Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024

Die akute Innen- und Außenbandruptur

Diane Leyder, Stefan Döbele, Tina Histing, Philipp Döttger, Marc-Daniel Ahrend

Zusammenfassung:
Verletzungen der Kollateralbänder am Kniegelenk sind keine Seltenheit. Die Innenband- (MCL) Läsion gehört zu den häufigsten Sportverletzungen. Anders die Außenband- (LCL) Läsion, welche nur sehr selten isoliert auftritt. Bei beiden Verletzungen ist eine differenzierte Diagnostik notwendig, um das Ausmaß der Verletzung und Begleitverletzungen beurteilen zu können. Die Innenbandverletzung kann oft mittels konservativer Therapie zu einer stabilen Ausheilung gebracht werden. Einige Rissformen sollten jedoch mit primärer Naht, Refixation mit Augmentation (Ligament Bracing) oder anatomischer Rekonstruktion operativ therapiert werden. Die sehr seltene isolierte Außenbandverletzung kann ebenfalls bei Instabilität Grad I und II mit guten Ergebnissen konservativ ausbehandelt werden. Bei höhergradigen Instabilitäten rückt zunehmend die anatomische Rekonstruktion in den Fokus. Ziel dieses Artikels ist es, eine Übersicht über Anatomie, Verletzungsformen und Therapiemöglichkeiten von akuten Innen- und Außenbandrupturen am Kniegelenk zu geben.

Schlüsselwörter:
Kniegelenk, Bandverletzung, Innenband, Außenband

Zitierweise:
Leyder D, Döbele S, Histing T, Döttger P, Ahrend M-D: Die akute Innen- und Außenbandruptur
OUP 2024; 13: 290?295
DOI 10.53180/oup.2024.0290-0295

Summary: Injuries to the collateral ligaments in the knee joint are quite prevalent. Among the most common injuries is a tear to the medial collateral ligament (MCL). Isolated fibular collateral ligament (LCL) injuries are rarely seen. Both injuries require a detailed diagnostic workup to assess the extent and concomitant injuries. Conservative treatment can often achieve stable healing of MCL injuries, but some tears may require surgery, such as primary suturing, refixation with augmentation (ligament bracing), or anatomic reconstruction. Conservative treatment can be effective as well for grade I and II instabilities for fibular collateral ligament injuries. However, anatomic reconstruction is increasingly becoming the preferred treatment for higher grades of instability. This article provides an overview of the anatomy, injury types, and treatment options for acute collateral ligament injuries.

Keywords: Knee joint, ligament injury, medial collateral ligament, fibular collateral ligament

Citation: Leyder D, Döbele S, Histing T, Döttger P, Ahrend M-D: Acute injuries of the medial and lateral collateral ligament
OUP 2024; 13: 290?295. DOI 10.53180/oup.2024.0290-0295

Sektion Sporttraumatologie und arthroskopische Chirurgie, Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BG Unfallklinik Tübingen

Einleitung

Lange Zeit war der Fokus bei Kniegelenksverletzungen vorwiegend auf den zentralen Pfeiler gerichtet. Die peripheren Verletzungen standen meistens im Hintergrund und wurden bei multiligamentärer Verletzung oft nur „mit“-therapiert oder bei Monoverletzung meist konservativ behandelt. Mit zunehmendem Verständnis der Anatomie und der Biomechanik der peripheren Strukturen inklusive der Rotationsinstabilität des Kniegelenkes wurde erkannt, dass häufig diese für eine stabile Ausheilung des zentralen Pfeilers mitverantwortlich sind. Besonders die Indikationsstellung als auch die operativen Versorgung von Verletzungen des Innenbandkomplexes erfuhren in den letzten Jahren einen Wandel. Nicht außer Acht sollte jedoch auch die Verletzung des Außenbandes und der posterolateralen Ecke gelassen werden.

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Anatomie, die Verletzungsformen und die Therapiemöglichkeiten von akuten Innen- und Außenbandrupturen.

Medialer Bandkomplex

Der mediale Seitenbandapparat (MCL) ist einer der Hauptstabilisatoren bei Valgusstress, Rotationsbewegungen und bei der anterioren Translation der Tibia [1]. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das MCL bei Kniegelenksverletzungen häufig betroffen ist – entweder als Monoverletzung oder bis zu 67 % in Kombination mit einer vorderen Kreuzband-Ruptur (VKB-Ruptur) [2–5]. Als Risikosportarten gelten Fußballspielen, Skifahren oder Judo [6]. Männer sind nahezu doppelt so häufig betroffen wie Frauen [7].

