Übersichtsarbeiten - OUP 02/2024

Akute und chronische Kniescheibeninstabilität
Diagnostik, konservative Therapie und chirurgische Konzepte von Schäden des MPFL, von Trochleadysplasien sowie anderen knöchernen Pathologien

Lars Victor von Engelhardt

Lernziele:

Der Leserin/dem Leser soll die Differenzialdiagnostik unterschiedlicher Ursachen der Kniescheibeninstabilität vermittelt werden.

Für die konservative und operative Therapie werden sinnvolle Konzepte eines befundabhängigen Vorgehens erläutert.

Neuere Konzepte, sog. Kombinationseingriffe, meist bestehend aus einer balancierten MPFL-Band-Rekonstruktion und einer Trochleaplastik oder auch anderer knöcherner Korrekturen, und deren Erfolgsaussichten werden vermittelt.

Zusammenfassung:
Instabilitäten und Luxationen der Patella sind stark beeinträchtigend. Es kommt zu Verletzungen des Gelenkknorpels, osteochondralen Frakturen, wiederkehrender Instabilität, Schmerzen, Verlust der Sportfähigkeit und verminderter Alltagsaktivität und schließlich zur patellofemoralen Arthrose. Gleitlagerdysplasien, andere knöcherne Fehlbildungen und Schäden der kniescheibenstabilisierenden Bänder stellen wichtige Ursachen dieser fortschreitenden Erkrankung dar. Die Kenntnisse und Therapiemöglichkeiten rund um dieses Thema haben sich in den letzten Jahren deutlich erweitert. Sowohl in der Akutsituation als auch bei chronisch wiederkehrenden Verläufen ist eine gute Diagnostik wesentlich, um eine adäquate konservative oder operative Therapie zu ermöglichen. Operativ ist es wichtig, relevante Befunde im Sinne einer „à la carte“-Chirurgie zu adressieren. Die wichtigsten Verfahren sind hierbei knöcherne Gleitlagerkorrekturen, die sog. Trochleaplastiken, aber auch einige andere knöcherne Korrekturverfahren. Ebenso wichtig sind Rekonstruktionen des medialen patellofemoralen Bandes, das einerseits meist geschädigt ist und andererseits den wesentlichen Bandstabilisator der Kniescheibe darstellt. In diesem CME-Artikel werden die wesentlichen diagnostischen Schritte, unterschiedliche Therapiekonzepte und die Ergebnisse beschrieben.

Schlüsselwörter:
Trochleadysplasie, Trochleaplastik, mediales patellofemorales Ligament, patellofemorale
Instabilität, Patellaluxation

Zitierweise:
von Engelhardt LV: Akute und chronische Kniescheibeninstabilität. Diagnostik, konservative
Therapie und chirurgische Konzepte von Schäden des MPFL, von Trochleadysplasien sowie anderen knöchernen Pathologien
OUP 2024; 13: 81–91
DOI 10.53180/oup.2024.0081-0091

Summary: Instabilities and dislocations of the patella are highly debilitating. They lead to injuries of the joint cartilage, osteochondral fractures, recurrent instability, pain, loss of sports ability, reduced daily activity, and finally to patellofemoral osteoarthritis. Dysplasia of the patellar groove, other bony deformities, and damage to the ligaments stabilizing the patella are important causes of this progressive disease. The knowledge and therapeutic options surrounding this topic have significantly expanded in recent years. Both in acute situations and in cases of chronic recurrence, good diagnostics are essential to enable appropriate conservative or surgical treatment. Surgically, it is important to address relevant findings in terms of a „à la carte“ surgery. The most important procedures include bony corrections of the patellar groove, or trochleoplasties, as well as several other bony correction procedures. Equally important are reconstructions of the medial patellofemoral ligament, which is often damaged and represents the main band stabilizer of the patella. This CME article describes the essential diagnostic steps, different therapeutic concepts, and the results.

Keywords: Trochlea dysplasia, trochleoplasty, medial patellofemoral ligament, patellofemoral instability

Citation: von Engelhardt LV: Acute and chronic patella instabilities. Diagnostics, conservative treatment and surgical concepts for damages of the MPFL, trochlear dysplasia and other bony diseases
OUP 2024; 13: 81–91. DOI 10.53180/oup.2024.0081-0091

Fakultät für Gesundheit, Universität Witten/Herdecke & Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sportmedizin, Klinikum Peine

Pathophysiologie, Anamnese

und bildgebende Befunde

Damit der Streckapparat des Beines beim Gehen, Sport etc. funktioniert, muss er während des Gleitmechanismus stabil gehalten werden. In Beugung, spätestens ab 30°, wird die Kniescheibe v.a. durch das knöcherne Kniescheibengleitlager geführt und stabilisiert. In den strecknahen Positionen, oberhalb von ca. 30°-Beugung, liegt die Kniescheibe durch die zunehmende Außenrotation der Tibia weiter lateral und natürlich auch weiter oben an den Kondylen. In diesen Positionen verliert die Kniescheibe den Kontakt zur Gleitrinne zunehmend. Die Führung wird weichteilig und v.a. über ein Band, das mediale patellofemorale Ligament (MPFL), stabilisiert. Das MPFL verläuft zwischen dem oberen Drittel der medialen Kniescheibe und dem inneren Femurkondylus, wo es oberhalb der medialen Kollateralbandinsertion ansetzt. Es stabilisiert die Kniescheibe vor einem Abgleiten bzw. Luxieren nach außen (Abb. 1e) [2]. Erste Luxationsereignisse finden sich häufig bei Drehbewegungen im Knie bspw. bei fixiertem Fuß und eher strecknahen bzw. leicht gebeugten Positionen. Dies tritt in 50–60 % der Fälle im Sport oder auch im Alltag auf [19]. Beispiele sind schnelle Richtungswechsel, ein Vertreten auf Unebenheiten, abrupte Stoppbewegungen, Sprünge etc. Seltener entsteht die Luxation im Rahmen eines direkten Anpralltraumas wie einem Schlag auf die Kniescheibe [63].

