Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Die akute Innen- und Außenbandruptur
Das POL inseriert 4 mm proximal und 11 mm dorsal des ME und setzt 5 mm unterhalb des Tibiaplateaus und dorsal des dMCL an. Das Band besitzt keinen Isometriepunkt und zeigt eine Verkürzung bei zunehmender Beugung [11, 13].
Diagnostik
Anamnese und Inspektion
Die Anamnese und die Schilderung des Unfallgeschehens können schon einen ersten Hinweis auf eine Verletzung des medialen Seitenbandkomplexes geben. Es können sich Schmerzen und Hämatomverfärbung sowie Schwellung an den Insertionspunkten zeigen.
Klinische Untersuchung
Die Untersuchung erfolgt in Rückenlage unter Ausübung von Valgusstress bei gestrecktem Bein und in 20°–30° gebeugtem Kniegelenk zur isolierten Beurteilung des sMCL unter Ausschaltung der dorsalen Kapsel und des POL. Zeigt sich in Streckstellung keine Instabilität, jedoch eine pathologische Aufklappbarkeit in leichter Beugung kann davon ausgegangen werden, dass die Kapsel und das POL intakt sind. Die Instabilität wird in Grad I–III unterteilt [14].
Zur Beurteilung einer anteromedialen Instabilität (AMRI) kann der anteromediale Drawer-Test durchgeführt werden. Dieser wird in 90°- Beugung und 10–15° Außenrotation im Unterschenkel durchgeführt. Hierbei wird der Unterschenkel vom Untersucher fixiert und es erfolgt ein anteromedialer Zug. Zeigt sich dabei eine vermehrte Rotation im Vergleich zur Gegenseite, muss von einer POL oder dorsaler Kapselverletzung ausgegangen werden [1].
Röntgen
Bei jedem frischen Kniegelenkstrauma sollte eine Röntgendiagnostik in 3 Ebenen (a.p., seitlich und Patella tangential) durchgeführt werden, um knöcherne Bandausrisse und Begleitverletzungen auszuschließen. Bei chronischen Instabilitäten kann durch Valgusstressaufnahmen die Instabilität objektiviert werden. Darüber hinaus sollte eine Beinachsbestimmung durchgeführt werden. Dies ist notwendig, da Arbeiten zeigen konnten, dass eine valgische Beinachse zu höheren Abduktionsmomenten für die medialen Strukturen führt [15]. Dies erhöht die Versagenswahrscheinlichkeit einer medialen Bandrekonstruktion. Der Einfluss der Beinachse auf Nahttechniken oder konservativer Therapie an den Kollateralbändern wird angenommen.
Magnetresonanztomografie
Die Magnetresonanztomografie (MRT) gehört zur Standarduntersuchung bei Verdacht auf ligamentäre Kniegelenksverletzung. Hiermit werden ebenfalls Begleitverletzungen, welche eine Rolle bei der Therapieentscheidung spielen können, detektiert. Die Sensitivität und Spezifität wird je nach Literatur bei MCL-Verletzungen bei Grad II-Instabilitäten von 68 % angegeben und bei Grad III-Instabilitäten von 90 % [16].
Watura et al. haben sich die Korrelation zwischen der klinischen Instabilität und der MR tomografischen Ruptur angeschaut und zeigten eher eine Überschätzung der Instabilität in der Bildgebung. Ein welliger Verlauf des sMCL zeigte eine statistisch signifikante Korrelation mit einer III° klinischen Instabilität [17].
Klassifikation
Eine einheitliche Einteilung zur Definition der medialen Instabilität gibt es weiterhin nicht. Die von der American Medical Association (AMA) vorgeschlagene Einteilung ist die wohl am häufigsten verwendete. Hierbei werden die MCL-Verletzung in die mögliche Aufklappbarkeit in 30°-Beugung unterteilt. Grad I (0–5 mm), Grad II (6–10 mm) und Grad III (> 10 mm) im Vergleich zur Gegenseite [18]. Hughsten et al. modifizierte diese Einteilung mit Grad I ohne Instabilität, Grad II mit einem festen Anschlag und Grad III mit einem weichen Anschlag bei Valgusstress. Die Grad III-Verletzungen werden dann analog zu der AMA-Einteilung in 3 Instabilitätsgrade eingeteilt. 1+ (3–5 mm), 2+ (6–10 mm) und 3+ (> 10 mm)[19]. Da bei beiden Klassifikationen die Rolle des POL nicht mit abgebildet wird, haben Fetto und Marshal eine weitere Einteilung vorgeschlagen, welche 2 Grade mit einer Aufklappbarkeit bei 30° beschreibt und Grad III eine Aufklappbarkeit zwischen 0°–30° Kniegelenksbeugung beschreibt. Hiermit soll die Verletzung des Innenbandkomplexes inklusive des POL verbessert abgebildet werden (Tab. 1) [3].
Behandlungsstrategie
Konservative Therapie bei isolierter MCL-Verletzung
Obwohl die Verletzung des medialen Kniegelenkskomplexes eine der häufigsten Verletzungen am Kniegelenk ist, werden die Behandlungsstrategien noch immer kontrovers diskutiert. Bezüglich der I°-und II°-Instabilitäten besteht in der Literatur der Konsens zur konservativen Therapie. Das Innenband zeigt aufgrund der guten Vaskularisierung ein sehr hohes Heilungspotenzial [20]. Im Tiermodell zeigten sich für intraligamentäre Rupturen eine schnellere Heilung als die knochennahen Ausrisse [21]. Ebenfalls konnte gezeigt werden, dass histologisch kein Unterschied in der Gewebeheilung besteht zwischen operativ- und konservativer Behandlung [20]. Insgesamt zeigt die frühfunktionelle Nachbehandlung mit einer Bewegungsorthese und initialer Teilbelastung gute klinische Ergebnisse [22–24].
Bei isolierten III°-Verletzungen mit intakter dorsaler medialer Kapsel ohne Retraktion der Bandstümpfe kann die konservative Therapie ebenfalls gute klinische Ergebnisse zeigen mit einer hohen Rückkehrrate zum Sport [25]. Es ist nochmals zu betonen, dass hierzu die Datenlage begrenzt ist und die Studie von Indelicato et al. [25] dies lediglich bei isolierten Innenbandverletzungen zeigen konnten. Das VKB muss demnach intakt sein.
Operative Therapie bei isolierter MCL-Verletzung
Einige Verletzungen des medialen Kniegelenkkomplexes profitieren von einer operativen Therapie. Diese sind zusammengefasst:
Distale sMCL-Verletzungen
Kombinierte sMCL-, dMCL- und POL-Verletzung
Dislozierte knöcherne Ausrisse
Bei den distalen sMCL-Verletzungen zeigt sich ein geringes Heilungspotenzial, am ehesten aufgrund der verminderten Durchblutung und eine mögliche Dislokation des Bandstumpfes oberhalb des Pes anserinus (Stener-like lesion) wie in Abbildung 1 gezeigt [26].
Konsens besteht ebenfalls zur operativen Therapie bei klinisch hochgradiger Instabilität und vollständiger Zerreißung des sMCL, dMCL und der dorsalen Strukturen des POL. Hier wird in der Literatur primär die anatomische Bandrekonstruktion des sMCL und des POL empfohlen (Abb. 2) [27].