Anatomie und Biomechanik

Der mediale Seitenbandkomplex besteht aus mehreren Strukturen, welche funktionell zu den statischen Stabilisatoren gegen Valgusstress als auch Rotationskräfte gehören. Zurückblickend hat man das oberflächliche mediale Seitenband (sMCL) als Hauptstabilisator angesehen. Neuere anatomische Untersuchungen schreiben jedoch dem tiefen medialen Seitenband (dMCL) und dem hinteren Schrägband (POL) ebenfalls eine wichtige Rolle zu [1, 8]. Dies hat insbesondere zu einem Überdenken der Operationstechniken zur medialen Stabilisierung geführt. Zu den dynamischen Stabilisatoren zählen zusätzlich der M. quadrizeps femoris und die an den Pes anserinus inserierenden Sehnen [8, 9].

Der mediale Seitenbandkomplex umfasst:

sMCL: Stabilisator gegen Valgusstress in allen Beugegraden (insb. zwischen 20°– 80°)

dMCL: Stabilisator gegen Außenrotation in Beugung

POL: Stabilisator gegen Innenrotation, Stabilisator gegen Valgusstress in Streckung

Um eine adäquate Rekonstruktion des medialen Bandkomplexes durchführen zu können, ist es essenziell, Kenntnis über die Funktionsweise und anatomischen Verläufe, welche in mehreren Arbeiten dargestellt wurden, zu haben [10–12]. Die Beschreibungen der Insertionen variieren zwar studienabhängig gering, lassen sich aber wie folgt vereinheitlicht beschreiben:

Femoral inseriert das sMCL 5 mm dorsal und 3 mm proximal des medialen Epicondylus (ME) oder an diesem mit einem flächigen Ansatz. Die Länge ändert sich je nach Beugegrad und zeigt sich isometrisch zwischen 30° und 50°-Beugung mit einer Längenvarianz unter 2 % [10]. Tibialseitig inseriert das sMCL unterhalb der Bursa des Pes anserinus durchschnittlich 6 cm unterhalb der Gelenkfläche [11, 12].

Der femorale Insertionspunkt des dMCL zeigt sich im Schnitt 6 mm distal und 5 mm dorsal des ME. Die Bandstruktur kann unterteilt werden in einen meniskofemoralen und meniskotibialen Anteil. Das dMCL zeigte sich flächig inserierend 8 mm unterhalb des Tibiaplateaus mit einem breiten Footprint zwischen 17 und 39 mm [11].

Das POL inseriert 4 mm proximal und 11 mm dorsal des ME und setzt 5 mm unterhalb des Tibiaplateaus und dorsal des dMCL an. Das Band besitzt keinen Isometriepunkt und zeigt eine Verkürzung bei zunehmender Beugung [11, 13].

Diagnostik

Anamnese und Inspektion

Die Anamnese und die Schilderung des Unfallgeschehens können schon einen ersten Hinweis auf eine Verletzung des medialen Seitenbandkomplexes geben. Es können sich Schmerzen und Hämatomverfärbung sowie Schwellung an den Insertionspunkten zeigen.

Klinische Untersuchung

Die Untersuchung erfolgt in Rückenlage unter Ausübung von Valgusstress bei gestrecktem Bein und in 20°–30° gebeugtem Kniegelenk zur isolierten Beurteilung des sMCL unter Ausschaltung der dorsalen Kapsel und des POL. Zeigt sich in Streckstellung keine Instabilität, jedoch eine pathologische Aufklappbarkeit in leichter Beugung kann davon ausgegangen werden, dass die Kapsel und das POL intakt sind. Die Instabilität wird in Grad I–III unterteilt [14].

Zur Beurteilung einer anteromedialen Instabilität (AMRI) kann der anteromediale Drawer-Test durchgeführt werden. Dieser wird in 90°- Beugung und 10–15° Außenrotation im Unterschenkel durchgeführt. Hierbei wird der Unterschenkel vom Untersucher fixiert und es erfolgt ein anteromedialer Zug. Zeigt sich dabei eine vermehrte Rotation im Vergleich zur Gegenseite, muss von einer POL oder dorsaler Kapselverletzung ausgegangen werden [1].

