Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2014

Retropatellarer Kontaktdruck der nativen Gleitfläche beim bikompartimentalen Kniegelenkersatz
In Abhängigkeit von der sagittalen Positionierung des Tibia-PlateausIn different sagittal positions of the tibial plateau

Eine Ventralverschiebung des tibialen Plateaus im Vergleich zur Neutralposition führt zu einer konstanten Druckerhöhung von durchschnittlich 1,5 MPa in nahezu allen Flexionspositionen. Nur im Bereich zwischen 40 und 50° fällt die Abweichung geringer aus.

Gleiches gilt für eine Dorsalverschiebung der tibialen Position im Vergleich zur Neutralposition. Hier zeigt sich eine Reduzierung der Kontaktdrücke im retropatellaren Gleitlager um durchschnittlich 1,4 MPa im Gesamtverlauf der Flexionsstellungen. Hier fällt die Differenz zur Neutralstellung zwischen 40 und 50° dagegen höher aus als im Gesamtverlauf.

Die Abweichung zwischen den Kontaktdrücken zwischen der Ventralposition zur Dorsalposition ist praktisch bei allen Flexionsgraden (p < 0,005) signifikant, mit Ausnahme der Drücke zwischen 100 und 120° Flexion.

Die Momentaufnahme nach Ventralverschiebung des Tibiaplateaus zeigt bei der dynamischen Druckmessung des Präparats 3 bei einem 60°-Flexionswinkel deutlich erhöhte Kontakt- bzw. Spitzendruckwerte. Die erhöhten Druckbereiche über 6 MPa finden sich am lateralen kranialen und auch kaudalen Rand der Patella hufeisenförmig, entsprechend dem Design der Endoprothese. Die Druckregistrierung zeigt auch hier eine kleine Aussparung der Endoprothese. Dabei zeigen sich erneut 2 Hauptdruckbereiche, wobei der kaudale Anteil mit Spitzendruckwerten überwiegt.

Die Momentaufnahme nach Dorsalverschiebung des Tibiaplateaus zeigt bei der dynamischen Druckmessung des Präparats 3 bei einem 60°-Flexionswinkel deutlich verminderte Kontakt- bzw. Spitzendruckwerte im Bereich der Patelladrucksensoren. Die Druckbereiche bis 4,41 MPa finden sich am lateralen kaudalen Rand der Patella und nur noch in einem ganz kleinen kranialen Anteil. Die Druckregistrierung zeigt auch hier deutlich die Aussparung der Endoprothese. Dabei zeigt sich nur noch ein Hauptdruckbereich im kaudalen Anteil.

Diskussion

Retropatellare Druckmessungen nach alloplastischem Ersatz wurden bislang von mehreren Arbeitsgruppen durchgeführt [6, 7, 8, 9]. In der vorliegenden Arbeit wurden erstmals retropatellare Kontaktdrücke im Verhältnis zur sagittalen Position des Tibiaplateaus untersucht. Die Resultate haben eine klinische Relevanz, da bei jedem operativen Positionieren der Gelenkkomponenten zahlreiche Einzelfaktoren zu berücksichtigen sind, unter anderem auch die sagittale Position des Tibiaplateaus.

Bei den leichenexperimentellen Untersuchungen müssen zwangsläufig methodische Einschränkungen eingeräumt werden. Die Versuchsanordnung ist horizontal ausgerichtet und nicht senkrecht zur Schwerkraft, sodass keine axialen Gewichtsbelastungen vorhanden sind [12]. Es wurde weiterhin nur ein Prothesensystem (EFK, Fa. Smith & Nephew) überprüft, welches eine besonders flache Trochleagrube aufweist; selbiges eignet sich besonders gut zum Kniegelenkersatz bei Belassen der nativen Patella. Da dies jedoch in der klinischen Fragestellung der häufigere Versorgungsfall war, wurde bewusst dieses System geprüft. Es liegen zu anderen Systemen auch schon mehrere Untersuchungen zur retropatellaren Druckentwicklung vor, unter anderem das Genesis-II-Knie der Fa. Smith & Nephew [12], das LCS-Knie [8] und das Osteonics-Knie [7].