Erstluxation

Die erstmalige Luxation ist besonders schmerzhaft. Gelegentlich ist die Kniescheibe lateral des Kondylus verhakt, so dass sie unter Kniestreckung und Druck mit der Hand wieder in ihr Gleitlager zurück geschoben werden muss. Eigene Studien und weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei der Erstluxation in der Mehrheit der Fälle schwere Knorpelverletzungen auftreten. In über 90 % der Fälle kommt es zu einem Riss des kniescheibenstabilisierenden MPFL-Bandes [42, 62, 74]. Bei Patientinnen und Patienten über 16 Jahren findet sich bei den ersten Luxationen am häufigsten ein Riss am femoralen Ansatz (Abb. 1a, b). Seltener finden sich intraligamentäre und patellarseitige Rupturen [32, 51]. Diese Pathomorphologie ist für die weitere Therapieentscheidung wichtig, weil gerade die femorale Risslokalisation mit einem schlechteren klinischen Outcome und erhöhten Raten an Rezidivluxationen einhergehen [62]. Zudem ist es bei der Beurteilung der Rissstelle des MPFL wichtig, eine Avulsion des für die Kniescheibenstabilität wenig relevanten medialen patellotibialen Bandes an seinem Ansatz an der unteren medialen Kniescheibe nicht mit einer patellaren MPFL-Avulsion zu verwechseln. Diese im MRT recht deutlich sichtbare und schmerzhaft palpable Zusatzverletzung einer Patellaluxation zeigt sich am mediokaudalen Teil der Kniescheibe (Abb. 1c, d). Dieser Befund sollte nicht mit einem Abriss des MPFL Bandes vom kranialen Drittel der Kniescheibe verwechselt und/oder gar operativ versorgt werden. Aus unserer klinischen Erfahrung heraus, besteht bei diesem Verletzungsmuster oft der schmerzhaft palpable und v.a. biomechanisch relevante Abriss des MPFL am medialen Femurkondylus. Logischerweise ist es äußerst unwahrscheinlich, dass das MPFL an 2 Stellen, also neben dem femoralen Ansatz auch noch am patellaren Ansatz abreißt.

Wiederholte Luxationen

Kommt es zu wiederholten Luxationen, wird das MPFL-Band fortlaufend geschädigt, sodass die kniescheibenstabilisierende Funktion zunehmend verloren geht. Man spricht von einer Insuffizienz des MPFL-Bandes. Eine Ausheilung ist in solchen Fällen nicht mehr möglich. Es entsteht eine chronische Instabilität mit fortschreitenden Knorpelschäden und schließlich das Bild einer Femoropatellararthrose [52, 54].

Das Trochlea-Gleitlager

Normalerweise ist die Gleitrinne ausreichend tief geformt, sodass sie auch bei Drehbewegungen des Oberschenkels die Patella effektiv stabilisiert (Abb. 1a, e). Bei einer Fehlbildung ist das Gleitlager abgeflacht bzw. nicht mehr vorhanden (Abb. 1f, g, i, j). Bei den Patientinnen und Patienten mit einer Instabilität der Kniescheibe findet sich eine solche knöcherne Fehlbildung des Gleitlagers, die sog. Trochleadysplasie in mehr als 85 % der Fälle [13, 33]. Die gebräuchlichste bildgebende Einteilung von Trochleadysplasien wurde von dem französischen Kollegen Henri Dejour beschrieben. Er unterteilte die Schweregrade in die Typen A–D, welche am besten auf horizontal verlaufenden Querschnitten der Magnetresonanztomografie (MRT) und Computertomografie (CT) zu beurteilen sind [12]. Entscheidend für die Beurteilung ist, dass in den Schichtbildern ausschließlich die kranialen Schichten des Kniescheibengleitlagers herangezogen werden. Betrachtet man hingegen weiter unten gelegene Schichten des Gleitlagers, so wird man regelmäßig fehlerhafte Ergebnisse mit falsch negativen Befunden erzielen. Dies birgt die Gefahr einer fehlerhaften Therapieentscheidung mit der Patientin/dem Patienten.

Dejour unterscheidet eine leichte Gleitlagerdysplasie (Typ A) mit einem vergrößertem Sulkuswinkel > 145° (Abb. 1f) und die schweren Formen (Typ B–D), in denen im oberen Bereich kein Sulcus mehr nachweisbar ist. Bei der schweren Dysplasieform Typ B ist die äußere der beiden Gelenkflächen, die normalerweise nach innen abfällt und in der Mitte eine Gleitrinne bildet, flach. Der laterale Inklinationswinkel (LTI) (Abb. 1e) ist reduziert (Abb. 1g). Ist die laterale Trochlea konvex geformt, spricht man vom Typ C (Abb. 1i). Ist die laterale Trochleafacette gegenüber der medialen überhöht, sodass sich eine Art Stufe findet, handelt es sich um den Typ D (Abb. 1j). Bei allen 3 schweren Formen (Typ B–D) geht die stabilisierende Funktion der lateralen Gelenkfläche verloren [12]. Aus diesem Grund gilt die Trochleadysplasie neben einer Bandinsuffizienz als der wesentliche prädisponierende Faktor für eine Instabilität der Kniescheibe. Der laterale Inklinationswinkel reduziert sich oder er wird sogar negativ, so dass es sich vielmehr um eine knöcherne „Rutsche“ nach lateral als um ein stabilisierendes knöchernes Widerlager handelt (Abb. 1i, j). Die Trochleadysplasie ist der bedeutendste und häufigste Risikofaktor für eine rezidivierende Luxation der Kniescheibe, wohingegen ein Patellahochstand oder eine erhöhte Distanz zwischen Gleitrinne und Ansatz des Patellarbandes (Tuberositas tibiae-Trochlear Groove Distanz, TT-TG) (Abb. 1h) sowohl hinsichtlich deren Häufigkeit und Bedeutung zurückstehen [33]. Diverse Studien und Metaanalysen zeigen, dass v.a. die höhergradige Trochleadysplasie Typ B–D berücksichtigt werden sollte, um ein gutes klinisches Outcome sicherzustellen und Rezidivluxationen effektiv zu vermeiden [5, 24, 47, 50, 68, 75].

Klinische Untersuchung

Klinisch sind v.a. spezifische Funktionstests in verschiedenen Beugegraden hilfreich, um die knöcherne und weichteilige Führung der Kniescheibe zu beurteilen. Bittet man die Patientin/den Patienten das Bein auszustrecken, gewinnt man einen ersten Eindruck zum Patella-Alignment. Gleitet die Patella kurz vor dem Erreichen der vollen Streckung ähnlich zu einem umgedrehten J von der normalerweise geraden Strecke nach außen ab, so gilt das J-Sign als positiv. Dieser Befund findet sich bei einer ausgeprägten Instabilität. Besser geeignet sind spezielle Stabilitätsprüfungen. Sehr gut lässt sich eine Instabilität der medialen Bandstrukturen sowie eine Insuffizienz der knöchernen Führung durch eine passive Lateralisation der Patella in verschiedenen Beugegraden am locker hängenden Bein überprüfen. Die Patella sollte bei 20°- und 30°-Flexion nicht mehr als die Hälfte ihrer Breite lateralisierbar sein [67]. Liegt neben einem insuffizienten MPFL eine Trochleadysplasie vor, so ist die Translation nach lateral nicht nur in strecknahen Positionen, sondern auch bei leicht vermehrten Beugegraden zwischen 30° und 60° erhöht.