Röntgen

Bei jedem frischen Kniegelenkstrauma sollte eine Röntgendiagnostik in 3 Ebenen (a.p., seitlich und Patella tangential) durchgeführt werden, um knöcherne Bandausrisse und Begleitverletzungen auszuschließen. Bei chronischen Instabilitäten kann durch Valgusstressaufnahmen die Instabilität objektiviert werden. Darüber hinaus sollte eine Beinachsbestimmung durchgeführt werden. Dies ist notwendig, da Arbeiten zeigen konnten, dass eine valgische Beinachse zu höheren Abduktionsmomenten für die medialen Strukturen führt [15]. Dies erhöht die Versagenswahrscheinlichkeit einer medialen Bandrekonstruktion. Der Einfluss der Beinachse auf Nahttechniken oder konservativer Therapie an den Kollateralbändern wird angenommen.

Magnetresonanztomografie

Die Magnetresonanztomografie (MRT) gehört zur Standarduntersuchung bei Verdacht auf ligamentäre Kniegelenksverletzung. Hiermit werden ebenfalls Begleitverletzungen, welche eine Rolle bei der Therapieentscheidung spielen können, detektiert. Die Sensitivität und Spezifität wird je nach Literatur bei MCL-Verletzungen bei Grad II-Instabilitäten von 68 % angegeben und bei Grad III-Instabilitäten von 90 % [16].

Watura et al. haben sich die Korrelation zwischen der klinischen Instabilität und der MR tomografischen Ruptur angeschaut und zeigten eher eine Überschätzung der Instabilität in der Bildgebung. Ein welliger Verlauf des sMCL zeigte eine statistisch signifikante Korrelation mit einer III° klinischen Instabilität [17].

Klassifikation

Eine einheitliche Einteilung zur Definition der medialen Instabilität gibt es weiterhin nicht. Die von der American Medical Association (AMA) vorgeschlagene Einteilung ist die wohl am häufigsten verwendete. Hierbei werden die MCL-Verletzung in die mögliche Aufklappbarkeit in 30°-Beugung unterteilt. Grad I (0–5 mm), Grad II (6–10 mm) und Grad III (> 10 mm) im Vergleich zur Gegenseite [18]. Hughsten et al. modifizierte diese Einteilung mit Grad I ohne Instabilität, Grad II mit einem festen Anschlag und Grad III mit einem weichen Anschlag bei Valgusstress. Die Grad III-Verletzungen werden dann analog zu der AMA-Einteilung in 3 Instabilitätsgrade eingeteilt. 1+ (3–5 mm), 2+ (6–10 mm) und 3+ (> 10 mm)[19]. Da bei beiden Klassifikationen die Rolle des POL nicht mit abgebildet wird, haben Fetto und Marshal eine weitere Einteilung vorgeschlagen, welche 2 Grade mit einer Aufklappbarkeit bei 30° beschreibt und Grad III eine Aufklappbarkeit zwischen 0°–30° Kniegelenksbeugung beschreibt. Hiermit soll die Verletzung des Innenbandkomplexes inklusive des POL verbessert abgebildet werden (Tab. 1) [3].

Behandlungsstrategie

Konservative Therapie bei isolierter MCL-Verletzung

Obwohl die Verletzung des medialen Kniegelenkskomplexes eine der häufigsten Verletzungen am Kniegelenk ist, werden die Behandlungsstrategien noch immer kontrovers diskutiert. Bezüglich der I°-und II°-Instabilitäten besteht in der Literatur der Konsens zur konservativen Therapie. Das Innenband zeigt aufgrund der guten Vaskularisierung ein sehr hohes Heilungspotenzial [20]. Im Tiermodell zeigten sich für intraligamentäre Rupturen eine schnellere Heilung als die knochennahen Ausrisse [21]. Ebenfalls konnte gezeigt werden, dass histologisch kein Unterschied in der Gewebeheilung besteht zwischen operativ- und konservativer Behandlung [20]. Insgesamt zeigt die frühfunktionelle Nachbehandlung mit einer Bewegungsorthese und initialer Teilbelastung gute klinische Ergebnisse [22–24].

Bei isolierten III°-Verletzungen mit intakter dorsaler medialer Kapsel ohne Retraktion der Bandstümpfe kann die konservative Therapie ebenfalls gute klinische Ergebnisse zeigen mit einer hohen Rückkehrrate zum Sport [25]. Es ist nochmals zu betonen, dass hierzu die Datenlage begrenzt ist und die Studie von Indelicato et al. [25] dies lediglich bei isolierten Innenbandverletzungen zeigen konnten. Das VKB muss demnach intakt sein.

