Übersichtsarbeiten - OUP 06/2024

Die akute Innen- und Außenbandruptur

Diane Leyder, Stefan Döbele, Tina Histing, Philipp Döttger, Marc-Daniel Ahrend

Zusammenfassung:
Verletzungen der Kollateralbänder am Kniegelenk sind keine Seltenheit. Die Innenband- (MCL) Läsion gehört zu den häufigsten Sportverletzungen. Anders die Außenband- (LCL) Läsion, welche nur sehr selten isoliert auftritt. Bei beiden Verletzungen ist eine differenzierte Diagnostik notwendig, um das Ausmaß der Verletzung und Begleitverletzungen beurteilen zu können. Die Innenbandverletzung kann oft mittels konservativer Therapie zu einer stabilen Ausheilung gebracht werden. Einige Rissformen sollten jedoch mit primärer Naht, Refixation mit Augmentation (Ligament Bracing) oder anatomischer Rekonstruktion operativ therapiert werden. Die sehr seltene isolierte Außenbandverletzung kann ebenfalls bei Instabilität Grad I und II mit guten Ergebnissen konservativ ausbehandelt werden. Bei höhergradigen Instabilitäten rückt zunehmend die anatomische Rekonstruktion in den Fokus. Ziel dieses Artikels ist es, eine Übersicht über Anatomie, Verletzungsformen und Therapiemöglichkeiten von akuten Innen- und Außenbandrupturen am Kniegelenk zu geben.

Schlüsselwörter:
Kniegelenk, Bandverletzung, Innenband, Außenband

Zitierweise:
Leyder D, Döbele S, Histing T, Döttger P, Ahrend M-D: Die akute Innen- und Außenbandruptur
OUP 2024; 13: 290?295
DOI 10.53180/oup.2024.0290-0295

Summary: Injuries to the collateral ligaments in the knee joint are quite prevalent. Among the most common injuries is a tear to the medial collateral ligament (MCL). Isolated fibular collateral ligament (LCL) injuries are rarely seen. Both injuries require a detailed diagnostic workup to assess the extent and concomitant injuries. Conservative treatment can often achieve stable healing of MCL injuries, but some tears may require surgery, such as primary suturing, refixation with augmentation (ligament bracing), or anatomic reconstruction. Conservative treatment can be effective as well for grade I and II instabilities for fibular collateral ligament injuries. However, anatomic reconstruction is increasingly becoming the preferred treatment for higher grades of instability. This article provides an overview of the anatomy, injury types, and treatment options for acute collateral ligament injuries.

Keywords: Knee joint, ligament injury, medial collateral ligament, fibular collateral ligament

Citation: Leyder D, Döbele S, Histing T, Döttger P, Ahrend M-D: Acute injuries of the medial and lateral collateral ligament
OUP 2024; 13: 290?295. DOI 10.53180/oup.2024.0290-0295

Sektion Sporttraumatologie und arthroskopische Chirurgie, Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BG Unfallklinik Tübingen

Einleitung

Lange Zeit war der Fokus bei Kniegelenksverletzungen vorwiegend auf den zentralen Pfeiler gerichtet. Die peripheren Verletzungen standen meistens im Hintergrund und wurden bei multiligamentärer Verletzung oft nur „mit“-therapiert oder bei Monoverletzung meist konservativ behandelt. Mit zunehmendem Verständnis der Anatomie und der Biomechanik der peripheren Strukturen inklusive der Rotationsinstabilität des Kniegelenkes wurde erkannt, dass häufig diese für eine stabile Ausheilung des zentralen Pfeilers mitverantwortlich sind. Besonders die Indikationsstellung als auch die operativen Versorgung von Verletzungen des Innenbandkomplexes erfuhren in den letzten Jahren einen Wandel. Nicht außer Acht sollte jedoch auch die Verletzung des Außenbandes und der posterolateralen Ecke gelassen werden.

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Anatomie, die Verletzungsformen und die Therapiemöglichkeiten von akuten Innen- und Außenbandrupturen.

Medialer Bandkomplex

Der mediale Seitenbandapparat (MCL) ist einer der Hauptstabilisatoren bei Valgusstress, Rotationsbewegungen und bei der anterioren Translation der Tibia [1]. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das MCL bei Kniegelenksverletzungen häufig betroffen ist – entweder als Monoverletzung oder bis zu 67 % in Kombination mit einer vorderen Kreuzband-Ruptur (VKB-Ruptur) [2–5]. Als Risikosportarten gelten Fußballspielen, Skifahren oder Judo [6]. Männer sind nahezu doppelt so häufig betroffen wie Frauen [7].

Anatomie und Biomechanik

Der mediale Seitenbandkomplex besteht aus mehreren Strukturen, welche funktionell zu den statischen Stabilisatoren gegen Valgusstress als auch Rotationskräfte gehören. Zurückblickend hat man das oberflächliche mediale Seitenband (sMCL) als Hauptstabilisator angesehen. Neuere anatomische Untersuchungen schreiben jedoch dem tiefen medialen Seitenband (dMCL) und dem hinteren Schrägband (POL) ebenfalls eine wichtige Rolle zu [1, 8]. Dies hat insbesondere zu einem Überdenken der Operationstechniken zur medialen Stabilisierung geführt. Zu den dynamischen Stabilisatoren zählen zusätzlich der M. quadrizeps femoris und die an den Pes anserinus inserierenden Sehnen [8, 9].

Der mediale Seitenbandkomplex umfasst:

sMCL: Stabilisator gegen Valgusstress in allen Beugegraden (insb. zwischen 20°– 80°)

dMCL: Stabilisator gegen Außenrotation in Beugung

POL: Stabilisator gegen Innenrotation, Stabilisator gegen Valgusstress in Streckung

Um eine adäquate Rekonstruktion des medialen Bandkomplexes durchführen zu können, ist es essenziell, Kenntnis über die Funktionsweise und anatomischen Verläufe, welche in mehreren Arbeiten dargestellt wurden, zu haben [10–12]. Die Beschreibungen der Insertionen variieren zwar studienabhängig gering, lassen sich aber wie folgt vereinheitlicht beschreiben:

Femoral inseriert das sMCL 5 mm dorsal und 3 mm proximal des medialen Epicondylus (ME) oder an diesem mit einem flächigen Ansatz. Die Länge ändert sich je nach Beugegrad und zeigt sich isometrisch zwischen 30° und 50°-Beugung mit einer Längenvarianz unter 2 % [10]. Tibialseitig inseriert das sMCL unterhalb der Bursa des Pes anserinus durchschnittlich 6 cm unterhalb der Gelenkfläche [11, 12].

Der femorale Insertionspunkt des dMCL zeigt sich im Schnitt 6 mm distal und 5 mm dorsal des ME. Die Bandstruktur kann unterteilt werden in einen meniskofemoralen und meniskotibialen Anteil. Das dMCL zeigte sich flächig inserierend 8 mm unterhalb des Tibiaplateaus mit einem breiten Footprint zwischen 17 und 39 mm [11].

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