Übersichtsarbeiten - OUP 03/2025
Die infizierte SchulterprotheseWie ermöglichen wir eine sichere Diagnostik und Therapie?
Saad Madi, Valrik Dausch, Alexander Schmitt, Jörn Kircher, Robert Hudek
Zusammenfassung:
Die Behandlung einer infizierten Schulterprothese erfolgt nahezu ausschließlich operativ. Das Keimspektrum bei Schulterinfekten unterscheidet sich erheblich von anderen Gelenkinfektionen wie z.B. dem Hüft- oder Kniegelenk. Das liegt vor allem an Cutibacterium acnes, das bei der Pathogenese eine zentrale Rolle spielt. Zur Beurteilung und Therapieentscheidung müssen daher die Ursachen, der Zeitpunkt, das Keimspektrum sowie mögliche Komorbiditäten berücksichtigt werden. Besonders bei chronischen und den sog. „Low-grade-Infektionen“ ist die Diagnosestellung mitunter schwierig, da typische Infektzeichen und laborchemische Marker völlig unauffällig sein können. Die Behandlung reicht von der arthroskopischen Spülung über das offene Debridement mit Komponententausch bis hin zu mehrzeitigen Prothesenwechseln. Antibiotikabeladene Interimsprothesen gehören dabei zum Goldstandard in der Behandlung. Entscheidend für den Behandlungserfolg sind die frühzeitige Erkennung der Infektion und deren gezielte Therapie, um schwerwiegende Folgeschäden an Weichteilen und Knochen zu vermeiden. Der sichere und zuverlässige Wechsel einer infizierten Schulterprothese ist anspruchsvoll.
Schlüsselwörter:
Cutibacterium acnes, bakterielle Infektionen, Low-grade-Infektion, Prothesenwechsel,
Revisionseingriff Schulter
Zitierweise:
Madi S, Dausch V, Schmitt A, Kicher J, Hudek R: Die infizierte Schulterprothese. Wie ermöglichen wir eine sichere Diagnostik und Therapie?
OUP 2025; 14: 119–126
DOI 10.53180/oup.2025.0119-0126
Summary: Treatment of an infected shoulder prosthesis undoubtedly falls within the spectrum of surgical orthopedic therapy and differs from other joint infections due to the very specific bacterial spectrum, which differs significantly from that in hip or knee implant revision surgery. In shoulder surgery, Cutibacterium acnes plays a central role. In order to decide on further treatment, the cause of an infection, the time of its onset, the bacterial spectrum and comorbidities must therefore be considered. Particularly in the case of chronic and so-called “low-grade infections”, diagnosis is often difficult because typical infection signs and laboratory markers can be completely inconspicuous. Treatment options range from arthroscopic to open debridement with component replacement, to implant revision surgery in one or multiple stages. The use of antibiotic spacers is often the gold standard in treatment. Early detection and targeted therapy are crucial for success and are mandatory to avoid serious consequential damage to soft tissue and bone. The safe and reliable revision surgery of an infected shoulder prosthesis is challenging.
Keywords: Cutibacterium acnes, shoulder infection, periprosthetic infection, low-grade-infection, revision shoulder arthroplasty
Citation: Madi S, Dausch V, Schmitt A, Kicher J, Hudek R: Infected shoulder arthroplasty. How do we provide safe diagnostics and therapy?
OUP 2025; 14: 119–126. DOI 10.53180/oup.2025.0119-0126
ATOS Klinik Fleetinsel Hamburg
Hintergrund
Die Revision einer infizierten Schulterprothese erfordert neben einer präzisen präoperativen Planung vor allem ein koordiniertes und multidisziplinäres Vorgehen. Trotz moderner Behandlungskonzepte werden Patientinnen und Patienten meist durch wiederholte operative Eingriffe, lange Krankenhausaufenthalte, eingeschränkte Mobilität und langwierige Antibiotikatherapien sehr belastet. Vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotikaresistenzen muss eine Balance zwischen Wirksamkeit und Verträglichkeit der verwendeten Medikamente gefunden werden. Selbst unter optimalen Behandlungsbedingungen bleibt aber das Behandlungsergebnis in vielen Fällen oft unbefriedigend [1]. Weil in der Schulterchirurgie ein anderes Keimspektrum vorherrscht, können Behandlungskonzepte aus der Hüft- und Kniechirurgie nicht direkt übernommen werden [1, 2]. Mit zunehmender Zahl implantierter Schulterprothesen steigt auch die Zahl der Revisionsfälle, die derzeit bei etwa 4000 pro Jahr liegt [2]. Rund 44 % dieser Revisionseingriffe sind anhand der Daten aus großen skandinavischen Schulterprothesenregistern auf eine Infektion zurückzuführen [3, 4].
