Übersichtsarbeiten - OUP 01/2025
SchultergelenksinstabilitätVon der Diagnose bis zur Therapie
Keywords: Shoulder instability, shoulder, anatomy, arthroscopy, latarjet
Citation: Farkhondeh Fal M, Kircher J: Shoulder joint instability. From diagnosis to treatment
OUP 2025; 14: 25?32. DOI 10.53180/oup.2025.0025-0032
M. Farkhondeh Fal: Orthopädiezentrum Hamburg & Schön Klinik Hamburg Eilbek, Allgemeine Orthopädie
J. Kircher: Schön Klinik Hamburg Eilbek, Allgemeine Orthopädie & ATOS Klinik Fleetinsel, Schulter und Ellenbogenchirurgie
Einleitung
Die Schulter ist ein bemerkenswert flexibles Gelenk, das eine Vielzahl komplexer Bewegungen ermöglicht. Diese Beweglichkeit bringt jedoch eine natürliche Instabilität mit sich, die das Gelenk für Verletzungen anfällig macht. Schulterinstabilitäten reichen von einfachen Subluxationen bis hin zu vollständigen Luxationen und können sowohl akute als auch chronische Folgen haben. Ein tiefes Verständnis der anatomischen, pathologischen und funktionellen Grundlagen ist für die Diagnose und Therapie dieser Zustände entscheidend.
Pathophysiologie und Anatomie
Die Schulterstabilität wird durch eine komplexe Interaktion zwischen statischen und dynamischen Stabilisatoren gewährleistet. Die statischen Stabilisatoren umfassen:
Glenoid-Labrum-Komplex: Das Labrum ist ein ringförmiger faserknorpeliger Puffer, der die Tiefe und die Stabilität der Gelenkpfanne erhöht. Es erweitert die Kontaktfläche des Humeruskopfes und wirkt als „Unterlegkeil“ gegen translatorische Kräfte [1].
Glenohumerale Bänder und Kapsel: Diese Bänder sind Verdickungen der Kapsel und spielen eine wesentliche Rolle bei der Begrenzung der Translation des Humeruskopfes.
Dynamische Stabilisatoren umfassen die Muskulatur der Rotatorenmanschette und die skapulothorakale Muskulatur. Diese Muskeln sorgen durch ihre Kontraktionen für eine aktive Stabilisierung des Humeruskopfes in der Gelenkpfanne. Eine gestörte Muskelfunktion, sei es durch Schwäche, Ermüdung oder strukturelle Schäden, kann das Gleichgewicht stören und Instabilität hervorrufen. Sportlerinnen und Sportler, insb. jene, die Überkopfsportarten ausüben, haben ein erhöhtes Risiko für muskuläre Ermüdung, die zu einer Beeinträchtigung der Stabilität führt (Abb. 1) [2].
Labrum
Das Labrum ist eine faserknorpelige Struktur, die als Puffer dient und umlaufend am Rand des Glenoids befestigt ist. Am oberen Pol ist es locker verankert und zeigt eine erhebliche anatomische Variabilität.
Der obere Abschnitt des Labrums ist direkt am Ansatz der Bizepssehne angebracht, etwas weiter distal von der Insertion der Sehne am supraglenoidalen Tuberkel. Dies bildet einen synovialen Rezessus unter der Bizepssehne in diesem Bereich des Labrums, was leicht mit einer SLAP-Läsion (Superior Labrum Anterior Posterior) verwechselt werden kann. Eine gründliche Untersuchung während der Operation mit einem Tasthaken würde eine instabile Verankerung des Bizepsansatzes sichtbar machen.
Das Labrum spielt eine entscheidende Rolle für die Stabilität des glenohumeralen Gelenks. Es vertieft die Glenoidpfanne in alle Richtungen um etwa 50 % und erweitert die Gelenkfläche. Die leicht abweichenden Radien der Knorpeloberflächen der beiden Gelenkpartner werden durch das Labrum am Rand angepasst. Dies führt zu einer vergrößerten Kontaktfläche des Humeruskopfes und theoretisch zu einer proportionalen Reduzierung der Punktbelastung. Zudem fungiert das Labrum als eine Art „Keil“, der gegen translatorische Kräfte wirkt und trägt so zu etwa 20 % zur Stabilität des belasteten glenohumeralen Gelenks bei.
