Übersichtsarbeiten - OUP 04/2024

Ultraschallgestützte perineurale Infiltration bei Meralgia paraesthetica

Bei ungewöhnlicher Symptomcharakteristik wie plötzlich auftretenden starken Schmerzen, begleitet von Rückenschmerzen oder Schwellung im betroffenen Bein, müssen differenzialdiagnostisch auch Pathologien entlang des Verlaufs des Nervs bis hin zu den Nervenwurzeln L2 und L3 in Betracht gezogen werden. Eine lumbale Radikulopathie der Nervenwurzeln L2 oder L3 ist die häufigste Differenzialdiagnose. Auch an abdominelle Tumoren, Entzündungen oder Lymphknotenschwellung mit Bedrängung der Nervenwurzeln oder Metastasen im Bereich der Crista iliaca mit Kompression des NCFL selbst sollte gedacht werden. Die Hüftgelenksarthrose vermag mitunter Symptome einer MP zu imitieren. Eine weitere seltene Differenzialdiagnose stellt die Mononeuritis dar, z.B. im Rahmen einer borrelienbedingten Radikulitis [6].

Weiterführende Diagnostik

Zur Ursachenforschung oberhalb des Leistenbandes wird eine MRT- oder CT-Bildgebung empfohlen. Die Fragestellung lautet hier Nervenwurzelaffektion oder tumorbedingte Kompression im Verlauf des NCFL. Eine präzise Aussage über den Nachweis einer Nervenschädigung dieses kleinen Nervens selbst kann, wenn überhaupt, nur die Neurosonografie distal des Leistenbandes erbringen. Ein pathologischer Befund wird dabei durch Messung der Nervenquerschnittsfläche im Vergleich zur gesunden Gegenseite erhoben, gelingt jedoch nur bei einem Drittel der Betroffenen [7, 8].

Eine fachneurologische Diagnosesicherung, unter anderem durch elektrophysiologische Diagnostik, ist im Rahmen einer interdisziplinären Herangehensweise sicherlich ratsam [9]. Auf weiterführende nicht-bildmorphologische Diagnostik wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen.

In der Literatur besteht weitgehender Konsens darüber, dass bei unklarer klinischer Symptomatik oder Anamnese eine diagnostische Nervenblockade durchgeführt werden sollte. Im Falle eines Ansprechens und einer Schmerzausschaltung für die Dauer des verwendeten Lokalanästhetikums gilt die Verdachtsdiagnose als bestätigt.

Pathomechanismen

Morphologische
Veränderungen

In der neurosonografischen Untersuchung eines geschädigten NCFL zeigen sich typischerweise folgende Befunde: ein spindelförmiges Aufquellen im Sinne einer gestörten Faszikelstruktur, Hypervaskularisation und Zunahme der Hypoechogenität. Ein charakteristischer Kalibersprung des Nervs tritt sowohl proximal als auch distal einer Kompression auf. Die Querschnittsfläche eines gesunden NCFL beträgt etwa 3 mm², während sie bei MP auf über 5 mm² ansteigen kann. Bei einer durch Druck oder Zug verursachten Schädigung im Rahmen einer MP zeigt der NCFL in der histopathologischen Untersuchung morphologische Merkmale einer Neuropraxie (Verlust der Myelinscheide bei intaktem Axon) und Axonotmesis (Schädigung des Axons bei intaktem Epi-, Peri- und Endoneurium), Entzündungsreaktionen und Bindegewebsvermehrung [10–12].

Verletzungsmechanismen

Die Ursache für das Auftreten einer MP wird in einer Kombination aus einerseits individueller anatomischer Prädisposition, andererseits im Vorhandensein eines Auslösers für eine MP verantwortlich gemacht. Das Engpasssyndrom gilt dabei als führender Pathomechanismus für das Entstehen der Mononeurophathie des NCFL. Dazu kommt es, während der Nerv unter das Ligamentum inguinale verläuft und hier wiederholten mechanischen Belastungen ausgesetzt ist, die zu Scherkräften und Dehnung führen. Risikofaktoren hierfür sind abdominale Adipositas, Schwangerschaft oder enge Kleidung. Eine weitere Ursache für Nervenschäden des NCFL stellt direkte externe Krafteinwirkung durch Kompression, bspw. während längerer Operationen in überstreckter Position oder Bauchlage dar. Auch infolge intensivmedizinischer Lagerungsmanöver bei Acute Respiratory Distress Syndrome oder schwerer COVID-19-Pneumonie sind Nervenschäden beschrieben. Seltener treten traumatische Verletzungen wie „seat-belt injuries“ nach Verkehrsunfällen auf. Tumorbedingte Kompressionen proximal des Leistenbandes können zur Bedrängung des NCFL führen, bspw. das abdominelle Liposarkom, Rhabdomyosarkom, Schwannom oder große Uterusmyome. Als iatrogene Ursachen einer MP sind etwa Hüft-Total-Endoprothesen-Operationen, Leistenhernien-Operationen, Knochenmarkpunktionen oder Beinlängenkorrekturen zu nennen. Sie stellen aufgrund der exponierten Lage des Nervs ein gewisses Risiko dar. Auch bei der Durchführung eines ultraschallgesteuerten Pericapsular Nerve Group Blocks (PENG-Block) zur Anästhesie im Rahmen von Hüftgelenksoperationen wurde das Lancieren des Nervs im Punktionsverlauf bei der In-plane-Technik beschrieben [13, 14].

Anatomie

Der NCFL ist ein eigenständiger, sensibler Nerv, der von efferenten sympathischen Fasern begleitet wird. Er entspringt dem Plexus lumbalis aus den Spinalsegmenten L2 und L3. Der Verlauf des NCFL führt entlang der hinteren lateralen Oberfläche des Musculus psoas major bis unterhalb der Crista iliaca, wo er die Fascia iliaca durchstößt, um an die ventrale Oberfläche des Musculus iliacus zu treten. Etwa einen Zentimeter medial der Spina iliaca anterior superior verläuft der Nerv in Richtung Hüfte und tritt unter das Ligamentum inguinale. Distal des Ligaments teilt sich der Nerv in 1 bis 2 Äste auf, den Ramus anterius und den Ramus posterius, welche klassischerweise parallel zum lateralen Rand des Musculus sartorius verlaufen. Im Bereich zwischen Musculus sartorius und Musculus tensor fasciae latae findet sich ein relativ konstanter Verlauf des NCFL in einem Tunnel aus Fettzellen unterhalb der Fascia lata. Der Ramus anterius innerviert die Haut des ventralen und lateralen Oberschenkels bis zum Knie, während das Innervationsgebiet des Ramus posterius vom Trochanter major bis zur proximalen Hälfte des lateralen Oberschenkels reicht [15, 16].

Variationen

Essenziell ist das Wissen darüber, dass im Verlauf des NCFL insbesondere auf 2 Höhen Variationen beschrieben sind. Diese können sowohl proximal als auch distal des Leistenbandes auftreten und erschweren mitunter das sonografisch gesteuerte Auffinden des Nervs deutlich.

Sectionsstudien belegen eine besonders hohe Variabilität des NCFL vom Ursprung des Plexus lumablis bis zum Eintritt ins Becken. Der Nerv kann mitunter aus verschiedenen Nervenwurzeln der Höhen L1 bis L3 entspringen und variable Verläufe in Bezug auf die ASIS oder die Crista iliaca sowie über oder durch das Ligamentum inguinale hindurch zeigen.

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