Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024
Die akute Innen- und Außenbandruptur
Isolierte knöcherne Ausrisse des femoralen MCL sind seltene Verletzungen und sollten bei disloziertem Fragment in der Regel fixiert werden. Kleinere Avulsionsverletzungen ohne Dislokation und klinischer Instabilität (Grad I/ Grad II) zeigen gute klinische Ergebnisse nach konservativer Therapie [22]. In seltenen Fällen können im Verlauf heterotope Ossifikationen am medialen Epikondylus entstehen (Pelligrini-Stieda-Syndrom), welche Beschwerden verursachen können [28].
Kombinierte Verletzungen
Die häufigste Kombinationsverletzung ist die MCL- und VKB-Ruptur. Es ist bewiesen, dass eine Insuffizienz des medialen Komplexes, die Kräfte auf ein VKB-Transplantat erhöht. Damit ist die Einheilung beider Strukturen gefährdet und kann zu einer erhöhten Revisionsrate führen [29].
Aufgrund der unzureichenden Datenlage besteht bei der Behandlungsstrategie weiterhin noch Uneinigkeit. Einerseits bestand lange Konsens bezüglich des konservativen Ausheilens des MCL und der späteren (> 6 Wochen) operativen Therapie des VKB [30]. Nach 6 Wochen sollte die Stabilität des MCL re-evaluiert werden. Sollte sich das MCL als insuffizient verheilt zeigen (Valgus Stress-Röntgenaufnahmen oder intraoperative Überprüfung im Rahmen der Arthroskopie) wird die anatomische Rekonstruktion mittels Ersatzbandplastik empfohlen [27, 31]. Inwiefern zu diesem Zeitpunkt eine Rotationsinstabilität (AMRI) mitbeurteilt werden kann und mit adressiert werden soll, ist aktuell noch nicht ausreichend geklärt.
Andererseits geht der Trend bei einer höhergradigen medialen Instabilität mit Kombinationsverletzung aktuell zunehmend zur primären Bandnaht. Anerkannt ist, dass dies innerhalb der ersten Wochen nach dem Trauma durchgeführt werden soll. Eine spätere Versorgung führt zu einem signifikant schlechteren klinischen Ergebnis [32]. Wobei die Zeitabstände bis zur operativen Versorgung in der Literatur nicht einheitlich angegeben werden. In einem 2023 veröffentlichten systematischen Review und einer Meta-Analyse aus 18 Studien zur MCL- in Kombination mit VKB-Ruptur zeigte sich ebenfalls eine große und inhomogene Bandbreite bezüglich der Zeitabstände bis zur operativen Therapie (1,2–37 Wochen) [33].
Zur operativen Therapie der akuten Innenbandläsion sind verschiedene Operationstechniken beschrieben. In einem Konsenspaper des ISAKOS werden die Methoden wie folgt untergliedert [34]:
Schließen des Defektes mittels Naht
Augmentation: synthetisch oder biologisch
Rekonstruktion: Einbündel oder Zweibündel
Bei ansatznahen Rupturen ist eine Refixation mittels Naht-Anker-Technik empfohlen. Wie von Forkel beschrieben, werden dabei die Bandenden mit Rahmennähten in Krakow- oder Mason-Allen-Technik armiert. Es sollte darauf geachtet werden, das Gewebe durch die Fäden nicht stranguliert wird. Nun werden die Bandstümpfe in der Regel mittels resorbierbaren Ankern am Insertionspunkt befestigt [35]. Wie die technische Durchführung erfolgen kann, zeigt z. B. Trofa et al. in einer Technical Note [36].
