Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024

Die akute Innen- und Außenbandruptur

Die typische Verletzung des lateralen Seitenbandkomplexes entsteht durch Sportverletzungen und Verkehrsunfälle. Als Unfallmechanismus gilt ein direkter Anprall auf das anteromediale Knie, Varusstress oder ein Hyperextensiontrauma [45].

Klinische Untersuchung

Bei Verdacht auf eine Außenbandläsion ist eine vollständige klinische Untersuchung des gesamten Kniegelenkes durchzuführen, da eine alleinige LCL-Verletzung nur selten vorkommt. Die Durchgängigkeit des Bandes kann in der 4er-Position am lateralen Kniegelenk palpiert werden. Die Stabilitätsprüfung des LCL erfolgt in Rückenlage unter Ausübung von Varusstress in 0° und 30° Kniebeugung. Eine Instabilität in 0°-Beugung spricht für eine zusätzliche VKB- oder HKB-Läsion, besteht die Aufklappbarkeit nur in 30°-Beugung spricht dies eher für eine isolierte LCL-Verletzung.

Zusätzlich zum Varusstress sollten ebenfalls die hintere Schublade, der Dial-Test, reverse Pivot-Shift und der Rotations-recurvatum-Test durchgeführt werden, um eine begleitende Verletzung des HKB und der posterolateralen Ecke zu diagnostizieren.

Bildgebung

Auch bei Verdacht auf eine Verletzung des Außenbandkomplexes ist ein Röntgen in 3 Ebenen anzufertigen, um knöcherne Ausrisse und Begleitverletzungen ausschließen zu können. Die MRT-Untersuchung gehört zur Standarduntersuchung, hierbei kann die LCL-Verletzung in 3 Grade eingeteilt werden. Als Grad I bezeichnet man die subcutane Flüssigkeitsansammlung im mittleren Bereich des Bandes oder an den Insertionsstellen. Grad II beschreibt die unvollständige Ruptur intraligamentär oder an den Insertionsstellen und ist mit einer Ödembildung im Gewebe und eventuell einer Hyperdensität des Ligamentes vergesellschaftet. Als Grad III wird die vollständige intraligamentäre Ruptur oder Ausriss an der Insertionsstelle bezeichnet [46].

Klassifikation

Zur Beurteilung der klinischen lateralen Aufklappbarkeit/Instabilität ist ebenfalls die von der American Medical Association (AMA) vorgeschlagene Einteilung, die wohl am häufigsten verwendete. Hierbei werden die LCL-Verletzung in die mögliche Aufklappbarkeit unter Varusstress in 30°-Beugung unterteilt: Grad I (0–5 mm), Grad II (6–10 mm) und Grad III (> 10 mm) im Vergleich zur Gegenseite [18].

Behandlungsstrategien

Konservative Therapie

Da die isolierte LCL-Verletzung selten vorkommt, sind klinische Studien zur konservativen Therapie sehr begrenzt. Kannus beschrieb bereits 1989, dass Grad I- und II-Instabilitäten ein gutes klinisches Ergebnis nach konservativer Therapie zeigten, unabhängig von der Rissform. Anderes gilt für III°-Verletzungen, welche in den klinischen Scores deutlich schlechter abschnitten und auch in der klinischen Untersuchung und in den Röntgenaufnahmen lateral deutlich instabil verblieben und daher eine konservative Therapie nicht empfohlen werden kann [47].

Operative Therapie

Bei isolierter LCL-Ruptur und III°-Instabilität kann bereits in der Akutphase (je nach Literatur 3–6 Wochen) und je nach Rissform eine primäre Refixation durchgeführt werden. Bei femoralem Ausriss ist eine Refixation mittels bioresorbierbarem Anker möglich; zeigt sich das LCL fibular ausgerissen, eventuell mit knöcherner Avulsion, kann das Band angeschlungen werden und transossär mittels Anker refixiert werden (Abb. 3).

Bei intraligamentären Verletzungen ist in der Regel eine Naht nicht ausreichend und es ist eine Bandrekonstruktion mittels Ersatzbandplastik notwendig [48]. Dies gilt auch bei chronischen Instabilitäten und bei multiligamentären Verletzungen. Studien haben gezeigt, dass die Versagensrate der lateralen Stabilisierung mittels Naht oder Refixation im Vergleich zur Rekonstruktion mittels Ersatzbandplastik deutlich höher ist [49].

Zur Rekonstruktion stehen mehrere operative Herangehensweisen zur Verfügung. Zusammengefasst kann eine Rekonstruktion nicht-anatomisch, isometrisch oder anatomisch durchgeführt werden [50].

Clacy beschrieb einst die Technik der Bizeps Femoris Tenodese, bei der die Sehnen des M. bizeps femoris über den lateralen Epikondylus femoris gelenkt wird [51].

Latimer beschrieb die erste isometrische Rekonstruktion mit einem Sehnengraft, welches mittels Interferenzschraube an der Fibula und ca. 6 mm anterior des femoralen Ansatzes des LCL fixiert wird [52].

Da das LCL jedoch nicht exakt am lateralen Epikondylus ansetzt, könnte dies der Grund dafür sein, dass auch die isometrische Rekonstruktion eine hohe Versagensrate aufweist. Daher ging man in den letzten Jahren eher zu den anatomischen Rekonstruktionen über. La Prade et al. beschrieben für die reine LCL-Ersatzplastik die Möglichkeit mit einer Semitendinosussehne, welche mittels Interferenzschraube am anatomischen Ansatz femoral fixiert wird und anschließend durch einen fibularen Tunnel geshuttelt wird. Dort wird sie ebenfalls mittels Interferenzschraube gesichert und der Sehnenstumpf wird um die Fibula gelegt und mit seiner proximalen Komponente oberhalb der Fibula vernäht und gesichert [44, 53].

Kombinierte Verletzungen

Zur zusätzlichen Stabilisierung der posterolateralen Ecke gibt es eine Mehrzahl von Rekonstruktionstechniken. Diese können insgesamt als Fibula basierte Stabilisierungen [49, 54] und Fibula-Tibia basierte Techniken aufgeteilt werden [48].

Eine der am häufigsten verwendeten Technik stellt die modifizierte Larson-Technik dar, bei der ein Sehnengraft als Schlinge femoral zwischen dem Ansatz des LCL und Popliteus fixiert wird und über einen Tunnel an der proximalen Fibula von ventral nach dorsal geführt wird. Dies stellt damit eine nicht anatomische Stabilisierung gegen Varusstress dar. Biomechanische Studien haben jedoch gezeigt, dass diese Methode signifikant mehr sagittale Translation und Rotation im Vergleich zu anatomischen Rekonstruktionen zulässt und daher diesen unterlegen ist [55].

Die 2008 von Arciero beschriebene und 2020 modifizierte Version von Grimm et al. wird bei LCL-Verletzungen vorwiegend in Kombination mit Verletzungen der posterolateralen Ecke angewandt. Hierbei wird über ein offenes Verfahren ein Sehnengraft, welches femoral am Ansatz des LCL und der Popliteussehne separat fixiert wird, über eine anatomische Bohrung an der Fibula (anterolateral nach posteromedial) eingezogen und mittels Interferenzschraube gesichert [56].

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