Auch die Apprehensiontests sind zur Beurteilung der weichteiligen sowie knöchernen Stabilität gut geeignet. Bewegt man das Knie von einer Beugung von maximal 30° in eine Vollstreckung und zeigt die Patientin/der Patient unter leichter Lateralisation der Patella eine Abwehrreaktion, die bspw. in der Mimik, v.a. aber in einer vermehrten Muskelspannung erkenntlich ist, so gilt der Test als positiv. Neben dem weichteiligen Apprehensiontest in strecknahen Positionen folgt dann der knöcherne Abwehrtest bei höheren Beugegraden. Hier wird die Stabilität, die normalerweise durch die Trochlea gesichert wird, beurteilt. Ist der Apprehensiontest somit bei Beugegraden zwischen 30 und 60° positiv, so weist dies auf eine zusätzliche Insuffizienz der knöchernen Führung. Neben der häufigen Trochleadysplasie kann auch ein höhergradiger Rotations- oder Achsfehler des Femurs zugrunde liegen.

Als zweiten Schritt empfehlen wir besonders den sog. „Moving patellar Apprehensiontest“ nach Ahmad. Dieser Test lässt sich nach dem weichteiligen und knöchernen Apprehensiontest gut beurteilen, da er nun auf der verminderten Abwehrreaktion in den verschiedenen Beugegraden beruht. Hierzu wird die Kniescheibe beim Durchbewegen durch den Zeigefinger nach medial translatiert bzw. gehalten. Die Testung gilt als positiv, wenn die zuvor beobachtete Apprehensionssymptomatik durch eine simulierte Stabilisierung der Kniescheibe abgeschwächt wird. Ahmad zeigte, dass dieser zusätzliche Test eine vglw. hohe Sensitivität aber auch eine hohe Spezifität bei der Diagnostik der Patellainstabilität aufweist [1]. Sind die knöchernen Stabilitäts- und Apprehensiontests positiv und finden sich korrespondierende MR- oder Röntgenbefunde einer schweren Dysplasie, also Typ B–D nach Dejour, deutet dies auf die Notwendigkeit einer knöchernen Containmentanpassung.

Achs- und Rotationsfehler

Neben den Schäden des MPFL-Bandes und der knöchernen Formstörung des Gleitlagers sind auch Achs- und Rotationsfehler des Kniegelenkes bei der Entstehung einer Instabilität zu beachten und ggf. zu adressieren. Hinsichtlich relevanter Achs- und Rotationsfehler ist hier insbesondere der sog. femorale Antetorsionswinkel von Interesse. Dieser Winkel beschreibt die physiologische Verdrehung des Oberschenkelhalses gegenüber Oberschenkel bzw. Kniegelenk nach vorne. Die Norm liegt bei ca. 20° (Abb. 1e). Im Fall einer vermehrten femoralen Antetorsion zeigt sich im Stehen eine vermehrte Innenrotationsstellung des Femurs mit einer nach innen gerichteter Kniescheibe, der sog. schielenden Patella. Wichtig für eine Beurteilung ist dabei, dass die Füße parallel nach vorne gerichtet sind. Zudem können mögliche Rotationsfehler in Bauchlage in 90°-Knieflexion beurteilt werden. Bei der Messung der maximalen Hüftinnen- und -außenrotation zeigt sich bei einer Coxa antetorta nicht selten eine überhöhte (> 65°) Außenrotation sowie und eine stark verminderte (< 30°) Innenrotation [65]. Besteht hier bei diesen Beurteilungen der Rotation des Kniegelenkes gegenüber der Hüfte oder dem Sprunggelenk (s.u.) ein Anhalt auf eine Fehlrotation, führen wir in diesen eher seltenen Fällen ein Rotations-MRT des gesamten Beines durch.

Ebenso kann ein X-Bein prädisponierend für eine Instabilität der Kniescheibe sein. Läuft die mechanische Beinachse als Verbindung zwischen dem Hüftkopfzentrum und dem Zentrum des oberen Sprunggelenkes nicht mittig, sondern lateral durch das Kniegelenk, so ist auch die Kniescheibe nach lateral verlagert. Der Luxationsweg der Kniescheibe nach außen ist verkürzt. Im Stehen zeigt sich neben der Valgusstellung oft auch ein erhöhter Q-Winkel zwischen Oberschenkelachse und der Verbindungslinie zwischen Patella und Tuberositas tibia.

Vglw. selten kann auch eine vermehrte Verdrehung des Unterschenkels, die sog. Tibiatorsion, den Verlauf der Kniescheibe nach außen verlagern und somit zu einer Instabilität führen. Hier zeigt sich klinisch eine vermehrt außenrotierte Fußachse. Im Stehen kann die tibiale Rotation durch eine Beurteilung der Fußstellung bei beidseits nach vorne gerichteter Tuberositas tibiae abgeschätzt werden. Liegt eine vermehrte Tibiatorsion vor, zeigen ein Fuß oder beide Füße vermehrt nach außen. Auch bei gebeugtem Knie oder im Knien in 90°-Beugung lässt sich der Winkel zwischen der Fußachse und dem Oberschenkel gut abschätzen [26]. Bildgebend wird die Unterschenkeldrehung als Winkel zwischen den beiden längsten Linien durch das Tibiaplateau auf Höhe des Wadenbeinköpfchens sowie auf Höhe des sprunggelenknahen Pilon tibiale gemessen. Die Norm liegt bei weniger als 40° [65].

Patella-Hochstand und TT-TG

Ein weiterer zu beachtender und häufig assoziiert auftretender Faktor ist ein Hochstand der Kniescheibe, der bspw. anhand des sog. Insall-Salvati-Index (Norm 0,8–1,2) beschrieben werden kann. Wie bereits erwähnt, kann auch der Abstand zwischen dem Ansatz des Kniescheibenbandes am Unterschenkel, der sog. Tuberositas tibiae, und dem tiefsten Punkt des Kniescheibengleitlagers, der Trochleagrube für eine Instabilität relevant sein. Die Norm liegt bei Werten unter 20 mm (Abb. 1h).