Besteht die MCL-Ruptur nicht ansatznah, sondern intraligamentär, ist eine alleinige Naht oft nicht ausreichend. In diesem Fall ist es sinnvoll, eine Augmentation durchzuführen. Entweder mittels biologischen Grafts, wie z.B. von Wierer beschrieben mit distal gestielter Gracilissehne oder die von Kim beschriebene Technik mittels Semitendinosussehne [37, 38]. Eine andere Möglichkeit besteht darin, ein Bracing mittels Suture Tape oder Allograft durchzuführen. Vorteil ist die Vermeidung einer möglichen Entnahmemorbidität. Zusätzlich zeigen neuste biomechanische Studien zu der Suture Tape-Augmentation eine signifikant verbesserte Rotations- und Valgusstabilität im Vergleich zur Naht ohne Hinweis auf ein Overconstrainment [39]. Bei diesem rigiden Nahtmaterial muss zwingend erforderlich der Isometriepunkt des Innenbandes radiologisch oder dynamisch bestimmt werden, um eine suffiziente Bandstabilität und einen vollen Bewegungsumfang zu gewährleisten. Eine andere biomechanische Studie hat die Stabilität am Kadaver zwischen Suture Tape und Allograft Augmentation verglichen und konnte keinen signifikanten Unterschied zeigen [40].
Alternativ sind Bandrekonstruktionen auch bei intraligamentären Innenbandverletzungen möglich, wenn eine Naht auf Grund der höhergradigen Läsion und Bandschädigung nicht sinnvoll erscheint. Gängige Bandrekonstruktionen sind wie von La Prade beschrieben als Rekonstruktion des sMCL und POL mittels 2 separaten Transplantaten, welche jeweils über 2 Tunnel femoral und tibial in 30°-Beugung zur Spannung des sMCL Schenkels und in Streckstellung zur Spannung des POL Schenkels fixiert werden [41].
Abermann et al. hingegen beschrieb die Rekonstruktion mit einem flach abgespannten Band um den anatomischen Verhältnissen des flachen, fächerförmigen sMCL nachzukommen. Dieses wird isoliert femoral am Insertionspunkt des sMCL eingebracht und ersetzt mit 2 flach abgespannten Schenkeln von dort ausgehend das sMCL und je nach Instabilität zusätzlich das dMCL oder POL [31].
Lateraler Bandkomplex
Das laterale Seitenband (LCL) ist der primäre Varusstabilisator am Kniegelenk. Es zählt zusätzlich als sekundärer Stabilisator gegen Außenrotation und dorsale Translation der Tibia. Zusammen mit der Politeussehne, dem poplietofibularen Band (PFL), dem Arcuatumkomplex und der Sehne des M. bizeps femoris bildet es die posterolaterale Ecke des Kniegelenkes. Die LCL-Verletzung ist im Vergleich zu VKB-, MCL- und HKB-Verletzungen deutlich seltener, meistens tritt sie mit einer VKB oder HKB-Läsion und nur sehr seltenen isoliert auf [42].
Strukturen des lateralen Bandkomplexes sind:
Laterales Seitenband (LCL)
Popliteussehne
Popliteofibulares Band (PFL)
M. bizeps femoris-Sehne
Arcuatum Komplex
Anatomie und Biomechanik
Laut anatomischen Studien hat das LCL eine Breite von 4–5 mm und eine Tiefe von 2,6 mm mit einer Länge von 69,9 mm. Der Ansatz befindet sich 1,4 mm proximal und 3,1 mm dorsal des Epikondylus lateralis. Das LCL liegt unterhalb des Tractus iliotibialis und setzt anterolateral auf eine Fläche von ca. 38 % des Fibulaköpfchens an [43]. Kadaverstudien haben gezeigt, dass nach Durchtrennung des LCL die größte Varusinstabilität in 30°-Beugung besteht. Es verhält sich zwischen 0° und 70°-Beugung nahezu isometrisch. In gestreckten Zustand übernimmt das LCL ebenfalls die Stabilisierung der Außenrotation, je mehr es zu Beugung kommt, desto weniger Funktion wird jedoch diesbezüglich übernommen und die Funktion übernimmt das PFL [44].