Die Besonderheiten des Schultergelenkes wirken sich auf Diagnostik und Therapie aus:
Talgdrüsen und Hautflora
Die Haut über dem Schultergelenk gehört zu den talgdrüsenreichen Körperregionen. Männer haben größere und talghaltigere Drüsen als Frauen [5], was eine höhere Keimdichte der residenten Hautflora zur Folge hat. Insbesondere Cutibacterium acnes (C. acnes), ein gram-positiver, anaerober, Biofilm bildender Keim, dominiert diese Region und findet sich in ähnlicher Dichte auch an Rücken und Sternum. [6, 7].
Limitierte Wirksamkeit der Hautantiseptik
Da die Bakterien sehr tief im Talgfollikel sitzen, sind sie durch präoperative Hautantisepik kaum zu erreichen [4]. Nach der oberflächlichen antiseptischen Behandlung kann sogar eine höhere C. acnes-Keimzahl im Subcutangewebe nachgewiesen werden als auf unbehandelter Haut [8].
Besiedlungsdichte des
Acromions
Die Haut über dem Acromion hat eine 12-fach höhere C. acnes-Dichte als die Haut über dem Knie- oder Hüftgelenk. Entsprechend führt C. acnes die „Hitliste“ bei schulterchirurgischen Revisionseingriffen mit einem Anteil von 37 % unangefochten an, gefolgt von koagulase-negativen Staphylokokken (19 %) und Staph. aureus (4 %) [9].
Mögliche Besiedlung des Gelenkraumes
Es wird vermutet, dass C. acnes als natürlicher Kommensale bereits vor der Implantation den Gelenkraum des nativen Schultergelenks besiedelt, da der Keim bei schulterchirurgischen Ersteingriffen im glenohumeralen Gelenkraum und im AC-Gelenk mit immunhistochemischen Methoden intrazellulär in Synovialzotten nachgewiesen werden konnte [10].
Infektionen nach Schulteroperationen lassen sich nach dem Entstehungszeitpunkt in 3 Hauptgruppen und eine besondere Gruppe, die sogenannten „Low-grade“-Infekte, einteilen:
- 1. Akuter, postoperativer Infekt (0–3 Monate)
- 2. Verzögerter oder chronischer, postoperativer Infekt (3 Monate – 2 Jahre)
- 3. Spätinfekt (> 2 Jahre)
- 4. „Low-grade“-Infekt (meistens spät > 3 Monate)
Akuter, postoperativer Infekt
Akute Infekte entstehen meist durch Hautkeime, die während der Operationen in den Wundbereich verschleppt werden. Staph. aureus gehört zu den häufigsten Erregern, ebenso wie andere gram-positive Keime, die sich rasch vermehren und zu einer eitrigen Entzündung führen. Typische Zeichen der Entzündung sind lokale Rötung, Überwärmung, Schmerzen, Wundheilungsstörungen, Ödeme und Fieber (Abb. 3).
Verzögerter oder chronischer, postoperativer Infekt
Die verzögerten oder chronischen Infekte werden, wie die akuten Infekte, durch Keime verursacht, die während der Operation eingeschleppt werden. Die Pathogenität oder Anzahl der Keime ist jedoch zu gering, um unmittelbar postoperativ manifest zu werden. Typische Erreger niedrig virulenter Bakterien sind Staph. epidermidis, Staph. hominis oder C. acnes. Diese Infektionen werden häufig erst im Rahmen eines Revisionseingriffes bei Komponentenlockerungen nach einer initial stummen Phase nachgewiesen (bis 2 Jahre).