Operative Therapie bei isolierter MCL-Verletzung

Einige Verletzungen des medialen Kniegelenkkomplexes profitieren von einer operativen Therapie. Diese sind zusammengefasst:

Distale sMCL-Verletzungen

Kombinierte sMCL-, dMCL- und POL-Verletzung

Dislozierte knöcherne Ausrisse

Bei den distalen sMCL-Verletzungen zeigt sich ein geringes Heilungspotenzial, am ehesten aufgrund der verminderten Durchblutung und eine mögliche Dislokation des Bandstumpfes oberhalb des Pes anserinus (Stener-like lesion) wie in Abbildung 1 gezeigt [26].

Konsens besteht ebenfalls zur operativen Therapie bei klinisch hochgradiger Instabilität und vollständiger Zerreißung des sMCL, dMCL und der dorsalen Strukturen des POL. Hier wird in der Literatur primär die anatomische Bandrekonstruktion des sMCL und des POL empfohlen (Abb. 2) [27].

Isolierte knöcherne Ausrisse des femoralen MCL sind seltene Verletzungen und sollten bei disloziertem Fragment in der Regel fixiert werden. Kleinere Avulsionsverletzungen ohne Dislokation und klinischer Instabilität (Grad I/ Grad II) zeigen gute klinische Ergebnisse nach konservativer Therapie [22]. In seltenen Fällen können im Verlauf heterotope Ossifikationen am medialen Epikondylus entstehen (Pelligrini-Stieda-Syndrom), welche Beschwerden verursachen können [28].

Kombinierte Verletzungen

Die häufigste Kombinationsverletzung ist die MCL- und VKB-Ruptur. Es ist bewiesen, dass eine Insuffizienz des medialen Komplexes, die Kräfte auf ein VKB-Transplantat erhöht. Damit ist die Einheilung beider Strukturen gefährdet und kann zu einer erhöhten Revisionsrate führen [29].

Aufgrund der unzureichenden Datenlage besteht bei der Behandlungsstrategie weiterhin noch Uneinigkeit. Einerseits bestand lange Konsens bezüglich des konservativen Ausheilens des MCL und der späteren (> 6 Wochen) operativen Therapie des VKB [30]. Nach 6 Wochen sollte die Stabilität des MCL re-evaluiert werden. Sollte sich das MCL als insuffizient verheilt zeigen (Valgus Stress-Röntgenaufnahmen oder intraoperative Überprüfung im Rahmen der Arthroskopie) wird die anatomische Rekonstruktion mittels Ersatzbandplastik empfohlen [27, 31]. Inwiefern zu diesem Zeitpunkt eine Rotationsinstabilität (AMRI) mitbeurteilt werden kann und mit adressiert werden soll, ist aktuell noch nicht ausreichend geklärt.

Andererseits geht der Trend bei einer höhergradigen medialen Instabilität mit Kombinationsverletzung aktuell zunehmend zur primären Bandnaht. Anerkannt ist, dass dies innerhalb der ersten Wochen nach dem Trauma durchgeführt werden soll. Eine spätere Versorgung führt zu einem signifikant schlechteren klinischen Ergebnis [32]. Wobei die Zeitabstände bis zur operativen Versorgung in der Literatur nicht einheitlich angegeben werden. In einem 2023 veröffentlichten systematischen Review und einer Meta-Analyse aus 18 Studien zur MCL- in Kombination mit VKB-Ruptur zeigte sich ebenfalls eine große und inhomogene Bandbreite bezüglich der Zeitabstände bis zur operativen Therapie (1,2–37 Wochen) [33].

Zur operativen Therapie der akuten Innenbandläsion sind verschiedene Operationstechniken beschrieben. In einem Konsenspaper des ISAKOS werden die Methoden wie folgt untergliedert [34]:

Schließen des Defektes mittels Naht

Augmentation: synthetisch oder biologisch

Rekonstruktion: Einbündel oder Zweibündel

Bei ansatznahen Rupturen ist eine Refixation mittels Naht-Anker-Technik empfohlen. Wie von Forkel beschrieben, werden dabei die Bandenden mit Rahmennähten in Krakow- oder Mason-Allen-Technik armiert. Es sollte darauf geachtet werden, das Gewebe durch die Fäden nicht stranguliert wird. Nun werden die Bandstümpfe in der Regel mittels resorbierbaren Ankern am Insertionspunkt befestigt [35]. Wie die technische Durchführung erfolgen kann, zeigt z. B. Trofa et al. in einer Technical Note [36].