Glenohumerale Ligamente und Kapselstrukturen
Die glenohumeralen Bänder sind spezifische Verdickungen der Gelenkkapsel. Diese umfassen das obere glenohumerale Band (SGHL), das mittlere glenohumerale Band (MGHL) sowie die unteren glenohumeralen Bänder (aIGHL und pIGHL). Das korakohumerale Band (CHL), das vom Processus coracoideus in Richtung Intervall zieht und in die obere Pulley-Struktur der Bizepssehne einmündet, arbeitet zusammen mit dem SGHL, um die inferiore Verschiebung und Außenrotation der adduzierten Schulter sowie die hintere Verschiebung der gebeugten, adduzierten und innenrotierten Schulter zu begrenzen.
Das MGHL zeigt die größte Variabilität unter den Bändern, wobei unterschiedliche anatomische Formen beschrieben wurden. Es limitiert die vordere Verschiebung des Humeruskopfes, wenn der Arm zwischen 60° und 90° abduziert ist.
Der IGHL-Komplex fungiert wie eine Hängematte, die eine übermäßige Verschiebung des Humeruskopfes nach unten verhindert. Bei zunehmender Abduktion bewegt sich der gesamte Komplex unter den Humeruskopf und wird gespannt. Bei Innenrotation verlagert sich der Komplex nach hinten, was die hintere Verschiebung einschränkt. In der Außenrotation hingegen verlagert sich der Komplex nach vorn und wirkt als Barriere gegen die vordere Verschiebung [1–3].
Die Rotatorenmanschette (RM)
Die Rotatorenmanschette leistet durch 3 Hauptmechanismen einen Beitrag zur Stabilität des Schultergelenks: Kompression des Gelenks, synchronisierte Kontraktion der Rotatorenmanschettenmuskulatur, die den Humeruskopf über den gesamten Bewegungsumfang hinweg im Glenoid zentriert, und Aktivierung der glenohumeralen Bänder durch ihre direkte Anheftung an die Rotatorenmanschette.
Die koordinierte Kontraktion der Rotatorenmanschette ist entscheidend für die Stabilität des Gelenks. Untersuchungen zeigen, dass bei Patientinnen und Patienten mit einer allgemeinen Überbeweglichkeit der Bänder eine veränderte Aktivität der RM beobachtet werden kann. Zudem weisen Personen mit symptomatischer Schulterinstabilität oft eine ungleichmäßige Stärke der RM auf. Sportlerinnen und Sportler, die Überkopfwürfe ausführen und dabei eine Ermüdung der Rotatorenmanschette erfahren, haben ein höheres Risiko für Verletzungen der vorderen glenohumeralen Bänder und der Kapsel.
Bei Rotatorenmanschettenrissen kommt es zu einer stärkeren Verschiebung des Humeruskopfes, die proportional zur Größe des Risses ist. Der Supraspinatus ist dabei bekanntlich der effektivste Stabilisator innerhalb der Rotatorenmanschette.
Darüber hinaus sind die glenohumeralen Bänder in den mittleren Bereichen der Schulterbewegung weniger straff. In diesem Bereich tragen die Gelenkkompression und die abgestimmte Kontraktion der Manschette zur Stabilität des Gelenks bei [1–3].
Die lange Bizepssehne (LBS)
Die lange Bizepssehne (LBS) unterstützt die Stabilität der vorderen Schulter, indem sie dabei hilft, übermäßigen Außenrotationskräften entgegenzuwirken, die bei abduzierter und außenrotierter Schulter auftreten. Zudem übernimmt die LBS eine schützende Funktion, indem sie die Belastung auf das untere glenohumerale Band reduziert.