Spätinfekt
Spätinfekte treten in der Regel erst nach über 2 Jahren durch hämatogene Streuung auf. Sie zeigen ein breites Keimspektrum und kommen oft als Mischinfektionen vor, bei denen auch gram-negative Erreger aus dem urogenitalen Bereich oder dem Mund- und Rachenraum (z.B. Zähne) vorkommen können. Die Spätinfekte treten besonders dann auf, wenn eine vorübergehende oder dauerhafte Immunschwäche besteht.
„Low-grade“-Infekt
Der „Low-grade“-Infekt ist eine besondere Form des Schulterinfektes, der überwiegend durch C. acnes verursacht wird. Es können jedoch auch andere niedrig virulente Erreger wie Staph. epidermidis oder Staph. hominis beteiligt sein. Diese Infekte verlaufen meist atypisch, da klassische Infektzeichen wie Überwärmung, Rötung oder erhöhte laborchemische Infektparameter völlig fehlen können. Als Leitsymptom zeigt sich häufig eine schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit. Solche Infekte werden oft erst anhand von Röntgenuntersuchungen im Rahmen von Lockerungszeichen entdeckt. Da C. acnes aber besondere anaerobe Transport- und Kulturbedingungen erfordert, ist der Nachweis des Erregers oft schwierig.
Risikofaktoren und
klinisches Bild
Die Diagnostik von Protheseninfekten basiert neben dem klinischen Bild auch auf laborchemischen Parametern und radiologischen Merkmalen. Zu den wesentlichen Risikofaktoren gehören Diabetes mellitus, chronische Lebererkrankungen, Alkoholabusus, Eisenmangelanämie, rheumatoide Arthritis sowie frühere Operationen an der Schulter [11].
Männer weisen im Vergleich zu Frauen ein deutlich höheres Infektionsrisiko auf. Registerdaten skandinavischer Studien zeigen, dass das relative Risiko für einen Revisionseingriff für Männer bei 3,8 liegt (95 % Cl, 2.4, 6.1) [3]. Die Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung einer periprothetischen Schulterinfektion liegt ebenfalls bei einem höheren relativen Risiko von 1,7 (95 % Cl; 1.41–2.09, Metadaten n = 28.884) [11].
Frühinfekte zeichnen sich durch ein rasches Auftreten nach der Prothesenimplantation aus und zeichnen sich mit typischen Entzündungszeichen wie Rötung, Überwärmung, Schmerz, Schwellung, Fisteln und Fieber aus (Abb. 3). Diese Infektzeichen werden in der Regel von erhöhten laborchemischen Parametern, wie dem C-reaktiven Protein, Leukozyten und Procalcitonin, begleitet.
Bei chronischen oder „Low-grade“-Infekten hingegen können die laborchemischen Entzündungszeichen und klinischen Symptome völlig unauffällig sein. Patientinnen und Patienten, die systemische Kortikosteroide einnehmen oder periprothetische Steroidinjektionen erhalten haben, tragen ein deutlich höheres Risiko für Infektionen. Diese Patientinnen und Patienten sollten deshalb kritisch evaluiert werden [12].
Labor
Zur Diagnostik von Infekten an der Schulter sind die klassischen Infektmarker (C-reaktives Protein (CRP), Leukozyten) zu bestimmen. Für viele zusätzliche Laborparameter fehlen klare Leitlinien und belastbare Grenzwerte, was ihre diagnostische Aussagekraft einschränkt [13]. Zu diesen Markern zählen Analysen der Synovialflüssigkeit auf Lymphozyten und Plasmazellen, IL6 (im Serum oder der Synovialflüssigkeit), synoviale Zytokine, TNF-alpha, Leukozyten-Esterase, Alpha-Defensin und D-Dimere. Da für diese Laborparameter aber klare Leitlinien und Grenzwerte fehlen, kann derzeit keine Empfehlung für deren Einsatz ausgesprochen werden. Für CRP besteht der Schwellenwert von 7,2 mg/l, allerdings ist die Spezifität und Sensitivität sehr schwach. Der Normalwert liegt üblicherweise bei 5 mg/l oder 0,5 mg/dl. Der Schweregrad einer Infektion lässt sich häufig an der Höhe des CRP-Anstiegs messen. Im Bereich von 1–5 mg/dl liegen leichte Infekte und lokale Entzündungen, während CRP-Werte über 5 mg/dl oder gar über über 10 mg/dl auf die Entwicklung einer ausgedehnten septischen Infektion oder eine akute Osteomyelitis hinweisen können [1]. Es ist zu beachten, dass auch andere Infektionen zu einer Erhöhung des CRP-Wertes führen können. Zu diesen Infektionen zählen unter anderem rheumatische Erkrankungen, Gichtanfälle, Harnsäurestoffwechselstörungen, Infektionen der ableitenden Harnwege, chronische Infekte im Mund und Rachenraum (Zähne, Hygiene, Hautstatus).