Besteht die MCL-Ruptur nicht ansatznah, sondern intraligamentär, ist eine alleinige Naht oft nicht ausreichend. In diesem Fall ist es sinnvoll, eine Augmentation durchzuführen. Entweder mittels biologischen Grafts, wie z.B. von Wierer beschrieben mit distal gestielter Gracilissehne oder die von Kim beschriebene Technik mittels Semitendinosussehne [37, 38]. Eine andere Möglichkeit besteht darin, ein Bracing mittels Suture Tape oder Allograft durchzuführen. Vorteil ist die Vermeidung einer möglichen Entnahmemorbidität. Zusätzlich zeigen neuste biomechanische Studien zu der Suture Tape-Augmentation eine signifikant verbesserte Rotations- und Valgusstabilität im Vergleich zur Naht ohne Hinweis auf ein Overconstrainment [39]. Bei diesem rigiden Nahtmaterial muss zwingend erforderlich der Isometriepunkt des Innenbandes radiologisch oder dynamisch bestimmt werden, um eine suffiziente Bandstabilität und einen vollen Bewegungsumfang zu gewährleisten. Eine andere biomechanische Studie hat die Stabilität am Kadaver zwischen Suture Tape und Allograft Augmentation verglichen und konnte keinen signifikanten Unterschied zeigen [40].

Alternativ sind Bandrekonstruktionen auch bei intraligamentären Innenbandverletzungen möglich, wenn eine Naht auf Grund der höhergradigen Läsion und Bandschädigung nicht sinnvoll erscheint. Gängige Bandrekonstruktionen sind wie von La Prade beschrieben als Rekonstruktion des sMCL und POL mittels 2 separaten Transplantaten, welche jeweils über 2 Tunnel femoral und tibial in 30°-Beugung zur Spannung des sMCL Schenkels und in Streckstellung zur Spannung des POL Schenkels fixiert werden [41].

Abermann et al. hingegen beschrieb die Rekonstruktion mit einem flach abgespannten Band um den anatomischen Verhältnissen des flachen, fächerförmigen sMCL nachzukommen. Dieses wird isoliert femoral am Insertionspunkt des sMCL eingebracht und ersetzt mit 2 flach abgespannten Schenkeln von dort ausgehend das sMCL und je nach Instabilität zusätzlich das dMCL oder POL [31].

Lateraler Bandkomplex

Das laterale Seitenband (LCL) ist der primäre Varusstabilisator am Kniegelenk. Es zählt zusätzlich als sekundärer Stabilisator gegen Außenrotation und dorsale Translation der Tibia. Zusammen mit der Politeussehne, dem poplietofibularen Band (PFL), dem Arcuatumkomplex und der Sehne des M. bizeps femoris bildet es die posterolaterale Ecke des Kniegelenkes. Die LCL-Verletzung ist im Vergleich zu VKB-, MCL- und HKB-Verletzungen deutlich seltener, meistens tritt sie mit einer VKB oder HKB-Läsion und nur sehr seltenen isoliert auf [42].

Strukturen des lateralen Bandkomplexes sind:

Laterales Seitenband (LCL)

Popliteussehne

Popliteofibulares Band (PFL)

M. bizeps femoris-Sehne

Arcuatum Komplex

Anatomie und Biomechanik

Laut anatomischen Studien hat das LCL eine Breite von 4–5 mm und eine Tiefe von 2,6 mm mit einer Länge von 69,9 mm. Der Ansatz befindet sich 1,4 mm proximal und 3,1 mm dorsal des Epikondylus lateralis. Das LCL liegt unterhalb des Tractus iliotibialis und setzt anterolateral auf eine Fläche von ca. 38 % des Fibulaköpfchens an [43]. Kadaverstudien haben gezeigt, dass nach Durchtrennung des LCL die größte Varusinstabilität in 30°-Beugung besteht. Es verhält sich zwischen 0° und 70°-Beugung nahezu isometrisch. In gestreckten Zustand übernimmt das LCL ebenfalls die Stabilisierung der Außenrotation, je mehr es zu Beugung kommt, desto weniger Funktion wird jedoch diesbezüglich übernommen und die Funktion übernimmt das PFL [44].