Symptomatik der instabilen Kniescheibe

Bei einer Instabilität wird die Kniescheibe oft als puddingähnlich, schwimmend oder springend beschrieben. Bei einem Teil der Patientinnen und Patienten kommt es mehrmals täglich, bei anderen eher selten zu einem meist schmerzhaften Herausspringen der Kniescheibe. Neben dem Schonverhalten und der Sorge um eine erneute Luxation, dem damit verbundenen plötzlichen Wegsacken und mitunter auch Sturzereignissen, bestehen sowohl belastungsabhängig als auch in Ruhe Schmerzen sowie Reizzustände des Kniegelenkes. Sport, insbesondere solche mit Richtungswechseln, Stop-and-go, etc. werden vermieden. Auch der Alltag ist eingeschränkt. Das klinische Bild beginnt mit anfänglichen Instabilitätsbeschwerden und Luxationsereignissen. Im Verlauf entwickeln sich zunehmende Knorpelschäden und schließlich bereits in eher jungen Jahren das Vollbild einer Arthrose [14, 25, 37, 72]. So führen wir den Großteil der retropatellaren Endoprothetik bei Trochleadysplasien durch. Die posttraumatischen Arthrosen, bspw. nach einer Patellafraktur, sind bei uns eher eine Seltenheit. Die psychische Belastung infolge einer solchen Instabilität der Kniescheibe umfasst ein mangelndes Vertrauen in das Knie, ein Vermeidungsverhalten bis hin zur sozialen Isolation und dem Gefühl, nicht verstanden zu werden [29, 53]. Hier ist eine adäquate Einordnung der psychischen Problematik wichtig. Es handelt sich keineswegs um ein subjektives Instabilitätsgefühl, sondern um eine bildgebend und klinisch sicher verifizierbare Instabilität. Ein mangelndes Vertrauen in das Knie und dessen Folgen sind kein Ausdruck von psychischen Problemen, sondern eine logische Konsequenz der zu Grunde liegenden Pathologie.

Konservative und operative Möglichkeiten

Nachdem das MPFL in anatomischen und biomechanischen Studien, insbesondere in den strecknahen Positionen, das wesentliche Band zur Stabilisierung der Kniescheibe darstellt [2], sollte es in der konservativen oder operativen Therapie entsprechend adressiert werden. Konservativ kann eine annähernd anatomische Abheilung des MPFL mit einer möglichst rezentrierten Stellung durch eine limitierbare Orthese und/oder Tapeanlagen positiv beeinflusst werden. Entsprechend anatomischer Untersuchungen ist das MPFL zwischen 15 und 30° maximal entspannt und maximal medial positioniert. In Richtung Vollstreckung < 20° und bei Beugung > 45–60° nimmt die Lateralisation der Kniescheibe und die Spannung des MPFL zu [3, 49]. Somit begünstigen Orthesen, die die volle Streckung < 20° sowie die tiefe Beugung > 60° limitieren, die möglichst medialisierte und kompakte narbige Abheilung des gerissenen MPFL.

Aufgrund der bei den Erstluxationen häufig zu findenden Knorpelschäden und Knorpel-Knochen-Frakturen, der meist zu findenden Hämatom- und Hämarthrosbildung, sowie der häufigen Mitbeteiligung der medialen Vastus-Muskulatur empfiehlt sich neben der Orthesenversorgung eine initiale Eistherapie und eine Entlastung über 2 Wochen an Unterarmgehstützen, um einer Inflammation entgegenwirkenden [81]. In dieser Zeit ist ein kurzfristiges MRT sinnvoll, um bei chondralen oder osteochondralen Verletzungen eine Entfernung freier Gelenkkörper oder eine Refixation zu ermöglichen. Nach einer Orthesenbehandlung über 4–6 Wochen erfolgt dann die Physiotherapie bspw. zum Auftrainieren der knieführenden Muskulatur.

Die Empfehlung einer konservativen Therapie sollte mit Augenmaß erfolgen. Das in der Vergangenheit gelegentlich ein wenig einseitig verfolgte Mantra, dass die Erstluxation generell konservativ behandelt wird, basiert teilweise auf Studien zu zurückliegenden, tendenziell einseitigen Operationsverfahren und vglw. wenig differenziert gestellten Indikationen. Vor allem hat das Wissen um relevante Untersuchungsbefunde zugenommen. So sollte auch bei Erstluxationen anstelle einer pauschalen konservativen Empfehlung stets eine individuelle Abwägung unter Berücksichtigung einer Vielzahl individueller Befunde bzw. prognostischer Einflussfaktoren erfolgen. Gehen wir entsprechend differenziert vor, erreichen wir sowohl bei den operativen als auch bei den konservativ versorgten Patientinnen und Patienten bessere Ergebnisse.

Hilfreich ist ein Bewertungssystem, das eine einfache Beurteilung der Schwere von Instabilitäten der Kniescheibe erlaubt. Bspw. kann der Patellar Instability Severity Score nach Balcarek et al. herangezogen werden [4]. Hier werden die Einflussfaktoren, wie das Alter (> 16 Jahre = 0 Punkte, ? 16 Jahre = 1 Punkt), eine Instabilität der Gegenseite (Nein = 0 Punkte, Ja = 1 Punkt), eine Bindegewebsschwäche (Nein = 0 Punkte, Ja = 1 Punkt), eine Trochleadysplasie (Nein = 0 Punkte, Typ A nach Dejour = 1 Punkt, Typ B–D nach Dejour = 2 Punkte), die Patellahöhe mittels Insall-Salvati Index (0 Punkte ? 1.2, 1 Punkt = > 1.2), der TT-TG (0 Punkte = < 16 mm, 1 Punkt = ? 16 mm) sowie der Patella-Tilt (0 Punkte = ? 20°, 1 Punkt > 20°) addiert. Patientinnen und Patienten mit ? 3 Punkten haben gegenüber denen mit ? 4 Punkten ein erhöhtes Risiko einer wiederkehrenden Luxation [4, 38]. Dies ist eine einfache, allerdings limitierte Entscheidungshilfe. Selbstverständlich sollten die vielen anderen Einflussfaktoren wie klinische Untersuchungsbefunde bspw. zur Ausprägung der Kniescheibeninstabilität, anamnestische Faktoren wie Sportarten mit vielen Richtungswechseln sowie weitere bildgebende Befunde, eine Unterentwicklung des lateralen Femurkondylus mit Valgusausrichtung der Beinachse, Rotationsfehler, eine kleine Kniescheibe, kombinierte Instabilitäten etc. berücksichtigt werden.