Bildgebung
In akuten Fällen liefern Röntgenaufnahmen in der Regel noch keine Hinweise auf eine Lockerung, da das Zeitfenster für die Entwicklung sichtbarer Osteolysen seit der Operation meist zu kurz ist. Allerdings kann eine Sonografie zum Aufspüren von Flüssigkeit oder einem periartikulären Abszess helfen. Ist das klinische Bild unklar und frei von Flüssigkeit, sind die Resultate einer Aspiration wenig zuverlässig [14].
Im Unterschied dazu ist sind Lockerungszeichen im Röntgenbild (true-AP, axial, outlet-view) häufig der erste Hinweis auf einen chronischen oder „Low-grade“-Infekt. Es besteht der Verdacht auf eine infektassoziierte Lockerung, wenn auf dem Röntgenbild bereits unter 1 Jahr nach der Operation ein Saum um den Prothesenschaft zu sehen ist (Abb. 5). Im Falle einer zementierten, anatomischen Glenoidkomponente sind Säume jedoch nach 5 Jahren oft physiologisch und nicht zwangsläufig hinweisend für eine Lockerung. Bei klinischen Beschwerden wie Bewegungseinschränkungen oder Schmerzen kann eine Kontrollarthroskopie Klarheit verschaffen. Szintigrafische Verfahren sind meistens nicht in der Lage, die notwendige Spezifität zur sicheren Infektionsdiagnose zu bieten [15].
Bei Verdacht auf eine Lockerung sollte eine weiterführende Untersuchung mittels Computertomografie (CT) durchgeführt werden. Moderne radiologische Techniken verbessern die Beurteilbarkeit erheblich. Besonders die „dual-energy“-Bildaquise und iterative Artefaktreduktion helfen dabei, die Genauigkeit der Diagnose zu erhöhen [15]. Alternativ lassen sich Artefakte mit Schulterabduktion in der sogenannten „ABER“-Position (Abduktion, External Rotation) vom Glenoid ablenken [15].
Die Magnetresonanztherapie (MRT) mit spezialisierten Artefaktreduktionssequenzen („MARS“: Advanced Metal Artifact Reduction) ist ein innovativer Ansatz in der Diagnostik von periprothetischen Infektionen. Diese modernen Verfahren minimieren metallische Artefakte derart, dass das periprothetisches Gewebe klarer beurteilt werden kann. Eine Studie berichtet, dass die MARS-MRT-Diagnostik die Wahrscheinlichkeit eine periprothetische Infektion zu erkennen, auf über 99 % steigern kann. Die Autoren berichten, dass sie allein basierend auf den MARS-MRT-Befund die Indikation zum Revisionseingriff stellen, da die anderen Parameter (laborchemische Parameter, klinisches Bild) oft unzuverlässig sind [16, 17].
Therapiealgorithmus
Die Therapie einer infizierten Schulterprothese orientiert sich an folgenden Kriterien: Ursache, Infektionsstadium, Ausdehnung, erwartetes Keimspektrum und allgemeiner Gesundheitszustand der Patientin/des Patienten. Die verfügbaren operativen Optionen umfassen:
- 1. Gelenkerhaltende Operation mit ausgiebigem Debridement und Prothesenretention mit einem Wechsel aller mobilen Teile
- 2. Partieller Wechsel der Komponenten (nur glenoidal oder nur humeral, einzeitig oder mehrzeitig mit partiellem Spacer) (Abb. 6)
- 3. Vollständiger Wechsel der Prothese (einzeitig, zweizeitig oder vielzeitig)
Persistierende Infektionen, die trotz mehrfachen Spacerwechsels und Debridement nicht kontrolliert werden können, sind sehr selten. Über den zweizeitigen Wechsel ist die Infektkontrolle hoch und liegt gemäß Literaturangaben bei 95 % [18]. Eine knöcherne, glenohumerale Fusion kann aufgrund der massiven Knochendefekte nach einer Prothesenentfernung selbst mit einem Allograft in der Regel nicht erreicht werden [1]. In diesen Fällen bleibt die Resektionsarthroplastik als einzige Rückzugsoption mit konsekutiver Pendelschulter. Funktionell ist diese Situation nur sehr unbefriedigend. Die letzte Therapiemöglichkeit stellt eine Dauerdrainage zur Ableitung von Wundsekret mit dauerhaftem Fistelgang dar [1].
