Übersichtsarbeiten - OUP 02/2024
Akute und chronische KniescheibeninstabilitätDiagnostik, konservative Therapie und chirurgische Konzepte von Schäden des MPFL, von Trochleadysplasien sowie anderen knöchernen Pathologien
Neben der sicheren und komplikationsarmen Fixation des Grafts an der anatomischen Ansatzregion an der Kniescheibe ist es wichtig, am Femur die anatomische Insertion des MPFL zu finden. Nach der Graftpassage empfehlen wir, den femoralen Insertionspunkt neben der Palpation auch röntgenologisch zu sichern (Abb. 2b). Eine MRT-Studie von Servien et al. zeigte, dass fehlerhaft angelegte femorale Bohrtunnel bei einer MPFL-Plastik gar nicht so selten zu finden sind. In bis zu 35 % der Fälle liegen die Tunnel zu weit vorne und/oder proximal [60]. Weitere Untersuchungen zeigten, dass solche Fehllagen ein schlechtes klinisches Outcome-Scoring und bei Kniebeugung messbar überhöhte Spannungen und Anpressdrücke im Retropatellargelenk nach sich ziehen können [18, 27, 64]. Klinisch finden sich dann vordere Knieschmerzen und Bewegungsdefizite. Herschel et al. zeigten, dass die röntgenologische Festlegung der femoralen Insertion zuverlässiger ist als die palpatorische [27]. Vor diesem Hintergrund erachten wir eine intraoperative röntgenologische Kontrolle des femoralen Insertionspunktes als wichtig. Hier hat sich v.a. die Methode von Schöttle et al., wonach die femorale Insertion im seitlichen Röntgen einfach lokalisiert und für die nächsten OP-Schritte mit einem K-Draht markiert werden kann, etabliert (Abb. 2b) [58]. In unserer Technik wird nach Aufsuchen der Insertion der K-Draht leicht aufsteigend zum lateralen Gegenkortex vorgebohrt und ein Blindtunnel zur Transplantataufnahme und Spannungseinstellung überbohrt (Abb. 2c). Nach Passage zweier Ösendrähte, die, ausgehend vom blinden Ende des Tunnels divergierend, durch den Femur von medial nach lateral laufen (Abb. 2d), werden die beiden Transplantatenden in den blinden Bohrkanal eingezogen und die Armierungen durch den lateralen Femurkortex gezogen (Abb. 2e). Im letzten Schritt werden die Fadenpaare auf dem lateralen Kortex zusammengeführt, angezogen und temporär mit einem einfachen Halbschlag und einem Nadelhalter fixiert. Dann erfolgt die oben bereits beschriebene individuelle, dynamische Spannungsüberpüfung. Erst wenn das Gleiten der Patella im neu geschaffenen Gleitlager einen regelrechten Quadrantentest und keinerlei Überspannung in unterschiedlichen Beugegraden zeigt, erfolgt die dauerhafte Verknüpfung mit einem Knotenschieber und weiteren Halbschlägen (Abb. 2f). Unserer Erfahrung nach und entsprechend unserer Nachuntersuchungen ist diese Technik der Alignementanpassung eine gute Unterstützung, um zu einem guten Ergebnis zu kommen [73, 75].
Trochleaplastik und
MPFL-Rekonstruktion als kombinierter Eingriff
Um zu einem guten Outcome zu kommen, ist es wichtig, ggf. vorhandene wesentliche knöcherne Pathologien zu erkennen und zu adressieren. Häufig liegt neben der MPFL-Insuffizienz eine höhergradige (Typ B–D) Trochleadysplasie vor (Abb. 1g, i, j). Hier ist eine isolierte MPFL-Plastik kritisch zu sehen. Zwar hält man den Eingriff vglw. „klein“, die Ergebnisse sind aber enttäuschend. Eine Vielzahl an Studien belegt, dass ein isoliertes MPFL-Reattachment oder auch die isolierte MPFL-Rekonstruktion bei Vorliegen einer höhergradigen Dysplasie ein schlechtes klinisches Outcome sowie ein nahezu 50-prozentiges Risiko für eine wiederkehrende Instabilität mit erneuten Luxationsereignissen nach sich zieht [5, 46, 77]. Eine Metaanalyse mit über 25 Studien zeigt in solchen Fällen bei 32 % der Patientinnen und Patienten anhaltende Instabilitätsbeschwerden mit weiterhin positiven Apprehensiontests, anhaltenden Schmerzen usw. [61]. Daneben ist auch an die Gefahr fortschreitender degenerativer Gelenkschäden zu denken. So ist bekannt, dass Trochleadysplasien als Hauptursache femoropatellarer Arthrosen, die prothesenpflichtig werden, anzusehen sind [14, 25, 37, 59]. Dem stehen bei entsprechenden Fällen für den Kombinationseingriff einer Trochlea- und MPFL-Plastik außerordentlich gute Ergebnisse gegenüber. Hier zeigen sich minimalisierte Reluxationsraten, im Prinzip durchweg negative klinische Untersuchungsbefunde für eine Instabilität, nahezu normalisierte Outcomescores und erste Anzeichen einer deutlichen Besserung der Arthroseprogression [5–7, 9, 10, 44, 75, 80, 82]. Die guten Ergebnisse für diesen kombinierten Eingriff sind nicht erstaunlich. So führt eine effektive durchgeführte Trochleaplastik zu einer kongruenteren und vergrößerten Kontaktfläche zwischen Kniescheibe und Gleitlager. Druckspitzen werden vermieden. Der Patellalauf wird nach medial und dorsal verlagert (Abb. 3c) [6, 21, 23, 82]. Bezüglich eines erweiterten TT-TG, der oft mit einer Trochleadysplasie assoziiert auftritt, ist anzumerken, dass dieser Befund mit einer Trochleaplastik vglw. sicher adressiert und damit zuverlässig korrigiert werden kann. So wird mit einer nach lateral orientierten Korrektur der asymmetrischen Gleitlagerflächen und der Schaffung der damit lateralisierten Trochleagrube der Abstand zur Tuberositas tibia reduziert (Abb. 1h) [23, 71]. Dieser Aspekt sollte uns bei einem pathologischen TT-TG bewusst sein. Nachdem der TT-TG im Rahmen der Trochleaplastik meist effektiv korrigiert wird, ist eine zusätzliche Tuberositasosteotomie mit Versetzung des Sehnenansatzes somit meist nicht nötig.