Bei der Erstluxation ohne knöcherne Deformitäten, wie bspw. Trochleadysplasien, bei denen ausschließlich ein akuter Weichteilschaden mit einer Ruptur des MPFL vorliegt, gibt es prinzipiell 3 Therapiemöglichkeiten: die konservative Therapie, den Repair und eine MPFL-Rekonstruktion mittels Graft. Hier hat die konservative Therapie der Erstluxation auch in aktuelleren Studien einen berechtigten Stellenwert [69]. Eine aktuelle Metaanalyse hat den Repair bzw. die Naht des MPFL mit der konservativen Therapie bei Kindern und Erwachsenen, bei denen keine knöchernen Deformitäten, wie bspw. Trochleadysplasien oder andere Risikofaktoren vorliegen, verglichen. Hier zeigten beide Therapiewege, sowohl für die Rezidivrate als auch für das klinische Outcome, keinen Unterschied [35]. Sillanpää et al. konnten zeigen, dass das Risiko für eine erfolglose konservative Therapie insbesondere bei den häufigen femoralen Avulsionsrupturen des MPFL erhöht ist, wohingegen bei den sehr seltenen Rupturen im Bereich der Patella keine Reluxationen zu finden waren [62]. Letztlich basiert die Entscheidung über ein konservatives oder operatives Vorgehen stets auf der individuellen Situation der Patientin/des Patienten. Liegt bspw. ein Unfall mit einer direkten Gewalteinwirkung auf die Kniescheibe vor, sind das Kniescheibengleitlager, die Gelenkachsen etc. regelrecht geformt und sind die Freizeitaktivitäten der Patientin/des Patienten mit eher wenig Stop-and-go sowie Drehbewegungen verbunden, so sind die Chancen einer stabilen Ausheilung unter Einhaltung eines konservativen Behandlungsschemas vglw. gut.

Nachdem sich bei der Erstluxation in bis zu 96 % der Fälle Schäden des Bandhalteapparates in Form einer MPFL-Ruptur zeigen, ist der weichteilige primäre Repair eine logische, allerdings kritisch zu betrachtende Konsequenz [2, 48]. Erfolgt ein Repair, so sollte dies am Ort des Geschehens als offene oder arthroskopische Retinaculumnaht, bspw. nach Yamamoto, oder in Form einer Refixation von Avulsionsverletzungen am femoralen oder patellaren Ansatz erfolgen [78]. Hierbei ist zu erwähnen, dass die Rekonstruktion als MPFL-Plastik mittels Graft sowohl hinsichtlich dem klinischen Outcome als auch hinsichtlich der Rezidivluxationen in vielen unterschiedlichen Studien dem primären Repair überlegen ist [34, 40, 79]. Vor diesem Hintergrund ist anstelle des primären Repairs die augmentierende MPFL-Rekonstruktion vorrangig empfehlenswert. Ein weiterer Vorteil der augmentierenden Rekonstruktion ist der Umstand, dass wir großzügiger initial konservativ behandeln können, weil im Gegensatz zu einer primären Rekonstruktion, die vglw. kurzfristig in wenigen Tagen bis Wochen erfolgen sollte, erst einmal konservativ behandelt werden und der klinische Verlauf abgewartet werden kann.

Die dritte Möglichkeit bei einer Ruptur oder Insuffizienz des MPFL-Bandes ohne wesentliche knöcherne Pathologie ist die anatomische MPFL-Rekonstruktion mittels Graft. Hierfür sind sehr unterschiedliche Techniken anerkannt. Sie unterscheiden sich in der Art der Fixation, bspw. über Schrauben, Weichgewebe, Anker, Buttons oder transossär, in der Graftwahl und in der Spannungseinstellung. Für die meisten Varianten werden sehr gute Ergebnisse beschrieben [20, 22, 36, 39, 43, 56, 73]. Wir bevorzugen Techniken einer balancierten, implantat-freien, anatomischen MPFL-Rekonstruktion (Abb. 2). Mit solchen Techniken kann die Spannung des eingebrachten Sehnenimplantates individuell und zuverlässig eingestellt werden. Dies minimiert wesentliche Komplikationen einer MPFL-Rekonstruktion und optimiert die Alignementanpassung [39, 73]. Wir sehen große klinische Vorteile darin, dass unsere Technik sowohl bei der Rekonstruktion des MPFL (Abb. 2) und auch bei der Trochleaplastik (s.u.) (Abb. 3, 4), ohne Verwendung von Knochenankern erfolgt. An der medialen Patellakante erfolgt dabei die Anlage eines möglichst vertikal verlaufenden, kleinlumigen V-förmigen Bohrkanals (s.u.) zum Durchzug des MPFL-Graft (Abb. 2a). Dies vermeidet die gar nicht so seltenen Komplikationen einer Implantatlockerung und/oder einer Patellafraktur. In der Literatur finden sich meistens Querfrakturen, die meist entlang der eingebrachten Anker, PEEK-Schrauben etc. liegen [16, 61].

Neben der sicheren und komplikationsarmen Fixation des Grafts an der anatomischen Ansatzregion an der Kniescheibe ist es wichtig, am Femur die anatomische Insertion des MPFL zu finden. Nach der Graftpassage empfehlen wir, den femoralen Insertionspunkt neben der Palpation auch röntgenologisch zu sichern (Abb. 2b). Eine MRT-Studie von Servien et al. zeigte, dass fehlerhaft angelegte femorale Bohrtunnel bei einer MPFL-Plastik gar nicht so selten zu finden sind. In bis zu 35 % der Fälle liegen die Tunnel zu weit vorne und/oder proximal [60]. Weitere Untersuchungen zeigten, dass solche Fehllagen ein schlechtes klinisches Outcome-Scoring und bei Kniebeugung messbar überhöhte Spannungen und Anpressdrücke im Retropatellargelenk nach sich ziehen können [18, 27, 64]. Klinisch finden sich dann vordere Knieschmerzen und Bewegungsdefizite. Herschel et al. zeigten, dass die röntgenologische Festlegung der femoralen Insertion zuverlässiger ist als die palpatorische [27]. Vor diesem Hintergrund erachten wir eine intraoperative röntgenologische Kontrolle des femoralen Insertionspunktes als wichtig. Hier hat sich v.a. die Methode von Schöttle et al., wonach die femorale Insertion im seitlichen Röntgen einfach lokalisiert und für die nächsten OP-Schritte mit einem K-Draht markiert werden kann, etabliert (Abb. 2b) [58]. In unserer Technik wird nach Aufsuchen der Insertion der K-Draht leicht aufsteigend zum lateralen Gegenkortex vorgebohrt und ein Blindtunnel zur Transplantataufnahme und Spannungseinstellung überbohrt (Abb. 2c). Nach Passage zweier Ösendrähte, die, ausgehend vom blinden Ende des Tunnels divergierend, durch den Femur von medial nach lateral laufen (Abb. 2d), werden die beiden Transplantatenden in den blinden Bohrkanal eingezogen und die Armierungen durch den lateralen Femurkortex gezogen (Abb. 2e). Im letzten Schritt werden die Fadenpaare auf dem lateralen Kortex zusammengeführt, angezogen und temporär mit einem einfachen Halbschlag und einem Nadelhalter fixiert. Dann erfolgt die oben bereits beschriebene individuelle, dynamische Spannungsüberpüfung. Erst wenn das Gleiten der Patella im neu geschaffenen Gleitlager einen regelrechten Quadrantentest und keinerlei Überspannung in unterschiedlichen Beugegraden zeigt, erfolgt die dauerhafte Verknüpfung mit einem Knotenschieber und weiteren Halbschlägen (Abb. 2f). Unserer Erfahrung nach und entsprechend unserer Nachuntersuchungen ist diese Technik der Alignementanpassung eine gute Unterstützung, um zu einem guten Ergebnis zu kommen [73, 75].