Akute Infekte
Sofern der klinische Verdacht eines akuten Infekts besteht, hat die frühzeitige Identifikation des Erregers durch eine sterile, ggf. sonografiegestütze Punktion oberste Priorität. Im Falle von makroskopisch trübem Punktat, sollte, sofern möglich, eine zeitnahe offene Revision oder bei Kontraindikationen (z.B. Antikoagulation), zumindest eine zeitnahe arthroskopische Spülung durchgeführt werden, um die intraartikuläre Keimlast zu senken. Eine Verschleppung der Therapie begünstigt eine phlegmonöse periartikuläre Ausbreitung. In jedem Fall sollte eine zeitnahe operative Eröffnung des Gelenks vor Beginn der antibiotischen Therapie angestrebt werden, um einen sicheren Erregernachweis zu gewährleisten. Zeitgleich sollte eine offene Revision mit Debridement (zur Sicherstellung einer ausreichenden Durchblutung) und ausgiebiger Spülung (Jet Lavage, z.B. Lavanid) bei einliegender Prothese, sowie eines Wechsels aller mobilen Teile vollzogen werden [19]. Da ein Frühinfekt häufig durch virulente und rasche Keimvermehrung verursacht wird (z.B. Staph. Aureus) ist eine kalkulierte Antibiotikatherapie mit hoher Staphylokokkenwirksamkeit (z.B. Flucloxacillin) sinnvoll. Nach erfolgreichem Erregernachweis sollte eine zielgerichtete antibiotische Therapie erfolgen. Aufgrund des kurzen Zeitintervalls seit der OP, ist das Eindringen von Keimen in das Interface zwischen Prothese und Knochen unwahrscheinlich, weshalb feste Komponenten verleiben können. Im Falle eines chronischen Verlaufs sind aber weitere Sanierungsmaßnahmen, inklusive eines vollständigen Prothesenwechsels oft unvermeidlich.
Verzögerte und chronische Infekte
Im Gegensatz zu den akuten Infekten, präsentieren sich chronische Infekte meist mit einem diffuseren klinischen Bild, welches von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen dominiert wird, während laborchemische Paramater (CRP) nur leicht erhöht sein können. Röntgenbilder können Lockerungen und Säume rund um das Implantat zeigen. Die aseptische Lockerung einer anatomischen, zementierten PE-Glenoidkomponente, bei welcher sich regelhaft bereits nach wenigen Jahren ein schmaler Lysesaum zeigt, kann durchaus einen Infekt vortäuschen. Dies sollte deshalb durch eine Kontrollarthroskopie validiert werden. So können bei einliegender Endoprothese repräsentative Gewebeproben entnommen werden, die einer mikrobiologischen und histologischen Aufarbeitung zugeführt werden können [7]. Darüber hinaus können Komponentenlockerungen auch über eine arthroskopische und visuell kontrollierte Manipulation beurteilt werden. Die Therapie einer chronischen Infektion erfordert in der Regel die vollständige Entfernung aller Fremdkörper (inklusive aller Zementreste), da inerte Oberflächen meist schon großflächig mit Biofilmen besiedelt und dadurch einer Antibiotikatherapie nicht mehr zugänglich sind. Zur Ermittlung von Osteolysen kann eine CT mit Artefaktreduktion (dual-energy) angewendet werden. Eine zusätzliche MARS-MRT hilft bei der Beurteilung der periartikulären Weichteile und liefert wertvolle Hinweise über die Infektausdehnung [20]. Die Kombination aus mikrobiologischer Kultur und Histologie aus einer vorgeschalteten arthroskopischen Biopsie kann die Entscheidung über das weitere Vorgehen erleichtern, da die Spezifität dadurch erheblich verbessert wird [15]. Bei fehlendem Infektnachweis in Kultur und Histologie kann durchaus einzeitig vorgegangen werden. Hingegen ist bei positiver Histologie und unter Berücksichtigung von Komorbiditäten und Keimspektrum das zweizeitige Vorgehen über einen temporären, antibiotikabeladenen Platzhalter meist zu bevorzugen [15].