Infolge der Trochleaplastik wird der Gleitweg der Patella nach dorsal verlagert. Mit dieser veränderten Biomechanik ist die MPFL-Plastik nicht nur zur weichteiligen Reparatur des gerissenen bzw. insuffizienten Bandes, sondern auch in Folge der knöchern korrigierter Gelenkgeometrie erforderlich (Abb. 3c). Die medialisierte und dorsalisierte Patellaposition führt zu einer Erschlaffung der medialen Bandstrukturen (Abb. 3c). Dies erfordert eine Neueinstellung des Weichteilalignements in Form einer balancierten MPFL-Plastik (Abb. 3d). Somit ist die Bandplastik additiv zur Korrektur der knöchernen Formstörung des Gleitlagers äußerst wertvoll.
Bei der Trochleaplastik sind wiederum recht unterschiedliche Varianten anerkannt. Wir nutzen als Zugang eine Erweiterung der kurzen medialen parapatellaren Inzision, die wir für die isolierte MPFL-Rekonstruktion verwenden (Abb. 4a). Er reicht ca. 2 cm oberhalb des medialen Patellaoberrandes. Neben einer guten Exposition der medialen Patellakante (Abb. 4b) ist hiermit auch eine übersichtliche Darstellung der Trochlea möglich (Abb. 4c) [75]. In der Literatur werden auch laterale parapatellare Zugänge angewendet [7, 24, 41, 44, 55, 70, 76]. Im Weiteren erfolgt die Ablösung der osteochondralen Trochlea- sowie ventralen Kondylenfläche mit einem Meißel (Abb. 4c). Um für das Aufpressen den osteochondralen Lappen genügend flexibel und verformbar zu bekommen, erfolgt eine schonende Ausdünnung des subchondralen Knochens mit einer hochtourigen Diamantfräse. Hierbei wird so wenig wie möglich abgetragen. Der Lappen sollte gerade so flexibel sein, dass ein plastisches Anpressen ohne Bruch der Knorpel-Knochen-Lamelle möglich ist. Hierzu bedarf es ein wenig Fingerspitzengefühl und Erfahrung mit dieser speziellen OP-Methode. Die Vertiefung der subkortikalen Spongiosa mit einem Osteotomiemeißel und der Fräse erfolgt, während der Lappen schonend nach anterior angehoben wird (Abb. 4d). Damit wird eine neu positionierte und vertiefte Gleitrinne geschaffen. Die laterale Trochleakante sollte zur Schaffung eines möglichst großen lateralen Inklinationswinkels erhalten bleiben. Schließlich sollte die neu geschaffene Furche die angestrebte Tiefe und Lage erreichen und harmonisch geformt sein. Wie bereits erwähnt, erzielt man mit der Abtragung und Plastik der Trochlea eine lateralisierte Gleitrinne, so dass die asymmetrischen Facetten und ein erweiterter oder grenzwertiger TT-TG effektiv adressiert bzw. korrigiert sind (Abb. 1h). Dann wird der flexible, osteochondrale Lappen unter Fingerdruck sanft eingepresst, glatt anmodelliert, die harmonische Kontur überprüft und eventuell nachkorrigiert. Mit Vicrylbändern wird der osteochondrale Lappen auf das neue Bett der Trochlea gepresst. Ein Band läuft mittig innerhalb der neu geschaffenen Gleitrinne, wobei das Anpressen in der Tiefe über einen zunehmend angezogenen Knoten gelingt (Abb. 4e). Hier sind sichere Knotentechniken nötig, die ein schonendes, flächiges und festes Anpressen der breiten Bänder ermöglichen. Um das Anpressen auf die laterale Kante zu intensivieren, wird meist ein zweites, nach kraniolateral laufendes Band verwendet. Die laterale Kontur ist somit durch ein V-förmig laufendes Vicrylband gesichert. Nach der Trochleaplastik erfolgt dann das hierzu passende Weichteilalignement bspw. in Form der oben beschriebenen MPFL-Plastik.