Individuelle Besonderheiten der verwendeten Kniegelenke können auch die Datenerhebung beeinflussen. Auch das Aufkleben der Tekscan-Folie mit einigen Millimetern Dicke verändert das Gleitverhalten und die Druckverhältnisse der Kniescheibe; insbesondere der Firstbereich der Kniescheibe wird dadurch abgeflacht.

Die Resultate entsprechen für die Neutralposition der Tibiakomponente der EFK-Prothese den Druckverläufen der LCS-Prothese (Low Contact Stress Prothese von DePuy) [8]. Insbesondere ist eine Ähnlichkeit der Druckverlaufskurven zu dem APG-Inlay (Anterior-Posterior-Gleitlager) zu erkennen. Das mobile APG-Inlay der Fa. DePuy ermöglicht neben der Rotation auch eine Translation in anterior-posteriorer Richtung. Dies ist bemerkenswert, da das Inlay der EFK-Prothese fixiert ist und das LCS-APG Inlay sehr mobil ausgerichtet ist. Die Verlaufskurven der Rotationsplattform (RP-Inlay) der LCS-Prothese zeigen insgesamt geringere Druckverläufe, insbesondere einen geringeren Anstieg des Druckes zwischen 60–90° Flexion.

Besondere Aufmerksamkeit sollte dem infero-patellaren Raum gewidmet werden. Hier könnte eine wesentliche Ursache für den vorderen Knieschmerz nach Knie-TEP vorhanden sein, wenn es aufgrund einer ventralen Positionierung der Tibiakomponente und des Inlays (insbesondere ultra-kongruent) zu einem Impingement des Patellaunterrands oder des Hoffaschen Fettkörpers mit dem Vorderrand des Inlays kommt. Klinisch kann sich dies mit verstärkten Schmerzen in voller Streckung des Kniegelenks zeigen. Der vordere Kniegelenkschmerz nach Knie-TEP ist ein schwer behandelbares Leiden und tritt, unabhängig von der Versorgung mit einem Patellainlay, auch bei Belassen der nativen Patella auf [10].

Die Diskussion der Ursachen für eine Verstärkung der Druckbelastung im retropatellaren Raum bei einer Ventralpositionierung des tibialen Inlays bzw. der Tibiakomponente als Resultat der vorliegenden Studie umfasst im Wesentlichen eine Erhöhung der Vorspannung des Lig. patellae. Dadurch wird das Lig. patellae leicht verkürzt, was aber schon ein früheres Eintreten der Patella ins Gleitlager zur Folge hat.

Es könnten jedoch auch die Verlagerung der Kontaktpunkte/Kontaktfläche nach ventral mit einer konsekutiven Verschiebung des Hebelarms zu dieser Druckveränderung führen. Beides beeinflusst sich gegenseitig. Nordin und Frankel beschreiben dazu die Oberflächenbewegung mit Vektoren bei einer Verschiebung von Kontaktpunkten im Kniegelenk [11]. Die Verlagerung der Rotationszentren im tibiofemoralen Gelenk durch Verlagerung der Kontaktpunkte tibial nach ventral führt zu einer erhöhten Druckbelastung im tibiofemoralen Gelenk bei stärkerer Beugung des Kniegelenks.

An weiteren Faktoren mit Einfluss auf die Funktion des künstlichen Kniegelenks sind die Höhenpositionierung und die Achsausrichtung des Tibiaplateaus zu nennen, welche entscheidend die Bandstabilität des künstlichen Kniegelenkes beeinflusst.

Durch die sagittale Neigung („slope“) wird entscheidend die Streck- und Beugefähigkeit bestimmt. Weiterhin sind die Größe des Implantats, die Art und Form der tibialen Metallplatte und deren Rotationsausrichtung von Bedeutung.

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