„Low-grade“-Infekte
Ein Sonderfall stellen die „Low-grade-Infekte“ dar, die aber nicht einheitlich definiert sind. Begründet liegt dies v.a. darin, dass oft nicht zwischen Kontamination und einer echten, periprothetischen Infektion differenziert werden kann [21].
Man nimmt an, dass C. acnes aus der physiologischen Hautflora durch die chirurgische Inzision in die Tiefe verschleppt werden. Hautdesinfektionsmittel erreichen den Keim dort praktisch kaum. So kann C. acnes in etwa einem Drittel der schulterchirurgischen Ersteingriffe intraartikulär kultiviert werden [4]. Dies wurde erst kürzlich durch molekulargenetische Identifizierungen bestätigt [22].
Zudem gibt es Berichte, die nahe legen, dass C. acnes bereits intraartikulär und intrazellulär im Gelenkraum vorliegen, weshalb eine positive Kultur nicht zwingend mit einem Infekt gleichzusetzen ist [21].
Die Bebrütungsdauer („time to positivity“) der mikrobiologischen Kultur bis zum Auftreten erster Kolonien ist ein wichtiger Hinweis für die Keimlast [23]. Wenn die Bebrütungsdauer länger als 8 Tage dauert, deutet dies auf eine Kontamination hin. Kulturen, die bis zum 4. postoperativen Tag Wachstum zeigen, sind als „High-grade“-Infekte zu werten, Wachstum zwischen dem 4. und 8. Tag, deuten auf Low-grade-Infekte hin. Andere Arbeitsgruppen berichten vergleichbare Zeiträume (7 Tage) als Schwellenwert [23].
Therapieoptionen
Arthroskopische Spülung
Ein Empyem muss notfallmäßig einer Spülung zugeführt werden, um eine septische Streuung zu verhindern. Da bei einliegender Endoprothese Gewebetaschen oder Hohlräume unter mobilen Prothesenteilen nur schwer zugänglich sind, ist ein offenes Vorgehen anzuraten. Die Anwendung desinfizierender Spüllösungen (z.B. Lavanid®) wird dabei empfohlen. Hierbei ist eine nachfolgende Auswaschung mit Ringerlösung unerlässlich, da sonst bei längerem Gewebekontakt Gewebenekrosen herbeigeführt werden können.
Offenes Debridement mit Komponentenwechsel
Bei einem sehr frühen Infektstadium kann durch ein semi-konservatives sog. „DAIR“ (Debridement, Antibiotics, Implantant Retention), welches mit erheblich geringerem operativen Aufwand erfolgt, innerhalb der ersten 8 Tage nach Infektmanifestation ein Revisionsversuch unternommen werden. Hierbei erfolgt eine gründliche Jet-Lavage und ein Wechsel aller mobilen Prothesenteile (z.B. Inlay, Glenosphäre) (Abb. 1). Im Anschluss erfolgt eine resistenzgerechte Langzeittherapie mit Antibiotika [24]. Während für DAIR gute Erfolge bei Frühinfekten berichtet werden, scheinet es für chronische Protheseninfekte nicht geeignet zu sein [24]. Eine Arbeit, die DAIR mit dem ein- oder zweizeitigen Prothesenwechsel bei chronisch infizierter inverser Schulterprothese (n = 36) verglichen hat, kommt zu dem Ergebnis, dass alle DAIR-Fälle (n = 6) versagt und schließlich einem Implantatwechsel zugeführt werden mussten [24].