Trochleaplastik und
MPFL-Rekonstruktion als kombinierter Eingriff

Um zu einem guten Outcome zu kommen, ist es wichtig, ggf. vorhandene wesentliche knöcherne Pathologien zu erkennen und zu adressieren. Häufig liegt neben der MPFL-Insuffizienz eine höhergradige (Typ B–D) Trochleadysplasie vor (Abb. 1g, i, j). Hier ist eine isolierte MPFL-Plastik kritisch zu sehen. Zwar hält man den Eingriff vglw. „klein“, die Ergebnisse sind aber enttäuschend. Eine Vielzahl an Studien belegt, dass ein isoliertes MPFL-Reattachment oder auch die isolierte MPFL-Rekonstruktion bei Vorliegen einer höhergradigen Dysplasie ein schlechtes klinisches Outcome sowie ein nahezu 50-prozentiges Risiko für eine wiederkehrende Instabilität mit erneuten Luxationsereignissen nach sich zieht [5, 46, 77]. Eine Metaanalyse mit über 25 Studien zeigt in solchen Fällen bei 32 % der Patientinnen und Patienten anhaltende Instabilitätsbeschwerden mit weiterhin positiven Apprehensiontests, anhaltenden Schmerzen usw. [61]. Daneben ist auch an die Gefahr fortschreitender degenerativer Gelenkschäden zu denken. So ist bekannt, dass Trochleadysplasien als Hauptursache femoropatellarer Arthrosen, die prothesenpflichtig werden, anzusehen sind [14, 25, 37, 59]. Dem stehen bei entsprechenden Fällen für den Kombinationseingriff einer Trochlea- und MPFL-Plastik außerordentlich gute Ergebnisse gegenüber. Hier zeigen sich minimalisierte Reluxationsraten, im Prinzip durchweg negative klinische Untersuchungsbefunde für eine Instabilität, nahezu normalisierte Outcomescores und erste Anzeichen einer deutlichen Besserung der Arthroseprogression [5–7, 9, 10, 44, 75, 80, 82]. Die guten Ergebnisse für diesen kombinierten Eingriff sind nicht erstaunlich. So führt eine effektive durchgeführte Trochleaplastik zu einer kongruenteren und vergrößerten Kontaktfläche zwischen Kniescheibe und Gleitlager. Druckspitzen werden vermieden. Der Patellalauf wird nach medial und dorsal verlagert (Abb. 3c) [6, 21, 23, 82]. Bezüglich eines erweiterten TT-TG, der oft mit einer Trochleadysplasie assoziiert auftritt, ist anzumerken, dass dieser Befund mit einer Trochleaplastik vglw. sicher adressiert und damit zuverlässig korrigiert werden kann. So wird mit einer nach lateral orientierten Korrektur der asymmetrischen Gleitlagerflächen und der Schaffung der damit lateralisierten Trochleagrube der Abstand zur Tuberositas tibia reduziert (Abb. 1h) [23, 71]. Dieser Aspekt sollte uns bei einem pathologischen TT-TG bewusst sein. Nachdem der TT-TG im Rahmen der Trochleaplastik meist effektiv korrigiert wird, ist eine zusätzliche Tuberositasosteotomie mit Versetzung des Sehnenansatzes somit meist nicht nötig.

Infolge der Trochleaplastik wird der Gleitweg der Patella nach dorsal verlagert. Mit dieser veränderten Biomechanik ist die MPFL-Plastik nicht nur zur weichteiligen Reparatur des gerissenen bzw. insuffizienten Bandes, sondern auch in Folge der knöchern korrigierter Gelenkgeometrie erforderlich (Abb. 3c). Die medialisierte und dorsalisierte Patellaposition führt zu einer Erschlaffung der medialen Bandstrukturen (Abb. 3c). Dies erfordert eine Neueinstellung des Weichteilalignements in Form einer balancierten MPFL-Plastik (Abb. 3d). Somit ist die Bandplastik additiv zur Korrektur der knöchernen Formstörung des Gleitlagers äußerst wertvoll.

Bei der Trochleaplastik sind wiederum recht unterschiedliche Varianten anerkannt. Wir nutzen als Zugang eine Erweiterung der kurzen medialen parapatellaren Inzision, die wir für die isolierte MPFL-Rekonstruktion verwenden (Abb. 4a). Er reicht ca. 2 cm oberhalb des medialen Patellaoberrandes. Neben einer guten Exposition der medialen Patellakante (Abb. 4b) ist hiermit auch eine übersichtliche Darstellung der Trochlea möglich (Abb. 4c) [75]. In der Literatur werden auch laterale parapatellare Zugänge angewendet [7, 24, 41, 44, 55, 70, 76]. Im Weiteren erfolgt die Ablösung der osteochondralen Trochlea- sowie ventralen Kondylenfläche mit einem Meißel (Abb. 4c). Um für das Aufpressen den osteochondralen Lappen genügend flexibel und verformbar zu bekommen, erfolgt eine schonende Ausdünnung des subchondralen Knochens mit einer hochtourigen Diamantfräse. Hierbei wird so wenig wie möglich abgetragen. Der Lappen sollte gerade so flexibel sein, dass ein plastisches Anpressen ohne Bruch der Knorpel-Knochen-Lamelle möglich ist. Hierzu bedarf es ein wenig Fingerspitzengefühl und Erfahrung mit dieser speziellen OP-Methode. Die Vertiefung der subkortikalen Spongiosa mit einem Osteotomiemeißel und der Fräse erfolgt, während der Lappen schonend nach anterior angehoben wird (Abb. 4d). Damit wird eine neu positionierte und vertiefte Gleitrinne geschaffen. Die laterale Trochleakante sollte zur Schaffung eines möglichst großen lateralen Inklinationswinkels erhalten bleiben. Schließlich sollte die neu geschaffene Furche die angestrebte Tiefe und Lage erreichen und harmonisch geformt sein. Wie bereits erwähnt, erzielt man mit der Abtragung und Plastik der Trochlea eine lateralisierte Gleitrinne, so dass die asymmetrischen Facetten und ein erweiterter oder grenzwertiger TT-TG effektiv adressiert bzw. korrigiert sind (Abb. 1h). Dann wird der flexible, osteochondrale Lappen unter Fingerdruck sanft eingepresst, glatt anmodelliert, die harmonische Kontur überprüft und eventuell nachkorrigiert. Mit Vicrylbändern wird der osteochondrale Lappen auf das neue Bett der Trochlea gepresst. Ein Band läuft mittig innerhalb der neu geschaffenen Gleitrinne, wobei das Anpressen in der Tiefe über einen zunehmend angezogenen Knoten gelingt (Abb. 4e). Hier sind sichere Knotentechniken nötig, die ein schonendes, flächiges und festes Anpressen der breiten Bänder ermöglichen. Um das Anpressen auf die laterale Kante zu intensivieren, wird meist ein zweites, nach kraniolateral laufendes Band verwendet. Die laterale Kontur ist somit durch ein V-förmig laufendes Vicrylband gesichert. Nach der Trochleaplastik erfolgt dann das hierzu passende Weichteilalignement bspw. in Form der oben beschriebenen MPFL-Plastik.

