Übersichtsarbeiten - OUP 02/2024
Akute und chronische KniescheibeninstabilitätDiagnostik, konservative Therapie und chirurgische Konzepte von Schäden des MPFL, von Trochleadysplasien sowie anderen knöchernen Pathologien
Mehrfache, u.a. eigene arthroskopische Nachuntersuchungen zeigen, dass das Vicrylband in kurzer Zeit vollständig resorbiert wird und dass der angepresste Knorpellappen problemlos anheilt (Abb. 4f) [10, 75]. Zudem belegen histologische Nachuntersuchungen, dass es keine Knorpelschäden, kein vermehrtes Auftreten avitaler Knorpelzellen oder von Knochennekrosen im Bereich der versetzten und plastisch verformten Gelenkflächen gibt [57].
Weitere kombinierte
Eingriffe
Zeigt sich eine Patellainstabilität im Rahmen eines deutlichen Genu valgum, so haben wir ähnlich gute Ergebnisse mit der Kombination aus einer knöchernen Korrektur der Beinachse in Form einer medial schließenden suprakondylären femoralen Umstellung und einer Wiederherstellung des Weichteilalignements in Form einer MPFL-Plastik (Abb. 7) [8, 30]. Auch in Fällen mit einem deutlich erweiterten Antetorsionswinkels des Femurs werden mit der Kombination aus einer derotierenden Osteotomie und einer weichteiligen Alignementanpassung mittels MPFL-Rekonstruktion bspw. von Nelitz et al. und später auch in weiteren Studien wiederum sehr gute Ergebnisse nachgewiesen [15, 45]. Bei einem ausgeprägten Patellahochstand erfolgt eine Distalisierung der Tuberositas um die Patellarückfläche wieder mit der Trochlea in Kontakt zu bringen. Auch für diese Korrektur wurden für die Kombination mit einer MPFL-Plastik sehr gute Ergebnisse beschrieben [31, 66].
Ergebnisse der kombinierten
Trochlea- und MPFL-Plastik
Die klinischen Outcomescores zeigen für kombinierte Verfahren, wie bspw. für die Trochleaplastik inkl. MPFL-Rekonstruktion, durchweg exzellente Ergebnisse in den Outcomescorings [7, 9, 10, 15, 28, 30, 31, 44, 45, 66, 75]. Erneute Luxationsereignisse wurden bei den nachuntersuchten Patientinnen und Patienten nicht nachgewiesen. Bis auf einen Patienten in der Studie von Nelitz et al. wurden in den Studien zur Kombination aus einer Trochlea- und MPFL-Plastik die präoperativ beobachteten positiven Apprehensiontests im Verlauf nach der Operation durchweg als negativ beschrieben [7, 9, 10, 44, 75]. Studien, in denen eine Trochleaplastik ohne zusätzliche MPFL-Plastik erfolgte, beschreiben hingegen recht häufig weiterhin positive Apprehensiontests; die Häufigkeiten lagen hierbei bei 16 % [11], 20 % [70], 21 % [55] und 47 % [17]. Ein systematisches Review verglich Studien zu isolierten Trochleaplastiken mit Studien zum kombinierten Eingriff aus einer Trochlea- und MPFL-Plastik. Hier zeigten die isolierten Trochleaplastiken gegenüber den kombinierten Verfahren ein schlechteres klinisches Outcome, signifikant häufiger ein verbleibendes Instabilitätsgefühl einschließlich Subluxationen, höhere Reluxationsraten und höhere Revisionsraten [50].
Spannend ist auch das Thema Sport. In unseren eigenen Follow-up-Untersuchungen kehrten weit über 90 % der Patientinnen und Patienten nach der kombinierten Operation nach spätestens 6 Monaten wieder in ihren vorherigen Sport zurück [75]. Die meisten Patientinnen und Patienten berichteten von einem neuen, sicheren Stabilitätsgefühl mit der Möglichkeit, ohne Zurückhaltung Sport ausüben zu können. Auch unter den Patientinnen und Patienten, die präoperativ keinen regulären Sport betrieben haben, wurde ein hoher Teil sportlich aktiv. Dies entspricht den Angaben in der Literatur, wonach bspw. in der Studie von Nelitz et al. nahezu alle in den zuvor ausgeübten Sport zurückkehren konnten [44]. Auch in weiteren Studien wurden gute Verbesserungen des sportlichen Aktivitätsniveaus berichtet [7]. Diese Daten weisen darauf hin, dass die kombinierten Eingriffe aus Trochleaplastik und MPFL-Band-Rekonstruktion bei richtiger Indikationsstellung ein sicheres und erfolgversprechendes Verfahren darstellen.
Zum kosmetischen Ergebnis haben wir in einer eigenen Studie zu unserer medialen Zugangstechnik die Patientenzufriedenheit evaluiert. Das kosmetische Ergebnis wurde als sehr zufriedenstellend bewertet. Weder das Selbstbewusstsein noch die Kleiderwahl waren im Anschluss an die OP eingeschränkt; ästhetische Narbenoperationen waren für die befragten Patientinnen und Patienten nicht von Interesse [75].
Schlussfolgerung
Instabilitäten der Kniescheibe erfordern eine genaue klinische und bildgebende Abklärung. Die bildgebenden Befunde können heterogen sein und müssen mit den klinischen Befunden korreliert werden. Bei den operativen Maßnahmen liegt der Schlüssel des Erfolges in einer balancierten anatomischen Bandplastik, die einerseits das Weichteilalignement wiederherstellt und andererseits eine Überspannung mit vermehrtem Drücken hinter der Kniescheibe konsequent vermeidet. Die Möglichkeit, die Transplantatspannung intraoperativ zu testen und eventuell zu optimieren, erachten wir bei unserem Vorgehen als wertvoll, um das Ergebnis zu optimieren. Ebenso wichtig ist die klinische und bildgebende Diagnostik knöcherner Fehlbildungen wie bspw. der vglw. häufigen Trochleadysplasien, aber auch von Achsfehlern, Rotationsfehlern, eines ausgeprägten Patellahochstandes etc. Hier bedarf es zusätzlicher knöcherner Korrekturen, die die individuelle Anatomie bzw. Pathophysiologie gezielt adressieren. Unterlässt man dies, muss man mit reduzierten Outcome-Ergebnissen unserer Patientinnen und Patienten rechnen. Aus diesem Grund erfolgen – bei in diesem Thema erfahrenen Händen – vglw. häufig kombinierte weichteilige und knöcherne Eingriffe. Insbesondere die Kombination aus einer Trochleaplastik und einer MPFL-Rekonstruktion stellt ein häufiges und anerkanntes Verfahren dar.
Interessenkonflikte:
Kein angegeben.
Hinweis: Aufwandsentschädigungen für Vorträge, Einsätze als Instruktor bei Operationskursen, Hospitationskursen und Beratungen von den Firmen Corin, Fx Solutions und Arthrex.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med.
Lars Victor von Engelhardt
Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sportmedizin am Klinikum Peine
Akademisches Lehrkrankenhaus der
Medizinischen Hochschule Hannover
Virchowstr. 8h
31226 Peine
Universität Witten/Herdecke
Alfred-Herrhausen-Straße 50
58455 Witten
larsvictor@hotmail.de
CME-Fragen:
1. Welche Antwort zur
klinischen Diagnostik der Kniescheibeninstabilität ist richtig?
Liegt neben einer Bandinsuffizienz eine Trochleadysplasie vor, so ist der Apprehensiontest auch bei vermehrten Beugegraden zwischen 30° und 60° erhöht.