Einzeitiger Wechsel
Der einzeitige Prothesenwechsel ist die Alternative zum Goldstandard, dem zweizeitigen Prothesenwechsel. Es werden alle Prothesen- und Zementteile entfernt und es wird ein ausgiebiges Debridement samt Jet-Lavage durchgeführt [1].
In der Regel wird zur Re-Implantation antibiotikabeladener Zement (Gentamicin, Vancomycin) verwendet. Da der Keim zum Revisionszeitpunkt nicht bekannt ist, muss die Antibiotikatherapie empirisch erfolgen. Eine resistenzgerechte, antibiotische Therapie kann erst nach erfolgreicher Anzucht eingeleitet werden. Die kalkulierte Antibiotikatherapie sollte also das zu erwartenden Keimspektrum abdecken. Dazu eignen sich in der Regel ß-Laktame mit ß-Laktamase-Hemmer (z.B. Sultamicillin). Clindamycin, welches oft als Alternative bei Allergie eingesetzt wird, sollte nach Möglichkeit vermieden werden, da Resistenzen und gestiegene Infektionsraten beschrieben sind, wenn es zur präoperativen Prophylaxe angewendet wird [25]. Ein Nachteil des einzeitigen Wechsels ist die fehlende Möglichkeit zur präzisen Beurteilung knöcherner Defekte. Ein gegebenenfalls notwendiger knöcherner Aufbau muss dann ohne vorherige Planung erfolgen und orientiert sich daher am Situs. Eine Metaanalyse kommt zu dem Ergebnis, dass der einzeitige Schulterprothesenwechsel zwar gute Ergebnisse hinsichtlich der Infektsanierung liefert, die funktionellen Ergebnisse beim zweizeitigen Wechsel aber besser sind [26]. Bei vergleichenden Studien mit zweizeitigem Wechsel lagen aber häufiger aggressivere und antibiotikaresistente Keime vor, was die Interpretation der Ergebnisse einschränkt [9, 26].
Zweizeitiger Wechsel
Nach Implantatentfernung und Debridement wird eine antibiotikabeladene, artikulierende Interimsprothese (sog. „Spacer“ als Platzhalter eingesetzt (Abb. 4). Dies führt temporär zu einer hohen lokalen Antbiotikakonzentration. Bei mikrobieller Mehrfachbesiedlung und Resistenzen, liefert der Spacer die zuverlässigsten Ergebnisse [27]. Blutende Oberflächen werden versiegelt, die Schultermobilität bleibt geringfügig erhalten und die Schrumpfung der periartikulären Weichteile wird verhindert [1, 27].
Bei einliegendem Spacer bietet sich zudem die Gelegenheit zur präzisen Planung einer Revisionsprothese (kaum Artefakte). Dies schließt patientenindividuell gefertigte Implantate und die Nutzung von Zielschablonen ein [28]. Eine von Ortmaier et al. veröffentlichte Arbeit zeigt im kurzen Follow-Up gute Resultate. Allerdings gibt es auch Berichte über katastrophale Verläufe beim Ausbruch individuell angefertigter Basisplatten, die chirurgisch kaum noch zu adressieren sind [29]. Der Prothesenschaft wird dabei über ein M. pectoralis-gestieltes Knochenfenster entfernt [29]. Dabei kommen spezielle Meißel und Fräsen zum Einsatz, die eine vollständige Entfernung sämtlichen Fremdmaterials, inklusive aller Zementreste ermöglichen. Zur Bestimmung der Revisionsprothesenlänge sind Röntgenbilder oder eine CT des gesamten ipsi- und kontralateralen Humerus erforderlich. Die erforderliche Mindestverankerungsstrecke der Revisionsprothese im distalen Humerus beträgt 5 cm, gemessen vom gegenwärtigen Zementköcher [1]. Das Revisionsimplantat sollte die Anatomie des Markraums im distalen Humerus (Krümmung) respektieren. Bei Bedarf muss ein patientenindividueller Schaft angefertigt werden. Bei einliegendem Spacer wird die Schulter nur zurückhaltend mobilisiert. Allerdings dürfen das Ellenbogen- und Handgelenke nicht vernachlässigt werden, da sonst eine Steife droht.
