Informationen aus der Gesellschaft - OUP 10/2016
Medizinische Ökonomie und EthikVortrag anlässlich der 64. Jahrestagung der VSOUDer Mensch als Kostenfaktor: Ein Plädoyer gegen die Ökonomisierung des Alltags und des GesundheitswesensWarum aus der Medizin keine Industrie werden darf
So aber etabliert sich eine Schnäppchen-Medizin: Finanziell attraktive Patienten werden umworben. Unattraktive Patienten aber werden in die staatlichen und kommunalen Krankenhäuser der sogenannten Erstversorgung abgeschoben – die dürfen niemanden ablehnen. Es entwickelt sich hier ein bekanntes Muster: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert.
Es heißt bisweilen noch immer, das Gesundheitswesen leide auch an einem zu eingeschränkten Wettbewerb. Ich frage mich: Leidet es nicht eher daran, dass es ein Markt ist, an dem zu allererst verdient werden will? Gesundheit hat ja nicht nur mit körperlicher Intaktheit zu tun, nicht nur mit Pillen und Skalpell, sondern auch mit der Psyche: mit Vertrauen, Selbstvertrauen, mit Ängsten, mit Lebensunsicherheiten. Unser Gesundheitssystem krankt wohl auch am mangelnden „Sich Kümmern“, denn dies wird nicht bezahlt. Und es krankt an der Konkurrenz zwischen Ärzten, Labors und Krankenhäusern um die Verdienste, Konkurrenz steht oft an Stelle der guten Kooperation, die dem Patienten das Gefühl vermitteln könnte, dass alle gemeinsam bestrebt sind, ihm zu helfen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu den Bewertungen von Ärzten in anonymen Internet-Portalen sagen. Solche Bewertungen gibt es mittlerweile genauso wie die Buch-, Gastronomie- oder Hotelkritiken. Sie sind nicht objektiv, nicht repräsentativ und nicht manipulationssicher. Aber es wäre seltsam, wenn eine Meinung objektiv, repräsentativ und manipulationssicher sein müsste. Müsste freie Meinungsäußerung abgewogen und zuträglich sein, dann wäre sie nicht mehr frei. Mit Kriterien wie fair oder unfair, gerecht oder ungerecht kommt man also bei Internet-Foren nicht viel weiter. Wenn der Kritisierte mit seiner Bewertung nicht einverstanden ist, liegt das in der Natur der Sache.
Gleichwohl öffnet ein Mausklick des Anonymus keine rechtsfreie Sphäre. Das Internet ist kein Freiraum für Beleidigung, üble Nachrede und Schmähkritik. Die Grenzen, die das Recht mit diesen Straftatbeständen setzt, gelten für das Internet erst recht: Es ist die größtmögliche Öffentlichkeit. Das Internet ist kein Intranet für lustige Jugendliche. Es ist keine elektronische Privatwohnung. Es ist etwas anderes als ein Klassenzimmer, in dem man sich in der Pause Gemeinheiten über den Mathe-Lehrer erzählt. Es ist nicht ein einfach vergrößerter Schulhof oder eine riesige Kneipe, auch kein globales Klohäuschen, an dessen Wände man Obszönitäten schmiert. Persönlichkeitsverletzungen im Internet tun besonders weh. Das Internet ist ja nicht nur die größte Wissens-, sondern auch die größte Gerüchtemaschinerie, die es je gegeben hat. Einerseits hat die Meinungsfreiheit im Internet ein unglaublich großes Forum; das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite darf es nicht sein, dass unter dem Schutz von Meinungsfreiheit und Internet-Anonymität Mobbing und sonstige Unverschämtheiten freie Bahn haben.
Das Recht muss also erstens die Grenzen der Meinungsfreiheit im Internet klar markieren – und zweitens, das ist besonders wichtig, dafür sorgen, dass es auch Konsequenzen hat, wenn sie nicht eingehalten werden. Wenn aber die weiten Grenzen des Erlaubten überschritten werden, muss das Recht auf den Rechtsverletzer zugreifen können. Das heißt: Entweder muss dessen Anonymität geknackt werden können – oder aber der Betreiber des Internet-Forums muss in Haftung genommen werden. Internet ist große Freiheit. Aber Freiheit ohne Verantwortung gibt es nicht.
Die Medizin ist zwar eine der größten Wirtschaftsfaktoren in Deutschland, aber sie ist keine Wirtschaftsbranche wie jede andere. Stetiges Wachstum bedeutet in anderen Branchen Prosperität. Stetiges Wachstum in der Medizin ist ein Zeichen von Krebs (Werner Bartens).
Kaufleute und Betriebswirtschaftler haben aus der Medizin eine Industrie gemacht. Sie haben die Krankenbehandlung ökonomisiert. Das bekommt den Ärzten nicht – und den Patienten auch nicht. Für Kranke sind Faktoren wichtig, die in betriebswirtschaftlichen Programmen keine oder kaum eine Rolle spielen: Zeit, Geborgenheit – und, ja auch dies, ja, auch wenn es altmodisch klingt – Barmherzigkeit! Manchmal besteht ärztliche Kunst auch darin, abzuwarten und vorerst nichts zu tun; diese Kunst lässt sich nicht betriebswirtschaftlich optimieren. Von einem Oberarzt habe ich neulich den Satz gehört: „In dem Augenblick, in dem ärztliche Fürsorge vorrangig dem Profit dient – egal ob dem eigenen oder einem fremdem – hat er die wahre Fürsorge verraten“. Ich denke, er hat recht.
Ich bin ein politischer Journalist, ich bin Jurist und das Verfassungsrecht war und ist mir immer ein besonderes Anliegen: Unser aller Grundnorm ist der Artikel 1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Sozialstaat ist die Einrichtung, die diese Würde organisiert. Ich persönlich halte den Sozialstaat, trotz all seiner uns bekannten Mängel, für eine der größten europäischen Kulturleistungen. Es ist zerstörerisch, wenn der Sozialstaat demontiert wird. Die Würde des Menschen ist unantastbar: Das gilt in besonderer Weise für kranke und für alte Menschen. Und das Krankenhaus ist ein wichtiger Ort, einer der wichtigsten Orte, an dem sich dieser Satz des Grundgesetzes bewähren muss.
Die Würde des Menschen ist unantastbar: Dieser Satz bewährt sich im Krankenhaus dann, wenn dort die Menschen im Vordergrund stehen und nicht die Abläufe, wenn die Fürsorge das Wichtigste ist und nicht der Profit; wenn Geborgenheit und Barmherzigkeit ihren Raum haben.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Satz bewährt sich dann, wenn ein Krankenhaus sich auf die demografischen Veränderungen in der Gesellschaft einstellt. Der Satz bewährt sich dann, wenn ein Krankenhaus sozusagen geriatriefest ist. Ein Krankenhaus steckt voller Technik. Auch im Krankenzimmer ist das so. Und dann ist es gut, wenn man 18-jähriger Technikfreak sein muss, um Notruf, Telefon und Fernseher bedienen zu können. Es ist gut, wenn das auch ein Achtzigjähriger hinkriegt.