Diagnostik

Anamnese

Die typische Verletzung des lateralen Seitenbandkomplexes entsteht durch Sportverletzungen und Verkehrsunfälle. Als Unfallmechanismus gilt ein direkter Anprall auf das anteromediale Knie, Varusstress oder ein Hyperextensiontrauma [45].

Klinische Untersuchung

Bei Verdacht auf eine Außenbandläsion ist eine vollständige klinische Untersuchung des gesamten Kniegelenkes durchzuführen, da eine alleinige LCL-Verletzung nur selten vorkommt. Die Durchgängigkeit des Bandes kann in der 4er-Position am lateralen Kniegelenk palpiert werden. Die Stabilitätsprüfung des LCL erfolgt in Rückenlage unter Ausübung von Varusstress in 0° und 30° Kniebeugung. Eine Instabilität in 0°-Beugung spricht für eine zusätzliche VKB- oder HKB-Läsion, besteht die Aufklappbarkeit nur in 30°-Beugung spricht dies eher für eine isolierte LCL-Verletzung.

Zusätzlich zum Varusstress sollten ebenfalls die hintere Schublade, der Dial-Test, reverse Pivot-Shift und der Rotations-recurvatum-Test durchgeführt werden, um eine begleitende Verletzung des HKB und der posterolateralen Ecke zu diagnostizieren.

Bildgebung

Auch bei Verdacht auf eine Verletzung des Außenbandkomplexes ist ein Röntgen in 3 Ebenen anzufertigen, um knöcherne Ausrisse und Begleitverletzungen ausschließen zu können. Die MRT-Untersuchung gehört zur Standarduntersuchung, hierbei kann die LCL-Verletzung in 3 Grade eingeteilt werden. Als Grad I bezeichnet man die subcutane Flüssigkeitsansammlung im mittleren Bereich des Bandes oder an den Insertionsstellen. Grad II beschreibt die unvollständige Ruptur intraligamentär oder an den Insertionsstellen und ist mit einer Ödembildung im Gewebe und eventuell einer Hyperdensität des Ligamentes vergesellschaftet. Als Grad III wird die vollständige intraligamentäre Ruptur oder Ausriss an der Insertionsstelle bezeichnet [46].

Klassifikation

Zur Beurteilung der klinischen lateralen Aufklappbarkeit/Instabilität ist ebenfalls die von der American Medical Association (AMA) vorgeschlagene Einteilung, die wohl am häufigsten verwendete. Hierbei werden die LCL-Verletzung in die mögliche Aufklappbarkeit unter Varusstress in 30°-Beugung unterteilt: Grad I (0–5 mm), Grad II (6–10 mm) und Grad III (> 10 mm) im Vergleich zur Gegenseite [18].

Behandlungsstrategien

Konservative Therapie

Da die isolierte LCL-Verletzung selten vorkommt, sind klinische Studien zur konservativen Therapie sehr begrenzt. Kannus beschrieb bereits 1989, dass Grad I- und II-Instabilitäten ein gutes klinisches Ergebnis nach konservativer Therapie zeigten, unabhängig von der Rissform. Anderes gilt für III°-Verletzungen, welche in den klinischen Scores deutlich schlechter abschnitten und auch in der klinischen Untersuchung und in den Röntgenaufnahmen lateral deutlich instabil verblieben und daher eine konservative Therapie nicht empfohlen werden kann [47].

Operative Therapie

Bei isolierter LCL-Ruptur und III°-Instabilität kann bereits in der Akutphase (je nach Literatur 3–6 Wochen) und je nach Rissform eine primäre Refixation durchgeführt werden. Bei femoralem Ausriss ist eine Refixation mittels bioresorbierbarem Anker möglich; zeigt sich das LCL fibular ausgerissen, eventuell mit knöcherner Avulsion, kann das Band angeschlungen werden und transossär mittels Anker refixiert werden (Abb. 3).

Bei intraligamentären Verletzungen ist in der Regel eine Naht nicht ausreichend und es ist eine Bandrekonstruktion mittels Ersatzbandplastik notwendig [48]. Dies gilt auch bei chronischen Instabilitäten und bei multiligamentären Verletzungen. Studien haben gezeigt, dass die Versagensrate der lateralen Stabilisierung mittels Naht oder Refixation im Vergleich zur Rekonstruktion mittels Ersatzbandplastik deutlich höher ist [49].