Mehrfache, u.a. eigene arthroskopische Nachuntersuchungen zeigen, dass das Vicrylband in kurzer Zeit vollständig resorbiert wird und dass der angepresste Knorpellappen problemlos anheilt (Abb. 4f) [10, 75]. Zudem belegen histologische Nachuntersuchungen, dass es keine Knorpelschäden, kein vermehrtes Auftreten avitaler Knorpelzellen oder von Knochennekrosen im Bereich der versetzten und plastisch verformten Gelenkflächen gibt [57].

Weitere kombinierte
Eingriffe

Zeigt sich eine Patellainstabilität im Rahmen eines deutlichen Genu valgum, so haben wir ähnlich gute Ergebnisse mit der Kombination aus einer knöchernen Korrektur der Beinachse in Form einer medial schließenden suprakondylären femoralen Umstellung und einer Wiederherstellung des Weichteilalignements in Form einer MPFL-Plastik (Abb. 7) [8, 30]. Auch in Fällen mit einem deutlich erweiterten Antetorsionswinkels des Femurs werden mit der Kombination aus einer derotierenden Osteotomie und einer weichteiligen Alignementanpassung mittels MPFL-Rekonstruktion bspw. von Nelitz et al. und später auch in weiteren Studien wiederum sehr gute Ergebnisse nachgewiesen [15, 45]. Bei einem ausgeprägten Patellahochstand erfolgt eine Distalisierung der Tuberositas um die Patellarückfläche wieder mit der Trochlea in Kontakt zu bringen. Auch für diese Korrektur wurden für die Kombination mit einer MPFL-Plastik sehr gute Ergebnisse beschrieben [31, 66].

Ergebnisse der kombinierten

Trochlea- und MPFL-Plastik

Die klinischen Outcomescores zeigen für kombinierte Verfahren, wie bspw. für die Trochleaplastik inkl. MPFL-Rekonstruktion, durchweg exzellente Ergebnisse in den Outcomescorings [7, 9, 10, 15, 28, 30, 31, 44, 45, 66, 75]. Erneute Luxationsereignisse wurden bei den nachuntersuchten Patientinnen und Patienten nicht nachgewiesen. Bis auf einen Patienten in der Studie von Nelitz et al. wurden in den Studien zur Kombination aus einer Trochlea- und MPFL-Plastik die präoperativ beobachteten positiven Apprehensiontests im Verlauf nach der Operation durchweg als negativ beschrieben [7, 9, 10, 44, 75]. Studien, in denen eine Trochleaplastik ohne zusätzliche MPFL-Plastik erfolgte, beschreiben hingegen recht häufig weiterhin positive Apprehensiontests; die Häufigkeiten lagen hierbei bei 16 % [11], 20 % [70], 21 % [55] und 47 % [17]. Ein systematisches Review verglich Studien zu isolierten Trochleaplastiken mit Studien zum kombinierten Eingriff aus einer Trochlea- und MPFL-Plastik. Hier zeigten die isolierten Trochleaplastiken gegenüber den kombinierten Verfahren ein schlechteres klinisches Outcome, signifikant häufiger ein verbleibendes Instabilitätsgefühl einschließlich Subluxationen, höhere Reluxationsraten und höhere Revisionsraten [50].

Spannend ist auch das Thema Sport. In unseren eigenen Follow-up-Untersuchungen kehrten weit über 90 % der Patientinnen und Patienten nach der kombinierten Operation nach spätestens 6 Monaten wieder in ihren vorherigen Sport zurück [75]. Die meisten Patientinnen und Patienten berichteten von einem neuen, sicheren Stabilitätsgefühl mit der Möglichkeit, ohne Zurückhaltung Sport ausüben zu können. Auch unter den Patientinnen und Patienten, die präoperativ keinen regulären Sport betrieben haben, wurde ein hoher Teil sportlich aktiv. Dies entspricht den Angaben in der Literatur, wonach bspw. in der Studie von Nelitz et al. nahezu alle in den zuvor ausgeübten Sport zurückkehren konnten [44]. Auch in weiteren Studien wurden gute Verbesserungen des sportlichen Aktivitätsniveaus berichtet [7]. Diese Daten weisen darauf hin, dass die kombinierten Eingriffe aus Trochleaplastik und MPFL-Band-Rekonstruktion bei richtiger Indikationsstellung ein sicheres und erfolgversprechendes Verfahren darstellen.

Zum kosmetischen Ergebnis haben wir in einer eigenen Studie zu unserer medialen Zugangstechnik die Patientenzufriedenheit evaluiert. Das kosmetische Ergebnis wurde als sehr zufriedenstellend bewertet. Weder das Selbstbewusstsein noch die Kleiderwahl waren im Anschluss an die OP eingeschränkt; ästhetische Narbenoperationen waren für die befragten Patientinnen und Patienten nicht von Interesse [75].

Schlussfolgerung

Instabilitäten der Kniescheibe erfordern eine genaue klinische und bildgebende Abklärung. Die bildgebenden Befunde können heterogen sein und müssen mit den klinischen Befunden korreliert werden. Bei den operativen Maßnahmen liegt der Schlüssel des Erfolges in einer balancierten anatomischen Bandplastik, die einerseits das Weichteilalignement wiederherstellt und andererseits eine Überspannung mit vermehrtem Drücken hinter der Kniescheibe konsequent vermeidet. Die Möglichkeit, die Transplantatspannung intraoperativ zu testen und eventuell zu optimieren, erachten wir bei unserem Vorgehen als wertvoll, um das Ergebnis zu optimieren. Ebenso wichtig ist die klinische und bildgebende Diagnostik knöcherner Fehlbildungen wie bspw. der vglw. häufigen Trochleadysplasien, aber auch von Achsfehlern, Rotationsfehlern, eines ausgeprägten Patellahochstandes etc. Hier bedarf es zusätzlicher knöcherner Korrekturen, die die individuelle Anatomie bzw. Pathophysiologie gezielt adressieren. Unterlässt man dies, muss man mit reduzierten Outcome-Ergebnissen unserer Patientinnen und Patienten rechnen. Aus diesem Grund erfolgen – bei in diesem Thema erfahrenen Händen – vglw. häufig kombinierte weichteilige und knöcherne Eingriffe. Insbesondere die Kombination aus einer Trochleaplastik und einer MPFL-Rekonstruktion stellt ein häufiges und anerkanntes Verfahren dar.

