekt von ionisierender Strahlung getroffen wird. Im Falle der MIODL ist dies v.a. der Patient. Nur ca. 2 % der zur Bilderstellung nutzbaren Strahlung erreichen den Röntgendetektor des C-Bogens, der Rest ist Streustrahlung, wovon 80–90 % vom Patienten absorbiert und 10–20 % in die Umgebung abgestrahlt werden und somit potenziell das OP-Personal exponieren [7].
In Deutschland kommen, im Gegensatz zur Radiologie, im OP von O & U keine speziell ausgebildeten medizinisch-technischen Radiologieassistenten (MTRA) zum Einsatz, welche im Umgang mit mobilen Röntgengeräten geschult sind. Chirurgen und OP-Pflegepersonal führen normalerweise die MIODL selber durch. Grundlegende Voraussetzung für den optimalen Einsatz der MIODL hinsichtlich Bildqualität und Strahlenschutz ist jedoch, dass sich der Bediener mit dem jeweiligen C-Bogen-Typ und seinem möglichen Einsatz in den diversen operativen Situationen auskennt. Moderne DL-Einheiten können leicht Dosisraten in einer Dimension von 0,2 Gy pro Minute generieren [3]. Die meisten derzeit im Gebrauch befindlichen Geräte bieten außer dem groben Surrogatparameter „Totale Fluoroskopiezeit“ (DL-Dauer) meist keine Möglichkeit, die Patientendosis approximativ anzuzeigen. Um möglichst wenig Strahlung für eine optimale i.o. Bildgebung freizusetzen, ist eine intensive Beschäftigung mit den Grundlagen des Strahlenschutzes unerlässlich, und Kenntnisse der Emission von Strahlung durch den Einsatz der mobilen Geräte sind hierzu erforderlich. Doch gerade die Chirurgen sind trotz Weiterbildungspflicht oft schlecht bezüglich der Bedienung von MIODL-Geräten unterrichtet, was zu einer unnötig hohen Strahlungsexposition von OP-Personal und Patient führt. In einer Fallstudie wird von einer signifikanten Zunahme maligner Erkrankungen in O & U im Vergleich zu anderen Abteilungen eines Krankenhauses berichtet [8].