Zur Rekonstruktion stehen mehrere operative Herangehensweisen zur Verfügung. Zusammengefasst kann eine Rekonstruktion nicht-anatomisch, isometrisch oder anatomisch durchgeführt werden [50].

Clacy beschrieb einst die Technik der Bizeps Femoris Tenodese, bei der die Sehnen des M. bizeps femoris über den lateralen Epikondylus femoris gelenkt wird [51].

Latimer beschrieb die erste isometrische Rekonstruktion mit einem Sehnengraft, welches mittels Interferenzschraube an der Fibula und ca. 6 mm anterior des femoralen Ansatzes des LCL fixiert wird [52].

Da das LCL jedoch nicht exakt am lateralen Epikondylus ansetzt, könnte dies der Grund dafür sein, dass auch die isometrische Rekonstruktion eine hohe Versagensrate aufweist. Daher ging man in den letzten Jahren eher zu den anatomischen Rekonstruktionen über. La Prade et al. beschrieben für die reine LCL-Ersatzplastik die Möglichkeit mit einer Semitendinosussehne, welche mittels Interferenzschraube am anatomischen Ansatz femoral fixiert wird und anschließend durch einen fibularen Tunnel geshuttelt wird. Dort wird sie ebenfalls mittels Interferenzschraube gesichert und der Sehnenstumpf wird um die Fibula gelegt und mit seiner proximalen Komponente oberhalb der Fibula vernäht und gesichert [44, 53].

Kombinierte Verletzungen

Zur zusätzlichen Stabilisierung der posterolateralen Ecke gibt es eine Mehrzahl von Rekonstruktionstechniken. Diese können insgesamt als Fibula basierte Stabilisierungen [49, 54] und Fibula-Tibia basierte Techniken aufgeteilt werden [48].

Eine der am häufigsten verwendeten Technik stellt die modifizierte Larson-Technik dar, bei der ein Sehnengraft als Schlinge femoral zwischen dem Ansatz des LCL und Popliteus fixiert wird und über einen Tunnel an der proximalen Fibula von ventral nach dorsal geführt wird. Dies stellt damit eine nicht anatomische Stabilisierung gegen Varusstress dar. Biomechanische Studien haben jedoch gezeigt, dass diese Methode signifikant mehr sagittale Translation und Rotation im Vergleich zu anatomischen Rekonstruktionen zulässt und daher diesen unterlegen ist [55].

Die 2008 von Arciero beschriebene und 2020 modifizierte Version von Grimm et al. wird bei LCL-Verletzungen vorwiegend in Kombination mit Verletzungen der posterolateralen Ecke angewandt. Hierbei wird über ein offenes Verfahren ein Sehnengraft, welches femoral am Ansatz des LCL und der Popliteussehne separat fixiert wird, über eine anatomische Bohrung an der Fibula (anterolateral nach posteromedial) eingezogen und mittels Interferenzschraube gesichert [56].

Als weitere anatomische Versorgungsmöglichkeit und häufig angewendete Stabilisierung der posterolateralen Ecke ist die von LaPrade et al. beschriebene. Hierbei wird zusätzlich das proximale Tibiofibulargelenk stabilisiert mit der Ergänzung des LCL- und Popliteussehnenschenkels um einen Popliteus Bypass zur Tibia. Biomechanische Untersuchungen haben im Vergleich zu der von Aciero beschriebenen Methode keinen signifikanten Unterschied feststellen können in Bezug auf die Varus- und Rotationsstabilität [57, 58].

Schlussfolgerung

Akute Rupturen der peripheren Bandstrukturen am Knie stellen nach wie vor komplexe Verletzungen dar. Neuere biomechanische und anatomische Studien haben teilweise die Behandlungsstrategien diesbezüglich verändert. Die adäquate klinische und bildmorphologische Untersuchung des verletzten Kniegelenks stellt die Basis der Therapieentscheidung dar. Die Behandlungsstrategie richtet sich auch nach den Begleitverletzungen, um ein bestmögliches funktionelles Ergebnis zu erzielen [29, 47].

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med.

Marc-Daniel Ahrend, MHBA

Sportwissenschaft (B.A.)

Sektion Sporttraumatologie und

arthroskopische Chirurgie

Klinik für Unfall- und

Wiederherstellungschirurgie

BG Unfallklinik Tübingen

Schnarrenbergstr. 95

72076 Tübingen

mahrend@bgu-tuebingen.de

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