Interessenkonflikte:

Kein angegeben.

Hinweis: Aufwandsentschädigungen für Vorträge, Einsätze als Instruktor bei Operationskursen, Hospitationskursen und Beratungen von den Firmen Corin, Fx Solutions und Arthrex.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med.

Lars Victor von Engelhardt

Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sportmedizin am Klinikum Peine

Akademisches Lehrkrankenhaus der

Medizinischen Hochschule Hannover

Virchowstr. 8h

31226 Peine

Universität Witten/Herdecke

Alfred-Herrhausen-Straße 50

58455 Witten

larsvictor@hotmail.de

CME-Fragen:

1. Welche Antwort zur
klinischen Diagnostik der Kniescheibeninstabilität ist richtig?

Liegt neben einer Bandinsuffizienz eine Trochleadysplasie vor, so ist der Apprehensiontest auch bei vermehrten Beugegraden zwischen 30° und 60° erhöht.

Ein ausgeprägtes J-Sign findet sich typischerweise bei einer chronischen Bandinsuffizienz.

Die Patella sollte bei 20°- und 30°-Flexion nicht mehr als das Doppelte ihrer Breite lateralisierbar sein.

Ist der Apprehensiontest bei Beugegraden zwischen 0° und 30° positiv, so weist dies auf eine zusätzliche Insuffizienz der knöchernen Führung.

Beim sog. „Moving patellar
Apprehensiontest“ wird die Kniescheibe beim Durchbewegen durch den Zeigefinger nach lateral gehalten.

2. Folgender Aspekt kann eine Instabilität der Kniescheibe mit verursachen:

Genu varum

Patella-Tiefstand

Coxa profunda

Genu valgum

nach außen schielende Patellae

3. Welches der Aussagen zum medialen patellofemoralen Band (MPFL) ist richtig?

In Beugung ab 30° und mehr wird die Kniescheibe überwiegend durch die Bandführung durch das MPFL stabilisiert.

Das MPFL verläuft zwischen unterem Drittel der medialen Kniescheibe und dem inneren Femurkondylus.

Das MPFL stabilisiert die Kniescheibe v.a. in strecknahen Positionen bis 30°-Flexion.

Das mediale patellotibiale Band ist im Vergleich zum MPFL der wesentliche Bandstabilisator der Kniescheibe.

Ab einer Beugung von 60° ist das MPFL der wesentliche Bandstabilisator der Kniescheibe.

4. Welches der Aussagen zur Erstluxation der Kniescheibe ist falsch?

Die erstmalige Luxation ist besonders schmerzhaft.

In der Mehrheit der Fälle finden sich schwere Knorpelverletzungen.

Erste Luxationsereignisse finden sich häufig bei Drehbewegungen im Knie in eher strecknahen bis leicht gebeugten Positionen.

Seltener entsteht die Luxation im Rahmen eines direkten Anpralltraumas.

Gelegentlich ist die Kniescheibe medial des Kondylus verhakt.

5. Welche Aussage zur Ruptur des medialen patellofemoralen Bandes (MPFL) ist falsch?

Bei der Erstluxation der Kniescheibe kommt es in > 90 % der Fälle zu einem Riss des MPFL.

Bei Patientinnen/Patienten über 16 Jahren findet sich bei den ersten Luxationen am häufigsten ein Riss am femoralen Ansatz.

Der Abriss des MPFL am medialen Femurkondylus geht mit Druckschmerzen am medialen Kondylus einher.

Reißt das MPFL am femoralen Ansatz, sind Folgeluxationen eher unwahrscheinlich.

Seltener reißt das MPFL bei der Erstluxation intraligamentär.

6. Welche Aussage zum
primären Repair/Naht des MPFL nach erstmaliger
Luxation ist falsch?

Die Rekonstruktion des MPFL
in Form einer Plastik mit einem Graft ist hinsichtlich dem klinischen Outcome dem Repair deutlich überlegen.

Die Naht sollte kurzfristig
innerhalb weniger Wochen
erfolgen.

Der Repair sollte möglichst am Ort des Geschehens erfolgen.

Die primäre Rekonstruktion erfolgt meist arthroskopisch am femoralen Ansatz.

Bei dem Repair gibt es sehr unterschiedliche Techniken.

7. Welche Aussage ist falsch?

Einflussfaktoren, die nach einer Erstluxation zu einer anhaltenden Instabilität beitragen sind:

Alter > 16 Jahre

Trochleadysplasie

Patellahöhe via Insall-Salvati
Index > 1.3

Patella Tilt > 20°

Bindegewebsschwäche

8. Welche Aussage zu den
Techniken einer MPFL-
Rekonstruktion mittels
Sehnengraft ist falsch?

Sie unterscheiden sich u.a. in der Art der Fixation, bspw. über Weichgewebe, Anker etc.

Sie unterscheiden sich in der Graftwahl.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten einer Spannungseinstellung.

Es kann zu Implantatlockerungen und/oder Patellafrakturen kommen.

Um die Kniescheibe effektiv zu
stabilisieren, sollte die Rekonstruktion mit einer hohen Spannung
erfolgen.

9. Die Trochleadysplasie …

lässt sich mittels Erhöhung der medialen Femurkondylus korrigieren.

ist bei einer Instabilität der Kniescheibe eher selten zu finden.

führt meist zu einer medialisierten Trochleagrube.

wird in den MRT-Bildern meist in der kranialen Schicht, nahe der Knorpel-Knochen-Grenze beurteilt.

wird bei der Retropatellararthrose selten beobachtet.

10. Welche Eingriffe werden bei einer symptomatischen Kniescheibeninstabilität üblicherweise nicht
durchgeführt?

Derotierenden Femurosteotomie & MPFL-Plastik

Tuberositasosteotomie mit Distalisierung der Tuberositas & MPFL-Plastik

Hohe valgisierende tibiale Umstellungsosteotomie & MPFL-Plastik

Trochleaplastik & MPFL-Plastik

Varisierende suprakondyläre femorale Umstellung & MPFL-Plastik

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