Für den Prothesenwechsel wird in unserer Abteilung folgendes Vorgehen standardisiert durchgeführt:
- 1. Vorgeschaltete Arthroskopie in einem separaten Eingriff zur Entnahme von Gewebeproben (Keimbestimmung und Histologie). Bei Nachweis virulenter Keime oder bei erheblichen klinischen Infektzeichen (Sinustrakt, Abszesstaschen) wird auf die Arthroskopie verzichtet.
- 2. Offene Gelenkrevision mit vollständiger Prothesenexplantation und Debridement, Probenentnahme zur Keimbestimmung und Histologie, Press-fit-Implantation eines handgeformten, zentral verstärkten (Gewindestab), antibiotikabeladenen, artikulierenden Zementspacers (PMMA mit empirisch Gentamicin, Vancomycin ± Meropenem bei gram-negativem Befall). Bei knöchernem Glenoidaufbau teilweise auch dreizeitiges Vorgehen, da der Aufbau erst nach gesicherter Infektsanierung möglich ist.
- 3. Bei vermuteter Infektpersistenz (steigendes CRP, zunehmende periartikuläre Flüssigkeit) wird erneut debridiert und die Maßnahmen unter Punkt 2 werden wiederholt. Eine sonografisch gestützte präoperative Punktion kann im Zweifel helfen, die Infektfreiheit zu sichern.
- 4. Einleitung einer resistenzgerechten Antibiotikatherapie bei einliegendem Spacer für 6–8 Wochen mit engmaschiger Kontrolle der Entzündungswerte.
- 5. Bei unauffälliger Klinik und Labor erfolgt die zweite Stufe des Wechsels unter Verwendung einer Revisionsprothese unmittelbar im Anschluss etwa 6–8 Wochen nach der ersten Stufe. Erneut werden Proben (Kultur + Histologie) entnommen, da sich das Keimspektrum und die Resistenzlage während der Tragedauer des Spacer ändern können. Danach erfolgt eine empirische Antibiotikatherapie, bis die Kulturen vorliegen. Sind diese negativ, werden die Antibiotika abgesetzt. Sind sie positiv, dann erfolgt eine resistenzgerechte Fortführung der Antibiotikatherapie für weitere 6 Wochen [30, 31].
Probenentnahme und antimikrobielle Therapie
Perioperativ sollten mind. 5 verschiedene Proben (immer inkl. Gewebe), zur mikrobiologischen Kultur eingesandt werden. Für den Nachweis von C. acnes werden mittlerweile 8 Proben empfohlen [13]. Als Transportmedium müssen anaerobiergerechte Lösungen verwendet werden (z.B. Port-a-cul®, Thioglykollat). Pädiatrische Blutkulturmedien können eine gute Alternative dazu darstellen. Nach der Probenentnahme sollten diese so schnell wie möglich zur Inkubation weitergeleitet werden [31].
Es wird empfohlen, mehrere (mind. 3) repräsentative periprothetische Gewebeproben für eine histologische Analyse zu entnehmen, da dies wertvolle Hinweise zur Vermeidung falsch positiver Kulturergebnisse liefern kann [23].
Für die kalkulierte Antibiotikatherapie ist ein Breitspektrum-Antibiotikum mit Wirksamkeit gegen gram-positive und gram-negative Bakterien sowie Anaerobier ratsam. In unserer Einrichtung verwenden wir eine Kombination aus Ampicillin und Sulbactam (Sultamicillin, z.B. Unacid®). Da häufig eine Mehrfachbesiedelung vorliegt, ist oftmals eine Kombinationstherapie erforderlich, die in Abstimmung mit der Mikrobiologie aufgrund wechselnder Resistenzlagen angepasst werden sollte. Rifampicin kann helfen, Biofilme zu durchdringen, muss jedoch stets in Kombination (z.B. mit Fluorchinolon) und nach Eintritt der Wundtrockenheit verabreicht werden. Bei mangelhafter Knochenqualität und Glenoidaufbau mittels Allograft kann in bestimmten Fällen auch der Einsatz osteoanaboler Medikamente, wie z.B. rekombinantes Parathormon (Forsteo®), notwendig werden.
Interessenkonflikte:
Keine angegeben.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Robert Hudek
ATOS Klinik Fleetinsel Hamburg
Admiralitätstr. 3–4
20459 Hamburg
robert.hudek@atos.de